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Koloman Brenner (Foto:alfahir.hu)

Die Partei Jobbik stellt sein intellektuelles Hinterland vor: ab Mai wird ihr neuer Abgeordneter, Sprachwissenschaftler und Universitätsdozent, Koloman Brenner im ungarischen Parlament sitzen, der nicht nur im universitären Bereich, sondern auch im öffentlichen Leben der deutschen Minderheiten seit Jahrzehnten tätig und aktiv ist. Ist er Quotenintellektueller oder Quotendeutscher von Jobbik? Was sagt er zur Wahl Imre Ritters zum deutschen Nationalitätenabgeordneten? Kann er es schaffen, dass die deutschen Parteien sich mit der Partei Jobbik austauschen? Großinterview an der Budapester Eötvös-Loránd-Universität.

Was haben Sie lieber? Im Parlament abzustimmen oder zu prüfen?

Ich habe keine Präferenzen. Das Parlament kenne ich noch nicht so gut, da ich nur seit einigen Tagen Abgeordneter bin. Im vollkommenen Einverständnis mit der Leitung der ELTE-Universität und des Germanistischen Instituts habe ich mich so entschieden, dass ich beide Stellen behalte: die Universitätslehrer zählen zu den gesetzlichen Ausnahmen, wo dies zugelassen wird, so muss ich mein bisheriges Leben nicht völlig aufgeben. Heute zum Beispiel beenden wir gerade das Semester mit Klausurschreiben.

Ich möchte meine wissenschaftliche Tätigkeit auch nicht aufgeben. Vor ein paar Wochen wurde mein neuestes Buch mit dem Titel „Deutsche Minderheiten und Institutionen” veröffentlicht, das ich im Thema der Sprachpolitik und der Autonomie geschrieben habe. Auch das ist mit meiner Arbeit im Parlament verbunden, da ich in diesen Tagen zum Vizevorsitzenden der Unterkommission der Autonomie der Kommission der Nationalen Zusammengehörigkeit gewählt wurde. Außerdem bin ich ebenfalls Mitglied in der Außenpolitischen Kommission, und wurde Fraktionsdelegierter in der parlamentarischen Generalversammlung des Europarats. Früher war ich als Experte der Sprachcharta des Europarats tätig. Also gibt es zahlreiche Überschneidungen in meiner politischen und wissenschaftlichen Tätigkeit. Dies möchte ich auch in Zukunft beibehalten.

Warum sind Sie gerade in die Partei Jobbik eingetreten?

Ich bin übrigens nicht eingetreten, ich wurde ersucht als außerparteilicher Abgeordneter mitzumachen. 2015 wurde ich zu einem Treffen von Intellektuellen eingeladen, wo ich eine Gemeinschaft kennengelernt habe, die sowohl fachlich als auch politisch den von mir vertretenen Prinzipien nahe stand. Daraus resultierte die Zusammenarbeit. In zwei Bereichen habe ich Expertenaufgaben übernommen: im außenpolitischen Bereich, besonders bezüglich der Kontaktpflege mit deutschsprachigen Ländern, und an der Ausarbeitung des Bildungsprogramms von Jobbik war ich beteiligt, da ich früher lange Zeit als Prodekan, sowie als Sekretär der  geistes- und sozialwissenschaftlichen Kommission der Ungarischen Rektorenkonferenz tätig war. Also hatte ich einen Überblick auf die Hochschullandschaft und Bildungspolitik, und auch auf die Lage des Sprachunterrichts.

