Das Jahr von Marko Marulić: Beschä­mende Haltung gegen­über dem Vater der kroa­ti­schen Literatur

Marko Marulić / Foto: Sanjin Kaštelan

Am 22. April 1501 voll­endete Marko Marulić die Libar von Marko Marul aus Split, in der die Geschichte der heiligen Witwe Judith in Versen auf Kroa­tisch komplex ist, ein Epos, das heute einfach als Judith bekannt ist . Judith wurde am 13. August 1521 in Venedig erst­mals gedruckt und gilt als das erste Kunst­werk in kroa­ti­scher Sprache. Genau deshalb nannte Ivan Kukul­jević Sakulić ihn den Vater der kroa­ti­schen Lite­ratur. Seit Judith erst­mals gedruckt wurde, ist ein halbes Jahr­tau­send vergangen. Es wäre nicht unan­ge­messen zu erwarten, dass die Repu­blik Kroa­tien als Natio­nal­staat des kroa­ti­schen Volkes, in dem Kroa­tisch die einzige Amts­sprache ist, ein so großes Natio­nal­ju­bi­läum würdig begehen wird. Es ist leider keine Über­ra­schung, dass dies nicht der Fall ist.

Das Jahr von Marko Marulić

In der Sitzung vom 30. Dezember 2020 unter­stützte die Regie­rung der Repu­blik Kroa­tien den Vorschlag des Minis­te­riums für Kultur und Medien, 2021 zum Jahr der Lesung zu erklären . So entstand das Jahr der Lektüre , dessen Bedeu­tung und Qualität der Umset­zung den Rahmen dieses Arti­kels sprengen würde. Aber offen­sicht­lich erin­nerte sich niemand an den Vater der kroa­ti­schen Lite­ratur. Niemand erin­nerte sich an ihn bis zum 9. April 2021, als das kroa­ti­sche Parla­ment auf Vorschlag der Agentur für Bildung und des Verbandes der Kroa­ti­schen Sprach­lehrer, die zusammen mit dem Minis­te­rium für Kultur und Medien eigent­lich nicht für die Pflege wich­tiger natio­naler Lite­ratur zuständig sein können, einstimmig beschlossen, 2021 zum „Jahr von Marko Marulić“ zu erklären.

Das Jahr des Vaters der kroa­ti­schen Lite­ratur nur 99 Tage nach seinem Beginn auszu­rufen, erschien den zustän­digen Insti­tu­tionen eher unbe­quem. Wie also versuchten die Verant­wort­li­chen, aus solch einer miss­li­chen Lage heraus­zu­kommen (wenn es über­haupt nötig war)? Durch die Entschei­dung, das Marko Maruli-Jahr vom 22. April 2021 bis 22. April 2022 zu feiern, unter dem Vorwand, dass Marko Marulić am 22. April Judith vollendete .

Judith wurde jedoch am 22. April 1501 vor 520 Jahren fertig­ge­stellt und am 13. August 1521 vor 500 Jahren erst­mals gedruckt. Feiern wir also den 520. Jahrestag der Fertig­stel­lung oder den 500. Jahrestag des Erst­drucks von Judith ? Der Logik einer solchen Entschei­dung folgend und unter der Annahme, dass es sinn­voller ist, den 500. als den 520. Jahrestag zu begehen, sollte das Marko Marulić-Jahr vom 13. August 2021 bis 13. August 2022 stattfinden.

Eine so trau­rige Begrün­dung ist viel­leicht tragi­scher als zuzu­geben, dass die Verant­wort­li­chen für Maru­lićs großes Jubi­läum das kroa­ti­sche lite­ra­ri­sche und kultu­relle Erbe einfach vergessen und sich nicht darum geküm­mert haben und dass dies eine größere Belas­tung sein kann als Stolz. Damit es mit Würde vorbe­reitet werden konnte, wäre es notwendig gewesen, Anfang 2020 mit der Arbeit am Jahr des Marko Marulić zu beginnen, daher ist das Fehlen entspre­chender Inhalte nicht verwunderlich.

Neuauf­lagen von Judith

Anläss­lich des großen Jubi­läums von Judith veröf­fent­lichte Hanza Media im September dieses Jahres eine neue Ausgabe von Judith, die den Text an die moderne kroa­ti­sche Stan­dard­sprache anpasste. Die Auflage von 17.000 Exem­plaren, mit Unter­stüt­zung des Minis­te­riums für Kultur und Medien, wurde am Sonntag, 12. September mit Svijet kulture , einer neuen Beilage der Jutarnji list, zum Preis von 10 Kuna „verbreitet“ .

Dies ist nicht das erste Mal, dass Judita an die moderne kroa­ti­sche Sprache ange­passt wurde. Es wurde zuerst vom Jour­na­listen, Schrift­steller und Über­setzer Marko Grčić adap­tiert. Er sang tatsäch­lich für Judith und behielt Maru­lićs Form eini­ger­maßen bei. Marulić schrieb Judith nämlich in doppelt gereimten Zwölf mit einem trag­baren Reim, einer äußerst anspruchs­vollen Form, die in der kroa­ti­schen Renais­sance beliebt war. Grčić sang Judith in Zwölftel, aber ohne Reim. Seine Über­set­zung ist für den modernen Leser relativ verständ­lich und stellt eine Art Kompro­miss zwischen der Achtung der ursprüng­li­chen Maruli-Form und der Forde­rung nach Verständ­lich­keit des Textes für den modernen Leser dar. Grčićs Über­set­zung mit einer Tran­skrip­tion des Origi­nal­textes von Maruli wurde erst­mals 1983 im Verlag Mladost veröffentlicht.

