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Von Karl Goschescheck*

Die Statistik der Todesfälle im Verhältnis zur Bevölkerung zeigt einen signifikanten Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland: Zum 20. April 2020 gab es in Deutschland 55 Todesfälle pro Million Einwohner gegenüber 302 in Frankreich, d.h. 5,5 mal mehr in Frankreich. Wie kann man einen solchen Unterschied erklären? Ein Unterschied in den Mitteln? in der Organisation? in der Demografie? in der Behandlung?

Entstehung der Epidemie in Frankreich und Deutschland: ein ähnlicher Verlauf

Die Coronavirus-Epidemie trat am 24. Januar 2020 offiziell in Frankreich mit den ersten drei in Europa festgestellten Fällen auf: ein in Bordeaux hospitalisierter Franzose chinesischer Herkunft und zwei chinesische Touristen, die in Wuhan gewesen waren und im Pariser Bichat-Krankenhaus behandelt wurden. Einer von ihnen, ein 80 jähriger Mann, starb am 14. Februar. Er wird das erste Todesopfer des Coronavirus in Frankreich und in Europa sein.

In Deutschland trat das Virus am 27. Januar auf, drei Tage nach den ersten in Frankreich identifizierten Fällen. In Bayern und im Rheinland treten mehrere Einzelfälle auf, hauptsächlich im Zusammenhang mit jüngsten Reisen nach China. Karnevalsfeste im Rheinland tragen dann unfreiwillig an der Verbreitung des Virus bei, während Italien den traditionellen Karneval in Venedig annullierte.

Zwischen dem 17. und 21. Februar bringt eine evangelische Versammlung der Christian Open Door Church fast 2.500 Menschen im oberelsässischen Mülhausen zusammen und wird als Auslöser für die Epidemie in der Region Grand Est (hauptsächlich im Elsaß und in Deutsch-Lothringen), aber auch in geringerem Umfang in anderen französischen Regionen, in Deutschland und in der Schweiz.

In Frankreich blieb die Epidemie zunächst sehr gering. Innerhalb eines Monats, also bis zum 23. Februar, wurden maximal zwölf Fälle festgestellt. Dann löste Gesundheitsminister Olivier Véran (der seit dem 16. Februar 2020 nach dem Rücktritt von Agnes Buzyn im Amt ist) die „Stufe 1“ des sog. Orsan-Plans aus (Organisation der Reaktion des Gesundheitssystems in außergewöhnlichen Gesundheitssituationen). Die dann getroffenen Maßnahmen zielen im Wesentlichen darauf ab, die Einschleppung des Virus auf das Staatsgebiet zu verlangsamen. In Frankreich wurden dann 12 Fälle und ein Todesfall durch das Coronavirus festgestellt.

Gleichzeitig betrachtet das Robert-Koch-Institut (RKI), das in Deutschland eine ähnliche Rolle wie die Allgemeine Gesundheitsbehörde (Direction générale de la Santé) in Frankreich spielt, das durch die Coronavirus-Pandemie verursachte Risiko als „gering bis mäßig“ für die deutsche Bevölkerung. An diesem Tag wurden bereits 48 Fälle und zwei Todesfälle in Frankreich bzw. 53 Fälle in Deutschland gemeldet.

Als Olivier Véran am 29. Februar die zweite Stufe des Orsan-Plans auslöste, gab es in Frankreich 65 Fälle und zwei Todesfälle bzw. 66 Fälle in Deutschland. Die in dieser Phase 2 ergriffenen Maßnahmen zielen darauf ab, die Ausbreitung des Virus auf dem Territorium einzudämmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ruft am 12. März in einer Rede dazu auf, soziale Kontakte möglichst zu vermeiden. Präsident Frank-Walter Steinmeier tut dasgleiche. An diesem Moment gibt es in Frankreich 2875 Fälle und 61 Todesfälle, in Deutschland 2369 Fälle und fünf Todesfälle.

