Bernard Lugan: „Es sind im Wesent­li­chen unsere ehema­ligen kolo­nialen ‚Unter­tanen‘, die Frank­reich, ihr ehema­liges Mutter­land, über­schwemmen“ [Inter­view]

Bernard Lugan ist eine wich­tige Persön­lich­keit, insbe­son­dere um das Afrika von gestern und heute zu verstehen, aber nicht nur. Seine Tonfrei­heit, seine Frech­heit, seine Weige­rung, sich der poli­ti­schen Korrekt­heit und der Entdia­bo­li­sie­rung zu unter­werfen, machen ihn zu einem echten Dissidenten.

Dieser Dissi­dent hat gerade das Buch „Comment la France est devenue la colonie de ses colo­nies“ (Wie Frank­reich zur Kolonie seiner Kolo­nien wurde) geschrieben, dessen Inhalt Benjamin Stora, Macrons Lieb­lings­his­to­riker, zu einem Schlag­an­fall veran­lassen könnte.

Um über dieses Werk zu spre­chen, hat er sich für die Zeit­schrift l’Afrique réelle einem unver­zicht­baren Inter­view unter­zogen, das Sie unten finden.

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L’Afrique Réelle: Sie veröf­fent­li­chen ein Buch, in dem Sie erklären, dass die Folge der Kolo­ni­sie­rung von gestern die rück­wärts­ge­wandte Kolo­ni­sie­rung ist, die Frank­reich heute erfährt und die, wie Sie sagen, dazu führt, dass es zur „Kolonie seiner Kolo­nien“ wird. Ist die derzei­tige „große Erset­zung“ also eine Folge der Kolonialisierung?

Bernard Lugan: Eindeutig ja, und zwar aus zwei Gründen:

1) Die erste ist, dass es im Wesent­li­chen unsere ehema­ligen kolo­nialen „Unter­tanen“ sind, die nach Frank­reich, ihrem ehema­ligen Mutter­land, strömen. Die Zahlen spre­chen für sich. So gab es maximal 1,5 Millionen Fran­zosen, die im gesamten Kolo­ni­al­reich ange­sie­delt waren, davon mehr als zwei Drittel allein in Alge­rien. Heute leben in Frank­reich mehr als zehn Millionen Menschen aus dem ehema­ligen Kaiser­reich, einschließ­lich der einge­bür­gerten Personen, also zehnmal so viele wie es im gesamten fran­zö­si­schen Kaiser­reich „Kolo­nisten“ gab. Was die Alge­rier betrifft, die seit dem „Abkommen von Evian“ in den Genuss von Einrei­se­er­leich­te­rungen nach Frank­reich kommen, so haben 80% von ihnen Verwandte in Europa, vor allem in Frank­reich, wo es eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung gibt. Die rück­wärts­ge­wandte Kolo­nia­li­sie­rung wird also nicht aufhören, und das umso mehr, als viele dieser Neoko­lo­nia­listen ihre Lebens­weise auf immer größeren Teilen des fran­zö­si­schen Staats­ge­biets etablieren. Kann man also von etwas anderem spre­chen als von einer rück­wärts­ge­wandten Kolo­ni­sie­rung und von Frank­reich, das zur Kolonie seiner ehema­ligen Kolo­nien geworden ist?

2) Der zweite Grund, und hier liegt der Kern des Problems, ist, dass die herr­schende Ideo­logie diese heutige Kolo­ni­sie­rung mit der angeb­li­chen „kolo­nialen Plün­de­rung“ recht­fer­tigt, die wir gestern in Afrika betrieben hätten. Im Namen dieses Schuld­pos­tu­lats wird uns der derzei­tige Wechsel des Volkes aufge­zwungen, um für imagi­näre kolo­niale „Verbre­chen“ zu büßen.

Aus diesem Grund war es drin­gend notwendig, die Geschichte der Kolo­ni­sie­rung richtig zu stellen, denn neben dem Skla­ven­handel ist die Kolo­ni­sie­rung der zweite große Pfeiler der Anklage gegen den weißen Mann. Eine Ankla­ge­schrift, die es den Gedanken-Terro­risten ermög­licht, zu versu­chen, uns in einen Zustand der Unter­wer­fung zu versetzen. Mein Buch ist daher ein Kampf­in­stru­ment, das Wider­stands­kämp­fern die Argu­mente liefern soll, mit denen sie die kolos­sale und tödliche histo­ri­sche Dekon­struk­tion, der wir heute ausge­setzt sind, wider­legen können.