Solche fachliche Gemeinschaften haben sich im Umkreis der Partei gestaltet, wo ich gefühlt habe, dass ich angekommen bin. Für die ehrenwerte Aufgabe der Abgeordnetenkandidatur hat Gábor Vona mich im Juli letzten Jahres ersucht. Damals habe ich alles überdacht: es war keine leichte Entscheidung, da ich früher keine politische Laufbahn anstrebte, ich überhaupt nicht daran gedacht habe. Obwohl ich mich für die Öffentlichkeit immer schon interessiert habe, zweiundzwanzig Jahre lang war ich Abgeordneter der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, aber es hat mich nie bewegt auch als Politiker tätig zu sein. Trotzdem habe ich es damals – wie heute – so eingeschätzt, dass in einer solchen politischen Lage, in der die in Übermacht stehende Fidesz-Partei eine in Richtung Einparteiensystem zeigende Diktatur entstehen lässt, es die Pflicht eines Intellektuellen ist die Rolle im öffentlichen Leben einzunehmen, die eigentlich auch ich als Parlamentsabgeordneter übernommen habe.

Kann man sagen, dass Sie ein Quotenintellektueller in einer großungarischen Partei sind?

Absolut nicht. Ich denke, dass die frühere, in der Presse intensivierte, vereinfachte Rhetorik  von Jobbik oft überbewertet wird. Wenn wir uns die Wahlprogramme der Partei ansehen –  schon aus dem Jahr 2010 oder 2014, nicht nur das Letzte – darin werden nicht nur die Auslandsungarn sondern auch die ungarländischen Minderheiten detailiert angesprochen und erwähnt, ausschließlich in den Jobbik-Programmen und bei den anderen Parteien fehlt diese Thematik. Also fühle ich in mir keinerlei „Quotenminderheitenposten”, hinzu kommt, dass es in der Fraktion mehrere deutschstämmige Abgeordnete gibt: Kollege Staudt, oder mütterlicherseits István Szávay, der das auf seiner Webseite auch verkündet, und natürlich der neu gewählte Herr Vorsitzender, der übrigens Sneider heißt.

In dieser Gemeinschaft hat es mir keine Spannung oder keinen Konflikt bereitet und bedeutet, dass ich Angehöriger der deutschen Nationalität bin, das hat ein jeder akzeptiert. Noch dazu haben die Fidesz-Medien während der Wahlkampagne versucht, meine Abstammung zu thematisieren und auszunutzen: Das Habony-Medienimperium hat gegen mich eine heftige antideutsche Hetze geführt. Die Jobbik-Partei anzuklagen, dass sie nicht genug national sei –  eben seitens der Fidesz-Partei, die als liberale Partei den Startschuss machte, und daran erinnere ich mich noch sehr gut – ist eine ziemlich krasse Zumutung, witzig, oder eigentlich tragisch.

Wenn wir schon über die Regierungsmedien sprechen: während der Kampagne wurde veröffentlicht, dass „der mit migrantenalarmierenden Waffen handelnde”, in Ungarn festgenommene Mario Rönsch früher als Gast von Jobbik im Parlament zu Besuch war, was auch die Partei nicht verleugnet.

Nicht darauf habe ich hingewiesen, aber als das passiert war, hatte ich mit Jobbik noch nichts zu tun.

Konnten Sie für Jobbik, abgesehen von Mario Rönsch, irgendwelche deutschen Kontakte ausbauen? Haben Sie Beziehungen zu deutschen oder österreichischen Parteien?

Der genannte Herr hatte und hat keinen offiziellen Kontakt mit der Jobbik-Partei, übrigens führt Jobbik ständige Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen auch im deutschen Sprachgebiet.  Offizielle, die Parteichefs erreichende Treffen hatten wir bisher nicht.

Das mit meiner Tätigkeit verbundene herausragende Treffen war beispielsweise unser Besuch mit Márton Gyöngyösi im vergangenen Herbst in Südtirol. Dort wurden wir vom Parlamentspräsidenten, dem vorigen Regierungschef der Region sowie von Autonomieexperten auf höchster Ebene empfangen. Aber auch dies brachte nicht den wesentlichen Durchbruch mit sich, der spektakulär gewesen wäre, weil wir – wie auch in der ungarischen Innenpolitik so oft – einen solchen Weg bestreiten müssen, der basiszentriert von unten ausgehend sich entwickelt.

