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12. Was ist wirklich wichtig?

Nach einem schweren Unfall wird man von Freunden und Bekannten oft mit der Frage konfrontiert, ob dieses Ereignis nicht das eigene Leben und die Einstellung zum Leben selbst verändert. Und es ist tatsächlich so, dass man in den vielen Wochen und Monaten im Krankenhaus und auf der Reha viel Zeit zum Nachdenken hat und auch sein eigenes Leben hinterfragt. Erst dann wird oft klar, wie wichtig die persönlichen Kontakte sind, wie wesentlich Wohlbefinden und Gesundheit und wie unwichtig all die vielen kleinen Ärgernisse sind, mit denen man ansonsten tagtäglich konfrontiert ist.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass nach den ersten Tagen im Krankenhaus mein Vater zu mir kam und mir ein Hörbuch mit dem Titel „Jetzt“ geschenkt hatte. Eckhart Tolle befasst sich in diesem Buch mit dem Element des Augenblicks und unterstreicht, dass man nicht so sehr in die Zukunft oder die Vergangenheit denken sollte, sondern sich viel mehr mit dem Augenblick beschäftigen müsste. Er macht klar, dass man nicht das ist, was man als permanent schwätzende innere Stimme bezeichnet, sondern dass das eigentliche Wesen des Menschen dahinter liegt.

Für mich war das damals besonders schwer zu verstehen, weil ich ja ausgerechnet in dieser Phase des Lebens mit den größten Hürden und den elementarsten Sorgen beschäftigt war. Ich versuchte trotzdem, mir das Gehörte zu Herzen zu nehmen und mich voll und ganz auf die Jetztzeit zu konzentrieren, auf den Augenblick, ohne Bewertung, ohne Jammern, ohne Zukunftsangst. Und tatsächlich war es so, dass mir diese Auseinandersetzung mit dem Augenblick sehr viel weiter geholfen hatte. Ich steckte meine nächsten Ziele ganz klar ab, legte meinen Weg fest und hörte dann auf, permanent darüber nachzudenken. Es ging vor allem darum, die nächsten Stunden, die nächsten Tage zu meistern.

Gelernt hab ich in dieser Zeit auch, wie wichtig der Begriff Dankbarkeit ist. Wenn man im Leben tatsächlich glücklich werden will, dann muss man für das Erreichte auch dankbar sein. Da geht es nicht nur um die ganz großen Fragen im Leben wie Partnerschaft, Familie, Kinder, Gesundheit oder Karriere, sondern auch um Dinge wie das Glück in Österreich leben zu dürfen, in einem sicheren Land mit intakter Umwelt. Oder das Glück, ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung haben zu können, berufstätig sein zu dürfen oder ganz einfach, dass die Kinder eine Schule besuchen können. Es sind diese erreichten Dinge, die man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen muss.

Wenn es um diese Fragen geht, dann hat der Unfall mit Sicherheit mein Leben verändert. Ich glaube ich kann heute sagen, dass ich trotz der erfahrenen körperlichen Einschränkungen ein glücklicherer Mensch bin als vor meinem großen Unfall. Geändert hat sich auch meine Einstellung zu den persönlichen Kontakten. Ich bemühe mich bei Gesprächen ganz auf mein Gegenüber einzugehen, genau zu zuhören und mich in die andere Person hinein zu versetzen. Andererseits achte ich im privaten und persönlichen Bereich sehr darauf, mit wem ich meine Zeit verbringe. Nachdem ich tagtäglich mit sehr vielen Menschen beruflich zu tun habe, habe ich im privaten Bereich meinen Freundeskreis verkleinert.

Und noch einen Tipp habe ich für alle Menschen, die mit ihrem Leben nicht zufrieden sind oder mit dem Schicksaal hadern, sei es weil es finanzielle Probleme gibt, sei es weil man glaubt, nicht den richtigen Partner gewählt zu haben oder weil es andere Dinge gibt, die Anlass zur Sorge geben. Es ist gut, sich einfach einmal zusammen zu packen und in die Kantine der Rehabilitationseinrichtung Weißer Hof oder Tobelbad zu fahren und dort mit den Menschen zu sprechen, die nach einem schweren Unfall oder auf Grund einer angeborenen Behinderung um Verbesserung ihrer körperlichen Situation kämpfen.

Diese Gespräche werden mit Sicherheit dazu führen, dass man die eine oder andere Sorge aus einem völlig anderen Blickwinkel sieht. Nicht alles, was man selbst für wesentlich erachtet, ist es tatsächlich wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Aber auch in meinem Beruf als Politiker hat der Unfall Spuren hinterlassen. Und damit meine ich nicht, dass ich jetzt als Behindertensprecher meiner Fraktion aktiv bin, sondern auch, dass ich im Umgang mit den politischen Mitbewerbern wesentlich mehr Respekt als vorher einbringe. Denn wahr ist in den meisten Fällen auch, dass man trotz unterschiedlicher ideologischer Zugänge doch das gemeinsame Ziel haben muss, für Österreich und für die Menschen in diesem Land Positives zu bewirken. Und das ist in vielen Fällen nur möglich, wenn Politiker verschiedener Farben in den ganz wesentlichen Bereichen der politischen Auseinandersetzung auch zusammen arbeiten. Unbestritten ist, dass die Demokratie auch ein Spannungsfeld verschiedener Meinungen benötigt. Niemand möchte ein Parlament haben, in dem es nur eine einzige Partei und eine Diktatur der Meinungen gibt. Daher ist es eben von hoher Bedeutung, dieses Spannungsfeld und eine Streitkultur auch als Errungenschaft unserer Gesellschaft zu sehen. Gleichzeitig sollte aber ein politischer Mitbewerber nicht persönlich oder unter der Gürtellinie angegriffen werden.

Natürlich kann man all diese positiven Vorsätze nicht immer im Leben einhalten. Ich mache noch immer unglaublich viele Fehler, Tag für Tag. Ich ärgere mich, bin von mir selbst enttäuscht, wütend oder ungerecht. Es ist aber so, dass mir der Unfall eine klarere Richtung für das Leben gegeben hat.

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