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Foto: Balázs Béli

Seit 27 Jahren wird im Kurort Krynica ein ostmitteleuropäisches Wirtschaftsforum veranstaltet. Als “Davos des Ostens” wird das Form gepriesen. Gäste sind Staats- und Regierungschefs, Ökonomen, Geschäftsleute und Künstler. Dieses Jahr hatte der Vorsitzende der Jobbik, Gábor Vona, auch die Möglichkeit für eine Rede über die Zukunft Europas zu halten. Im Folgenden die Rede:

Ich begrüße alle Teilnehmer herzlich und bedanke mich für die Möglichkeit, meine Meinung über dieses Thema als Mitglied einer so großartigen Gesellschaft äußern zu dürfen.

In dem Titel haben wir nur zwei mögliche Zukunftsbilder aufgezeigt: die zweistufige Union oder zwei Europas. Erlauben Sie mir eine provokative Frage zu stellen: Wie ist es dazu gekommen, dass immer weniger Worte über ein einheitliches, starkes und solidarisches Europa fallen? Gibt es überhaupt einen wirklichen Willen für ein einstufiges Europa oder sind es nur an die Presse und die Öffentlichkeit gerichtete schöne aber leere Phrasen?

Gleich zu Beginn muss man festhalten, dass eine zweistufige EU kein Zukunftsbild ist, sondern sie steht für die Vergangenheit und Gegenwart. Das ist die Realität, in der wir leben. Die Frage ist also nicht, ob das einheitliche Europa auseinanderfallen kann, sondern ganz im Gegenteil, ob das zur Zeit wirtschaftlich, gesellschaftlich, kulturell zerbröckeltes Europa einheitlich sein kann?

2004 sind mehrere osteuropäische Länder der EU beigetreten. Das war die größte Erweiterung in der Geschichte der europäischen Gemeinschaft. Überall wurde dieses historische Ereignis mit Feuerwerk gefeiert und im Herzen der Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks blühte die Hoffnung. Die Hoffnung auf Freiheit und Wohlstand.

Seitdem sind 13 Jahre vergangen. Die Leuchten der Feuerwerke sind erloschen. Die Hoffnung ist gestorben. Für die Menschen ist die Europäische Union heute keine historische Erfüllung mehr, sondern eine verlorene Illusion. Ein Ort, wo sie wohl oder übel leben müssen. Ich weiß, dass es harte Worte sind, aber überhaupt nicht übertriebene. Forschungen belegen, dass das der Union eingeflößte Vertrauen nach dem Beitritt drastisch gesunken ist. Die Volkswirtschaften der ehemaligen sozialistischen Länder konnten sich nicht in die europäische Wirtschaft integrieren. Die freie Marktwirtschaft und der gemeinsame Markt führten zur Erschütterung der Volkswirtschaften. Hinter den attraktiven BIP-Zahlen ist die Wirklichkeit ziemlich betrübt.

Während wir mit den Produkten der westlichen Industrie überhäuft werden, schaffen nur wenige ostmitteleuropäische Unternehmen den Markteintritt im westlichen Markt.  Es entstehen duale Wirtschaften mit zwei grundverschiedenen Welten. Auf der einen Seite gibt es die konkurrenzfähigen, exportfähigen und kapitalstarken multinationalen Unternehmen. Auf der anderen Seite gibt es die wettbewerbsschwachen, exportunfähigen und kapitalschwachen heimische Firmen, von denen nur wenige in der Lage sind, sich in den Kreislauf der globalen oder zumindest der kontinentalen Wirtschaft einzuschalten.

Die bitterste Enttäuschung für die Menschen sind aber die Löhne. Wie man sehen kann, kam es durch den gemeinsamen Markt angesichts der Preise zu einer Art Ausgleich. Wenn ein Pole, ein Ungar, ein Franzose  oder ein Deutscher das gleiche Produkt in einem Supermarkt kaufen, werden sie an der Kasse mehr oder weniger den gleichen Preis bezahlen. Am Ende des Monats, wenn man aber ihr Gehalt bekommt, erhalten die Arbeitnehmer in der östlichen Region bis zu drei oder viermal niedrigeren Lohn für die gleiche Arbeit. Betrachtet man die Kaufkraftparität, ist die Lage auch nicht viel rosiger. Die Kluft zwischen den Durchschnittsgehältern konnte man in den seit dem Beitritt vergangenen 13 Jahren nicht verringern, in manchen Mitgliedsstaaten ist sie sogar größer geworden. Die Leute spüren, dass sich die Preisunion vollzogen hat, aber der Vollzug der Lohnunion ist unterblieben. Was ist es, wenn nicht das zweistufige Europa?

Das ist der Grund, warum sich Millionen – zur überwiegenden Mehrheit junge Leute – in Polen, Ungarn, Estland, der Slowakei und in anderen östlichen Mitgliedsstaaten auf den Weg machen. Für sie geht es dabei nicht um die Freizügigkeit von Personen oder Arbeitnehmern, sondern um einen sozialen Zwang. Für sie ist es nicht Abenteuerlust, sondern existenzielle Flucht, weil sie sich in ihrer Heimat nicht mehr über Wasser halten können. Können wir diesen Prozess nicht stoppen, und heute sieht es danach aus, dann sehen wir in unserer Region einer unlösbaren Tragödie in der Demographie, Sozialversicherung, im Arbeitsmarkt und in den Familien entgegen.