Neuerdings hat sich jedoch die Beurteilung von Jobbik in den deutschsprachigen Medien geändert, an dieser Stelle möchte ich auf den in der österreichischen Tageszeitung „Die Presse” veröffentlichten Artikel hinweisen, in dem Jobbik als Volkspartei deklariert wird. Auch ich hatte mehrere Fernsehauftritte in den letzten Monaten im österreichischen Fernsehen, bei denen Jobbik in schlichter Einfachheit als rechtskonservative Partei apostrophiert wurde, ohne extremen Attribute. Das ist ein Prozess, an dem wir noch arbeiten müssen, aber in den letzten anderthalb-zwei Jahren hat eine ernste Veränderung bezüglich der Beurteilung von Jobbik auf internationaler Ebene begonnen.

Mit welchen deutschen oder österreichischen Parteien möchten Sie kooperieren? Vielleicht würde die CSU zu Ihnen passen? Oder dürfte auch die AfD in Frage kommen?

Jobbik ist offen für die Kontaktaufnahme mit all jenen Parteien, die Jobbik als Partner ansehen.

Es scheint nicht so, als würde die AfD sie als Partner betrachten, laut der AfD ist Jobbik eine unvertretbare rechtsradikale Partei. Selbst die AfD-Politiker sind überrascht, wenn sie hören, dass Jobbik im Vergleich zur Fidesz-Partei in einigen Fragen mehr zur Mitte tendiert.

Genau darüber habe ich gesprochen, dass es ein laufender Prozess ist, und dass sich eine Veränderung in den deutschen Medien gerade erst durchsetzt. Sie sind bei einem Stand von vor vier-fünf Jahren, auch sogar  zu Politikern ist es nicht unbedingt vorgedrungen. Insbesondere wird eine Neupositionierung vor den Europäischen Parlamentswahlen 2019 stattfinden. Wir können ebenfalls die Bewegung von Fidesz aus der Europäischen Volkspartei hinaus sehen. Jobbik wird immer mehr als eine normale nationale Volkspartei akzeptiert. Nach einer bestimmten Zeit wird es dazu führen, dass diese Beziehungen entstehen.

Welcher von den österreichischen Parteien würden Sie näherkommen wollen?

In der aktuellen Konstellation müssen wir zu den Regierungsparteien Beziehungen ausbauen.

Aber zu welcher? Zur ÖVP, oder der FPÖ?

Zu beiden.

Es wird eine harte Nuss. Die ÖVP, wie auch Fidesz, ist Mitglied der Europäischen Volkspartei, in der FPÖ ist Orbán ja sehr beliebt. Heinz-Christian Strache lobt Orbán in seinen Facebook-Posts regelmäßig.

Was die österreichischen Parteien über Viktor Orbán halten, ist ihre Sache, das würde ich nicht kommentieren. Aber die Frage war, mit wem Jobbik vorhat zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel habe ich mich mit einem zuvor SPD-Innenminister von Baden-Württemberg persönlich getroffen, er war als Innenminister gandenlos und knallhart, mit ihm kann man entlang von Anliegen und fachpolitischen Fragen  eine Partnerbeziehung ausbauen. Wenn wir die ideologischen Parteibeziehungen als Grundlage nehmen, dann steht die CSU zu uns am nähesten, und einige Teile der CDU, sowie die AfD. Jedoch sind die deutschen und österreichischen Beziehungen aus nationalstrategischer Sicht zu wichtig, als dass wir diese nur durch ein ideologisches Filter betrachten.

Was hat man in der Jobbik von Ihnen gelernt?

Meine Kollegen sollten diesbezüglich befragt werden. Mein Eindruck ist, dass ich in der Fraktion einerseits als ehemaliger Mitglied der Universitätsleitung, andererseits als Experte für die nationalen Minderheiten absolut vollste Anerkennenung genieße, meine Meinung ist für sie wichtig. Die Funktionen, wofür die Fraktion mich delegiert hat, beweisen, dass sie auf mich zählen. Wir haben eine sehr zusammenhaltende, über beachtliche fachliche Kompetenzen verfügende Fraktion. Jetzt, wo die Posten erneuert wurden, wird sich eine gute Zusammenarbeit zwischen der Parteiführung und der Fraktion entwickeln.