Am 14. März löst Premierminister Édouard Philippe schließlich die Stufe 3 aus – die ergriffenen Maßnahmen zielen nun darauf ab, die Auswirkungen der Pandemie zu mildern, während das Virus a priori in ganz Frankreich frei verbreitet ist. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Frankreich 4.498 Fälle und 91 Todesfälle, in Deutschland 3.795 Fälle und acht Todesfälle.

Die Schließung sogenannter nicht wesentlicher öffentlicher Plätze erfolgt daher am folgenden Tag, dem 15. März in Frankreich, dem Tag der ersten Runde der Kommunalwahlen, die trotz der bereits fortgeschrittenen Epidemie und der Ansteckungsgefahr in den Wahllokalen aufrechterhalten wurde – viele Beisitzer und örtliche Politiker wurden wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit angesteckt. Der Bürgermeister von St. Ludwig (Oberelsaß), Jean-Marie Zoellé (75), der am 15. März mit 84,03% der Stimmen in seiner Stadt haushoch wiedergewählt wurde, starb am 6. April im St. Peter-Krankenhaus in Bonn, wohin er wegen des verzweifelten Engpasses in den elsässischen Krankenhäusern evakuiert worden war.

Zwei Tage nach der ersten Runde der Kommunalwahlen am Dienstag, dem 17. März, begann in ganz Frankreich mittags die Ausgangssperre. Am gleichen Tag in Deutschland ist das Robert Koch-Institut der Ansicht, dass das Risiko für die deutsche Bevölkerung „hoch“ ist. Deutschland wird ab dem 22. März ziemlich ähnliche Maßnahmen (ab dem 20. März in Bayern) ergreifen. Am 22. März gab es in Frankreich 16.685 Fälle und 674 Todesfälle, in Deutschland 18.610 Fälle und 55 Todesfälle.

Die Ausbreitung des Virus geht weiter. Es wurden 20.000 Fälle am 24. März in Frankreich (am 23. März in Deutschland) erreicht – 50.000 Fälle am 31. März in Frankreich (am 29. März in Deutschland). In Bezug auf die Toten sind es schon mehr als 1000 am 24. März in Frankreich (am 3. April in Deutschland), 2000 am 28. März in Frankreich (am 9. April in Deutschland), 5000 am 2. April in Frankreich, 7000 am 4. April, 10.000 am 7. April und 20.000 wahrscheinlich heute Abend.

Am 26. März schätzt das Robert Koch-Institut, dass das Risiko für gefährdete Personen (ältere Menschen, Lungenanamnese usw.) nun „sehr hoch“ sei.

Am 27. März tritt ein vom Bundestag am 25. März verabschiedetes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft, das es dem Bundesgesundheitsministerium ermöglicht, Verordnungen ohne Bezugnahme des Bundesrats zu erlassen, solange der Bundestag die genannte epidemische Situation von nationaler Tragweite feststellt. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Frankreich 32.960 Fälle und 1.995 Todesfälle, in Deutschland 42.288 Fälle und 253 Todesfälle.

Ein eklatanter Unterschied in der Anzahl der Todesfälle

Ab Ende März nimmt Deutschland, das in Bezug auf die auf Intensivstationen verfügbaren Betten noch Spielraum hat, italienische und französische Patienten auf, die von italienischen, französischen bzw. deutschen Militärflugzeugen evakuiert wurden.

Entwicklung der Anzahl der in Frankreich und Deutschland vom 24. Februar bis zum 19. April festgestellten Fälle – Grafik (c) Pariser Zeitung.

Um die Entwicklung der Coronavirus-Epidemie in Frankreich und Deutschland besser visuell vergleichen zu können, haben wir eine zweite Grafik erstellt, die die Entwicklung der Anzahl der gemeldeten Fälle pro 100.000 Einwohner zeigt. Wir haben eine Bevölkerung von 66.993.000 Einwohnern (INSEE 2019) für Frankreich und 83.019.213 für Deutschland (Statistisches Bundesamt, Juli 2019) betrachtet.

