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Márton Gyöngyösi im ungarischen Parlament (Foto: MTI)

UME: Der Präsident der Jobbik, Gábor Vona, kündigte letzten November an, eine europäische Bürgerinitiative mit dem Ziel das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” in den Grundprinzipien der Europäischen Union verankern zu wollen. Warum ist dies wichtig, und worum geht es genau bei dieser Initiative?

Gyöngyösi: Wir starteten unsere Initiative aufgrund der Erkenntnis, dass die Regierungen der ostmitteleuropäischen Länder weder während des Aufnahmeprozesses, noch nach dem Beitritt zur EU das permanent wichtige Problem der Löhne zum Thema machten. Währenddessen wanderten Hunderttausende aus ihren Ländern aus, da sie den Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten konnten. Unsere Wirtschaftspolitik basiert weiterhin auf billiger Arbeitskraft und damit auf niedrig gehaltene Lebensniveaus. Statt einer versprochenen Angleichung an den Westen, wird die ostmitteleuropäische Region immer weiter davon separiert. Ohne radikale Veränderung können wir aus dieser selbstgemachten Misere nicht ausbrechen, die die Armut und den Abstand zum Westen weiter vergrößert. Leider muß auch klar gesagt werden, dass wir in Ostmitteleuropa fast nur die negativen Auswirkungen der Europäischen Union erleben. Der Zusammenhalt beim Thema Lohnunion wäre aber eine Möglichkeit, ein gerechtes Europa zu schaffen. Es mag anfangs etwas komisch klingen, aber diese Initiative liegt auch im Interesse Westeuropas. Die Arbeitskraft aus dem Osten und westliche Firmen, die in den Osten absiedeln, werden auch in den weiterentwickelten Teilen der EU für große Spannungen am Arbeitsmarkt sorgen. Das ist das inhaltliche Fundament dieser Bürgerinitiative und so wurde das Dokument auch von der Bürgerkommission bei der Europäische Kommission eingebracht. Nun hat die Europäische Kommission zwei Monate Zeit, die Initiative zu beurteilen und diese Frist läuft gerade. Falls die Initiative positiv beurteilt wird, kann mit dem Sammeln der Unterschriften begonnen werden. Dazu müssen 1 Million europäische Bürger überzeugt werden und auch ihre Unterschrift leisten. Erst dann kann diese Frage auch direkt vor die Spitzenorganisationen der EU gebracht werden und damit der Prozess der Gesetzgebung gestartet werden.

UME: Im März wurde die Initiative „Lohnunion” im Rahmen einer Konferenz von acht Vertretern ostmitteleuropäischer Länder unterschrieben und hierrüber muss nun die Kommission entscheiden. Welche Chancen sehen Sie, Ihr Ziel gegen die EU-Bürokraten durchzusetzen? Was machen Sie, wenn die Eingabe abgelehnt wird?

Gyöngyösi:Zunächst ist es noch zu früh für Spekulationen! Außerdem haben wir unsere Eingabe mit großer Sorgfalt erstellt und daher sehen wir auch keinen Grund, Angst vor einer negativen Entscheidung haben zu müssen. Gleichzeitig glauben wir daran, dass auch die Europäische Kommission die Ernsthaftigkeit des von uns aufgegriffenen Problems erkennt. Aber sollte unsere Initiative tatsächlich abgelehnt werden, so wird uns das nicht aufhalten: Die Frage der Löhne und die Regelung des Lebensunterhaltes der Menschen sind dringende Angelegenheiten, die keinen weiteren Aufschub dulden. Daher werden wir die Unterschriftensammlung auf jeden Fall durchführen, auch weil der Wille von über einer Millionen EU-Bürgern nicht negiert werden kann.

UME: Welche Garantien gibt es, dass sich die europäischen Großunternehmen darauf einlassen werden, die Löhne anzugleichen? Immerhin siedelten sie sich gerade aufgrund der niedrigen Arbeitslöhne in Ostmitteleuropa an! Warum wäre die Verwirklichung dieser Initiative auch im Interesse Deutschlands und Österreichs?

Gyöngyösi:Viele sind der Ansicht, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit und das Prinzip des gemeinsamen Marktes die größten Errungenschaften der Europäischen Union sind. Weit seltener jedoch wird erwähnt, dass es neben vieler Möglichkeiten auch große Gefahren birgt, wenn es so große wirtschaftliche Unterschiede der verschiedenen Länder innerhalb der Europäischen Union gibt. Das System kann aber dagegen ankämpfen, dass einige Länder langsam ausgebeutet / ausgeblutet werden, während deren Einheimische als billige Arbeitskräfte massenhaft in Deutschland oder Österreich eintreffen. Dies bringt sowohl die östlichen, als auch die westlichen Gesellschaften in eine kritische Lage. Der Brexit oder die von der österreichischen Regierung geplanten restriktiven Initiativen zeigen, dass das jetzige System in dieser Form nicht nachhaltig ist. Wenn Deutschland oder Österreich auf billige östliche Arbeitskraft aufbauen, werden sie sich ihren Staatsbürgern gegenüber rechtfertigen müssen. Auch wenn deutsche und österreichische Unternehmen ihre Produktion aus Mitteleuropa abziehen, müssen sie sich ihren eigenen Gewerkschaften stellen. Diese erkannten das Problem bereits, denn es ist kein Zufall, dass die größte deutsche Gewerkschaft, die IG Metall, in Kürze zwei Büros in Ungarn eröffnen wird, mit dem erklärten Ziel, die ungarischen Löhne zu verbessern.

UME: Die EU-Erweiterungen in den 2000er Jahren sind laut Jobbik schon lange als Misserfolg zu qualifizieren, da es nie zu einer Angleichung kam. Diese Feststellung wurde auch durch eine Aussage des EU-Kommissars Oettinger bestätigt, wonach Deutschland die Unterstützungen für Ostmitteleuropa nicht einschränken darf, weil diese durch Großunternehmen größtenteils wieder nach Deutschland zurückfließen! Sollten wir in diesem Sinne die gesamte Kohäsionspolitik der EU überdenken?

Gyöngyösi: In der Tat, die aktuelle Kohäsionspolitik ist eine eindeutige Niederlage, denn das Ziel, die neuen Mitgliedstaaten anzugleichen, wurde anschaulich nicht erreicht. Es ist schon bemerkenswert, dass obwohl riesige Geldsummen in die Regionen fließen, diese in den seltensten Fällen dort ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Statt wichtiger, die Angleichung sichernder, struktureller Veränderung, erscheinen Unterstützungen nur in ziellosen infrastrukturellen Entwicklungen. Sehr oft sind die Empfänger im Freundeskreis oder Naheverhältnis der aktuellen politischen Eliten zu finden. In Ostmitteleuropa weiß man mittlerweile, was man von einer schnellen Renovierung eines Hauptplatzes in einem unbewohnten Dorf kurz vor der Wahl durch Unternehmerfreunde des Bürgermeisters, oder von Radwegen, die nirgendwo hin führen, zu halten hat. An derartigen Dingen trägt zum einen die Kommunalpolitik vor Ort einen wesentlichen Teil der Verantwortung, aber zum anderen auch die EU-Bürokraten. Sie haben sich in den letzten 27 Jahren weder mit der Korruption, die durch die Förderungen der Kohäsionspolitik wucherte, noch mit der völligen Ergebnislosigkeit dieser Förderungen befasst. ……. wenn das nicht genau das das Ziel war……

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