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Viktor Orbán ist die stärkste Stimme der radikalen Rechten in Europa – sagt einer der bedeutungsvollsten Forscher des Themas. Der Niederländer Cas Mudde beschäftigt sich in diesen Monaten intensiv mit Ungarn und der Fidesz-Partei, vor kurzem hielt er einen Vortrag an der Central European University (CEU) in Budapest über die Verstärkung der europäischen Radikalen.

Er erklärte, wie die früher marginalen Vertreter dieser Strömung in der Politik bestimmend wurden, und wie fließend die Grenze zwischen ihnen und den traditionellen Konservativen ist. Seiner Meinung nach ist die Fidesz-Partei seit 2015 eindeutig als eine rechtsradikale Kraft zu bewerten.

Paralell dazu, dass Viktor Orbán zu Hause in Ungarn seine illiberale Wende durchbrachte, wurde er in Europa die führende Figur der radikalen Rechten, solche westeuropäische rechte Ikone, wie die französisce Marine Le Pen, oder den niederländischen Geert Wilders in den Schatten stellend – schrieb Mudde in seinem nach der ungarischen Wahl verfassten Artikel im April. Der niederländische Forscher ist ein renommierter Experte des Populismus und des Rechtsradikalismus, in seinem zuletzt erschienenen Buch geht es um den Vormarsch der amerikanischen Rechtsradikalen, aber er befasst sich auch mit den europäischen Strömungen sehr intensiv.

Die “untergehende, nationalistische Vergangenheit”

Selbst der Titel seines letztgenannten Artikels aus April zeigte schon seine eindeutige politische Meinung: „Orbáns Ungarn ist nicht die Zukunft Europas, das ist die untergehende, nationalistische Vergangenheit.” Als politischer Analytiker erfuhr er anscheiend aber genau das Gegenteil: die radikale Rechte erfuhr in den letzten Jahrzehnten in den meisten europäischen Ländern nicht nur wesentlichen Zufluss, mehrere unter ihnen schaffte sogar den Regierungsantritt, und wo dies nicht der Fall war, beeinflusst trotzdem ihre Präsenz und Stimme die Sprache und Formulierungen der öffentlichen Meinung, und bestimmt die grundlegenden Themen in der Politik.

Alle Zeichen offenbaren, dass die radikalen Rechten und der Populismus immer mehr voranschreiten. Während die Wähler die Zentrumparteien in Stich lassen, wird die unlängst verabscheute und missachtete Rhetorik der Radikalen immer mehr verstärkt – als ob sogar der Zeitgeist radikalisiert worden wäre.

„Ich stamme aus den Niederlanden, wo neben Deutschland vielleicht die politische Korrektheit in den 90-ern am stärksten vertreten war” – sagte Mudde, darauf hinweisend, dass es solche radikale Politiker gab, die damals deswegen inhaftiert wurden, weil sie sagten, dass das Land überfüllt sei, man brauche keine Einwanderer.

„Das ist heute vollkommen unvorstellbar, ähnliche Aussagen hören wir heute von fast jedem Politiker. Die politische Korrektheit half nicht, wie auch die Beschimpfung der Radikalen nicht förderhaft war” – meinte er beim an der Central European University gehaltenen Vortrag. Vor dem Referat Muddes sprach der Rektor der Universität, Michael Ignatieff über die systematischen Angriffe gegen die offene Gesellschaft, die, laut ihm, nicht nur hier, in Ungarn, sondern auf der ganzen Welt verbreitet wären.

Es reicht, wenn du auf der richtigen Seite stehst

Zuerst überwanden Le Pens Anhänger die vor den Radikalen stehenden Hindernisse, als sie ihre Politik auf die Anti-Migration und den gesellschaftlichen Hass aufbauten. Und das, wer was als radikal und rechtsorientiert betrachtet, ist die Frage der Beurteilung und der Definition, und wir wissen, wie gut diese Kategorien zur Abstempelung geeignet sind. Mudde verbindet den „Nativismus”, also die in Ungarn am häufigsten vorkommende, allgemeine Form des Nationalismus mit dem Rechtsradikalismus, wo der Fremde die Urquelle jeder Angst ist. Heutzutage sind die Grenzen dieser und des Populismus fließend, aber diese beiden Begriffe sind analytisch voneinander zu unterscheiden: das Wesentliche des Letzteren ist die Vorstellung, wobei „das unverdorbene Volk” „den korrupten Eliten” gegenübersteht – aber wahr ist auch, dass du laut Populismus Teil des unverdorbenen Volkes auch so sein kannst, wenn du genug Geld hast, wie beispielsweise Donald Trump: es reicht, wenn du auf der richtigen Seite stehst – ergänzte der niederländische Wissenschaftler.

In den meisten Ländern begann der Prozess der Verstärkung der rechtsradikalen Parteien bereits vor der Krise 2008. In den 80-ern hatten sie in Europa eine Unterstützung durchschnittlich von nur 1,7%, in den 90-ern 4,8%, nach dem Millenium 5,7% – zur Zeit liegen sie in den meisten Ländern bei 10-30%. In den reichsten Staaten sind sie in der Politik stark vertreten: die Schweizerische Volkspartei erhielt bei der letzten Wahl 29%, die FPÖ 26%, die Dänische Volkspartei 21%.