Entwicklung der Anzahl der Fälle pro 100.000 Einwohner in Frankreich und Deutschland vom 24. Februar bis zum 19. April. – Grafik (c) Pariser Zeitung.

Das erste, was man beim Betrachten dieser Kurven bemerkt, ist, daß sie im Wesentlichen identisch sind. Dies bedeutet, dass sich das Coronavirus in beiden Populationen offenbar parallel und mit gleicher Geschwindigkeit ausbreitet.

Ein eklatanter Unterschied ist jedoch bei den durch die Epidemie verursachten Todesfällen zu beobachten, wie auf der folgenden Grafik ersichtlich ist:

Entwicklung der Zahl der Todesfälle aufgrund des Coronavirus in Frankreich und Deutschland vom 24. Februar bis zum 19. April. – Grafik (c) Pariser Zeitung.

Dieser Unterschied ist noch deutlicher, wenn man die Zahlen im Vergleich zu 100.000 Einwohnern betrachtet:

Entwicklung der Zahl der Todesfälle pro 100.000 Ew. aufgrund des Coronavirus in Frankreich und Deutschland vom 24. Februar bis zum 19. April. – Grafik (c) Pariser Zeitung.

Wie die Zahlen es zeigen, ist die Situation in Frankreich bei weitem dramatischer als in Deutschland, während das Ausmaß des Problems gleich zu sein scheint: Am 19. April beobachten wir kumulierte Zahlen von 29,43 Todesfällen pro 100.000 Einwohner in Frankreich, aber nur 5,17 in Deutschland, während es an diesem Tag 168,1 Fälle pro 100.000 Einwohner in Frankreich und 168,5 in Deutschland gibt.

Es bleibt daher die Frage: Warum sterben weniger Deutsche als Franzosen am Coronavirus, während sie erst fünf Tage später Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie ergriffen?

Ein sehr zentralisiertes Gesundheitsmanagement in Frankreich, Föderalismus in Deutschland

Um diese Frage zu beantworten muß zunächst die Arbeitsweise der Krankenhausleistungen auf beiden Seiten des Rheins beobachtet werden.

In Frankreich wird das Gesundheitssystem auf nationaler Ebene durch öffentliche Maßnahmen gesteuert : „Der Staat greift direkt in Finanzierung und Organisation ein“, wobei das Gesundheitsministerium „die Steuerung und Umsetzung der öffentlichen Gesundheitspolitik“ […], die Aufsicht über alle Gesundheitseinrichtungen […], die Ausbildung von Angehörigen der Gesundheitsberufe […], die finanzielle Unterstützung für Einrichtungen […], die Aufsicht über Krankenkassen“ usw übernimmt.

Darüber hinaus setzen die regionalen Gesundheitsbehörden (ARS), die von der Zentralregierung abhängige regionale Verwaltungsbehörden sind, „die Gesundheitspolitik auf regionaler Ebene um“. Schematisch wird die Gesundheitspolitik von der Regierung für das gesamte Gebiet festgelegt, das Gesundheitsministerium definiert ihre Anwendung und diese wird dann von den ARS vor Ort umgesetzt. Es sind jedoch oft Absolventen der französischen Kaderschmiede ENA, die die ARS leiten.

In Deutschland legt das Bundesgesundheitsministerium den rechtlichen und gesetzlichen Rahmen für die Gesundheitspolitik fest, geht jedoch nicht auf Details ein, die in der Verantwortung der Bundesländer liegen, deren Handlungsspielraum viel größer ist als die der französischen ARS, schon allein deshalb, weil die regionalen Gesundheitsminister der 16 Bundesländer gewählte Politiker sind, die in Berlin sondern gegenüber ihren eigenen Wählern auf regionaler Ebene Rechenschaft ablegen müssen. Zweitens ist die Gesundheitspolitik der 16 Bundesländer nicht unbedingt die gleiche, da die Regierungen der Länder von unterschiedlichen Parteien geführt werden, was zu einer gewissen Trägheit führen kann, wenn es darum geht, Reformen von oben durchzusetzen, aber auch zu etwas mehr Flexibilität.