Ich weiß, dass es eine sehr komplexe wirtschaftliche Frage ist und ich weiß auch, dass das Problem auf zahlreiche Ursachen zurückzuführen ist. Ich bin auch darüber im Klaren, dass die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den beiden Hälften Europas historische Gründe haben, die nicht von einem Tag auf den anderen zu bewältigen sind, aber man muss endlich die unangenehmen und schweren Fragen stellen und die Antworten auf diese finden.

Nicht die großen Lohnunterschiede an und für sich sind so schlimm, sondern es ist nicht zu fassen, dass die Lage keinen Deut besser ist als vor 13 Jahren. Die Kohäsionspolitik ist wirkungslos geblieben, was auf einen Systemfehler in der Funktionsweise der Union schließen lässt, worüber man keine Worte verliert. Dieser Systemfehler ist aber für die größte Spaltung  in der EU verantwortlich. Nicht die Migration, die im Westen befürwortet, im Osten u.a. auch in Ungarn abgelehnt wird, stellt eine unüberwindbare Hürde dar. Die Migration ist zwar überall eine riesige Herausforderung , aber wie ich erwähnt habe, stellt sie nicht das Hauptproblem für das einheitliche Europa dar, sondern die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Unterschiede. Die Lösung dieses grundlegenden Problems bedarf einer echten und erfolgreichen Kohäsionspolitik.

Die Anwesenden können mit Recht einwenden, was der Westen noch mehr machen könnte als das Aufschließen der östlichen Mitgliedsstaaten mit Euromilliarden als Nettozahler zu unterstützen? Dieser Einwand ist aber nur auf den ersten Blick berechtigt. Diese Euromilliarden strömen nämlich zum größten Teil in die westlichen Staaten zurück und kurbeln dort die Volkswirtschaften an. Und das behaupte nicht ich, sondern Herr Kommissar Günther Oettinger, das deutsche Mitglied der Europäischen Kommission. In einem Interview hat er anerkannt, dass die von den Deutschen eingezahlten und in die östlichen Mitgliedsstaaten darunter nach Polen und Ungarn transferierten Gelder in die deutsche Wirtschaft zurück fließen, weil die dortigen deutschen Firmen bei den Ausschreibungen oft den Zuschlag erhalten und bei der Ausführung der Projekte deutsche Produkte kaufen. Der Kommissar hat einen verblüffenden Satz geäußert, der auf den Systemfehler der Europäischen Union hinweist. Ihm zufolge sei Deutschland in ökonomischem Sinne kein Nettozahler, sondern Nettoempfänger. Stimmt dieser Satz und davon müssen wir ausgehen, dann verstehen wir, warum sich unsere Hoffnungen nicht erfüllen, warum die Gemeinschaft immer mehr im Sumpf der Zweistufigkeit versinkt.

Im Zusammenhang mit dieser essentiellen Frage wurde eine sehr wichtige  europäische Bürgerinitiative unter dem Namen Lohnunion gestartet. Zivilorganisationen, Parteien, und Gewerkschaften acht ostmitteleuropäischer Länder haben sich zusammengeschlossen, um die Reformierung der Europäischen Union in die Wege zu leiten und die klaffende wirtschaftliche Kluft zu überbrücken, indem für die gleiche Arbeit gleicher Lohn in der EU gezahlt wird.  Alle wissen, dass es sich nicht über Nacht in die Tat umsetzen lässt, weil es sich um einen Prozess handelt, den man endlich starten sollte. Wir wissen auch, dass die Löhne aufgrund der Leistung der jeweiligen Wirtschaft bestimmt werden und nicht durch Brüssel, aber wir sollten endlich eine Wirtschafts- und Kohäsionspolitik in der EU schaffen, die die östliche Region die Hoffnung auf das wirtschaftliche Aufschließen zum Westen beschert. Lasst uns diesen Systemfehler, der das Problem des zweistufigen Europa immer mehr vertieft, abstellen.

Die Lösung setzt den gemeinsamen Willen und die Zusammenarbeit der drei Parteien voraus. Hierzu brauchen wir einerseits die Nüchternheit von Brüssel und ein wirkliches Engagement für die einheitliche EU. Andererseits ist auch die Einsicht der westlichen Mitgliedsstaaten nötig, dass es auch in ihrem Interesse liegt, wenn sie den Druck durch die osteuropäischen Arbeitskräfte loswerden wollen. Schließlich bedarf es auch eines Wechsels der Sichtweise in den östlichen Mitgliedsstaaten: Bekämpfung der Korruption, effizientere Verteilung der Quellen für das Aufschließen zu Europa und praxisorientierte Politik statt unfruchtbarer ideologischer Kämpfe.

Meine Antwort auf die Frage lautet daher: Entweder kommen die Lohnunion und das einheitliche Europa zustande, oder Europa bleibt eine Weile noch zweistufig und fällt dann auseinander.

Wer die Initiative für die Europäische Lohnunion ünterstützen möchte, kann es HIER machen.

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