web analytics

6. Schlimme Tage in der Klinik

Wo bin ich?

In den ersten Minuten meines Erwachens auf der Intensivstation des Landeskrankenhauses Graz fiel es mir schwer, mich zu orientieren. Ich wachte kurz auf, schlief rasch wieder ein. Es war der 12. August 2003. Man hatte mich am Vortag 6 Stunden am Rücken operiert. Als ich dann mehr oder weniger zu mir kam, war ich guter Dinge. Ich fühlte mich gut, geradezu euphorisch. Ich hatte den Absturz also überlebt. Ich verlangte ein Telefon und erreichte meine Frau sofort. Ja, es geht mir gut, geradezu ausgezeichnet. Die Medikamente, die Betäubungsmittel, sie taten ihre Wirkung.

Schon bald war meine Familie bei mir. Verena, mein Vater und meine Schwiegereltern waren nach Graz gekommen. Als mein Vater und Verena zu mir ins Zimmer kamen, machte ich noch immer einen fröhlichen Eindruck. Jedoch war mir übel und ich musste mich fürchterlich übergeben. Ich erinnerte mich an den Herzinfarkt meines Vaters viele Jahre davor. Als ich besorgt an seinem Krankenbett in der Intensivstation gestanden war, war auch ihm schlecht geworden.

Bald darauf schlief ich wieder ein. Und dann kam das richtige Erwachen. Schonend wurde mir beigebracht, dass ich schwer verletzt sei. Mir fiel rasch auf, dass ich wichtige Körperregionen einfach nicht mehr spürte. Die Ärzte zeigten sich besorgt. Die Diagnose: Querschnittlähmung komplett.

Es war ein heißer Sommer, ich wurde aus der Intensivstation in ein volles Krankenzimmer gebracht. Vor dem Zimmer eine Baustelle. Es war heiß, es war laut, ich war am Ende. Mein Leben ein einziger Trümmerhaufen. Alles vorbei.

Für mich war das ein Albtraum, der Tiefpunkt meines Lebens, ohne jede Perspektive. Wie demütigend es für mich war, als ich feststellte, dass man mich mit einer Windel versorgt hatte, in dieser ersten Nacht im normalen Krankenzimmer. Ich wollte nicht essen. Irgendwann hievte man mich unter großen Schmerzen in einen Rollstuhl und schob mich auf den Gang. Dort saß ich also, allein, verzweifelt. Menschen gingen an mir vorbei, sie gingen! Etwas, das für mich in weite Ferne gerückt war.

Und dann war noch mein direkter Bettnachbar, ein Yuppie, der permanent mit seiner Hand fuchtelte und ein furchtbar wichtiges Gespräch nach dem anderen führte. Dabei wollte ich einfach nur allein sein, Ruhe haben, Raum, um nachdenken zu können. Doch vor dem Zimmer lärmten die Baumaschinen, Mitpatienten stöhnten und schnarchten und dann noch dieser Karierrefuzzi mit seinen kleinen Verletzungen und diesem verdammten Handy. Ich hasste diesen Mann. Ich hasste ihn, weil er in dieser Zeit für mich das verkörperte, was ich einmal war. Geschäftig, erfolgreich, sich selbst überschätzend.

Die Minuten nach dem Aufwachen am Morgen waren immer die schlimmste Zeit des Tages. Sich zu orientieren, zu erkennen, dass alles nicht nur ein böser Traum war. Mit der Reduktion der Schmerzmittel war ich dann auch nur mehr in der Lage, am Rücken zu liegen. Die nächsten Wochen sollte ich vor allem die Decke meines Krankenzimmers sehen, Stunde um Stunde.

