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Professor Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas im Interview: „…die Einführung einer weltparlamentarischen Versammlung ist eine Überlegung wert…“

Das neue Jahrtausend hat die Menschheit vor neue und große Herausforderungen gestellt: Als die Vereinten Nationen 1945 gegründet wurden, belief sich die Weltbevölkerung auf 2.5 Milliarden Menschen, die sich politisch auf nur zwei Machtblöcke verteilte. 75 Jahre später wird die Erde wird von rund 7.8 Milliarden Bewohnern bevölkert und die vormalige bi-polare Weltordnung gehört der Vergangenheit an. Neue Staaten und Kräfte sind zum Konzert der großen Mächte hinzugestoßen und ein Paradigmenwechsel scheint angesagt.

Alfred de Zayas ist Professor für Völkerrecht an der Geneva School of Diplomacy und war in hohen Funktionen für die die Vereinten Nationen im Sekretariat des Hohen Kommissars für Menschenrechte tätig. Wir haben Professor Alfred de Zayas zur gegenwärtigen politischen Lage, wünschenswerten Entwicklungen und möglichen künftigen Szenarien befragt:

Frage: Die Gründung der UN erfolgte nach Ende des 2. Weltkriegs, wobei ihre Satzung das Kräfteverhältnis unter den Siegerstaaten der damaligen Zeit widerspiegelt: Ganze fünf (Weltkrieg II Sieger-)Staaten bilden bis heute die fünf ständigen Mitglieder des 15 Staaten umfassenden UN Sicherheitsrates. Internationale Organisationen sind künftig noch stärker gefragt und eine Reorganisation der UNO scheint nach 75 Jahren ihres Bestehens überfällig: Wo sehen Sie die größten Mängel bzw. welche Reformen schlagen Sie vor?

AdZ: Eine Reorganisation der UNO und insbesondere des Sicherheitsrates ist überfällig. Eine UNO Kommission studiert die Optionen seit mehr als 10 Jahren. Generalsekretär Kofi Annan hatte seinerzeit eine Erweiterung der Mitgliedschaft des Rates von 15 auf 25 vorgeschlagen, um eine bessere Beteiligung aller Regionen und Länder zu erwirken und Staaten wie Indien, Indonesien, Südafrika, Brasilien, Mexico sowie auch Japan und Deutschland mehr Einfluss und Repräsentanz zu verschaffen. In meinem Bericht an die Generalversammlung aus dem Jahr 2013 habe ich eine Reihe konstruktive Reformvorschläge5 eingebracht und u.a. ausgeführt:

Im Jahr 2013 veröffentlichte die Universität der Vereinten Nationen ein Buch von Joseph Schwartzberg mit dem Titel Transforming the United Nations System: Designs for a Workable World. Das Buch erörtert die Notwendigkeit einer Wahlreform in der Generalversammlung, die Möglichkeit eines gewichteten Wahlsystems, Vorschläge für eine vom Volk gewählte Weltparlamentarische Versammlung aus Vertretern der Zivilgesellschaft, Optionen für die Reform des Sicherheitsrates, wie die Erhöhung seiner Mitgliederzahl samt Abschaffung des Veto sowie eine Umwandlung des Wirtschafts- und Sozialrates in eine neue Struktur regionaler Versammlungen, ein gestärkter Menschenrechtsrat, die Koordinierung von Sonderorganisationen, Fonds und Kommissionen des Systems der Vereinten Nationen und weiter eine verstärkte Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen und anderen  nichtstaatlichen Akteuren.

Frage: Was muss bei diesen Reformbestrebungen im Auge behalten werden?

AdZ: Die Priorität für die Vereinten Nationen und für die Welt ist der Frieden – darum muss der Frieden als Menschenrecht anerkannt werden1.  Bereits im November 1984 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution zum Recht aller Völker in Frieden zu leben – Res. 39/112, aber sie ist seither nicht weiter gekommen: Seit dem zweiten Weltkrieg haben sich hunderte neue Kriege ereignet. UNESCO hat eine Deklaration über die Kultur des Friedens3 verabschiedet und ebenso das Konsultativ Komitee des Menschenrechtsrates im Jahre 2014. Jedoch ist die letzte Resolution des Menschenrechtrates zum Recht auf Frieden schwächer als die alte Resolution 39/11. Eine der wichtigsten Ursachen der Kriege ist die illegitime Verweigerung der Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes. Die Vereinten Nationen hätten konsequent sicherzustellen, dass Mechanismen entwickelt werden, um Referenda durchzusetzen, bevor Selbstbestimmungs-Streitigkeiten in lokale, regionale oder internationale Kriege umschlagen. Man muss endlich akzeptieren, wie im Absatz 80 des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs zum Kosovo ausgeführt, dass das Prinzip der territorialen Integrität die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker nicht aushebeln kann4. Tatsächlich stellt die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, wie im Artikel I des UNO Paktes zu den bürgerlichen und politischen Rechte stipuliert, eine eminent friedensfördernde Konfliktvermeidungsstrategie dar.

Frage: Sollten überfällige Reformschritte der UNO unrealisierbar bleiben, könnte dies ggf. zu Gründungen von Parallelorganisationen führen?