Wir werden zum unerbittlichen Feind von Fidesz: andere Parteien sind für diese Position untauglich, da die kommunistischen Nachfolgeparteien noch mehr geschwächt und zerfallen werden.

Es ist offenkundig und ersichtlich, wie sich die Einstellung der Parteien des 21. Jahrhunderts verändert hat. LMP und wir – auch wenn wir in vielen Fragen nicht einer Meinung sind, – halten einander für Partner in der Politik, sehen einander nicht als zu vernichtenden Feind.

Ist LMP ihr sympathischster Gegner?

Das ist so. Mit ihnen hatten wir fachpolitisch mehrere gemeinsame Punkte, worüber wir uns gemeinsam Gedanken machen können.

Wenn Sie schon kein Quotennationalitätenangehöriger sind, sind Sie zumindest Quotenintellektueller von Jobbik?

Beehren wir also die Intellektuellen, die die Fidesz-Partei mit ihrer absolut antiintellektuellen Politik in den letzten Jahren verstoßen hat, um nicht Jobbik dafür verantwortlich zu machen, Quotenintellektuelle für die Politik zu liefern.

Ein wesentlicher Teil der konservativen Intellektuellen hat sich hinter Jobbik aufgestellt.

Wer? Nicht so viele geben dazu ihren Namen. Sie sitzen zumindest im Parlament, aber wie sieht es mit den anderen aus?

Eine ehrenvolle und sonderbare Eigenschaft der Intellektuellen ist, dass ein Teil von ihnen in der Öffentlichkeit tatkräftig mitwirkt, ein anderer Teil kommentiert nur die Geschehnisse in der Politik, und wieder andere arbeiten in ihrem Beruf so und in eine Richtung, die sie für richtig halten. Diese Haltungen respektierend habe ich meinerseits den Entschluss gefasst, was ich für richtig halte: dass man sich vor das Haus stellen muss, und die öffentliche Rolle auf sich nehmen sollte. Aber die Politik ist der Klub der Kämpfer, und sie ist nicht für jeden Intellektuellen geeignet. Ich behaupte nicht, dass meine Entscheidung die bessere war, das muss ein jeder für sich entscheiden.

Von meiner vermeintlichen Einstufung als Quotenintellektueller innerhalb der Partei weiß ich aber nichts, also selbst den Begriff würde ich ablehnen. Es ist unwürdig solchen Intellektuellen gegenüber, die am Programm von Jobbik hart mitgearbeitet haben. In einer Fraktion soll man nicht nur die Strömungen einer Volkspartei darstellen, sondern genauso die Zusammensetzung der Wählerbasis: unsere 26-köpfige Fraktion spiegelt laut meiner Einschätzung beide sehr gut wieder. Ich bin stolz darauf, dass Jobbik in meiner Person einen solchen Abgeordneten hat, der beweist: es war nicht nur eine leere Parole, dass wir ein intellektuelles Hinterland haben, sondern dieses existiert auch in der Realität, und aus ihren Reihen konnte Jobbik einen Politiker als Abgeordneten delegieren.

Und zugleich ihren eigenen Deutschen.

Das habe ich schon erklärt: es gibt in jeder Fraktion  Angehörige der deutschen Minderheit.

Übrigens werden wir uns bald mit einigen Abgeordneten aus jeder Fraktion mit dem deutschen Nationalitätenabgeordneten Imre Ritter zusammensetzen. Also lassen wir lieber die Quotenfrage. Genauso würde ich auch den Aspekt der Frauenquote für ziemlich verzerrt und unwürdig beurteilen und halten, da die Fähigkeit für jede Frau gegeben ist, alles zu erreichen, was auch ein Mann kann. Weder die Nationalität noch die Zugehörigkeit zur jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe sollte als richtungsweisend aufgefasst werden.