Eines Tages dann plötzlich Unruhe im Zimmer. Krankenhauspersonal kommt kurz in den Raum und läuft dann wieder hinaus. Mir war das egal. Kaum etwas kümmerte mich zu dieser Zeit. Und plötzlich stand dann der Vizekanzler bei mir im Zimmer. Herbert Haupt war gekommen, um mich zu besuchen, ganz ohne Begleitung, kein Sekretär, keine Entourage in Sicht. Es war eine zutiefst menschliche Geste eines Mannes, der als Politiker oft kritisiert worden war. Damals waren vor allem schneidige Jungpolitiker gefragt, mit schmalgeschnittenen Hemden und gebleichten Zähnen. Herbert Haupt scherte sich wenig um Armani und Boss und seine Schachtelsätze waren bei Journalisten wenig gefragt. Außerdem war er frei von einem glamourösen Privatleben, kein gutes Geschäft also für Wochenmagazine und Gesellschaftsseiten. Jahre später sollte sich herausstellen, dass er zu den wenigen Politikern seiner Ära gehörte, die völlig unbestechlich waren und die tatsächlich alles taten, um dem Land zu helfen. Sein Besuch und seine Erzählungen von seinen eigenen Unfällen und seiner Zeit in Krankenhäusern haben mir Kraft und Zuversicht gegeben. Ich hörte ihm vor allem zu. Denn meine Stimmbänder waren bei der OP verletzt worden. Mehr als ein leises Krächzen brachte ich nicht hinaus.

In der ersten Phase nach diesem Schicksalsschlag habe ich mich sehr gegen die Realität gewehrt, wollte es einfach nicht wahrhaben. Jede Nacht träumte ich von mir selbst als normal gehendem und laufendem Menschen, nur um dann am Tag mit dem Schicksal zu hadern.

Nach der Erstversorgung in Graz dann nach einigen Tagen die erste gute Nachricht. Ich sollte nach Eisenstadt verlegt werden. Ich wurde in ein Rettungsauto verfrachtet und in meinen Heimatort gebracht. Dorthin, wo ich so viele schöne Jahre leben durfte, wo ich so viele Kilometer gelaufen war, wo ich meine Familie in der Nähe haben konnte. Und doch war die Ankunft in Eisenstadt überaus traurig. Ich konnte aus dem Fenster des Rettungsautos den Kreisverkehr in der Mattersburgerstraße erkennen, die Häuser in der Rusterstraße und dann das Krankenhaus. Mein eigenes Haus in St. Georgen sollte ich erst viel später zum ersten mal wieder sehen. Ich bekam im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder ein wunderschönes Einzelzimmer und das Personal kümmerte sich rührend um mich. Ich war also endlich alleine und hatte Zeit, ungestört meinen Gedanken nachzugehen. Zum ersten Mal hatte ich auch Lust, den Fernseher aufzudrehen, um zu sehen, was sich in der Welt tut. Bisher hatte ich jeden Blick in eine Zeitung verweigert und auch die recht unterschiedlichen und nur zum Teil korrekten Berichte über meinen Unfall ignoriert. Als ich aber nun in meinem Zimmer in Eisenstadt den Fernseher aufdrehte, lächelte mir da ein junger Mann entgegen, der in einem Interview die Vorzüge des Einsatzes von Ultraleichtflugzeugen für Beobachtungsaufgaben erklärte. Der Mann war fröhlich, selbstbewusst, hatte im Gegensatz zu mir eine klare Stimme und stand mit beiden Beinen fest im Leben. Es war eine Aufnahme, die erst wenige Tage vor meinem Unfall am Flugplatz Spitzerberg entstanden war. Was für ein Tiefschlag. Ich drehte den Fernseher ab und wollte in den nächsten Tagen außer meiner Familie niemanden sehen.

Freunde, die mich besuchen wollten, wies ich mit dem Hinweis auf meine lädierte Stimme ab. Ich war einfach noch nicht so weit, war mit mir noch nicht im Reinen.

Bald danach kam eine Anfrage vom Österreichischen Rundfunk. Man wollte einen Dreh im Krankenhaus und ein Interview mit mir machen. Ich entschied mich für den Sprung ins kalte Wasser und sagte zu. Ich erzählte vom Unfall, von dem in jeder Hinsicht tiefen Fall und erstmals auch davon, dass ich zuversichtlich sei, die Probleme in den Griff zu bekommen. Ich beschloss zu kämpfen, meine Situation zu akzeptieren, mich aber nicht damit zufrieden zu geben. Es war der Start eines langen und brutalen Weges der Rehabilitation.