L’Afrique Réelle: Ihr Buch ist in zwei großen Punkten veran­kert. Im ersten Teil zeigen Sie anhand detail­lierter Zahlen, dass Frank­reich in Afrika nicht reicher geworden ist, sondern sich ganz im Gegen­teil ruiniert hat. Im zweiten Teil erläu­tern Sie das ideo­lo­gi­sche Substrat, das von den „Prin­zi­pien von 1789“ geerbt wurde, in deren Namen die repu­bli­ka­ni­sche Linke Frank­reich in die Sack­gasse der Kolo­nia­li­sie­rung geführt hat. Beginnen wir mit der Doxa, die behauptet, dass die fran­zö­si­sche Kolo­nia­li­sie­rung ein gutes Geschäft für Frank­reich war und dass sie durch über­schüs­siges Kapital verur­sacht wurde, für das man Absatz­märkte finden musste.

Bernard Lugan: Das ist eine große Lüge, denn Frank­reich hat sein über­schüs­siges Kapital nicht in seinen Kolo­nien inves­tiert. Vor 1914 waren die fran­zö­si­schen Kolo­nien in ihrer Gesamt­heit, einschließ­lich Indo­china, Alge­rien und der Antillen, für das fran­zö­si­sche Privat­ka­pital nicht attraktiv, da die privaten Inves­ti­tionen dort in etwa dem Volumen der im Osma­ni­schen Reich allein getä­tigten Inves­ti­tionen entspra­chen. Allge­meiner gesagt waren es – im Gegen­satz zu dem, was die „Deko­lo­nia­listen“ glauben machen wollen, und auch im Gegen­satz zu dem, was Jules Ferry postu­lierte – keine wirt­schaft­li­chen Gründe, die Frank­reich dazu veran­lassten, ein unbe­kanntes Afrika zu erobern, von dem per defi­ni­tionem alle nicht wussten, ob es Reich­tümer enthielt. Es waren auch keine Absatz­märkte für seine Indus­trie, die es nicht gab… Es waren poli­ti­sche oder stra­te­gi­sche, aber auch ideo­lo­gi­sche Gründe.

L’Afrique Réelle: Bleiben wir bei dem Postulat, dass Frank­reich durch die Kolo­nia­li­sie­rung reich geworden ist.

Bernard Lugan: Sie haben Recht, wenn Sie von diesem Postulat spre­chen, das impli­ziert, dass die Indus­tria­li­sie­rung und der Reichtum Frank­reichs auf der Ausbeu­tung und Plün­de­rung Afrikas beruhen würden. Ein wenig Logik ist ange­bracht, denn wenn Reichtum nach dem Maßstab der impe­rialen Besit­zungen gemessen würde, hätte Portugal eine indus­tri­elle Welt­macht sein müssen. Ebenso hätte die indus­tri­elle Revo­lu­tion in Frank­reich in den Regionen der großen Kolo­ni­al­häfen statt­finden müssen, d. h. in Nantes, Bordeaux oder La Rochelle, und nicht in Loth­ringen. Außerdem waren in den 1960er Jahren die reichsten und am weitesten entwi­ckelten Länder dieje­nigen, die nie Kolo­nien besessen hatten, wie die Verei­nigten Staaten von Amerika, Schweden und die Schweiz, oder die, die sie verloren hatten, wie Holland oder Deutschland.
Groß­bri­tan­nien und Frank­reich hingegen, die zusammen mit Portugal die wich­tigsten Kolo­ni­al­mächte waren, hinkten hinterher, da das in Übersee ausge­ge­bene Kapital nicht die Moder­ni­sie­rung und den Wandel der Indus­trien im Mutter­land ermög­licht hatte. Das Wunder ist, dass es Frank­reich trotz seines impe­rialen wirt­schaft­li­chen Klotzes dennoch gelang, sein Wohl­stands­ni­veau zu erreichen…

Ich stelle eine weitere Frage des gesunden Menschen­ver­standes: Da die Doxa behauptet, dass Frank­reich seinen Wohl­stand aus seinem afri­ka­ni­schen Reich bezog, warum ist seine Wirt­schaft dann nicht mit der Entko­lo­nia­li­sie­rung zusam­men­ge­bro­chen? Und warum profi­tierte es ganz im Gegen­teil von diesem Zusam­men­bruch? In den zehn Jahren nach der Unab­hän­gig­keit wuchs der fran­zö­si­sche Kapi­ta­lismus so stark wie nie zuvor, der Struk­tur­wandel vollzog sich so schnell und die Entwick­lung der fran­zö­si­schen Infra­struktur war so beein­dru­ckend. Nachdem Frank­reich von der wirt­schaft­li­chen und finan­zi­ellen Last der Kolo­ni­al­zeit befreit war, konnte es endlich in die Infra­struktur inves­tieren, die in den „glor­rei­chen“ Jahr­zehnten der 1960er bis 1990er Jahre entstanden war.