Die Politik – und die Fraktion – sind dann gut, wenn sie das ganze politische Spektrum aufzeigen, und der ganzen ungarischen Gesellschaft Botschaften übermitteln können. Mein intellektueller Hintergrund – das nicht daraus resultiert, dass ich ein Diplom habe, sondern durch meine Laufbahn und meine Publikationen begründet ist – und meine Arbeit im Nationalitätenbereich legitimieren die Aussagen, die ich jetzt als Politiker formuliere. Das ist eine gute Wechselwirkung.

Betrachten Sie sich nicht hervorgehoben als den Abgeordneten der Ungarndeutschen? Von der Nationalitätenliste ist Imre Ritter ins Parlament gelangt – mit Ihrem Hintergrund läge es auf der Hand, dass Sie in einer ähnlichen Rollenauffassung arbeiten.

Natürlich, als ungarndeutscher Abgeordneter behandele ich die Angelegenheiten der Ungarndeutschen hervorgehoben, ich halte es für meine Herzensangelegenheit. Als Mitglied der Außenpolitischen Kommission des Parlaments habe ich ja eine größere Affinität zu den deutschsprachigen Ländern, aber dies bedeutet nicht, dass ich mich konzentriert und eingeengt nur mit diesem Thema beschäftigen werde.

Also würden Sie ohne Probleme auch mit dem Fidesz-Mitglied Imre Ritter für die Deutschen zusammenarbeiten?

Ich finde die Parteimitgliedschaft Imre Ritters ist kein Problem. Als unglücklich empfinde ich jedoch, dass wenn nun die deutsche Minderheit nach langen Jahrzehnten, aus eigener Kraft und mit eigenem Recht einen vollberechtigten Abgeordneten ins Parlament schicken kann, und dies in der breiteren Öffentlichkeit so ausgelegt und interpretiert wird, dass es gelungen ist zusätzlich noch ein Fidesz-Mandat zu gewinnen.

Halten Sie eigentlich die Idee der Institution des Nationalitätenabgeordneten für wichtig?

Das Recht der parlamentarischen Vertretung der Minderheiten ist eine in der Verfassung verankerte Berechtigung. Meiner Meinung nach ist dieses ein natürliches und wichtiges Recht. Das Minderheitengesetz aus dem Jahr 1993 hatte bereits eine Bestimmung, wonach dies in einem eigenständigem Gesetz festgelegt werden sollte – da nichts unternommen wurde, hat das ungarische Parlament für lange Jahre versäumte Rechtswidrigkeit begangen. Die Fidesz-Regierung löste das Versäumnis mit dem 25%-Stimmenanteil-Mandat für Nationalitätenabgeordnete: diese Möglichkeit ist anhand der Größenordnung für die Roma und der deutschen Gemeinschaft realistisch zu erlangen, in dem Fall, wenn sie für sich selbst die Registration und die Wahl organisieren.

Die Lösung ist nicht unbedingt mustergültig, da die Nationalitätenabgeordnetensitze zur Gesamtzahl des Parlaments nicht dazugerechnet werden, sondern von den erworbenen Mandaten der Landesliste der Parteien Plätze wegnehmen und reservieren. Geschweige denn, dass wenn jemand für die Nationalitätenliste abstimmt, dann kann er nur eigene Abgeordnete von den Kandidaten der Parteien wählen, und kann seine Stimme für die Parteiliste nicht abgeben. Ich hoffe darauf, dass durch die Tätigkeit Imre Ritters als Abgeordneten die durch die öffentliche Meinung formulierte Überzeugung widerlegt wird, Wärter des Fidesz-Zweidrittels zu sein.

Ist aber nicht auch das günstige Mandat eine Art Quote? Sie sind ebenfalls Ungarndeutscher, Ihr Gegenüber auch. Es kann sein, dass Sie ein fanatischer Konservativer sind, und der Sie Befragende ein fanatischer Liberaler. Wieso würde ein Nationalitätenabgeordneter ihn, den liberal Gesinnten gut vertreten, nur weil er auch Deutscher ist?