Ein im Wesentlichen gleicher Anteil älterer Menschen in beiden Ländern

Da die beobachtete Sterblichkeitsrate bei älteren Menschen signifikant höher ist, könnte ein bemerkenswerter Unterschied in der Alterspyramide möglicherweise auch einen signifikanten Einfluß auf die Anzahl der Todesfälle in beiden Ländern haben. Nach Angaben des unabhängigen Instituts Statista machen die über 65-Jährigen am 1. Januar 2019 20,1% der französischen Bevölkerung aus, während sie am 31. Dezember 2018 21,54% der deutschen Bevölkerung ausmachten Wenn wir besonders die über 75-Jährigen beobachten, repräsentierten sie 9,3% der französischen Bevölkerung und 11,6% der deutschen Bevölkerung. In Deutschland gibt es etwas mehr Senioren, was a priori einen leicht negativen Einfluss auf die Zahl der Todesfälle haben könnte, was jedoch in die entgegengesetzte Richtung zum Gesamttrend geht.

Unterschiedliche Behandlung zwischen den beiden Ländern? Der Fall des berühmten Chloroquin

Ein signifikanter Unterschied in der Art und Weise, wie Patienten behandelt werden, könnte die Anzahl der Todesfälle, falls vorhanden, wirksam beeinflussen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts stehen „im Zentrum der Behandlung der Infektion […] die optimalen unterstützenden Maßnahmen entsprechend der Schwere des Krankheitsbildes (z.B. Sauerstoffgabe, Ausgleich des Flüssigkeitshaushaltes, ggf. Antibiotikagabe zur Behandlung von bakteriellen Superinfektionen) sowie die Behandlung von relevanten Grunderkrankungen. Eine spezifische, d.h. gegen das neuartige Coronavirus selbst gerichtete Therapie steht derzeit noch nicht zur Verfügung.“ Mit anderen Worten, die derzeitige medizinische Behandlung des Coronavirus ist in Deutschland ähnlich wie in Frankreich. Die berühmte Chloroquin-Behandlung ist natürlich auch auf dem rechten Rheinufer ein Diskussionsthema, aber – wie in Frankreich – ist eine klinische Anwendung derzeit nur vorgesehen (wann? unter welchen Umständen?), während der Pharmakonzern Bayer dennoch 600.000 Chloroquintabletten nach Deutschland bringen ließ und sich darauf vorbereitet, sie in Europa herstellen zu können.

Die Anzahl der Intensivbetten ist in Deutschland viel höher

Wie das Magazin Atlantico am 16. März erwähnte, „hat Frankreich, eines der am besten ausgestatteten Länder der Welt, insgesamt 408.000 Betten oder 6 Betten pro 100 Einwohner, davon 260.000 in öffentlichen Krankenhäusern. Unter diesen Betten ist die Anzahl der Intensivbetten für die schwersten Fälle von Lungenentzündung jedoch viel geringer: Laut dem Generaldirektor für Gesundheit, Jérôme Salomon, gibt es etwas mehr als 5.300 Intensivbetten. Dazu sollte man die 500 Intensivbetten der Privatkliniken hinzurechnen, die sie zur Verfügung stellen müssen.“

