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Auszug aus Sonderheft der Deutscher Geschichte Heft 1/2020

Gastbeitrag von Dr. Gert Sudholt, Herausgeber

„Von Beginn der Planungen für die deutsche Invasion zogen Großbritannien und Deutschland in ihren Plänen und Vorbereitungen ungefähr gleich. Großbritannien begann sogar ein wenig früher…, aber beide Pläne wurden fast gleichzeitig ausgeführt, wobei Großbritannien in dem sogenannten ‚Aggressionsakt‘ 24 Stunden voraus war, wenn dieser Ausdruck tatsächlich anwendbar ist.“

Lord Hankey, Mitglied des britischen Kriegskabinetts 1939

Nach einem aufsehenerregenden Parteiwechsel von den Konservativen zu den Liberalen und einem politischen Gesinnungswechsel kommt der inzwischen 37-jährige Winston Churchill am 23. Oktober 1911 in das bedeutende Amt des Ersten Lords der Admiralität. Dieser Titel war damals von großem Gewicht. Nicht nur, dass Winston Churchill im vornehmsten Ministerium des britischen Weltreiches, einer Mischung aus Barock und Klassizismus Platz nahm, sondern er wollte die britische Kriegsflotte noch schlagkräftiger gegen die deutsche ausrichten, als sie sowieso schon war. Seine geradezu panische Angst vor und sein Hass gegen Deutschland machten ihn erstmals zum Sprachrohr der Kriegspartei gegen das wilhelminische Reich. Schon damals, im Jahr 1912, schrieb der britische Journalist A. G. Gardiner in der »Daily Mail«: „Sein furchtbares Bild der deutschen Bedrohung: er glaubt all das, weil sein Geist, wenn er einmal von einer Idee gepackt ist, sie mit erstaunlicher Schnelligkeit dramatisiert, bis schließlich der Himmel von ihr verdüstert ist.“

Der Erste Lord der Admiralität Großbritanniens hatte nicht nur die größte Kriegsflotte zu verwalten, sondern er war praktisch der Herr der Weltmeere. Eigenmächtig schickte er im Herbst 1914 eine Kriegsflotte Richtung Falklandinseln, um das deutsche Fernostgeschwader zu versenken, plante zudem, die Ostsee für die deutsche Flotte zu sperren und das Binnenmeer als ein „mare nostrum“ zu beanspruchen. Bei einer Landung eines britischen Expeditionskorps zwischen Wismar und Stettin wäre es in den ersten Kriegsjahren ein Katzensprung für die Briten nach Berlin gewesen. Das von Churchill initiierte gescheiterte Gallipoli-Abenteuer beim Verbündeten der Mittelmächte verhinderte vermutlich eine Landung am Ostseestrand.

Der Nachfahre des  berühmten Herzogs von Marlborough, der glaubte, in seinen Adern pulsiere noch Feldherrntalent, musste seinen Stuhl räumen und wurde nach einer kurzen Zwangspause nachrangiger Munitionsminister. Um Churchill wurde es still. Zwar polemisierte er gegen die russische Revolution und hoffte dort vergeblich auf Kriegsruhm. Erst in den 30er Jahren gelang ihm wieder der Sprung in die Schlagzeilen. Seine publizistische Begabung – seine Mutter war ja Tochter eines bedeutenden New Yorker Zeitungsverlegers – kam ihm zu Hilfe. Ein ausgeprägter publizistischer Spürsinn war ihm in die Wiege gelegt worden. Wieder bei den Konservativen gelandet, gewann er mit seiner wieder erwachenden Deutschfeindlichkeit und seinen Warnungen vor der wachsenden deutschen Gefahr politischen Boden. Er spann geheime Netze mit der sog. Fokusgruppe. Seine Verbindungen zu Edvard Beneš, Franklin D. Roosevelt und Bernard Baruch, retteten dank einiger Sponsoren sein Vermögen.

Spätestens seit der Münchener Konferenz 1938 setzte er die Regierung Chamberlain unter politischen Druck. Chamberlain hängte seine Appeasement-Politik nach München an den Nagel und bewegte sich seit dem Herbst 1938 zunehmend in Richtung  auf die  immer einflussreichere Fokus-Gruppe zu, deren wortgewaltiger Führer Churchill war. Dies wurde insbesondere durch massive Aufrüstungsprogramme mit US-amerikanischen Anleihen deutlich.