AdZ:  Leider ja, und bereits sind die Geschicke der Welt zu sehr vom Weltwirtschaftsforum, und andere Globalisten beeinflusst.  Besser und demokratischer wäre eine World Parliamentary Assembly. In meinem Bericht aus dem Jahr 2013 an die Generalversammlung5 führte ich aus:

 Unter anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen ist die Einführung einer Weltparlamentarischen Versammlung6 bzw. einer Parlamentarischen Versammlung der Vereinten Nationen eine Überlegung wert. Der frühere Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali erklärte: „Eine parlamentarische Versammlung der Vereinten Nationen – ein globales Gremium gewählter Vertreter – könnte unsere Institutionen globaler Regierungsführung mit beispielloser demokratischer Legitimität, Transparenz und Rechenschaftspflicht ausfüllen.“ 7

Das erklärte Ziel wäre es, Demokratiedefizite zu beseitigen, indem der globalen öffentlichen Meinung mit all ihren Bürgern bei globalen Entscheidungen durch gewählte Amtsträger eine Stimme verliehen würde. Eine solche Versammlung könnte entweder durch eine Abstimmung der Generalversammlung gemäß Artikel 22 der UN Charta oder auf der Grundlage eines neuen internationalen Vertrags zwischen den Regierungen eingerichtet werden, flankiert von einem Abkommen, das sie mit den Vereinten Nationen verbindet. Keiner der Mechanismen erfordert eine Änderung oder Reform der UN Charta. Beiträge von Bürgern mit ihrer Beteiligung an einer unabhängigen Weltversammlung oder parlamentarischen Versammlung der Vereinten Nationen in beratender Funktion, die sowohl Menschen als auch Staaten vertreten, würden globalen Entscheidungen erhöhte Legitimität verschaffen.

Frage: Die Arbeiten des Politwissenschaftler Arjun Chowdhury ergaben, dass Zweidrittel der Staaten dieser Welt ohne internationale Hilfe nicht in der Lage wären, ihre Grundversorgung sicherzustellen bzw. ihrer Übernahme oder Auflösung entgegenzuwirken. Wie ließen sich die potentiellen Konfliktpotentiale jener Verhältnisse am besten entschärfen oder kontrollieren?

AdZ:  Internationale Hilfe bedeutet nicht Almosen.  Es geht darum, Entwicklungsländern zu helfen, sich selber zu ernähren.  Bisher haben der Internationale Währungsfond und die Weltbank weitestgehend versagt.8 Prävention von Konflikten ist die dringlichste Aufgabe der Vereinten Nationen.  Sonderkommissionen und Komitees gibt es genug. Was fehlt ist der politische Wille der reichen Staaten. Natürlich kann unser Planet Erde alle Menschen ernähren, doch es gilt die richtigen Prioritäten setzen. Die Welt verschwendet Milliarden an kriegerischen Auseinandersetzungen, im Rüstungswettlauf oder bei der Herstellung noch tödlicherer Waffen. In den Vereinigten Staaten werden mindestens 40% des Haushalts mit militärischen Ausgaben verschwendet. Das muss ein Ende haben. Unser Mantra sollte heißen: Abrüstung zur Entwicklung. Es gibt sehr wohl ein Menschenrecht auf Entwicklung – wie nach Artikel 1 der UNO Charta sowie in der UNO Erklärung zum Recht auf Entwicklung.  Nun gilt es die SDG  — Sustainable Development Goals oder nachhaltigen Entwicklungsziele – bis 2030 zu erreichen. Dies ist durchaus möglich, doch wird konsequente Arbeit erfordern.

Frage: Wäre ein Sicherheitsrat globaler Allianzen mit untereinander ausgewogeneren Machtverhältnissen eine geeignete Alternative, um vorhandene Blockaden zu durchbrechen?

Ich sehe das skeptisch. Jedenfalls sollte man China und Indien stärker einbinden. Es handelt sich um 2.7 Milliarden Menschen, die man nicht ignorieren kann. Beide Staaten sind verstärkt in Maßnahmen zur Friedenssicherung einzubeziehen.  Friedenssicherung durch die Vereinigten Staaten und die NATO hat nicht funktioniert. Dazu haben die Vereinigten Staaten das größte Verbrechen gegen den Frieden seit den Nürnberger Prozessen begangen, nämlich die Invasion des Iraks im Jahr 2003, die Kofi Annan als “illegalen Krieg” brandmarkte.  Schlimmer noch – die US hatte das System derart korrumpiert, dass eine “Koalition der Willigen” von insgesamt 43 Staaten entstanden ist, die in diese Revolte gegen die UNO Charta und das Völkerrecht teilnahmen. Dies sind alles UNO Mitgliedsstaaten, die an die UNO Charta und insbesondere Art. 2(4) gebunden sind. Eine groteske Verletzung des Völkerrechts und ein Megaverbrechen gegen den Frieden.

Ich möchte die Kompetenzen des UNO Generalsekretärs erweitert sehen, sodass er über ein Initiativrecht verfügte und z.B. juristische Fragen direkt an den Internationalen Gerichtshof zur Begutachtung weiterleiten könnte. Es gibt viele Mechanismen in der UNO, die viel zu wenig ausgenützt werden. Die UNO könnte viel proaktiver auftreten – vielleicht geschieht dies in der Zeit der gegenwärtigen US Administration.

Frage: Die asiatischen Staaten stehen innerhalb der Weltbank und dem IWF nur im zweiten Glied, doch bestimmen das Weltwirtschaftswachstum maßgeblich: Sehen Sie auch Reformbedarf bei diesen internationalen Organisationen, deren Statuten das Gründungsjahr 1945 ebenso stark noch anzuhaften scheint?

AdZ: Die Bretton Woods Institutionen müssten reformiert oder abgeschafft werden. In Prinzip dienen sie vor allem den Interessen der Vereinigten Staaten, aber nicht der Weltgemeinschaft. Man kann andere multilaterale Vereinbarungen treffen. Leider handeln die Weltbank wie auch der IWF zu oft nur gegen die UN Charta. Die Politik der sogenannten `austerity measures`  bzw. `Sparmaßnahmen` im Sozialbereich wären endgültig einzustellen. Allerdings hätte  `austerity` in den militärischen Bereich Einzug zu halten: Das hieße kein Wettrüsten, keine `regime change coups` bzw.`Regime Putsche`, wie z.B. in der Ukraine 2014 oder Bolivien 2019 und keine Kriege mehr. Zusätzlich wären die Bedingungen der Kreditvergaben durch den IWF radikalen Reformen zu unterwerfen9.