L’Afrique Réelle: Sie zeigen anhand von Zahlen, dass Frank­reich Afrika nicht ausge­plün­dert, sondern ganz im Gegen­teil sich selbst ruiniert hat. Um Ihre Beweis­füh­rung zu verdeut­li­chen, haben Sie die kolos­salen Summen, die Frank­reich in seinen Kolo­nien versenkt hat, in Euro umge­rechnet, wodurch der Ader­lass, den Frank­reich erlitten hat, sofort ersicht­lich wird und das Postulat der „kolo­nialen Ausplün­de­rung“ ad absurdum geführt wird.

Bernard Lugan: Für die Zahlen­listen, und die sind in der Tat aussa­ge­kräftig, verweise ich lieber auf mein Buch. Dennoch einige Beispiele. Nach 1945 und während die Entko­lo­nia­li­sie­rung im Gange war, star­tete Frank­reich, das aus dem Konflikt ruiniert hervor­ge­gangen war und seine gesamte Infra­struktur wieder aufbauen musste, insbe­son­dere 7000 von 9000 Brücken, 150 Haupt­bahn­höfe, 80% seines Fluss­schiff­fahrts­netzes, sein Eisen­bahn­netz, seine Fabriken, 50% seines Auto­mo­bil­parks usw., in seinem Kaiser­reich und somit mit für es verlo­renen Mitteln eine fantas­ti­sche altru­is­ti­sche Entwick­lungs- und Erschlie­ßungs­po­litik. Diese gigan­ti­schen Baupro­gramme, die auf Kosten des Mutter­landes durch­ge­führt wurden, ermög­lichten es, in Afrika 220 Kran­ken­häuser zu bauen, in denen Pflege und Medi­ka­mente kostenlos waren, 50.000 Kilo­meter asphal­tierte Straßen, 18.000 Kilo­meter Eisen­bahn­li­nien, 63 Häfen, 196 Flug­plätze, Hunderte von Stau­dämmen, Brücken, Kraft­werken, Tausende von Schulen, Kran­ken­sta­tionen, Entbin­dungs­sta­tionen, Wasser­lei­tungen, Modell­farmen, verschie­dene Gebäude usw. Die meisten dieser Projekte wurden von der fran­zö­si­schen Regie­rung finan­ziert, und die meisten wurden von der fran­zö­si­schen Regie­rung finan­ziert. Das kostete Frank­reich 22% aller Ausgaben aus öffent­li­chen Mitteln und wurde mit den Steuern und Erspar­nissen der Fran­zosen bezahlt. Und man wagt es, uns von „kolo­nialer Plün­de­rung“ zu erzählen!!!

Zwei weitere Beispiele: 1952, also mitten in der Vorbe­rei­tungs­phase der Entko­lo­nia­li­sie­rung, machten die Gesamt­aus­gaben Frank­reichs für seine Über­see­ge­biete ein Fünftel des fran­zö­si­schen Haus­halts aus – ein kolos­saler Prozent­satz, der für eine Wirt­schaft, die sich damals im Wieder­aufbau befand, selbst­mör­de­risch war. Allein in den Jahren 1946–1956 inves­tierte der fran­zö­si­sche Staat 120,42 Milli­arden Euro in seine Kolo­nien, um Infra­struk­turen zu schaffen, und allein im Jahr 1958, knapp zwei Jahre vor der Unab­hän­gig­keit, beliefen sich die Gesamt­aus­gaben für die Über­see­ge­biete auf 323 Milli­arden Euro.

L’Afrique Réelle: Sie schreiben, und das scheint auf den ersten Blick paradox, dass die Kolo­nien, die Frank­reich ruinierten, nur wenig wirt­schaft­li­ches Inter­esse für Frank­reich hatten, und im Gegen­satz zur Doxa, die postu­liert, dass Frank­reich sich dort mit stra­te­gi­schen Mate­ria­lien versorgte, zeigen Sie, dass dies nicht der Fall war.

Bernard Lugan: Stra­te­gisch der Reis, der Zucker, das Olivenöl, die Erdnüsse, die Baum­wolle und die Bananen, die fast 70% der fran­zö­si­schen impe­rialen Importe ausmachten? Stra­te­gisch der alge­ri­sche Wein, der 25% aller seiner impe­rialen Importe ausmachte? Ganz im Gegen­teil: Die impe­rialen mine­ra­li­schen Rohstoffe, einschließ­lich der marok­ka­ni­schen Phos­phate, machten 1910 nur 5,6% und 1958 nur 4,8% der fran­zö­si­schen Kolo­ni­al­im­porte aus.

