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Kommentar von Tamás Tari aus Ungarn

Der Premierminister führt die Europäer in gleicher Art und Weise hinters Licht, wie er dies mit den Ungarn bereits macht.

Ich gerate immer wieder in sehr seltsame Situationen, wenn ich mich mit Ausländern über die ungarische Politik austauschen soll. Ich erkenne viele Missverständnisse und aus diesem Grund schreibe ich nun folgenden Kommentar: Warum ich nicht mit Viktor Orbán und seinem wunderbaren System sympathisiere!

Vorwiegend stoße ich bei Menschen aus dem deutschsprachigen Raum die, ähnlich wie ich, patriotisch gesinnt sind, auf Unverständnis, nach dem Motto: „Was will ich denn noch? Die ungarische Regierung ist eine rechte Regierung, die den Migrantenansturm durch die Schließung der südlichen Grenze aufhielt. Der Ministerpräsident stemmt sich fast täglich den inkompetenten Eurokraten von Brüssel entgegen, und die destruktiven Liberalen schweigen dazu.” Sie würden auch ihren halben Arm dafür geben, wenn nur auch in Deutschland oder Österreich solche Politiker in der Regierung wären.“ Ich entgegne darauf für gewöhnlich, dass hier wohl ein halber Arm leider nicht reichen würde.

Für Menschen, die in Ungarn mit offenen Augen durchs politische Leben gehen, ist es nicht neu, aber für ausländischen Ohren hören sich die Geschichten über die enorme Korruption, den Diebstahl und die Freunderlwirtschaft in Ungarn geradezu unfassbar und unglaublich an. Daher ist es auch nicht so leicht zu entscheiden, wo man anfangen soll, sprich womit ich den Kern des Problems am besten aufzeigen könnte.

Statt also einzelne Fälle zu beschreiben, oder über alle auf der Systemebene laufenden Schweinereien zu berichten, stellen wir einmal folgendes klar: Die wichtigste Voraussetzung für Orbáns Erfolg besteht darin, dass er punktgenau erkennen kann, welche politische Haltung im Moment die erfolgreichste ist, und er diese dann konsequent umsetzt. So ist es auch zu erklären, dass er aus der liberalen Fidesz eine „national konservative“ Partei machte und heute buchstäblich immer stärker Standpunkte vertritt, die er früher als rechtsradikal bezeichnete und verachtetet.

Dieses Verhalten hat in erster Linie keinen innerpolitischen Grund. Der Ministerpräsident arbeitet nicht mehr für die ungarische Sache, sondern an seinem Image auf europäischer Ebene. Was er früher als bedingungsloser Unterstützer der USA-Hegemonie erwartete, hofft er nun mit seiner Rolle als Verteidiger des christlichen Abendlandes zu erhalten: diplomatisches Ansehen, Anerkennung der öffentlichen europäischen Meinung und eine künftige Machtposition in Brüssel.

Aber ungarische Augen durchschauen dieses gezielt ans Ausland gerichtete Affentheater:

Hinter der Maske, die sich öffentlichkeitswirksam der EU, Soros oder Merkel kühn entgegenstellt, versteckt sich immer noch der Mensch, der im Jahr 2008 dem damaligen amerikanischen Botschafter von Budapest folgendes sagte:

„Vergessen Sie, was ich in Kampagnen sage. Es ist überhaupt nicht kompliziert. Wir propagieren für das Volk, dass wir den alten Ruhm des Landes wieder herstellen wollen, und den wirtschaftlichen Akteuren erzählen wir, was sie von der Fidesz-Regierung erwarten können.”

Der neue, mit radikalen Tönen polternde, Regierungschef geht mit seinen westlichen Sympathisanten nicht besser um, als mit den Ungarischen. Auch vor ihnen verschweigt er jegliche Information, die zum aufgebauten Bild seines gut ausgearbeiteten Kreuzrittertums nicht passt.

Meine ausländischen Bekannten sind immer sehr erstaunt darüber, dass Orbán einer der heftigsten Befürworter des Freihandelsabkommens ist, das von allen verantwortungsvollen Europäern massiv abgelehnt wird. Weiters wissen sehr wenige, dass der Regierungschef trotz aller rhetorischen Kraftakte letztendlich alles, was Brüssel ihm vorlegt, egal ob europäische oder ungarische Belange, brav positiv abstimmt. Und von dem „Import reicher Migranten“ durch die ungarischen „Niederlassungsanleihepapiere“ hörten auch die bestens Informierten kaum etwas. Aber wer genug Geld hat, um diese Papiere zu kaufen, kann praktisch ohne Kontrolle nach Europa kommen und unbehelligt auch zwielichtigen Geschäften nachgehen.

Nachdem ich einmal diese Themen in Diskussionen erwähne, erfahren auch die weiteren Geschichten, wie die über den persönlichen Schatzmeister Lőrinc Mészáros, oder über Arthur Finkelstein, der eine professionelle Lügenfabrik betreibt und langsam die Pressefreiheit abschafft, oder über den Schatten-Ratgeber Árpád Habony und den Medienzar Andy Vajna, große Aufmerksamkeit. Die Zuhörer befinden dann, dass die massive Korruption und das Geldscheffeln nicht einfach als „natürliche Begleiterscheinung des Politikerdaseins“ abgetan werden kann.

Und wenn wir während eines Gesprächs dann darüber sprechen, mit welchen unehrlichen Mitteln die Regierungspartei ihre einzige Konkurrentin, die Jobbik und deren Chef Vona Gábor bekämpft, so wird bei vielen klar: „Genau gleich werden Frauke Petry oder Heinz-Christian Strache von deutschen und österreichischen Medien behandelt.“

Der vernünftige Gesprächspartner erkennt und zieht dann folgende Konsequenz: Viktor Orbán ist überhaupt nicht der treue, durch Prinzipien geleitetet Verteidiger Europas, sondern das listige Chamäleon einer allseits bekannten alten „Elitegruppe“. Er schaute sich alles Schändliche dieser „Elite“ ab, obwohl er außenwirksam scheinbar genau dagegen auftritt, und er zögert nicht, genau diese Mittel einzusetzen, wenn seine Ziele damit erreicht werden können. Falls ab morgen das Hofieren von Migranten mehr Stimmen bringen würde, so würde Viktor Orbán „merklischer“ als Angela Merkel werden und die ungarischen Grenzen würden sofort jedem offenstehen.

Ich kann mich nicht mit allen am öffentlichen Leben interessierten, westlichen Menschen bei Bier oder Kaffee an einen Tisch setzen, ich hoffe aber, dass ich bei dem ein oder anderen ein Bewusstsein dafür geschaffen habe, was für ein Spiel Viktor Orbán auch mit ihnen treibt. Unabhängig der politischen Überzeugung, darf man also den Gallionsfiguren einer systemwechselnden Generation, die schätzungsweise so konsequent und glaubwürdig sind, wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Werner Faymann am Ende seiner Laufbahn war, nicht alles glauben.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Meinung des Herausgebers oder die Meinung anderer Autoren von “Unser Mitteleuropa” wiedergeben.

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