Um sich an der Macht zu halten, nahm er darüber hinaus eine wachsende anti-arabische  Haltung ein, die sich bei der Abstimmung über das  Mac Donald Weißbuch im Unterhaus im Frühjahr 1939 klar zeigte. Hier erlitt Chamberlain eine vernichtende Niederlage. Jetzt war er angezählt. Und Chaim Weizmann frohlockte: „Mir fehlen die Worte, meine Dankbarkeit über dieses Ergebnis auszudrücken.“  Statt der von Chamberlain geplanten 10.000 Juden sollten nunmehr 50.000 Juden jährlich nach Palästina einwandern dürfen.

Chamberlain musste sich Tag für Tag sichtbarer in die Front der Friedensfeinde einreihen, deren Anführer der rhetorisch glänzende Churchill war. Auch wenn Chamberlain einmal über seinen parteipolitischen Gegner und Herausforderer sagte: „Wenn ich Churchill sehe, würde ich am liebsten aus dem Fenster springen“, musste er am 5. September, nur zwei Tage nach Kriegsausbruch, Churchill wieder zum  Ersten  Lord der Admiralität ernennen und dieser konnte glücklich sein altes Arbeitszimmer beziehen. Er war jetzt nur noch wenige Meter von seinem Ziel, der Downing Street, entfernt.

Sogleich machte er sich ans Werk, neue Fronten gegen Deutschland zu errichten. Statt sich um die Durchsetzung der Polengarantie zu kümmern, planten er und seine Mitarbeiter schon im September einen Schlag gegen Deutschland zu führen – über den Umweg der Unterbrechung der Rohstofflieferungen durch norwegisches Hoheitsgebiet – und damit den Krieg nach Skandinavien zu tragen. Der russische Winterkrieg gegen Finnland war willkommener Anlass für das anglo-französische Angebot an Helsinki, Finnland im Kampf gegen die Sowjetunion selbstlos zu unterstützen. Dazu hätte es nach französisch-britischer Auffassung einiger Stützpunkte im Ostseeraum und an der Nordatlantikküste für die Marine bedurft, die aus strategischer Sicht auch das Ende der Rohstofflieferungen durch die norwegischen Hoheitsgewässer bedeutet hätten. Dieser Churchill-Vorschlag erinnert an dessen Überlegungen während des Ersten Weltkriegs. Sie waren freilich zu durchsichtig, als dass sie dem Ersten Lord zur Ehre hätten gereichen können.

Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Militärführung bereits auf die Gefahr im Norden aufmerksam geworden und hatte Vorsichtsmaßnahmen ins Auge gefasst, zumal London die Verminung der norwegischen Hoheitsgewässer plante. Für die deutsche Seite brachte der »Altmark«-Zwischenfall das Fass zum Überlaufen. Hitler, der nur zeitweilig Interesse an den Aufgaben und Einsätzen der Kriegsmarine zeigte, wurde hellhörig, als der »Altmark«-Zwischenfall in norwegischen Hoheitsgewässern die Weltöffentlichkeit elektrisierte. Auf persönlichen Befehl Churchills enterte am 16. Februar1940 der britische Zerstörer »Cossack« die »Altmark« und befreite 300 Engländer aus deutscher Gefangenschaft. Dieses Gaunerstück erinnert an die  britischen Piratereien zu Zeiten des Sir Francis Drake, die England einen sagenhaften Reichtum und seinen Aufstieg zur Weltmacht ermöglichten.

Churchill provozierte ganz bewusst Deutschland und sonnte sich in der Rolle des englischen Seeräubers. Er beschloss, von der skandinavischen Halbinsel aus den Krieg nach Deutschland zu tragen und den britischen Verrat an Polen vergessen zu machen. Eine neue Front gegen Deutschland sollte wie anno 1914 aufgerichtet werden, zumal im Westen noch die Waffen schwiegen. Die deutsche Seite erkannte die Gefahr. Luftwaffe, Kriegsmarine und Heer waren nur wenige Stunden schneller als das englische Expeditionskorps.