L’Afrique Réelle: Sie zeigen ein weiteres Para­doxon auf: Die Kolo­nien verkauften Frank­reich impe­riale Produkte, die in keiner Weise stra­te­gisch waren und die Frank­reich auf dem inter­na­tio­nalen Markt hätte kaufen können, ohne die Last der Erschlie­ßung seines Reiches tragen zu müssen, zu einem höheren Preis als auf dem inter­na­tio­nalen Markt. Ein Unding!

Bernard Lugan: In meinem Buch zerstöre ich tatsäch­lich die Vorstel­lung, dass das afri­ka­ni­sche Reich für Frank­reich ein billiger Liefe­rant war. Als „gute Tochter“ kaufte Frank­reich seine Produkte immer etwa 25% über den Welt­markt­preisen. Und da es diese Produk­tionen im Vorfeld auch noch subven­tio­niert hatte, war der Verlust für Frank­reich doppelt so hoch, wie Jacques Marseille und Daniel Lefeuvre deut­lich gemacht haben. Einige Beispiele: Für einen Liter alge­ri­schen Wein wurden 35 Francs bezahlt, während grie­chi­scher, spani­scher oder portu­gie­si­scher Wein bei glei­cher Qualität 19 Francs wert war. Für Kakao von der Elfen­bein­küste wurden 220 Francs pro 100 Kilo gezahlt, als der Welt­markt­preis bei 180 Francs lag. Für Erdnüsse aus dem Senegal, Zitrus­früchte und Bananen im Allge­meinen lag der fran­zö­si­sche Kolo­ni­al­preis 15 bis 20 Prozent über den Welt­markt­preisen. 1930 lag der Preis für einen Doppel­zentner Weizen im Mutter­land bei 93 Francs, während der von Alge­rien ange­bo­tene Preis zwischen 120 und 140 Francs schwankte, also 30 bis 50 Prozent höher lag.

All dies führte zu Mehr­kosten für den fran­zö­si­schen Haus­halt. Allein in den Jahren 1954 bis 1956 beliefen sich diese Mehr­kosten auf über 50 Milli­arden FF, was 81 Milli­arden Euro entspricht. Zu dieser exor­bi­tanten Summe kommt noch die Kurs­stüt­zung für kolo­niale Produk­tionen hinzu, die Frank­reich allein in den Jahren 1956 bis 1960 jähr­lich 60 Milli­arden kostete, also 97 Milli­arden Euro pro Jahr, was dem Betrag der Einkom­mens­steuer für fran­zö­si­sche Privat­per­sonen im Jahr 2021 entspricht!!!
Selbst Indus­trie­ar­beits­kräfte waren im Kaiser­reich teurer als im Mutter­land. So waren in Alge­rien laut einem Bericht von Saint-Gobain aus dem Jahr 1949 im Vergleich zu einer Fabrik im Mutter­land in der Provinz die Gesamt­aus­gaben, Löhne und Neben­kosten in Alge­rien um 37% höher.

Lohnte es sich unter diesen Umständen wirt­schaft­lich gesehen über­haupt, ein Impe­rium zu erhalten, das seinem Mutter­land nicht seltene Produkte zu einem höheren Preis verkaufte, als es auf dem inter­na­tio­nalen Markt hätte kaufen können? Wir sind immer noch sehr weit von der angeb­li­chen „kolo­nialen Plün­de­rung“ entfernt…

L’Afrique Réelle: Noch gravie­render ist, dass das Empire Ihrer Meinung nach das Über­leben von dem Unter­gang geweihten Wirt­schafts­sek­toren künst­lich verlän­gert und so die notwen­dige Moder­ni­sie­rung ganzer Bereiche seiner Wirt­schaft gebremst hat.

Bernard Lugan: In den 1980er Jahren hat Jacques Marseille bril­lant nach­ge­wiesen, dass der kolo­niale Absatz­markt für das Über­leben von Indus­trien, die dem Unter­gang geweiht waren, von entschei­dender Bedeu­tung war. So wickelten die fran­zö­si­schen Kerzen- und Stroh­hut­fa­briken von 1900 bis 1958 mehr als 80 % ihrer Exporte in das Kaiser­reich ab. In diesem Fall, ja, war das Kaiser­reich für einige Privat­leute rentabel, die reich wurden, während Frank­reich ruiniert wurde…
Für die „trei­benden“ Indus­trien wie die Metall­in­dus­trie, die Chemie- und Elek­tro­in­dus­trie usw. spielte der kolo­niale Markt hingegen höchs­tens und selbst dann nur eine ergän­zende Rolle. Für sie waren es die Märkte der Indus­trie­länder, die ihnen ihre Absatz­märkte boten. Außerdem benach­tei­ligten die Kolo­nien die fran­zö­si­schen Spit­zen­in­dus­trien, die bei der Ausfuhr von Ländern, die auf den fran­zö­si­schen impe­rialen Protek­tio­nismus stießen, benach­tei­ligt wurden. Das Kaiser­reich ermög­lichte also die „Rettung der lahmen Enten“, der dem Unter­gang geweihten Sektoren der wirt­schaft­li­chen Entwick­lung, bestrafte aber die zukunfts­träch­tigen Sektoren. Weit davon entfernt, sie auszu­plün­dern, war Frank­reich also in seinen Kolo­nien gefangen.