Es geht nicht darum. Sondern, dass Rechte auch für die Nationalitäten zugesichert werden sollten, die es garantieren, an der Ausübung der politischen Macht Teil zu haben. Dieses begünstigte Mandat birgt für die ungarländischen Nationalitäten die Chance, um sie aus dem Nachteil des Minderheitendaseins hinauszubegleiten, da sie ab ovo nicht alle Staatsbürger ansprechen können. Hierfür stehen unterschiedliche rechtstechnische Mittel zur Verfügung. Beispielsweise bezieht sich in Schleswig-Holstein die parlamentarische Antrittsschwelle auf die dortige dänisch-friesische Minderheitenpartei nicht.

Für die Abbildung der weltanschaulichen Vielfalt des Ungarndeutschtums ist die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen zuständig, in deren Körperschaft jeder frei eine Liste stellen kann, und bei den Vollversammlungen kann ein jeder seine eigene Weltanschauung vertreten. Ich war für zweiundzwanzig Jahre dort Abgeordneter, und denke, dass wir der inneren Bandbreite erwachsen gegenüber standen. Eine andere Frage ist, dass dies aus dem Aspekt des Nationalitätenrechts nicht immer ein Glücksfall ist – im letzteren Fall ist das einheitliche Auftreten gegenüber der jeweiligen Staatsmacht der Schlüssel zum Erfolg.

Zwei Ungarndeutsche sitzen bei diesem Tisch und sprechen in perfektem Ungarisch miteinander. Wie deutsch sind eigentlich die Ungarndeutschen, haben sie eine wahrhaftige Beziehung zu Deutschland?

Meinerseits können wir ohne Weiteres gerne deutsch weitermachen!

Von mir aus!

Ich gehöre zu denen, die mit sechs Jahren ungarisch gelernt haben. Vorwiegend spreche ich deutsch, auch mit meinen ungarndeutschen Kollegen bei Jobbik. Die Sprachverwendung der Ungarndeutschen ist ein bedeutungsvolles wissenschaftliches Thema, die sich im historisch-sozialen Umfeld fortlaufend-beständig herausgebildet hat. Bis 1949 war das Ungarndeutschtum de jure, anschließend auch de facto entrechtet.

Die Weitertradierung der klassischen Sprachvermittlung wurde unterbrochen – die deutsche Sprache und Kultur versuchen wir nun zu revitalisieren. Zwei Angaben möchte ich hervorheben: Wenn wir die Statistik der Volkszählung analysieren, zeigt sich die Tendenz, dass seit dem Systemwechsel die Anzahl der sich als Angehörige der deutschen Minderheit bekennenden Menschen fortlaufend steigt. Seit 2000 wächst, zwar nur gering, aber auch die Zahl deren, die Deutsch als Muttersprache angeben.

Teil der Revitalisierung ist auch, dass es bereits dreißig solche Kindergärten und Grundschulen in Ungarn gibt, die in der Trägerschaft der lokalen deutschen Selbstverwaltung stehen.

Die in der Bildungspolitik sehr negative Prozesse auslösende KLIK-Politik (die zentralistische Bildungspolitik der Fidesz-Regierungen) hat für die Ungarndeutschen einen positiven Effekt, da zahlreiche Selbstverwaltungen die Institutionen lieber den lokalen deutschen Selbstverwaltungen überlassen, anstatt den gesichtslos-unbekannten Budapester KLIK-Leitern das Feld zu räumen.

Aber gibt es eine tatsächliche Beziehung zwischen Deutschland und den auslandsdeutschen Minderheiten? Im Umfeld des sich mit dem Thema beschäftigenden CDU-Bundestagsabgeordneten hat man uns damals gesagt, dass es nicht so modisch sei sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, auch  in der CDU nicht, weil dies als überflüssiger Patriotismus gelte.

Unsere Einordnung in die „geduldete Kategorie” ist eine Eigentümlichkeit der deutschen Innenpolitik. Ich möchte hinzufügen, dass es seit den 1990ern einen Beauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten gibt, der auch für die Spätaussiedler zuständig ist.