Dies ergibt insgesamt 5.800 Intensivbetten (16,3 Betten pro 100.000 Einwohner laut der OSZE). „Mit der Umstellung der Betten, der Verschiebung aller anderen nicht wesentlichen chirurgischen Eingriffe und der Bestellung neuer Atemschutzgeräte“, schätzen die Autoren des Artikels von Atlantico, „könnte das Angebot auf maximal 15.000 Betten erhöht werden.“ Dies würde dann 22,39 Plätze auf der Intensivstation für 100.000 Einwohner ergeben. Ab dem 1. April jedoch weist das unabhängige Institut Statista darauf hin, daß „die Regierung die Anzahl der Intensivbetten rasch  auf 14.000 erhöhen will, gegenüber 5.000, die ursprünglich vor der Krise verfügbar waren“, was bedeutet, dass man noch nicht so weit sei. Und gemäß der folgenden Grafik können wir sehen, daß am 31. März die Intensivstationen von Val d’Oise, Unterelsaß, Oberelsaß, Deutsch-Lothringen, Meuse, Obersavoyen, Südkorsika und Drôme zu mehr als 200% belegt sind, während die des Wasgaus (Vosges) sogar zu 375% belegt sind!

Überlastung der Intensivbetten in den französischen Krankenhäusern nach Departements am 31. März 2020 – Graphik (c) Statista.

Deutschland hatte seinerseits nach Angaben der Deutschen Krankengesellschaft vor der Krise, 28.000 Intensivbetten [33,9 pro 100.000 Einwohner] davon 20.000 mit Beatmungsgeräten ausgestattet – viermal mehr als in Frankreich – und hat inzwischen seine Kapazität auf 40.000 Betten erhöht, davon 30.000 mit Beatmungsgeräten – mehr als doppelt so viel wie Frankreich „rasch“ erreichen. In Bezug auf Organisation und Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern hat schließlich eine Gruppe von Informatikern der Universität Konstanz eine Website namens Coronavis entwickelt, auf der Krankenhäuser die Verfügbarkeit von Betten für Covid-19-Patienten erfassen und abrufen können.

Wie die Tageszeitung Nordkurier am 24. März daran erinnerte, ist die Zahl der Intensivbetten in Deutschland seit 2012 stetig gestiegen, während Frankreich im Krankenhaussektor im Gegenteil gravierende Einschnitte vorgenommen hat.

Nach den im gleichen Artikel von Atlantico zitierten OSZE-Statistiken hatte Deutschland im Jahr 2015 8,1 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner (Frankreich 6,1). Die beiden Länder waren ebenfalls führend, während die Schweiz hatte (noch im Jahr 2015) nur 4,6, Italien 3,2, Spanien 3, die Vereinigten Staaten 2,8 und das Vereinigte Königreich 2,6 Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner.

Es sollte nun auch verglichen werden, wie die Anzahl der Fälle und die Anzahl der Todesfälle in beiden Ländern gezählt werden, da dies möglicherweise zu einem signifikanten Unterschied in den Zahlen führen könnte.

Wird die Zahl der Todesfälle durch Coronavirus in Deutschland unterschätzt?

In Deutschland gelten Todesfälle durch Coronavirus, wenn Menschen sterben, nachdem sie positiv auf Coronavirus getestet wurden – unabhängig davon, ob ihr Tod direkt mit Covid-19 zusammenhängt oder nicht. Wenn eine Person bei einem Verkehrsunfall stirbt, nachdem sie positiv auf das Coronavirus getestet wurde, wird im Extremfall davon ausgegangen, dass ihr Tod auf Covid-19 zurückzuführen sei. Dies würde a priori zu einer gewissen Überschätzung der Anzahl der tatsächlich durch das Coronavirus verursachten Todesfälle führen. Um „zusätzliche“ Fälle auszuschließen, sollte zumindest eine Autopsie der umstrittenen Fälle durchgeführt werden. Das Robert Koch-Institut empfiehlt jedoch, dies nicht zu tun, da die Leichen weiterhin „als ansteckend angesehen werden“. Wenn andererseits Menschen sterben, die nicht auf Coronavirus getestet wurden, werden sie nicht als am Coronavirus gestorben angesehen, falls dies der Fall sein könnte. Und im Allgemeinen schätzt das Robert Koch-Institut effektiv, dass die Zahl der Todesfälle aufgrund des Coronavirus in Deutschland eher unterschätzt wird.