L’Afrique Réelle: Was ist die Antwort auf das stän­dige Gejam­mere der Alge­rier, die Frank­reich beschul­digen, das Land ausge­plün­dert zu haben?

Bernard Lugan: Diese alge­ri­schen Klagen sind eine Provo­ka­tion, denn „Chère Algérie“ war ein wahres „Fass der Danaïdes“, eine uner­träg­liche Last für das Mutter­land, wie der verstor­bene Daniel Lefeuvre so bril­lant aufge­zeigt hat. Alles, was in Alge­rien zum Zeit­punkt der Unab­hän­gig­keit exis­tierte, war von Frank­reich aus dem Nichts aufge­baut worden. Nämlich Hunderte von Kunst­werken, Eisen­bahn­li­nien, Stau­dämme, Fabriken, Straßen, Häfen, Flug­häfen, Schulen, Kran­ken­häuser, verschie­dene Gebäude. Die Liste ist immens und ich verweise auf das Kapitel X mit dem Titel „Hat Frank­reich Alge­rien geplün­dert?“ in meinem Buch „Alge­rien die Geschichte rückwärts“.
Auch hier werde ich nur einige Beispiele anführen. 1959 verschlang Alge­rien, alle Ausgaben zusam­men­ge­nommen, allein 20 % des fran­zö­si­schen Staats­haus­halts, das heißt mehr als die Haus­halte für Bildung, öffent­liche Arbeiten, Verkehr, Wieder­aufbau und Wohnungsbau, Indus­trie und Handel zusammengenommen!
Ein stän­diger Ader­lass, der zu schmerz­haften Haus­halts­ent­schei­dungen zwang, denn um Alge­rien noch mehr zu helfen, mussten die Corrèze und das Cantal vertröstet werden. Die Fran­zosen in Frank­reich mussten damals ein doppeltes Opfer bringen, denn ihre Steuern wurden erhöht, während die Verpflich­tungen des Staates in den Berei­chen Straßen, Kran­ken­häuser, Ener­gie­ver­sor­gung usw. gekürzt oder verzö­gert wurden.
In den ersten neun Monaten des Jahres 1959 erreichten die Inves­ti­ti­ons­kre­dite in Alge­rien 103,7 Milli­arden FF, d. h. 166 Milli­arden Euro, die wiederum aus der fran­zö­si­schen Staats­kasse finan­ziert wurden. Am unver­ständ­lichsten ist, dass die fran­zö­si­sche Führung es zulässt, dass unser Land von den Geschäf­te­ma­chern, die sich Alge­rien unter den Nagel gerissen haben, belei­digt und verleumdet wird, obwohl es genügen würde, die Höhe der kolos­salen Summen, die dort bis 1962 versenkt wurden, sowie die Liste all dessen, was fran­zö­si­sche Archi­tekten und Inge­nieure dort gebaut haben, zu veröf­fent­li­chen, um die Kläffer zum Schweigen zu bringen…

L’Afrique Réelle: Letzt­end­lich hat sich Jules Ferry also geirrt?

Bernard Lugan: Ja, und darüber hinaus hat er Frank­reich und die Fran­zosen betrogen, denn schon vor 1914 war klar geworden, dass das kolo­niale Unter­nehmen nicht wie verspro­chen Gewinne abwerfen würde. Außer in einigen margi­nalen Sektoren, wie ich anhand von Kerzen und Stroh­hüten gezeigt habe. Da die Privat­ka­pi­ta­listen das afri­ka­ni­sche Reich als eine wirt­schaft­liche Ange­le­gen­heit ohne wirk­li­ches Inter­esse betrach­teten und sich nicht dafür inter­es­sierten, weigerten sie sich, dort zu inves­tieren. Über die Steuern der Fran­zosen war der Staat gezwungen, für sie einzu­springen. Frank­reich hatte eine schwere Rech­nung zu beglei­chen, denn nach den Vorstel­lungen von Jules Ferry hätte die Erschlie­ßung und Schaf­fung der notwen­digen Infra­struktur dem Kapi­ta­lismus über­lassen werden müssen, also dem Privatsektor.
Da diese Inves­ti­tionen nicht getä­tigt wurden und die Gebiete nicht über ausrei­chende eigene Ressourcen verfügten, mussten ihre Haus­halte ständig durch Anleihen aus dem Mutter­land aufge­stockt werden, damit in Afrika die schweren Infra­struk­tur­ar­beiten wie Häfen, Brücken, Straßen, Kran­ken­häuser usw. durch­ge­führt werden konnten. Die Erschlie­ßung des afri­ka­ni­schen Reiches wurde also voll­ständig von den Erspar­nissen der Fran­zosen getragen und die beträcht­li­chen Summen, die dort inves­tiert wurden, wurden dem verfüg­baren Kapital des Mutter­landes entzogen, um in Übersee die Infra­struktur zu finan­zieren, die in Frank­reich jedoch notwendig war. Wieder einmal sind wir weit von der angeb­li­chen „kolo­nialen Plün­de­rung“ entfernt…

