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Von Dr. Viktor Heese

Lange Zeit herrschte Friede, Freue, Eierkuchen. In der heutigen Flüchtlingskrise verhalte sich Osteuropa aber wie ein Schmarotzer und Abzocker. Wenn es um die EU-Geldern geht, hält es freimutig die Hand auf, bei der Flüchtlingsaufnahme zeige es sich unsolidarisch – so der harte Vorwurf der Brüsseler Oberbürokraten und der Politiker, vor allem der deutschen. Ist das die Realität oder wurde hier etwas übersehen? Zunächst ist der Terminus „Solidarität” kein juristischer Begriff und taucht in den EU-Verträgen nicht vor. Der Artikel gegen den die Ost-Verweigerer angeblich verstoßen haben sollen, wird merkwürdigerweise niemals genannt. Auch ökonomisch bleibt der Vorwurf stark angreifbar. Hierzu einige Überlegungen:

  1. An erster Stelle steht der Konjunktureffekt. Von der EU-Öffnung, die mit einem riesigem Konjunkturprogramm vergleichbar ist, profitierten beide Seiten. Eine korrekte Rechnung sieht so aus: Von den Gewinnen der EU-Konzerne und den Wohlstandseffekten ihrer Bürger (Konzernsteuern und Löhne) sind die Fördermitteln an Osteuropa abzuziehen. Osteuropa kamen de facto nicht die Fördermitteln sondern die Effekte des genannten Konjunkturprogramms (Gewinne, Löhne, erstellte Infrastruktur) zugute. Nur wenn die Mittel voll „verkonsumiert” wären, kämen sie auf die Habenseite. Wer jetzt mehr profitierte, müsste eine seriöse Studie zeigen, die aber fehlt. In der Wirtschaftgeschichte waren es immer die stärkeren Partner (hier also die EU), die mehr gewannen. Warum sollte es dieses Mal anders sein?
  2. An zweiter Stelle stehen die Vorteile aus Finanzinvestitionen. Dank dem Beitrittsbonus wurde das EU-Kapital bevorzugt und konnte sich rechtzeitig die lukrativsten Beteiligungen sichern. Das belegen die damals zementierten Eigentumsverhältnisse in vielen osteuropäischen Wirtschaftsbranchen. US- und die asiatischen Investoren hatten zunächst das Nachsehen und rücken erst heute sukzessive nach. Eine solche Standortrente muss ebenfalls in eine Vollkostenrechnung kommen.
  3. Schließlich sind die EU-Nettozahlungen an Osteuropa nicht von Dauer und als „Schenkungen” konzipiert. Sie bauen auf einer win – win – Idee auf und sind als ein Kredit aufzufassen, der zurückgezahlt werden muss, sobald die Länder der Region ökonomisch über den gesamteuropäischen Durchschnitt hinaus wachsen. Das kann in einer übersichtlichen Zeit passieren. Bayern ist heute Nettozahler im Länderfinanzausgleich, war aber lange Zeit dessen Begünstigter. Wenn Deutschland durch die großzügigen Migrationsgeschenke langsam „finanziell ausblutet”, kann es in einem Jahrzehnt zum EU-Empfänger werden, wenn es diese dann noch gibt! Einen Kreditnehmer als Abzocker oder Schmarotzer zu beschimpfen – wie es Brüssel und die regierenden Politeliten unverblümt tun – klingt schon etwas abstrus und ist ökonomisch höchst unprofessionell.
  4. Nicht zu vergessen ist die heikle Haftungsseite. Bereits bei den letzten Griechenland – Krediten hat Brüssel Osteuropäern Milliarden-Garantien abverlangt. Das machen seriöse Banken nicht. Auch wurde Osteuropa in das „Sanktionsabenteuer” mit Russland eingezogen und verliert – vor allem die Visegrad-Staaten – dadurch Milliarden.
  5. Eine Bemerkung zum Schluss: Es dürfte kaum „unseren westeuropäischen Werten” entsprechen, wenn für fremde Migranten sich plötzlich Milliarden finden, nicht aber ein Bruchteil davon für die Entwicklung unserer osteuropäischer Nachbarn. Dazu ein Beispiel: Deutschland wird für seine Asylanten mindestens 30 Mrd. € jährlich ausgeben. Polen hatte in den letzten 10 Jahren von der EU netto 85 Mrd. €, also 8,5 Mrd. € jährlich, erhalten. Hoch gerechnet, würde der EU-Zahlmeister Deutschland Polen mit 3 Mrd. € jährlich subventioniert haben. Das ist gerade 1/10 der obigen Migranten-Ausgaben. Keiner versteht zudem die Zahlenakrobatik warum die Länder für einen aufgenommenen Flüchtling eine Prämie von 6.000 € [Die Welt] erhalten und zwei Jahre später für jeden abgelehnten aber 250.000 € Strafe zahlen sollten? [Tagesschau]? Wer hat sich einen solchen Schwachsinn ausgedacht?

So manchen kritischen Ökonomen wird verwundern, warum die so aggressiv „Beschuldigten” keine klare Gegenrechnung aufmachen. Wenngleich hier und dort Ansätze zu finden – so für Polen – sind, bleibt der gewählte Rechengang analytisch unbefriedigend, wenn im Vordergrund die Auswanderung der Arbeitskräfte in den Westen und die erhöhten Bürokratiekosten stehen. Wer so rechnet, kommt schnell auf ein pseudo-wissenschaftliche Ergebnis, dass die Nachteile Polens aus der EU-Mitgliedschaft die Vorteile um das zweifache übersteigen. Umgekehrt sind kaum deutschsprachige Analysen zu den Vorteilen unseres Landes aus der EU-Öffnung zu finden, dafür aber ein gewaltige Katzejammer über Belastungen zu vernehmen. Für mich bleibt die Antwort klar: Das in ihr „Projekt Europa” verliebte Brüssel wird an Osteuropa weiter brav zahlen. Sonst droht dieses mit dem Austritt. Warum sollen die Begünstigten den Brüsseler Wohltäter also unnötig provozieren ? Für die systemfreundlichen deutschen Analysehäuser wäre es umgekehrt kontraproduktiv über einen Gewinnsegen westeuropäischer Konzerne zu forschen. So bleibt alles beim Alten.

 

viktorheese

Dr. Viktor Heese ist Börsenanalyst und Fachbuchautor aus Köln (www.bankundversicherungsbilanzen.de).

Sein jüngstes Buch “Was kosten Deutschland die Migranten” erschien im August 2016.