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Rechtsanwältin Dr. Eva Maria Barki

Von Dr. Eva Maria Barki (Wien)

Die Reaktion der Europäischen Union und zahlreicher Politiker aus Anlass des gescheiterten Putsch-Versuches und deren Folgen in der Türkei geben Anlass zur Besorgnis.

Wieder einmal zeigt sich die politisch motivierte, sachlich nicht gerechtfertigte und daher ungleiche Behandlung von Staaten und Regierungen, auf die aus geopolitischen oder wirtschaftlichen Gründen Druck ausgeübt werden soll.

Anstelle sich mit den wahren Ursachen und Zielen des Putsch-Versuches auseinanderzusetzen, welcher nicht nur mindestens 200 Todesopfer gefordert hat, sondern welcher zweifellos zur Destabilisierung im Inneren beigetragen und das Konfliktpotential in der gesamten Region erhöht hätte, werden die Reaktionen zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung kritisiert.

Selbst wenn diese Kritik in jenem Bereich berechtigt ist, in welchem rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden, so ist das zweierlei Maß, mit dem gemessen wird, unangebracht.

Beispielhaft hierfür ist die Ausrufung des Notstandes und teilweise Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Dauer von 3 Monaten sowie die Diskussion über eine allfällige Wiedereinführung der Todesstrafe. Beides unterliegt einer heftigen Kritik, während diese bei anderen Staaten vermisst wird.

In Frankreich erfolgte die Ausrufung des Notstandes unter Aussetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention aus weniger gewichtigen Gründen und wurde nunmehr um weitere 6 Monate verlängert.

Die Ukraine hat die Europäische Menschenrechtskonvention auf dem Gebiet des eine Autonomie fordernden Ostens ausgesetzt, wiewohl die Voraussetzungen des Artikel 15 EMRK, nämlich öffentlicher Notstand bzw. Bedrohung des Lebens der Nation, von der Zentralregierung selbst durch Ausübung aggressiver Gewalt hervorgerufen wurde, und zwar gegen eine Volksgruppe, welche ihr Recht auf Selbstbestimmung gemäß Artikel I. der beiden UN- Menschenrechtspakte 1966 geltend macht. Eine Verurteilung der Verletzung dieses wesentlichsten Grundsatzes des Völkerrechtes ist ausgeblieben.

Ebenso ist zu bemerken, dass auch Großbritannien nicht gerügt wird, wiewohl seit dem 11.9.2001 Artikel 5 EMRK de facto außer Kraft gesetzt wird. Einreisende Personen, welche für Terroristen gehalten werden, können auf unbegrenzte Zeit in Sicherungshaft genommen werden, Passanten können unter Terrorverdacht angehalten und durchsucht, sowie ihre Telefone abgehört werden.

All diese Rechtsverletzungen werden mit Stillschweigen zur Kenntnis genommen, während andere Regierungen aus politisch motivierten Gründen sogar für Rechtsverletzungen gerügt werden, die objektiv gar nicht vorliegen. Ungarn ist ein Beispiel.

Besonders zynisch und gleichzeitig eine Verletzung des Grundsatzes der Freiheit der Meinungsäußerung ist die Verurteilung jeglicher Diskussion über die Todesstrafe.

Zynisch deshalb, weil die Europäische Union selbst die Verhängung der Todesstrafe nicht abgeschafft, sondern ausdrücklich in ihrem Rechtsbestand beibehalten hat. Das Protokoll Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, welches die vollständige Abschaffung der Todesstrafe beinhaltet, wurde in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich und bewusst nicht aufgenommen.

Im Gegensatz dazu wurden in den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte vom 14.12.2007 (2007/C 303/02) jene Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention aufgenommen, welche sowohl die Todesstrafe, als auch die Tötung durch Gewaltanwendung ohne Gerichtsurteil ermöglichen.

Gemäß Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK kann ein Staat durch Gesetz die Todesstrafe für Taten vorsehen, welche in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden.

Gemäß Artikel 2 Abs. 2 der EMRK ist eine Tötung keine Rechtsverletzung, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die erforderlich ist, um jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen, jemanden rechtmäßig festzunehmen, oder um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

Diese Bestimmungen haben gemäß Ziffer 3 der Erläuterung zum Recht auf Leben gemäß Artikel 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite und sind Teil der Charta.

Es ist daher mehr als unangebracht, eine Diskussion über jene Norminhalte zu verbieten, die – wenn auch versteckt und offenbar für Politiker nicht leicht erkennbar – bisher unangefochtener Rechtsbestand der Europäischen Union sind.

Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union ist schon seit langem auf dem Spiel.

 

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