L’Afrique Réelle: Bei Jules Ferry, und Sie gehen auf diesen wesent­li­chen Punkt ein, gab es auch eine ideo­lo­gi­sche Haltung.

Bernard Lugan: Ja, denn der Impe­ria­lismus von Jules Ferry stand auf zwei Beinen, der Wirt­schaft und der Philo­so­phie, wie er am 28. Juli 1885 vor den Abge­ord­neten sehr deut­lich machte, als er seine Kolo­ni­al­dok­trin defi­nierte. Für ihn sollte das Kaiser­reich Frank­reich zwar einen wirt­schaft­li­chen und kommer­zi­ellen Absatz­markt bieten, aber, und viel­leicht noch mehr, sollte Frank­reich, das „Vater­land der Aufklä­rung“, den Völkern, die es noch nicht kannten, die univer­sa­lis­ti­sche und eman­zi­pa­to­ri­sche Botschaft, deren Träger es war, näher bringen. In seiner berühmten Rede vom 28. Juli 1885 scheute sich Jules Ferry nicht zu erklären:
„Man muss offen sagen, dass die höheren Rassen in der Tat ein Recht gegen­über den niederen Rassen haben; aber weil es auch eine Pflicht gibt. Sie haben die Pflicht, die niederen Rassen zu zivilisieren“.

Mit Ausnahme von Clemen­ceau und seinen Freunden teilte die fran­zö­si­sche Linke die gleiche Idee. So erklärte Albert Bayet, Präsi­dent der Menschen­rechts­liga und Würden­träger der Frei­maurer, 1931 auf dem Kongress der Bewe­gung in Vichy, dass die fran­zö­si­sche Kolo­ni­sie­rung legitim sei, da sie die Botschaft der „großen Vorfahren von 1789“ trage. Unter diesen Bedin­gungen, so seine Meinung:
„Die Völker mit den Menschen­rechten vertraut zu machen, ist keine Aufgabe des Impe­ria­lismus, sondern eine Aufgabe der Brüderlichkeit“.

Kolo­ni­sieren war also eine revo­lu­tio­näre Pflicht, und Albert Bayet fügte hinzu:

„Das moderne Frank­reich, Tochter der Renais­sance, Erbe des 18. Jahr­hun­derts und der Revo­lu­tion, vertritt in der Welt ein Ideal, das seinen eigenen Wert hat und das es im Universum verbreiten kann und muss (…) Das Land, das die Menschen­rechte verkündet hat, hat aufgrund seiner Vergan­gen­heit die Aufgabe, die Ideen, die seine eigene Größe ausge­macht haben, zu verbreiten, wo es kann.“

L’Afrique Réelle: Das Paradox, das Sie hervor­heben, ist, dass die katho­li­sche und monar­chis­ti­sche Rechte sich diesem revo­lu­tio­nären und frei­mau­re­ri­schen Ideal ange­schlossen hat, das sie doch seit 1789 bekämpft hat…

Bernard Lugan: Die natio­na­lis­ti­sche und katho­li­sche Rechte, die philo­so­phisch völlig lobo­to­mi­siert war und ihre doktri­nären Bezugs­punkte verloren hatte, schloss sich aus falsch verstan­denem Patrio­tismus und im Namen der Evan­ge­li­sie­rung der Heiden wie ein einziger Mann der univer­sa­lis­ti­schen und revo­lu­tio­nären Kolo­ni­al­dok­trin an, die von Jules Ferry defi­niert wurde, also tatsäch­lich den Prin­zi­pien, die sie seit 1789 bekämpft hatte. Verant­wort­lich für diese intel­lek­tu­elle Kapi­tu­la­tion war Kardinal Lavi­gerie, der den „Anti-Skla­verei-Kreuzzug“ initi­ierte und 1890 mit dem „Toast von Algier“ die Katho­liken auffor­derte, sich der Repu­blik anzu­schließen. Ich erkläre dies ausführ­lich in meinem Buch.