Den Rechtsradikalen begünstigt auch die internationale Politik: Russland und die USA sind in Richtung der europäischen radikalen Rechten viel offener, als früher, oder jetzt in Bezug auf die zentrallinken Kräfte. Steht Vladimir Putin zu den rechtsradikalen Parteien in Europa gleichermaßen, als früher die Sowjetunion zu den westlichen kommunistischen Parteien? – tauchte die Frage auf. Nein, da Putin sich Verbündete nicht nach der Ideologie auswählt: er unterstützt die linken Populisten genauso, und am liebsten mag er Personen, wie Gerhard Schröder, den ehemaligen deutschen Bundeskanzler, die als bedeutungsvolle Politiker seine Verbündete sind. Auch Trump, der urspünglich aus dem Zentrum kam, öfter sucht er sich eher die dem Zentrum näher stehenden Parteien aus, anstatt Rechtsradikale auszuwählen: er behandelt in Österreich Kurz wie einen Rockstar, nicht aber den die FPÖ leitenden Strache.

In der traditionellen politischen Aufteilungen wird in Ungarn von den größeren nur die Jobbik-Partei zu den rechtsradikalen Parteien gezählt, laut Mudde zählt jedoch auch schon die Fidesz-Partei dazu.

Die Migrationskrise hätte die Lage umstrukturiert

Immer noch tarne sich die Fidesz-Partei als eine konservative, aber wenn eine Partei rechtsradikale Politik ausübe und auf rechtsradikale Weise spreche, dann sei sie höchstwahrscheinlich eine rechtsradikale Partei – sagte der Politikwissenschaftler. „Ja, ich betrachte die Fidesz eindeutig schon als eine rechtsradikale Partei” – bestätigte Mudde seinen Standpunkt nach dem Vortrag. Der Wandel war seiner Meinung nach allmählich vorangeschritten, aber nachträglich sei sichtbar, dass dieser Prozess um 2015 vollendet wurde: laut seiner Bewertung wechselte Orbán seine Rhetorik, und wurde xenophob.

Die Migrationskrise hätte die Lage grundlegend umstrukturiert, Orbán wäre zur stärksten Stimme der Rechtsradikalen avanciert. Laut dem niederländischen Forscher haben wir sowieso eine neue politische Epoche erreicht, und die Grenzen zwischen dem Mainstream und dem Rechtsradikalismus werden immer mehr fließend. Laut ihm können wir das in Dänemark oder teilweise auch in den Niederlanden sehen. Die traditionelle Rechte könne aber nicht damit punkten, wenn sie kopiert. Auch in Österreich sei die ÖVP zwar nach rechts gerückt, dennoch wurde die FPÖ nicht geschwächt.

„Aber wie können sie besiegt werden?”- stellte der Rektor der CEU ihm die Frage. Mudde meinte, ihm wäre die Frage lieber, wie die liberale Demokratie gestärkt werden könne? Und seine Antwort sei die „Reideologisierung”, die mutige Bekenntnis der Ideen in der Politik. Die Liberalen sollen wieder Liberale sein, die Sozialdemokraten Sozialdemokraten, die Konservativen Konservative. Der Rechtsradikalismus sei dort schwach, beispielsweise in Spanien oder in Portugal, wo die Politik eher um wirtschaftlich-soziale Fragen gruppiert würde. Aber wo die kulturellen Themen maßgeblich sind, dort hätten die Radikalen einen größeren Spielraum. „Die Kernfrage des Rechtsradikalismus ist die Identität, wer wir eigentlich sind. Darauf haben sie eine klare Antwort: auch die Anderen sollen ihre eigene gestalten.”

Mudde beantwortete die Frage, dass er nicht wüsste, wie man das Orbán-System stürzen könnte. „Ich verfolgte die Demonstrationen nach den Wahlen, aber diese kamen vielleicht gewissermaßen zu spät. Eins ist sicher, dass die Lösung nicht an Budapest liegt. Als Orbán in Opposition war, verstärkte er auch seine lokalen Netzwerke.”

„Die Opposition sollte sich in den Zug setzen, und Budapest verlassen, Medien haben sie sowieso keine mehr” – schlug er der ungarischen Opposition vor.

Die Deutschen wollen kein Disaster

Während immer mehr rechtsradikale Parteien in Regierungsposition geraten, desto größer wird ihr Einfluss auf die EU-Politik – aus diesem Aspekt hat der Europäische Rat die größte Bedeutung, nicht das Europäische Parlament, wo es auch sowieso eine massive volksparteiliche Mehrheit gibt. Die radikale Rechte hat jetzt weniger Einfluss, als was potentiell rauszuholen wäre, wenn ihre Parteien kooperieren würden. Aber auch so geraten sie aus der Randposition in den Mainstream, immer mehr bestimmen sie die Sprache der Debatten des öffentlichen Lebens, und immer begünstigender wird für sie der heimatliche und globale Kontext – sagte er.

Laut dem niederländischen Forscher teste nun Orbán die CDU/CSU – er würde sich denken, dass Fidesz sowieso nur in der Europäischen Volkspartei Mitglied bleibe, bis die Deutschen das unterstützen, die Anderen, nach Mudde, möchten sie ausschließen.

„Die Deutschen wollen aber in ihren Autofabriken kein Disaster. Soweit Orbán keine legitime Opposition hat, verzichtet man nicht auf ihn.”

Quelle: https://index.hu/belfold/2018/06/13/orban_a_radikalis_jobboldal_vezere_europaban/

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