In der letzten Zeit bemerke ich eine relative Entwicklung: es gibt schon ein Koordinationsbüro, Informationshefte werden veröffentlicht, aber Fakt ist, dass die deutschen Minderheiten keine so große Rolle in Deutschland spielen, wie für Ungarn die Auslandsungarn.

Nicht nur in der deutschen Innenpolitik, auch in den öffentlichen Diskussionen nicht.

Der Bund der aus Ostmitteleuropa vertriebenen Deutschen hat über eine parlamentarische Partei im Bundestag verfügt, das war der Gesamtdeutscher Block / Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Im heutigen Deutschland gibt es fast keinen Menschen, in dessen Verwandtschaft es keine vertriebenen Deutsche gibt –  wir sprechen über mehr als zehn Millionen Vertriebene. Diese Partei wurde 1961 in die CDU eingeschmolzen. Es war offensichtlich, dass diese Frage nach der deutschen Wiedervereinigung erneut thematisiert werden sollte, aber in öffentlichen Diskussionen erscheint davon nur so viel, dass viele Deutsche nach der Wende aus Russland gekommen sind.

Die zu Hause untereinander russisch sprechen, weil sie kaum deutsch können, und die AfD wählen, viel sei ihnen nicht zu verdanken, meint die Öffentlichkeit.

Wer in einem demokratischen Rechtsstaat egal für wen abstimmt, soll die Privatangelegenheit eines jeden Wahlbürgers sein. Dass der wesentliche Teil der aus Russland gekommenen Deutschen den ausgeglichenen konservativen Standpunkt der AfD für sich sympathisch findet, wundert mich nicht, weil sie genau das sagen, was die CDU vor zwanzig Jahren schon verlautbarte. Ich erinnere mich noch an solche CDU-Slogans, wie „Kinder statt Inder”. Wenn das heute ein AfD-ler sagen würde, würde er gleich als Nazi apostrophiert.

Die deutsche politische und Medienelite sind so stark nach links gerückt, dass ich die unlängst mit dem Auftreten der AfD beginnende Korrektion wohl für einen gesunden Prozess halte.

Ich verstehe die aus der historischen Vorgeschichte stammende  Motivation der linken Tendenzen, aber ich halte es für wichtig, dass eine moderne patrotische Denkweise des 21. Jahrhunderts auch in Deutschland gestaltet werden soll.

Gedankenexperiment: wären Sie in Deutschland Politiker, in welcher Partei wären Sie Mitglied?

Vom von mir gesprochenen mittelbairischen Dialekt augehend würde ich den konservativen Flügel der CSU stärken.

In anderen Bundesländern würden Sie schon nicht so begeistert in die CDU eintreten.

Das stimmt.

FDP – rechter Flügel?

Zum Beispiel. Oder der in die Mitte tendierende Flügel der AfD. Aber es ist mit der ungarischen Politik nicht so leicht vergleichbar. In Österreich würde ich zwischen dem rechten Flügel der ÖVP und dem Mittelflügel der FPÖ zögern. Ich verstehe, dass solche Fragen für Journalisten interessant sein können, aber wir sprechen über ganz andere innenpolitische Entwicklungsgeschichten durchlebte Parteien, meinerseits sind diese nur ungefähre Positionen.

Was für deutsche literarische Werke würden Sie dem neuen Vorsitzenden von Jobbik, Tamás Sneider empfehlen, wodurch er sich zur Führung rüsten könnte?

Auf jeden Fall die Klassiker: Goethe und Schiller.

Oder Faust, wie er seine Seele dem Teufel verkauft?

Nein! Ich habe an die moralischen und politischen Entscheidungen gedacht, welche in diesen Dramen erscheinen, und womit alle Politiker konfrontiert werden müssen.

Quelle: http://azonnali.hu/cikk/20180517_politika-harcosok-klubja-nem-valo-minden-ertelmiseginek-brenner-koloman-az-azonnalinak

 

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