L’Afrique Réelle: Es gab dennoch einige Ausnahmen auf der Rechten.

Bernard Lugan: Ja, aber haupt­säch­lich inner­halb der legi­ti­mis­ti­schen Rechten. Später war Charles Maurras der erste, der erkannte, dass die Kolo­ni­sie­rung aufgrund ihrer univer­sa­lis­ti­schen, assi­mi­la­to­ri­schen oder inte­gra­tio­nis­ti­schen Prin­zi­pien, die auf die Ideen von 1789 zurück­gehen, einen demo­gra­fi­schen Gegen­schock auslösen könnte. Diese Befürch­tung brachte er in einem intel­lek­tuell hoch­ste­henden Artikel mit dem Titel „Qui colo­nise qui?“ zum Ausdruck, der am 13. Juli 1926 in der Action fran­çaise im Zusam­men­hang mit der Einwei­hung der Moschee in Paris veröf­fent­licht wurde.

L’Afrique Réelle: Als Ergebnis der Kolo­nia­li­sie­rung ist Frank­reich also zur „Kolonie seiner Kolo­nien“ geworden. Wie konnte es dazu kommen?

Bernard Lugan: Es gibt mehrere Gründe für diese katak­lys­mi­sche Kata­strophe, die in der Geschichte der Mensch­heit einzig­artig ist und unsere euro­päi­schen Gesell­schaften in ernste exis­ten­zi­elle Gefahr bringt. Zunächst, im Vorfeld, das Versagen der entko­lo­nia­li­sierten Länder, dann die Gier einiger Indus­tri­eller, die billige Arbeits­kräfte impor­tierten. Dann die krimi­nelle Entschei­dung von Giscard-Chirac, die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zuzu­lassen, wodurch aus einer vorüber­ge­henden Arbeits­mi­gra­tion eine Sied­lungs­mi­gra­tion wurde. Und schließ­lich der „anti­ras­sis­ti­sche“ Terro­rismus, der die Einwan­de­rung förderte, während es den Fran­zosen recht­lich unter­sagt war, sich ihr zu wider­setzen, da die Linke glaubte, in den Migranten eine Ersatz­wäh­ler­schaft zu finden.….

L’Afrique Réelle: Sehen Sie eine Lösung für diesen Schiffbruch?

Bernard Lugan: Abge­sehen von der frei­wil­ligen oder erzwun­genen Remi­gra­tion gibt es keine, denn alles andere ist nur Pose oder Illu­sion. Dieje­nigen, die seit Jahr­zehnten an der Macht sind, sowie die „patrio­ti­schen“ Strö­mungen schlagen in der Tat zur Lösung des unlös­baren Problems der „großen Erset­zung“ dieselben Assi­mi­la­tions- und Inte­gra­ti­ons­re­zepte vor, die im Kaiser­reich nicht anwendbar waren, sowie dieselben nutz­losen wirt­schaft­li­chen Impe­ra­tive des immer höheren Subven­ti­ons­ni­veaus. Der Demo­graf Jacques Dupâ­quier räumte mit dieser Utopie auf, als er 2006 schrieb – und seitdem hat sich das Phänomen noch beschleu­nigt -, dass „man sich nicht vorstellen darf, dass die Inte­gra­tion ganz von selbst, schön brav, vonstat­ten­gehen wird“.
Doch was gestern in Afrika geschei­tert ist, wird morgen in den Vorstädten und in allen Gebieten des Mutter­landes schei­tern, in denen eine Kolo­ni­sie­rung der Bevöl­ke­rung statt­findet. Hinzu kommt ein großer Unter­schied: Um das Problem zu lösen, wird es nicht möglich sein, wie General de Gaulle es getan hatte, durch terri­to­riale Ampu­ta­tion vorzu­gehen. Die Zukunft wird also stür­misch werden, und künf­tige euro­päi­sche Gene­ra­tionen werden zwischen drei Optionen wählen müssen: schritt­weise Unter­wer­fung, terri­to­riale Teilung und damit inneres Exil sowie Rückeroberung.
Doch nichts kann ohne die Besei­ti­gung der schuld­be­la­denen Ideo­logie unter­nommen werden, die auf dem entmün­di­genden Mythos der „kolo­nialen Plün­de­rung“ beruht. Möge dieses Buch zu dieser rettenden Säube­rung beitragen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei BREIZH-INFO, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.

9 Kommentare

  1. Vorsicht bei den Fran­zosen! Die haben 95 Neutro­nen­bomben. Damit kann man ganze Land­striche umwelt­scho­nend entvölkern.Killt die Oma, schont den Fern­seher, hieß es früher. Es sei denn man trifft eines der 54 Atom­kraft­werke. Merde. Dann ist die Gegend natür­lich tot.