Ich konnte Vorfuß und Zehen so gut wie gar nicht bewegen. Also begann ich, mich darauf zu konzentrieren. Stundenlang tat ich im Bett nichts anderes, als mich auf meine Zehen und den Fuß zu konzentrieren. Bald gelangen mir kleinere Bewegungen mit dem rechten Fuß, die mit jedem Tag ein bisschen kräftiger wurden. Der linke Fuß und die Zehen links bewegten sich jedoch keinen Millimeter. Das Rehabilitationsteam in Eisenstadt begann schließlich damit, mich von der Rückenlage in die Bauchlage zu bringen. Das war eine fürchterliche Tortur mit extremen Schmerzen. Und doch war es ein schönes Gefühl, endlich aus der Rückenlage befreit zu werden.

Nächste Aufgabe: Sitzen auf der Bettkante. Auch hier wieder große Schmerzen im Rücken und vor allem Kreislaufprobleme. Mir ist speiübel. Und dann die vorerst schwierigste Herausforderung: Der Transfer vom Bett in den Rollstuhl. In Graz war ich mit Hilfe des Personals und vollgepumpt mit Schmerzmitteln relativ problemlos in den Rollstuhl gekommen. In Eisenstadt wurde dazu ein Rutschbrett benutzt, das zwischen Bettkante und Rollstuhl platziert wurde. Und wieder diese höllischen Schmerzen im Rücken. Und dann noch diese Übelkeit. Ich trainierte meinen Kreislauf schrittweise. Zuerst 5 Minuten sitzen, dann 10 Minuten. Nach einigen Tagen konnte ich dann schon eine ganze Stunde aufrecht sitzen, ohne bewusstlos zu werden. Die ersten Erfolge stellten sich ein.

Eines Tages meinte meine Physiotherapeutin, sie wolle mit mir aufstehen. Man besorgte einen Rollator. Zuerst also auf die Bettkante setzen, der Rollator vor mir, links und rechts von mir jeweils eine Therapeutin, um mich hochzuziehen. Da stand ich nun also, mit den Händen am Rollator abgestützt, die Beine eher nutzlos herunterhängend. Aber trotzdem, ich hatte mich aus der waagrechten Position befreit.

Es tat sich jedoch ein neues Problem auf. In Graz hatte man mich mit einem Katheder versorgt. Der musste jetzt raus, um eine Infektion zu vermeiden. Man schlug mir vor, einen sogenannten suprabubischen Katheder zu setzen. Dabei wird unter lokaler Betäubung durch die Bauchdecke hindurch in die Blase gestochen, damit der Harn von dort direkt abgeleitet werden kann. Das war für mich keine motivierende Vorstellung. Es müsste aber wohl sein.

Man schob mich mit meinem Krankenbett vor den OP-Saal und ich wartete dort geduldig auf meinen Operateur. Ich sollte diesen Herrn niemals vergessen.

Er erschien nach einer angemessenen Verspätung und war offenbar fürchterlich in Eile. Schnell wurde ich in den Operationssaal mit seinen sterilen Fliesen und der kalten Nirosta-Ausstattung geschoben. Der Arzt schickte sich an, mir eine Spritze in den Bauch zu verpassen. Dann die Frage der assistierenden Schwester, ob man nicht das Licht im Saal aufdrehen sollte. Ja, das wäre eine gute Idee, meinte der Herr Doktor. Dann die Injektion für die Lokalanästhesie in die Bauchdecke und dann, nur Sekunden später der schlimmste Schmerz, den ich jemals erlebt hatte. Der gute Mann hatte die Wirkung der Injektion nicht abgewartet und einfach meine Bauchdecke bis hinein in die Blase durchstochen. Es war grauenhaft, Harakiri durch die Hand eines Arztes. Den Herrn Doktor kümmerte das wenig. Er müsse nun dringend weg, er habe einen Urlaub gebucht und wolle nicht zu spät kommen. Was für ein Dilettant, ein übler Vertreter seiner Zunft. Ich wand mich vor Schmerzen und werde diesen Eingriff nie mehr vergessen.