Frage: Die globalen Verhältnisse heute spiegeln extreme Disparitäten wider. Die Agenda 21 – ein Aktionsplan der UN aus dem Jahr 1992 – sollte den drohenden Verwerfungen entgegenwirken. Was konnte bisher erreicht werden? Was ist mit dem Plan schief gelaufen? Wo sehen Sie die heutigen Prioritäten und wichtigsten Handlungsbedarf?

AdZ: Die Agenda 21 war eine noble Idee. Sie entstand zur Zeit der Euphorie um Francis Fukuyamas Idee vom “Ende der Geschichte” und nach der Implosion der Sowjetunion. Doch die Probleme bestehen weiter und sind noch viel größer geworden. Die Entwaldung, wie wir sie aus Studien des WWF kennen, schreitet in Brasilien, Afrika und Asien stetig voran. Biden lässt die USA wieder an der Pariser Klimavereinbarung teilnehmen und vielleicht werden die Klimawandel – und Biodiversität Konventionen gestärkt werden. Ferner muss man die bestehenden Mechanismen des UN Umweltprogramms (UNEP) noch besser durchfinanzieren. Doch leider werden zu viele Mittel mit Wettrüsten und Kriegen verschwendet.  Dazu existiert mein Bericht an den Menschenrechtsrat aus dem Jahr 201410.

Frage:  In dem Report – “The Crises of Democracy”  – über die `Regierbarkeit von Demokratien“ an die Trilaterale Kommission (Quelle: Crozier, Michel/Huntington, Samuel P./Watanuki, Joji: The Crisis of Democracy. Report on the Governability of Democracies to the Trilateral Commission. New York: New York University Press 1975) stellen die drei Autoren fest, dass der demokratische Prozess in den USA nicht von externen Faktoren…, vielmehr jedoch von der „internen Dynamik der Demokratie selbst, durch eine hochgebildete, mobile teilhabende Gesellschaft“ bedroht wäre. Stellt jene Empfehlung aus dem Jahr 1975 an die Auftraggeber besagten Reports den Startschuss bzw. die schriftliche Kampfansage transnationaler Kreise an die lästige Konkurrenz `Mittelstand` als die tragende Säule einer erfolgreichen Industriegesellschaft dar?

AdZ: Wir kennen keine Demokratie in den Vereinigten Staaten – es ist eine leere Schale, eine Etikette, eine Farce.  Eine Semidemokratie genießen wir in der Schweiz, wo wir Schweizer Bürger Initiativrecht besitzen und neue Gesetzgebungen vorschlagen können. In der Schweiz üben wir das Referendum-Recht kontinuierlich aus.  In den Vereinigten Staaten regieren Lobbyismus, der militärisch-industrielle Komplex und natürlich auch Wall Street. Zwar besteht die Möglichkeit alle zwei oder vier Jahre zur Urne zu schreiten, aber das Wahlrecht ist nicht demokratisch – es ist keine echte Wahl, nur eine zwischen Pest und Cholera. Ein progressiver Kandidat hat absolut keine Chance – wie z.B. Kongressfrau Tulsi Gabbard, die von der Presse fertig gemacht wurde. Die Wahlen in den USA gleichen Sportveranstaltungen, um auf die Mannschaft A oder B zu setzen. Zugleich versagt jene “Repräsentative Demokratie”, weil ihre Repräsentanten nicht die Bürger, sondern nur Lobbys vertreten. Der Mittelstand bleibt mehr oder weniger machtlos. Dazu kommt eine Lügen- und Lückenpresse, die die Massen einer täglichen Manipulation und Indoktrination unterzieht.

 Frage: In den Jahrzehnten nach jener Kampfansage aus dem Jahr 1975, wurde das Wachstum der Mittelklasse westlicher Staaten tatsächlich umgedreht. Die gegenwärtigen `Lockdowns` scheinen einmal mehr auf den Mittelstand zu zielen. Wem nützt dieser Trend?

AdZ: Den transnationalen Großkonzernen – sie wachsen und bedienen sich. Es war unverfroren, wie Banken, die in den Jahren 2007 und 2008 die große Wirtschaftskrise verursachten, gerettet wurden, anstatt die verantwortlichen `Banksters` vor Gericht zu stellen.

Frage: Vor den heißen Kriegen kommt es vielfach zu sogenannten „Sanktionen“ – wie sehen Sie dieses Instrument eines Krieges mit anderen Mitteln?

AdZ: Für mich zählen Sanktionen zu den Methoden Nicht-Zielgerichteter-Waffen,    indiscriminate weapons, die wahllos töten und als `kollektive Bestrafung` gelten  – beides ist nach Völkerrecht bzw. internationalem humanitären Völkerrecht verboten. Die Wirtschaftssanktionen, die von den USA gegen Cuba, Venezuela, Syrien und den Iran verhängt worden sind, stellen Verletzungen  gegen die UN Menschenrechtsabkommen und Genfer Konventionen durch die USA dar. Sie verletzen das Recht auf Leben unter den Ärmsten der Armen und haben abertausenden Opfern das Leben gekostet, wie beispielsweise 40.000 Tote allein in Venezuela im Jahr 201810 – die Opfer der nachfolgenden Jahre noch gar nicht eingerechnet. Solche Sanktionen fallen unter den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit unter Verletzung von Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Sie können auch als `Staatsterrorismus` bezeichnet werden, der unzähliges Leid und Willkür über die Menschen nur bringt.

Was Interventionen anlangt, habe ich in zahlreichen meiner Berichte an die UN Generalversammlung und den Menschenrechtsrat klar festgestellt: Die verbrecherische Doktrin R2P – Responsibility to Protect oder Pflicht zum Eingreifen – gemäß`Orwellschem Neusprech` ist ein reiner Schwindel, um das Gewaltverbot nach Artikel 2(4) der UN Charta auszuhebeln. Doch sie stellt lediglich eine Resolution (Res. 60/1) aus dem Jahr 2015 dar, welche das ius cogens – das zwingende Recht – des übergeordneten Gewaltverbots nach der UN Charta nicht zu schwächen vermag.

Eine Intervention ohne Genehmigung des Sicherheitsrates, wie z.B. im Jugoslawien Konflikt 1999, Iraq 2003 oder in Bergkarabach durch Aserbaidschan mit der Türkei im Jahr 2020, stellt  darüber hinaus das Verbrechen der Aggression nach dem Statut von Rom dar, welches unter die Jurisdiktion des Internationaler Strafgerichtshof in den Haag fällt, der Untersuchungen eröffnen und einen ordentlichen Prozess mit Verurteilungen anstrengen kann.

Frage: Die Weltbevölkerung sie wächst, wie auch die immensen Herausforderungen aufgrund wachsender globaler Probleme. Welche Rolle bzw. welchen Beitrag zur Lösung jener Situation erwarten Sie von den Weltreligionen?

AdZ:  Die Weltreligionen tragen eine Mitverantwortung für die Misere, die wir erleben.  Religion ist nicht nur Ritus – nicht nur das Glauben an Jehova, Christus oder Allah. Religion bedeutet Verpflichtung, bedeutet nicht nur Anbetung sondern auch pro-aktive Nächstenliebe. Ich selbst bin Katholik und bedauere, dass die katholische Kirche zu wenig unternommen hat, um den `disaster capitalism` – `Disaster-Kapitalismus` – nach Naomi Klein –  stärker zu bekämpfen und als total inkompatibel mit dem Neuen Testament zu erklären.  Ich mache mir große Sorgen über die Radikalisierung des Islams, eine Religion die sehr reformbedürftig scheint. Es gibt natürlich gute Priester, Bischöfe und Päpste. Es gibt gute protestantische Pastoren, Rabbiner und gute Imans, aber ich glaube nicht, dass die Mehrheit ihrer Verantwortung gerecht wird. Ich habe Sorge, dass die Religionen noch einmal dazu missbraucht werden könnten nicht den Frieden zu fördern, sondern zu Kreuzzügen oder Jihads gegen Andersgläubige anzustiften.

Frage: Sind die Weltreligionen noch ausreichend eingebunden oder werden sie von säkularen und übermächtigen politischen Kräften aus dem Geschehen immer weiter hinausgedrängt?

AdZ:  Die Weltreligionen sind längst hinausgedrängt worden. Tatsächlich gibt es eine neue “Säkular-Religion” bzw. “Ersatz-Religion” und die heißt “Menschenrechte”.  Derartige Menschenrechte werden dogmatisch missbraucht.  Ich habe in meinen Berichten an die Generalversammlung und an den Menschenrechtsrat oft von den “zur Waffe gemachten Menschenrechten” gesprochen und  konnte es belegen. Der Gedanke an die “Menschenwürde” – die Quelle aller Menschenrechte –  scheint verloren gegangen zu sein.  Man sieht wie Menschenrechte selektiv eingesetzt werden: einmal so – einmal anders. Man sieht, wie menschenverachtenden Handlungen, die von unseren “Alliierten” begangen werden, ignoriert oder toleriert werden, und nur die Menschenrechtsverletzungen unserer “Feinde” bzw. geopolitische Herausforderer angeprangert werden. Ich nenne das “Menschenrechte à la carte”.  Überall ist zu beobachten, wie gewisse Menschenrechte missbraucht werden, um wichtigere Menschenrechte zu marginalisieren oder abzuschaffen.  Im Westen gilt vor allem das Recht auf Privateigentum. Man kümmert sich herzlich wenig um das Recht auf Nahrung, Wasser oder Unterkunft. Es gibt auch die Zeitgeist-Menschenrechte, die enorme `Popularität` genießen.  Ich empfinde das ähnlich einem “Geschmack nach Zeitgeist”,  wie z.B. die “neuen” LGBT-Rechte.  Warum so etwas – sind wir nicht alle gleich?  Haben wir nicht alle dieselben Rechte oder will man Spezialrechte bzw. Privilegien schaffen?  Alle, die nicht vorbehaltlos mitgehen, werden sofort in die Ecke gestellt. Was ist vom Recht auf die Meinungsfreiheit heute geblieben?  Müssen wir alle eine Einheitsmeinung vertreten, um bei Zuwiderhandlung soziale Diskriminierung bzw. eine soziale Ausgrenzung zu erleiden?

Frage: Noch vor der Epoche der großen Säkularisierung, unterstellte Jean-Jack Rousseau dem Christentum mit seinem Autoritätsanspruch und seiner Jenseitsbezogenheit die staatliche Geschlossenheit zu untergraben. In seinem Werk „Der Gesellschaftsvertrag (1760)“ mahnte Rousseau eine `staatlich republikanische Religion` – eine `Zivilreligion` – ein, um vermeintlicher staatlicher Schwäche entgegenzuwirken. Haben überstark säkular-industrielle Entwicklungen seither ggf. zu der umgekehrten Problemlage geführt?

AdZ:  Genau – Christentum ist die Bergpredigt (Matthäus V, 1-9). Christentum sind die sieben Werke der Barmherzigkeit (Matthäus XXV, 36-37).  Rousseaus “sozialer Kontrakt” beruht auf einer gewissen Idealisierung des Menschen, aber man erkennt durchaus eine Moral und Ethik. Rousseau glaubte an die Menschenwürde, an das Gute im Menschen.  Heute zollt man den Menschenwürden Lippenbekenntnisse – mehr aber nicht. Es ist schockierend, wie aus guten Ideen und Beweggründen schreckliche Dystopien geworden sind.  Man denke an “La Terreur” (Schreckensherrschaft unter der französischen Revolution) unter dem Comité de Salut Public (dem Wohlfahrtsausschuss  dort) oder den “Tugend-Meister”  Maximilien François Marie Isidore de Robespierre. Man denke an Pol Pot in Kambodscha. Fanatiker wird es leider immer wieder geben.

Frage: Im Jahr 2011 wies eine wissenschaftliche Studie der ETH Zürich nach: 147 supervernetzte transnationale Konzerne kontrollieren mehr als 40% der Weltwirtschaft. Versucht diese Minderheit transnationaler Monopolisten neben ihren wirtschaftlichen  Interessen ggf. eine ähnliche Kontrolle auch auf das politische Gebiet auszuweiten?

AdZ:  Das tun sie schon lange und mit Erfolg. Unglaublich wie sie gegen die Sozialpolitik vieler Staaten vorgehen. Ich habe die infamen “Freihandelsverträge”  und die Kapitel zum Schutz der Investoren in zwei Berichten an den Menschenrechtsrat und an die Generalversammlung analysiert und horrende Fälle aufzeigen können. Die sogenannten Investor-State-Dispute-Settlement Arbitrations –  Schiedsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten – verstoßen contra bonos mores – gegen alle guten Sitten – und sind eine Aberration.  Diese Schiedsgerichtsbarkeit hat viele Staaten davon abgehalten z.B. die Mindestlöhne zu erhöhen oder umweltgefährdende Industriebetriebe, wie z.B. gewisse Minen, zu schließen12.

Frage: Das Wissenschaftsmagazin `New Scientist` bezeichnete jene globalen Kartellstrukturen als `kapitalistisches Netzwerk`. Es fällt schwer von einer Sache zu sprechen, die bisher nur verwaschene Namen trägt. Hätten Sie für jene globalen Weltenherrscher ggf. eine bessere Bezeichnung anzubieten?

AdZ: Naomi Klein spricht in ihrem Buch `The Shock Doctrine` von `Desaster Kapitalismus`. Ich würde dafür Begriffe wie Finanzmafia oder Geier des Kapitals verwenden.

Sie verhalten sich ganz wie Racketeers bzw. Gangster, Gauner oder Halsabscheider.  Man müsste gegen sie eine Anti-Kartell-Strafgesetzgebung zur Anwendung bringen, denn sie betreiben Machenschaften und Betrug, die gegen das Wohl des Volkes gerichtet sind. Ihr neuester Schwindel heißt `Great Reset``Die große Wende`: Ein Anschlag epischen Ausmaßes.

Frage: Mit welchen Steuerungselementen müssen sich jene Globalisten auf Grund ihrer geringen Zahl bzw. `Personalknappheit` im Verhältnis zur Weltbevölkerung behelfen?

AdZ: Die Anzahl der Akteure ist in der Tat begrenzt, aber sie haben ihre`Secret Societies`,  – de facto Geheimgesellschaften bzw. auch nicht so geheime Zirkel. Die nach außen sichtbaren Organisationen heißen, World Economic Forum, Atlantic Council, Council on Foreign Relations, Club of Rome, “World Government Summit”, Trilateral Commission und natürlich die Bilderberger. Hinzu kommen noch `Stiftungen`, wie z.B. die Bertelsmann Stiftung in Deutschland, der German Marshall Fund of the United States, das Aspen Institute, die Heritage Foundation oder das American Enterprise Institute in den USA und andere.

Frage: Werden die verbliebenen sechs US Medienkartelle sowie noch drei (letzten) maßgeblichen Presseagenturen von staatlichen oder überstaatlichen Kreisen kontrolliert?

AdZ: Die Medienkartelle sind Orwellsche Konstruktionen, Feinde der Meinungsfreiheit, Feinde des Pluralismus, Feinde der Menschenwürde. Sie manipulieren uns alle. Man kann sich ihrer kaum entziehen, denn auch das Internet wird kontrolliert und zensiert, wie der Umgang mit `Suchmaschinen` von beispielsweise Google, Bing oder Ecosia schnell zeigt:  Politisch-korrekte Ergebnisse werden vorrangig präsentiert. Es bedarf großer Hartnäckigkeit, um ggf. die gesuchten Informationen auf den hinteren Seiten mit Glück zu finden. Die Algorithmen bilden die Waffen der Kuratoren des Internets um Informationen hinter Datenmüll unverfänglich zu verstecken.

Frage: Sehen Sie Interessenskonflikte in dem Umstand, dass 193+2 UN Mitgliedsstaaten es zulassen, Teile ihrer Organisation von transnationalen Finanzquellen alimentieren zu lassen?

AdZ: Die Vereinten Nationen brauchen Geld: Es ist sehr schade, dass CERN das European Council for Nuclear Research – nach ihrer Entwicklung des World-Wide-Webs, die enormen Einnahmemöglichkeiten aus dieser Quelle der Welt nicht gratis gestiftet hatte. Hätte jeder Verwender des Internets nur einen Cent für die UNO abgeben müssen, wäre die Finanzierung der UNO über Jahrzehnte hinaus gesichert gewesen und es hätte nicht anderer fragwürdiger Querfinanzierungen bedurft.

Frage: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die politischen und monopolistischen Ambitionen transnationaler Gruppierungen wirksam einzugrenzen und zurückzudrängen?

AdZ: Man müsste bei der Ausbildung anfangen. Während drei Jahren meines Jura Studiums in Harvard habe ich das Wort `Ethik` niemals vernommen.  Man wird konditioniert nur Geld zu verdienen und alle Mittel einzusetzen, um nur Gewinner zu sein:`The Winner takes it all` – `Der Sieger nimmt alles` – das ist die Mentalität der meisten Anwälte und Wallstreet Vertreter. Keiner sieht sich als Mitglied einer Gesellschaft. Es geht um `Individualismus` – das sogenannte `adversary system` – das `kontradiktorische System` nach anglikanischem Gewohnheitsrecht im Common Law.  Nicht einmal die meisten Richter scheinen sich für die Idee der “Justiz”  begeistern zu lassen.  Es geht um den reinen “Positivismus”, und die ungerechten Gesetze so anzuwenden, dass der status quo erhalten bleibt.

Natürlich könnten Antikartell-Strafgesetze gegen Monopole dem Wirtschaftsverbrechertum gewisse Grenzen setzen. Neben Geldstrafen, sollten jedoch auch den Führungsorganen, wie Vorständen im Fall einer Verurteilung Gefängnis drohen. Das würden sie sich gut merken.

Frage: Was verstehen Sie unter der neuen  Formel „The Great Reset / Der Große Wandel“?

AdZ: Ein großer Schwindel, um sicherzustellen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Wir brauchen keine Wirtschaftsordnung von oben nach unten, die nur den Vorstellungen selbsternannter Eliten entspricht. Das Weltwirtschaftsforum gehörte aufgelöst. Diesem wäre das von unten nach oben organisierte Weltsozialforum vorzuziehen, welches mit den entsprechenden Mitteln auszustatten wäre. Es gilt gegenüber Korruption aufgrund bekannter menschlicher Schwäche und Natur wachsam zu bleiben sowie der Unterminierung der Menschenrechte und wirtschaftlichen Ausbeutung mit Kreativität entgegenzuwirken.

Frage: Herr Schwab vom WEF meinte: „Jetzt ist der historische Augenblick nicht nur ums Überleben des Systems, sondern um seine Umgestaltung zu kämpfen: Für die Post-Corona-Ära. Was könnte Herr Schwab ggf. unter „System“ verstanden haben?

AdZ: Jetzt ist tatsächlich die Gelegenheit, die Weltwirtschaft menschenfreundlicher zu gestalten, die Prioritäten zu ändern  und auf das Recht auf Bildung, Gesundheit und bessere Arbeitsbedingungen, sowie auf die Menschenrechte zu setzen.  Dazu sind schöne Worte und Lippenbekenntnisse im WEF gefallen. Aber ich bezweifle, dass Klaus Schwab tatsächlich ein System will, das es für die Eliten schwerer macht, alles an sich zu raffen.  Ein System von Gesetzen, welches das Wohl des Volkes anstrebt, die Menschen über den Profit stellt,  Steuer-Paradiese abschafft und Spekulation begrenzen wollte – das möchte ich sehen!

Frage: Wer hat das existierende „System“ geschaffen, weltweit betrieben bzw. zeichnete bisher dafür verantwortlich? 

AdZ: Es sind die Banken und der militärisch-industrielle Komplex sowie transnationale Geschäftskonstruktionen, im Verbund mit den Consulting – und Buchprüfungsfirmen, wie z.B. Price Waterhouse Deloitte, Ernst & Young oder KPMG. Meine Berichte an die Generalversammlung und an den Menschenrechtsrat untersuchten die Rolle der großen Rechtsanwaltskanzleien, die zusammen mit Banken im Auftrag von Großkonzernen, wie z.B. Google oder Apple ausgeklügelte juristische Konstrukte schufen, die der Gesellschaft schaden und diese betrügen.

In meinem Bericht aus dem Jahr 2016 an die Generalversammlung A/71/2865 schlug ich zum Thema Steuer- & Militärausgaben folgende Maßnahmen u.a. vor: … Ein Gesetzesentwurf im Vereinigten Königreich zielt darauf ab, das Recht des Einzelnen anzuerkennen, aus moralischen Gründen aus dem Krieg auszusteigen und keine Steuern für den Krieg zu zahlen, da sie durch Steuern das finanzieren würden, was sie für unmoralisch halten. Wenn die Regierungen dieses Recht anerkennen und die Steuern von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen für Maßnahmen zur Konfliktverhütung verwenden würden, wäre dies ein bedeutender Schritt für die Zivilisation.13

Steuerumgehung, Steuerhinterziehung und Steueroasen berauben die Länder der Einnahmen, die zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Menschenrechtsverträgen, zur Armutsbekämpfung, zur Verbesserung der Rechtspflege, zur Gewährleistung von Rechtshilfen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen, zum Aufbau von Infrastrukturen, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen erforderlich sind samt soziale Sicherheit, hochwertige Gesundheitsdienste und kostenlose Bildung…

Dazu bemerkte Dwight D. Eisenhower treffend13: „Jede Waffe, die hergestellt wird, jedes Kriegsschiff, jede abgefeuerte Rakete bedeutet letzten Endes einen Diebstahl an all jenen, die hungern und nicht versorgt werden, denen kalt ist und keine Bekleidung zur Verfügung steht. Diese Welt in Waffen braucht nicht nur Geld. Sie verbraucht auch den Schweiß seiner Arbeiter, das Genie seiner Wissenschaftler und die Hoffnungen seiner Kinder.“

Frage: Der Exekutivdirektor des WFP, D. Beasley, hat vor der schlimmsten humanitären Krise seit 75 Jahren gewarnt, mit der die Welt 2021 konfrontiert werden könnte: Aufgrund militärischer Konflikte befänden sich schon 135 Millionen Menschen am Rande des Hungertodes – doch wegen Covid-19 würde sich die Zahl der Opfer auf 270 Millionen verdoppeln. Rechtfertigt diese `goldene Gelegenheit` (Prince Charles) oder `große Chance` (K. Geogiewa – Vorsitzende IWF) zum sogenannten Großen Reset 135 Millionen Hungertote?

AdZ: Nicht zum Großen Reset – aber zu einem neuen Social Contract – Gesellschaftsvertrag, wie ich in einem Artikel für das South-Centre14 u.a. jüngst schrieb:

Die Welt nach Covid erfordert einen neuen Gesellschaftsvertrag. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen sollte eine Weltkonferenz einberufen, die auf Multilateralismus und internationaler Solidarität beruht. Dies brächte einen Paradigmenwechsel für die vorherrschenden Wirtschafts-, Handels- und Sozialmodelle mit sich. Die Regierungen tragen die Verantwortung für nicht ausgewogene Mittelzuweisungen, wenn immer Militärausgaben Vorrang vor Investitionen in Gesundheit, Bildung und personenbezogene Infrastrukturen haben. Ein neues funktionales Paradigma für Menschenrechte sollte bisherige Verwerfungen adressieren und neue Kategorien von Ermächtigungsrechten, inhärenten Rechten, Verfahrensrechten und Endrechten in Kraft setzen, um die Menschenwürde und Entwicklung für alle zu gewährleisten.15

Frage: Wäre es sinnvoll zur weltweiten Armutsbekämpfung auch eine nachhaltige Industrialisierung bisher vernachlässigter Regionen im Inneren der Kontinente gemäß der Belt & Road Initiative im Zuge des Ausbaus der Neuen Seidenstraße gemeinsam mit China voranzutreiben?

AdZ: Ich halte dies durchaus für sinnvoll und nötig. Aber dafür bräuchte es geeignetere Meinungsführer bei den Massenmedien, doch diese stehen überwiegend auf der Seite der Ausbeuter.

Frage: Stellen die staatliche Eingriffe in das private und familiäre Leben im Zuge der Covid-19 Lockdowns, Verstöße gegen Artikel 8(2) der ECHR – European Convention of Human Rights – dar?

AdZ: Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit muss stets gewahrt bleiben. Eingriffe in das private und familiäre Leben sind nur unter sehr bestimmten Bedingungen zulässig. Diese Bedingungen sind heute nicht gegeben. Darum entstehen Verletzungen nach Artikel 17 und 23 des UNO Paktes zu den bürgerlichen und politischen Rechten, die auch einen Verstoß gegen Artikel 8(2) der ECHR darstellen.

Frage: Höchststände staatlicher Verschuldung sowie die Dringlichkeit der anstehenden globalen Herausforderungen empfehlen die Ausgaben für den militärisch-industriellen Komplex zugunsten ziviler Entwicklungsprojekte weltweit drastisch zu senken bzw. zu begrenzen. Welche Hürden stehen einer globalen Abrüstungsinitiativ dabei im Wege?

 

AdZ: Der militärisch-industrielle-finanzielle Komplex wird alles tun, um die Senkung der Militärausgaben zu verhindern. Das Verhalten von Rüstungsfirmen wie z.B. Lockheed Martin oder Boeing sollte unter den Rechtsbegriff `hostis humani generis`fallen, welcher sich aus altem Seerecht herleitet und einst Piraten und Sklavenhalter zu `Feinden der Menschheit ` stempelte bzw. zu Geächteten oder Vogelfreien erklärte

Mein 2014 Bericht an den UN Menschenrechtsrat beinhaltet spezifische Vorschläge14 an die verschiedenen Zielgruppen, wie Staaten, Parlamente, Zivilgesellschaft und den UN Menschenrechtsrat, um die Lage zu ändern. Meine Empfehlungen an die Staatengemeinschaft beinhalten u.a. folgende Reformvorschläge:

Die Staaten sollten dem Menschenrechtsrat regelmäßig Auskunft über ihre Militärausgaben erteilen und jenen die Ausgaben für Bildung, Gesundheitsversorgung, Justizverwaltung usw. gegenüberstellen. Die Staaten hätten sicherzustellen, dass ihre Angaben den Vorgaben des Menschenrechtsrates entsprechen und seinem regelmäßigen Überprüfungsmechanismus standhalten. Regierungen wären zu überzeugen einen größeren Prozentsatz ihres Budgets für die Förderung der bürgerlichen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte aufzuwenden und konkrete Vorschläge für die Umstellung vom militärischen auf den zivilen Bereich zu unterbreiten. Die Militärausgaben von Staaten in Konfliktzonen und international umstrittenen Gebieten, die zu Besetzung, Kolonialisierung und Ausbeutung führten, wären ebenfalls einer regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen.

Nachhaltige Lösungen in Bezug auf internationale Finanzkrisen wie auch dislozierte Volkswirtschaften folgen der Einsicht, dass überzogene Militärbudgets und Armeen sowie nukleare Arsenale nur Anachronismen darstellen. Die Zivilgesellschaft fordert Transparenz, Rechenschaftspflicht und vor allem das Recht auf wirksame Beteiligung an der Festlegung von Haushaltsprioritäten, die nicht in den Händen von Rüstungsunternehmen und deren Lobbyisten verbleiben dürfen.

Frage: Die der Höhe der Rüstungsausgaben einzelner Staaten scheint weltweit allergrößten Verwerfungen zu unterliegen: Die diesbezüglichen Ausgaben der USA übersteigen die kumulierten Militärbudgets der jährlichen Militärausgaben der in der Rangfolge den USA nachfolgenden zehn nächsten Staaten. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um globale Abrüstungsinitiativen langfristig wirksamer durchzusetzen?

AdZ: Es wäre Aufgabe der Medien, dies den Bevölkerungen klar zu machen. Doch dies setzt voraus, dass Massenmedien nicht dem militärisch-industriellen-finanziellen Komplex unterstünden. Eine Nicht-Regierungsorganisation wie das International Peace Bureau versuchte ihr Bestes, doch musste z.B. ihr Büro in Genf mangels Geldes vor drei Jahren schließen. Die UNO könnte und sollte in dieser Hinsicht noch stärker proaktiv tätig werden.

Frage: Bedarf es dazu der Gründung möglicher neuer internationaler Gremien oder Organisationen? Falls ja und unter Berücksichtigung nützlicher Lehren aus Ihren bisherigen Erfahrungen mit und innerhalb der UN, wie wären diese am besten zu organisieren?

AdZ: Der Stärkung bestehender Mechanismen ist Vorzug einzuräumen. Dazu gilt es, die Vereinten Nationen besser zu finanzieren und die Disarmament Conference  – die Abrüstungskonferenz – in Genf zu beleben. Keinesfalls darf man aufgeben – gutta cavat lapidem – der stete Tropfen höht den Stein – es geht um die Vermittlung der rechten Informationen: Wenn die Bevölkerung wüsste, was wir wissen, würde sie andere Politiker wählen und eine andere Haushaltspolitik durchsetzen.

Unser Mitteleuropa: Professor de Zayas – wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte das CC/HK.

Quellenverzeichnis:

[1] Alfred de Zayas “Peace” in William Schabas (ed.) Cambridge Companion to International Criminal Law, Cambridge, 2016, S. 97-116.

2 https://digitallibrary.un.org/record/74608?ln=en

3 https://unitingforpeace.com/unesco-declaration-on-a-culture-of-peace/

4 A de Zayas, Bericht an die Generalversammlung 2014,  A/69/272,

https://undocs.org/A/69/272
https://www.icj-cij.org/en/case/141

5 https://undocs.org/A/68/284 paras 15 et seq.

6 See Joseph Schwartzberg, Creating a World Parliamentary Assembly (Committee for a Democratic United Nations, Berlin, 2012); Richard Falk and Andrew Strauss, “Toward Global Parliament”, Foreign Affairs (Jan/Feb 2001). See http://ssrn.com/abstract=1130417.

7 See http://www.opendemocracy.net/article/boutros-boutros-ghali/UN-parliament-global-democracy.

8 https://undocs.org/A/HRC/36/40  siehe meinen 2017 Bericht an den Menschenrechtsrat

siehe auch meinen Bericht über den IMW an die Generalversammlung https://undocs.org/A/72/187

9 https://undocs.org/A/72/187

10 Jéffrey Sachs/Mark Weisbrot, “Collective Punishment” https://cepr.net/report/economic-sanctions-as-collective-punishment-the-case-of-venezuela/

11 https://undocs.org/A/HRC/27/51

12 https://undocs.org/A/HRC/30/44

https://undocs.org/A/70/285

13 www.conscienceonline.org.uk/wp-content/uploads/2016/06/Taxes-for-Peace-Bill-2016.pdf

Siehe auch Human Rights Council resolution 26/9 sowie:

www.globalreporting.org/Pages/FR-CSX-2016.aspx

14 https://www.southcentre.int/southviews-no-197-22-may-2020/

15 https://undocs.org/A/HRC/27/51

 

Von Redaktion

3 Gedanken zu „Alfred de Zayas: Ein neuer Gesellschaftsvertrag für das neue Jahrtausend“
  1. Alle Globale mündet in Kriminalität und Verantwortungslosigkeit. Die UNO als Weltaußenministerium und alle anderen Buchstabenkonstrukrionen sind aufzulösen. Die Völker müssen ihr Selbstbestimmungsrecht zurückerhalten.

  2. Denke ich an einen solche Vertrag auf nationaler Ebene, dann:

    Voll am Thema vorbei. Mit wem will er denn einen Vertrag machen, der dann auch gehalten wird? Mit denen, die den alten täglich brechen? Und welche Justiz soll dann deswegen einschreiten? Jene, die bisher nie etwas getan hat, sondern ein Mittäter ist?

    IM großen Rahmen, “UNO” = Weltkommunismusbehörde:

    Zu dem alten Vertrag wurde nie einer befragt, er wurde vielen aufgezwungen und ist nichts anderes als eine befohlene Diktatur, die man so nicht nennen darf. Sie sollte die Machtverhältnisse betonieren, was schon mit dem Völkerbund versucht wurde. Jeder macht dort was er will, für sich selbst, ein gemeinsames “Wir” gibt es nicht.
    Aber natürlich würde das jetzt dann total anders, weil die KPC so ein lieber Mitspieler ist, als werdende Weltmacht und die USA so gerne schneller ihren Status als Weltmacht verlieren wollen, als sie diesen eh schon verlieren.

    “Staaten wie Indien, Indonesien, Südafrika, Brasilien, Mexico sowie auch Japan und Deutschland”

    Dazu fällt mir ein Wort ein, totale Korruption. Genau was der korrupte Sauhaufen UNO braucht, mehr davon, mit diesen Staaten garantiert.

    “Die Arbeiten des Politwissenschaftler Arjun Chowdhury ergaben, …”

    Genau, Marxismus, ist nicht aus sich selbst lebensfähig, wird aber von den verblödeten Weißen künstlich am Leben erhalten. Wir haben es ja …

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