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Fotoquelle: alfahir.hu

Fast hundert Jahre nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie wird immer noch jedes vierte ungarische Kind außerhalb des ungarischen Staatsgebiets geboren. Fast drei Millionen Ungarn leben heute als Bürger der Länder des Karpatenbeckens, welche ihnen in vielen Fällen nicht einmal die grundlegenden Minderheitenrechte gewähren, aber staatlicherseits nach wie vor absolute Loyalität von ihren Bürgern verlangen.

Die Friedensverträge zum Abschluss des ersten Weltkriegs haben nicht nur das Habsburger-Reich in Stücke geschnitten, sondern auch das auf tausend Jahre Eigenstaatlichkeit zurückblickende multinationale Königreich Ungarn. Durch den im Jahre 1920 im Trianon-Palais zu Versailles unterzeichneten Diktatfrieden verlor Ungarn 72 Prozent seiner Landesfläche und ein Drittel aller ungarischen Familien fand sich von einem Tag auf den anderen unter der Autorität eines fremden Landes.

Grafik: 123iti, Qorilla / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Grafik: 123iti, Qorilla / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Ungarn zählte auch zu den Verlierermächten des Zweiten Weltkrieges, was die territorialen Verluste unanfechtbar machte, und im Pariser Frieden von 1947 wurden jene Punkte betreffend Minderheitenrechte weggelassen, die, wenn auch nur auf dem Papier, in den jungen Nachfolgestaaten, welche aus den Ruinen der Monarchie entstanden waren, noch bestanden hatten.

Der Zerfall der Sowjetunion gab den ehemaligen Ostblockländern die Chance für einen demokratischen Übergang, doch das Wiederaufleben des slowakischen, serbischen, rumänischen und ukrainischen Nationalbewusstseins in den 1990er Jahren führte zu anti-ungarischen Ressentiments wie auch zu Misstrauen gegenüber den einheimischen ungarischen Minderheiten, was manchmal bis hin zu offenen Feindseligkeiten seitens der heutigen slawischen und rumänischen politischen Führer ging – und zwar unabhängig davon, ob Rechts- oder Linksparteien an der Macht sind.

Die Slowakei wurde im Jahr 2004 Mitglied der Europäischen Union, aber dennoch blieben die sogenannten Beneš-Dekrete in Kraft, mittels derer die ungarischen und deutschen Minderheiten der Tschechoslowakei für kollektiv schuldig erklärt, ihr Eigentum beschlagnahmt, sie zu Zwangsarbeit gezwungen und schließlich vertrieben wurden. In Pressburg wurde im Jahre 2010 ein Gesetz verabschiedet, wonach eine halbe Million Angehörige der ungarischen Minderheit die slowakische Staatsbürgerschaft verlieren würden, wenn sie die ungarische Staatsbürgerschaft erwerben. Ein Gesetz aus dem Jahre 2009 bestimmt, dass Geldstrafen von bis zu 5000 € verhängt werden können, wenn jemand unter bestimmten Umständen in der Öffentlichkeit nicht Slowakisch spricht.

Das Verhältnis zu Serbien hat sich infolge der in Aussicht stehenden EU-Mitgliedschaft des Landes in den letzten Jahren etwas verbessert, doch auch wenn die beiden Länder gegenseitig Gesten im Geist der historischen Versöhnung austauschen, ist die Lage der fast dreihunderttausend Ungarn in der Wojwodina noch alles andere als befriedigend. Obwohl es sich um historisch ungarisches Gebiet handelt und obwohl es in der Provinz Wojwodina ein gewisses Maß an Autonomie gibt, wurde eben ein Gesetz verabschiedet, das ungarischsprachige Fernseh- und Radiosendungen abschaffen will. Bei den regelmäßigen ethnischen Auseinandersetzungen in der Region werden über Ungarn abschreckende Sanktionen verhängt, während serbische Angreifer mit geringfügigen Strafen davonkommen.

Von den fast anderthalb Millionen Ungarn in Rumänien leben die meisten in Siebenbürgen (ungar. Erdély), eine Region, die auf mehr als tausend Jahre ungarischer Geschichte und Kultur zurückblickt. Im Szeklerland leben über 800.000 Ungarn in einer geschlossenen Gemeinschaft, welche seit 95 Jahren ohne Erfolg eine regionale Autonomie fordert, was von Bukarest als separatistische Bestrebungen ausgelegt wird. Die Flagge des Szeklerlandes, das Symbol der Selbstbestimmung der Szekler, wird offiziell verfolgt, die Freiheit der Benutzung der Muttersprache wird lediglich auf die gesetzlich verankerten Fälle beschränkt, die Befugnisse der ungarischen Hochschuleinrichtungen werden beeinträchtigt, und im Dezember 2014 wurde über eine ungarische Partei in Siebenbürgen eine Geldstrafe von tausenden Euros verhängt, weil während einer Veranstaltung die ungarische Hymne gesungen wurde. Dieses Jahr, im Sommer kommen die rumänischen Kommunalwahlen, deshalb attackiert die rumänische Leitung die ungarische Minderheit. So wollen sie die ungarischen Partien aus der Macht verdrängen.

In der Ukraine herrschte wegen des Bürgerkriegs eine ernste Situation. Für heute diese Situation änderte sich. Jetzt die ungarischen Menschen sind nicht in direkter Gefahr. Die während den vorletzten Jahren beschlossenen antirussischen Gesetze trafen auch die ungarischen und ruthenischen Minderheiten im Karpatenvorland (Transkarpatien) und beschränkten ihre Sprach- und Bildungsrechte. Am Fuße der Karpaten leben etwa 150.000 Ungarn, welche nicht an einem Krieg teilnehmen wollen, mit dem sie nichts zu tun haben und dessen Zwangsrekrutierungen sie sich immer schwieriger entziehen können. Der Rechte Sektor, die Karpatska Sitsch und andere militärisch bewaffnete extremistische Organisationen haben in diesem Frühjahr den lokalen Ungarn offen mit Gewalt bedroht.

Es ist Pflicht der jeweiligen ungarischen Regierung, sich im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens so nachhaltig wie möglich für die den ungarischen Minderheiten verwehrten Rechte einzusetzen und in internationalen Gremien die verschiedenen Formen der Selbstbestimmung einzufordern. Im Karpatenbecken, auf dem Balkan und in ganz Osteuropa wird es nur dann eine langfristige friedliche Entwicklung geben können, wenn die hier lebenden Völker die Kultur der anderen respektieren und in Anerkennung ihrer legitimen Bestrebungen und der realen Bedrohung von außen nicht gegeneinander kämpfen, sondern ihren Kampf vielmehr gegen die wilden Auswüchse der Globalisierung richten.

 

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