Ab sofort hatte ich also eine Leitung durch meine Bauchdecke. In regelmäßigen Abständen wurde der Verschluss geöffnet und die Blase so entleert.

Meine Frau Verena verbrachte jeden Tag viel Zeit in der Klinik bei mir. Die Physiotherapeuten hatten empfohlen, die Nerven an meinen Füßen durch eine Bürste zu reizen. Und so stand Verena Tag für Tag an meinem Bett und bürstete meine Füße, ohne dass ich irgendetwas davon spüren konnte. An meinem rechten Fuß machten sich jedoch Fortschritte deutlich. Ich spürte so etwas wie kleine Stromstöße und es gelang, den linken Vorfuß schon einige Millimeter auf- und abzubewegen. Stundenlang versuchte ich jeden Tag, hier ein bisschen mehr zu erreichen.

Und irgendwann konnte ich dann auch das erste mal wieder lachen. Meine Freunde wissen, dass ich ein großer Freund kleiner Streiche bin und mich bei Sendungen der versteckten Kamera köstlich amüsiere. Bei der Lauda Air machte ich mir einen Spaß daraus, Mitarbeiter mit verstellter Stimme – ich konnte Niki Lauda recht gut nachmachen – anzurufen und sie zu mehr Leistung zu ermahnen. Bei Freunden und Bekannten meldete ich mich gerne als Polizeidirektion xy und gab bekannt, dass der Führerschein entzogen werden muss. Mein Schwager war völlig außer sich, als ich mich mit der Stimme des legendären Mundls bei ihm meldete und ihm sagte, dass mein Bier nicht „deppad” sei. Ich hatte die besten Sprüche des Herrn „Sackbauer” auf dem Laptop gespeichert und das gesamte Telefonat nur mit Originalmitschnitten aus den Mundl-Filmen geführt. Als ich ihn einige Tage später traf und ihn fragte, wie es ihm denn so geht, machte er einen unglücklichen Eindruck. Er hätte, so erzählte er, einen Drohanruf erhalten, in dem ihm angekündigt wurde, dass man ihm „ane owihaun wiad, dass eam drei Tog da Schädl wackelt“.

Ich war also immer einer, der gerne gelacht hat und auch liebend gerne Witze erzählt hat. Und ich erinnere mich genau an den Augenblick, als das Lachen wieder zu mir zurückkam. Ich hatte in meinem Krankenzimmer einen Fernseher, den ich bis dato nicht benutzt hatte. Ich konnte es einfach nicht ertragen, so viele gehende Menschen zu sehen. An diesem Tag aber drehte ich das Gerät an und fand auf einem Sender eine Folge der Versteckten Kamera. Ein als Arzt agierender Schauspieler brachte Patienten zur Weißglut und ich konnte gar nicht anders, als laut zu lachen. Und obwohl das Lachen bei gebrochenen Rippen einfach nur weh tut, war es irrsinnig befreiend, wieder einen Blick auf die heitere Seite des Lebens geworfen zu haben.

Und bald darauf war es eine frohe Botschaft, die mir sehr viel Mut machen sollte. Ich sollte in eine auf Patienten mit Querschnittlähmung spezialisierte Rehabilitationseinrichtung verlegt werden, auf den Weißen Hof in Klosterneuburg. Die Krankenschwestern in Eisenstadt wussten vom Weißen Hof wahre Wunderdinge zu berichten. Ich setzte große Hoffnungen auf meine Reha und hoffte, bald wieder daheim sein zu können. Damals wußte ich noch nicht, dass ich ein halbes Jahr auf Rehabilitation bleiben sollte. Ein halbes Jahr, das mir die Chance zu einem Neubeginn gab.

Zurück zur Inhaltsübersicht

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert