Arme­nien leistet gegen die Offen­sive Aser­bai­dschans allein Widerstand

Armenischer Soldat beim Gebet an der Front in Berg-Karabach · Foto: EuroLibertés

Von Olivier Bault *

Das Mindeste, was man über die aser­bai­dscha­ni­sche Offen­sive in Berg-Kara­bach sagen kann, ist, dass Bakus Blitz­kriegs­stra­tegie geschei­tert ist. Die Repu­blik Arzach (in engli­scher Tran­skrip­tion Artsakh, arme­nisch Արցախի Հանրապետություն Arzachi Hanra­pe­tutjun), die inter­na­tional nicht aner­kannt ist, aber histo­risch und demo­gra­phisch zu 95% arme­nisch ist und mili­tä­risch von Arme­nien vertei­digt wird, scheint der neuen aser­bai­dscha­ni­schen Offen­sive, die von schlecht einge­hal­tenen Waffen­still­stands­ver­ein­ba­rungen gekenn­zeichnet ist, wirksam Wider­stand zu leisten. Die Arme­nier beklagen bereits 1.000 Tote in ihren Reihen, behau­oten aber, mindes­tens 4.000 aser­bai­dscha­ni­sche Soldaten getötet zu haben. Beob­achter vor Ort halten diese Zahl für über­trieben (Aser­bai­dschan gibt keine Auskunft über seine mili­tä­ri­schen Opfer­fälle) und schätzen die wahr­schein­liche Zahl der Todes­opfer auf aser­bai­dscha­ni­scher Seite auf etwa 1.500. Ausge­rüstet mit türki­schen und israe­li­schen Drohnen, verur­sachte Aser­bai­dschan entweder absicht­lich oder verse­hent­lich eine Reihe von zivilen Opfern auf arme­ni­scher Seite und beschä­digte auch die arme­nisch-apos­to­li­sche Erlöser-Kathe­drale von Schu­schi (Schau­platz blutiger Pogrome im März 1920, als etwa 20.000 Arme­nier von den Aseris massa­kriert wurden) in der Nähe der Haupt­stadt Stepa­na­kert. Die Kathe­drale wurde am 8. Oktober inner­halb weniger Stunden zweimal bombar­diert. Gegen­wärtig versucht die aser­bai­dscha­ni­sche Offen­sive – vorerst vergeb­lich – die Region mit Bomben­an­griffen auf Marta­kert und die umlie­genden Dörfer von Arme­nien abzu­schneiden, obwohl sich diese Region am anderen Ende von Arzach befindet.

Seit 1992 bemüht sich die Minsker Gruppe der OSZE unter dem Vorsitz von Russ­land, Frank­reich und den Verei­nigten Staaten erfolglos um eine Lösung des Konflikts in der Region zwischen den christ­li­chen Arme­niern und den musli­mi­schen Aseris. Während der Konflikt bisher in erster Linie ethni­scher Natur war, bekommt er mit dieser neuen Offen­sive nun eine reli­giöse Dimen­sion: diese wurde offenbar auf Betreiben der Türkei gestartet, die beschul­digt wird, Aser­bai­dschan direkte mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung geleistet zu haben, insbe­son­dere in Form von etwa 1.000 syri­schen Dschi­ha­disten, die von Ankara in die Kampf­ge­biete verlegt wurden.

Während Aser­bai­dschan von der mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zung der Türkei, aber auch von Israel profi­tiert, dessen welt­weit zweit­größter Waffen­käufer es ist, scheint Arme­nien ganz allein zu stehen. Russ­land gewährt ihm derzeit außer den vor Beginn dieses neuen bewaff­neten Konflikts getä­tigten Waffen­ver­käufen keine weitere mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung, und Moskau verkauft auch Waffen an Aser­bai­dschan. Vorerst versucht Russ­land, als neutraler Vermittler aufzu­treten. Die Liefe­rung von Raketen nach Baku, die nach dem Ausbruch der Feind­se­lig­keiten am 27. September von Weiß­russ­land aus gelie­fert wurden, ist hingegen eher ein Zeichen der russi­schen Unter­stüt­zung für Aser­bai­dschan als der Unter­stüt­zung für Arme­nien. Obwohl Russ­land, Weiß­russ­land und Arme­nien alle Mitglieder der Orga­ni­sa­tion des Vertrags über kollek­tive Sicher­heit (CSTO) sind, fällt Berg-Kara­bach nicht unter dieses Vertei­di­gungs­ab­kommen, und Arme­nien selbst ist derzeit nicht Ziel der aser­bai­dscha­ni­schen Offen­sive. Und während der türki­sche Präsi­dent Recep Erdogan die Verei­nigten Staaten und Frank­reich beschul­digt hat, Waffen an die Repu­blik von Artsakh zu liefern, wird diese Infor­ma­tion vor Ort nicht bestä­tigt und stammt von einem Führer, der selbst die Aser­bai­dschaner skru­pellos unter­stützt, unter anderem weil sie Türken sind und weil Aser­bai­dschan sein Öl an die Türkei liefert. Es bleibt die Frage, inwie­weit Russ­land bereit ist, die Expan­sion des isla­mis­ti­schen Sultans von Ankara in die Region des Kaspi­schen Meeres zu tolerieren.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in fran­zö­si­scher Sprache in der Tages­zei­tung Présent.


*) Über den Autor:

Olivier Bault, seit Anfang der neun­ziger Jahre in Polen lebender Fran­zose, ist Warschauer Korre­spon­dent der Visegrád Post und der Tages­zei­tung Présent. Als frei­be­ruf­li­cher Jour­na­list, der die polni­schen und euro­päi­schen Nach­richten genau verfolgt, schreibt er auch in polni­scher Sprache in der polni­schen Wochen­zei­tung Do Rzeczy und in engli­scher Sprache auf der Website kurier.plus des polnisch-unga­ri­schen Koope­ra­ti­ons­in­sti­tuts Wacław Felczak.

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