Der abenteuerlustige und kriegslüstern orientierte Erste Lord der Admiralität hatte gehofft, am Polarkreis 1940 jene Meriten zu verdienen, die ihm 1915 in Gallipoli versagt geblieben sind. Die Katastrophe kostete ihn damals sein Amt. Seine »Operation Stratford« scheiterte jedoch ebenso kläglich wie ein Vierteljahrhundert zuvor der Angriff auf das Osmanische Reich. Um des erhofften Ruhmes willen, scheute er 1940 kaltblütig nicht vor gravierenden Völkerrechtsverletzungen zurück. Die lauwarmen Proteste Oslos zeigten London, dass man es mit der proklamierten Neutralität nicht so ganz ernst nahm. Während des »Altmark«-Zwischenfalls hatte Ministerpräsident Nygaardsvold beim britischen Gesandten u.a. mit folgenden Worten protestiert: „… Wir sind ein kleines Land und können keine militärische Macht hinter unsere Forderungen setzen, aber wir können gegen alle Übergriffe protestieren, und das haben wir auch getan…“ Dieses Wortgeklingel beeindruckte den Ersten Lord nicht im Geringsten.

Er plante die nächste Provokation. Denn bereits am 3. April 1940 beschloss das Kabinett, mit der Verminung der norwegischen Gewässer zu beginnen und bot gleichzeitig der Regierung in Oslo an, eine britische Brigade und ein französisches Truppenkontingent nach Narvik zu entsenden, um die norwegische Neutralität vor den Deutschen zu schützen. Geradezu zynisch forderte der Erste Lord die deutsche Seite heraus. – Doch er verlor. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass trotz der Niederlage die ihm hörige Presse an seinem weiteren  Ruhm bastelte.

Am 10. Mai 1940 wurde Churchill zum Nachfolger des schwer kranken und amtsmüden Neville Chamberlain ernannt. Während des Frankreichfeldzugs errang das britische Expeditionskorps keine Lorbeeren. Dünkirchen und die erfolgreiche Flucht von 300.000 britischen Elitesoldaten retteten Churchill das Amt und kosteten Hitler den Sieg.

Schon 1940 knüpfte Churchill zu Stalin zarte Bande. Er machte den Sozialisten Stafford Cripps zum englischen Botschafter in Moskau. Dem asketischen Juristen gelang es, Stalin für die Deutschlandpläne Englands zu gewinnen. Erster Erfolg war Ende März 1941 der Simović-Putsch. Unmittelbar nach dem Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt putschte General Simović gegen die Regierung Cvetković und Prinzregent Paul. Sowohl Moskau als auch London waren die Drahtzieher dieses Staatsstreiches. Gemeinsam sollte eine neue Front gegen das Deutsche Reich aufgebaut werden und von Griechenland und vom Balkan her Offensiven ins Auge gefasst werden, nachdem auf dem europäischen Festland insbesondere für Churchill keine Lorbeeren mehr zu holen waren. Dass  die Wehrmacht nicht nur Jugoslawien, sondern im Sturmschritt auch Griechenland einnahm, Kreta eroberte und sich schließlich in den Weiten des nordafrikanischen Raumes aufrieb, passte durchaus in die Strategie der ungleichen Partner. Der Ostfeldzug begann einen Monat später als geplant und Churchill konnte seine schwierige innenpolitische Lage stabilisieren.

Während des gesamten Krieges war eine deutsche Heeresgruppe an der Lapplandfront gebunden. Die etwa 100.000 Soldaten, die auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz gebunden waren, fehlten sowohl 1941 als auch 1942 an der Ostfront.

Das große, von Churchill inszenierte Spiel begann in den ersten Frühlingstagen des Jahres 1940, zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Seite noch auf Sieg setzte. Nicht nur die Weltöffentlichkeit bestaunte die militärischen Erfolge der Wehrmacht, auch das deutsche Volk glaubte an die Stärke der Wehrmacht und die glückhafte Strategie seiner Führung. Churchill aber wusste, warum er die deutschen Friedensangebote stets vom Tisch wischte. Er hatte sowohl in den USA als auch früh in Moskau die stärkeren Verbündeten und kannte sehr wohl die deutschen Schwächen, mitgeteilt von Kreisen des Widerstands.

„Einer der fragwürdigsten Punkte des Nürnberger Prozesses war, dass man die Vorbereitung und Durchführung des Überfalls auf Norwegen unter die Hauptanklagepunkte gegen die Deutschen aufnahm.

Es ist schwer zu verstehen, wie die britische und französische Regierung die Stirn haben konnten, diese Anklage zuzulassen und wie der öffentliche Ankläger für eine Verurteilung in dieser Hinsicht plädieren konnte. Das war einer der augenfälligsten Fälle von Heuchelei in der Geschichte.“

Basil Liddell Hart in: Geschichte des Zweiten Weltkriege

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Von Redaktion

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