Zum zweiten Mal wurde Judith von der verstor­benen Lite­ra­tur­his­to­ri­kerin und Lexi­ko­gra­phin Nikica Kolumbić adap­tiert. In ihrer Über­set­zung behielt sie die erwähnte Form der doppel­ge­reimten Zwölf mit einem trag­baren Reim voll­ständig bei, blieb also dem Original sehr treu, verlor aber die Verständ­lich­keit des Textes. Kolum­bics Inter­pre­ta­tion wurde erst­mals 2001, 500 Jahre nach der Fertig­stel­lung von Judith, von Golden Marke­ting ohne Tran­skrip­tion des Origi­nal­textes veröffentlicht.

Die neue, dritte Adap­tion, die eigent­lich als erste Adap­tion und nicht Über­set­zung genannt wurde, wurde vom Institut für kroa­ti­sche Sprache und Lingu­istik erstellt, um darauf hinzu­weisen, dass Maru­lićs tscha­ka­vi­sche Sprache und der moderne kroa­ti­sche Sprach­stan­dard eins sind und die gleiche Sprache darstellen. Die Autoren dieser Ausgabe sind Vuk-Tadija Barbarić, Mari­jana Horvat, Kris­tian Lewis, Željko Jozić, Sanja Perić Gavrančić und Kris­tina Štrkalj Despot. Diese Adap­tion unter­scheidet sich von den älteren darin, dass sie in Prosa geschrieben ist und Maru­lićs Sprache extrem moder­ni­siert wurde. Da die Arbeiten an der Adap­tion im April begannen und die Autoren über­wie­gend Experten in der Geschichte der kroa­ti­schen Sprache und nicht in der Lite­ratur sind, war die Adap­tion im Vers nicht zu erwarten. Eine neue Adap­tion für ihre Ziel­gruppe, denn Judith ist Lese­ar­beit, wählt in erster Linie Gymna­si­asten aus, auf jeden Fall aber keinen jüngeren Semester.

Was ist der Sinn der Adap­tion von Judith durch das Institut?

Da Judith eine bibli­sche, nicht die Geschichte des Autors von Maruli ist, und dass Marulić selbst, wie im Vorwort der Neuaus­gabe erwähnt, sagt, er habe sie geschrieben, „damit auch dieje­nigen, die Bücher in Italie­nisch und Latein nicht lesen können, sie verstehen“ 1, bedeutet, dass sein Inhalt selbst für die kroa­ti­sche Lite­ratur- und Kultur­ge­schichte nicht wirk­lich wichtig ist. Folg­lich stellt sich die Frage, was eine solche Anpas­sung bedeutet und was von Marulić darin bleibt. Es macht keinen Sinn, einen Prosa­text an sich zu lesen, und wenn von Gymna­si­asten nicht erwartet werden kann, die Über­set­zung von Grčić zu lesen, was wahr­schein­lich der Fall ist, wie kann dann von ihnen erwartet werden, dass sie das Original und die Adap­tion parallel verfolgen? Schließ­lich ist es einfa­cher, das Original Zeile für Zeile mit Grčićs Über­set­zung zu verglei­chen, als mit der Adap­tion des Insti­tuts, weil es wie das Original in Zwölftel geschrieben wurde.

Wenn wir sagen, dass die Sprache von Marulić „extrem moder­ni­siert“ ist, meinen wir vor allem, dass die Autoren, wie im Vorwort erwähnt, das Aorist und Imper­fekt und oft das Präsens durch perfekte und oft para­phra­sierte Verb­ad­ver­bien als abhängig oder unab­hängig ersetzt haben mit Konso­nanten.“ 2 Ist es wirk­lich zu viel verlangt, von Gymna­si­asten zu erwarten, dass sie die Adver­bien Aorist, Imper­fekt, histo­ri­sche Gegen­wart und Verben verstehen? Die beiden letzt­ge­nannten Formen sind in der modernen Umgangs­sprache weit verbreitet, und die aoris­ti­schen und unvoll­kom­menen, wenn sie nicht bereits in städ­ti­schen Gebieten umgangs­sprach­lich verwendet werden, außer in verstei­nerten Phrasen, sind Kindern spätes­tens beim Lesen von Geschichten aus der Antike bekannt. Es ist in der Tat unge­wöhn­lich, dass die für die kroa­ti­sche Hoch­sprache zustän­dige Insti­tu­tion, die im Allge­meinen relativ konser­vativ ist, in ihren Anpas­sungen für die Spre­cher durchaus verständ­liche und in ihrem Bewusst­sein lebende Formen ersetzt. Insge­samt ist die Adap­tion des Insti­tuts an sich nicht schlecht, aber ihr Zweck bleibt völlig unklar.

Das ganze Jahr von Marko Marulić wirkt ziem­lich gezwungen und unwürdig demje­nigen, dem es gewidmet ist, und all ihre Trauer zeigt sich am besten in dem mit Jutarnji list verkauften Heft, das beschä­mend minder­wertig ist, mit extrem dünnen Einbänden, fast wie aus Zeitungs­pa­pier. Es herrscht ein bitteres Gefühl, dass der Vater der kroa­ti­schen Lite­ratur unserer (Nicht-)Sorge um sein eigenes lite­ra­ri­sches und kultu­relles Erbe nur sagen müsste, um den Kult­film zu para­phra­sieren: „Es tut mir leid, dass du mein bist, nicht das Kind eines meiner Gegner.“

Lite­ratur:
Marulić, Marko (2021). Judith . Zagreb: Hanza-Medien.

Andrija Živković studiert Lingu­istik, Russi­sche Sprache und Lite­ratur an der Philo­so­phi­schen Fakultät der Univer­sität Zagreb.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei VOKATIV, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION

 

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