  2. Guten Morgen! Schön das sie es auch mitbe­kommen haben Herr Lugan. 

    Wir „Nazis und Rassisten“ (denken selber, glauben nicht die Lügen des Systems) sagen das alles seit Jahr­zehnten (zwar am Beispiel Deutsch­land, aber das ist hier unwichtig).

    Auch die deut­schen „Kolo­nien“ (Schutz­ge­biete) waren bis 1914 (Kriegs­zeit kann ange­fügt werden, wer denn will) immer ein defi­zi­tärer Haushaltsposten.

    Das Frank­reich isla­mi­siert wird, sagen wir seit Jahr­zehnten und benannten es als „Vorbild“ für die BRD.

    Und die Schluß­fol­ge­rungen vom Ende des Artikel, erzählen wir auch schon so lange. Nur sind wir so ehrlich und sagen Nr. 2 & 3 wird es nicht geben, weil vergreiste, marxis­tisch verblö­dete Völker wehren sich nicht und teilen das Land nicht auf, die gehen unter, ohne Gegen­wehr. Nicht das ich daher seit vor 2010 ständig gemahnt hätte, daß es eine Sache gibt, die uner­setz­lich ist, Zeit. Wir werden älter und weniger, die werden mehr und sind jung. Also los doch, an der Stelle müßte ihr mir alle, wie ihr es so oft gemacht habt, wieder erzählen: „bei der nächsten Wahl, Fake-Alter­na­tive, mit es den großen Raus­wurf garan­tiert nicht gibt, weil die voll auf der Schiene „wir inte­grieren sie dann, aber richtig“ läuft.

    PS: Die Grund­lage einer mögli­chen Rettung ist und bleibt das Syste­mende BRD / Westen und das wird es nur gewaltsam geben. Sie dürfen auch an der Stelle wieder die Realität verleugnen, weil ihnen diese nicht paßt.

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  3. Und jeder Druck in Rich­tung Remi­gra­ti­ons­för­de­rung wird von der dritt­welt­do­mi­nierten UNO sogleich als „ethni­sche Säube­rung“ gegeißelt…
    Isch over.

    • UNO sogleich als „ethni­sche Säube­rung“ gegeißelt…

      Die Medien mit ihren Moral­keulen und Kampf­be­griffen, weg mit denen!!! Weg mit den NGOs!

  4. Anschei­nend sind die Deut­schen zwischen Maas und Memel sowie Etsch und Belt, die einzigen, die ohne Räube­reien ihren Lebens­un­ter­halt erwirt­schaften konnten.

    Kolo­ni­al­mächte 1920: Däne­mark, England, Holland, Belgien, Frank­reich, Spanien, Portugal, Italien, Türkei, Rußland, Jugo­sla­wien, Polen, USA, Japan.

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    • Stimmt, dafür hat man sie in 2 Welt­kriege getrieben und ihne ndann noch die Schuld aufer­legt. England sollte in erster Linie an seiner Kolo­ni­al­zueit ersticken.

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    • Das was über die Deut­schen und Germanen überall erzählt wird ist völliger Mist!
      Die Germanen wollten nur in ihrem eigenen Umkreis verbleiben. Das er alles erobern wollte ist Schwach­sinn. Aller­dings passte es den Andern nicht, das es da Erfin­dungs Reichtum gab. Genau so ein Schwach­sinn ist die soge­nannte Völker Wande­rung. Wenn damals die ersten losge­gangen sind , haben sich die Letzten Jahre später erst auf den Weg gemacht! Und zu Essen hatten die anschei­nend nie etaws.!

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  5. während es den Fran­zosen recht­lich unter­sagt war, sich ihr zu wider­setzen, da die Linke glaubte, in den Migranten eine Ersatz­wäh­ler­schaft zu finden.….
    Überall dieselbe Handschrift…

    Wenn wir jetzt wissen, wer uns das Chaos einge­brockt hat und es seit Jahr­zehnten wissen, warum wird bis heute keine Rück­füh­rung durch­ge­setzt? Das ist die einzige Möglich­keit, verlo­renes Terrain wieder­zu­er­langen. Eine Unter­wer­fung der Euro­päer unter die Konti­nent­fremden muß ausge­schlossen werden. Schließ­lich sollen die nicht in Arbeits­lager in Sibi­rien, sondern jeder zurück in seine Heimat, dem Ort seines Ursprungs. Was ist daran schlecht? Niemand hat hier das Recht, die Moral­keule zu schwingen.

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    • Besser wäre das Arbeits­lager in Sibi­rien für die ganze EU Misch­poke, incl. der Berliner Gurkentruppe.
      Danach würde Europa zur früheren Blüte steigen!
      Mit diesem EU korrupten Verein gibt es keine Zukunft!

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