Nach Angaben des unabhängigen Instituts Statista hatte Deutschland am 29. März 11.053 Testungen pro Million Einwohner durchgeführt, während Frankreich am 27. März nur 2.914 durchgeführt hatte. Dies bedeutet, dass Deutschland 3,8-mal mehr Tests durchgeführt hat als Frankreich. Daher sollte die Unsicherheit über Menschen, die an dem Coronavirus gestorben sind, ohne zuvor positiv getestet worden zu sein, in Deutschland statistisch gesehen fast viermal geringer sein als in Frankreich.

Zusammenfassend kann man sagen, daß sich die gegenwärtige Coronavirus-Epidemie in Frankreich und in Deutschland seit der Anzahl der Fälle pro 100.000 Einwohner ähnlich zu entwickeln scheint, während sie sich in beiden Ländern seit sechs Wochen ausbreitet. Die Hypothese einer Überbewertung sowie einer Unterschätzung der Zahl der Todesfälle in Deutschland ist zwar zulässig, in Frankreich jedoch ebenso. Da Deutschland jedoch 3,8-mal mehr Tests durchführt als Frankreich, gäbe es eher in Frankreich eine Unterschätzung gegenüber Deutschland. Die Tatsache bleibt, daß Deutschland viermal mehr Intensivbetten mit Beatmungsgeräten als Frankreich vor der Krise hatte, daß es seine Kapazität bereits in wenigen Wochen verdoppelt hat, während Frankreich sich noch in der Phase der befindet, dies zu überlegen. In all den Jahren, in denen aufeinanderfolgende französische Regierungen (links, rechts und dann LREM) die Krankenhausbudgets ständig gekürzt haben [beachte man zu diesem Thema, daß bestimmte linke bzw. souveränistische Kreise in Frankreich darauf hinweisen, daß die EU Frankreich wiederholt aufgefordert hat, seine Gesundheitsausgaben zu senken], wurde in Deutschland die Anzahl der Intensivbetten erhöht. Darüber hinaus scheint das koordinierte Vorgehen von 16 regionalen Gesundheitsministern, die ihren Wählern gegenüber unmittelbar verantwortlich sind, tatsächlich wirksamer zu sein. Und tatsächlich ist es derzeit Deutschland, das französische Patienten aufnimmt und manchmal rettet, wie neulich ein Elsässer, der in Mülhausen ins künstliche Koma versetzt wurde und in Freiburg im Breisgau aufwachte, wo er zuerst überrascht war, zu hören, wie die Betreuer um ihn herum Deutsch sprachen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in französischer Sprache bei Autriche-Matin, https://autriche-matin.at/2020/04/20/coronavirus-pourquoi-cinq-fois-moins-de-morts-en-allemagne-quen-france-quelques-elements-de-reponse/, und in deutscher Übersetzung in der Pariser Zeitung, http://pariserzeitung.com/2020/04/20/coronavirus-warum-gibt-es-in-deutschland-fuenfmal-weniger-todesfaelle-als-in-frankreich/


*) Über den Autor/Übersetzer:

  Karl Goschescheck ist gebürtiger Straßburger und Absolvent des Instituts für höhere Handelsstudien in Straßburg (IECS). Heute ist er freiberuflicher Journalist, Pressekorrespondent und Übersetzer (Französisch / Deutsch). Davor arbeitete er jahrelang als Buchhaltungs- und Finanzmanager in mehreren internationalen Unternehmen.

Ein Gedanke zu „Coronavirus: Warum gibt es in Deutschland fünfmal weniger Todesfälle als in Frankreich?“
  1. Gute Frage. Wir sind fleißig und wissen uns selbst zu helfen.
    Diese ganze Corona-Hysterie dient denen, die schon alles haben.

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