web analytics

Von Nóra Szekér
 

Am 20. Juni 1989 nahm Otto von Habsburg auf Einladung des Ungarischen Demokratischen Forums (Magyar Demokrata Fórum, MDF) in Debrecen an einem öffentlichen Forum teil. Bei einem Bankett zum Abschluss der Feierlichkeiten sprach Ferenc Mészáros, lokaler Vorsitzender des MDF, mit Karl von Habsburg, dem Sohn von Otto, über die Tatsache, dass trotz vieler hoffnungsvoller demokratischer Veränderungen

die Berliner Mauer immer noch stand und der Eiserne Vorhang die Länder des Sowjetblocks immer noch von Westeuropa trennte.

Ein Picknick mit einem Lagerfeuer an der tatsächlichen Grenze zwischen Ungarn und Österreich, bei dem ein Teil der Gäste iin Österreich und ein anderer Teil in Ungarn ihren Speck grillt, könne ein gutes Mittel sein, um auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die beiden Länder voneinander abgetrennt sind. Die Gäste des Abends, die diese Idee hörten, “waren von der Idee amüsiert – und gingen dann zu einem anderen Thema über”- erinnert sich einer der Organisatoren des Picknicks, László NagyAber Ferenc Mészáros meinte es ernst, und die Arbeit begann.

Sie nahmen Kontakt zu den Parteien des “Runden Tisches der Opposition” in Sopron auf, die geschlossen hinter der Idee standen, ebenso wie die PfadfinderImre Pozsgay (Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei, MSZMP) und Otto von Habsburg wurden gebeten, als Schirmherren zu fungieren, und sie nahmen diese Aufgabe sofort an.

Die Veranstaltung, die ursprünglich für den 20. August unter dem Titel “Picknick am Eisernen Vorhang” geplant war, wurde schließlich am 19. August unter dem Namen “Paneuropäisches Picknick” durchgeführt.

Ihr Emblem war eine weiße Taube, die den Stacheldraht durchbrach, und ihr Slogan lautete “Öffnen und mitnehmen”. In Anspielung auf die Dorfverwüstungen in Rumänien war auf den Flugblättern auch der Slogan “Mauerverwüstung statt Dorfverwüstung” abgedruckt. Die Einladungen wurden in sieben Sprachen gedruckt und auch die Botschaften wurden zur Teilnahme eingeladen.

Nicht zuletzt dank der Autorität der beiden Schirmherren haben die Behörden die Organisation eher unterstützt als behindert. Auch bei der Auswahl des Veranstaltungsortes und bei der Organisation der Veranstaltung leistete der Grenzschutz bereitwillig Unterstützung. An der Stelle des ehemaligen Grenzübergangs Margitbánya wurde in Sopronpuszta ein Tor geöffnet, das eine Forststraße sperrt, damit die Gäste von beiden Seiten der Grenze während der Veranstaltung die Grenze zwischen den beiden Ländern überschreiten konnten, sofern sie über gültige Reisedokumente verfügen.

Am 19. August war der Andrang groß. Die Veranstaltung begann mit einer internationalen Pressekonferenz auf der Terrasse des Hotels Lövér, wo mehrere ausländische Filmteams das Geschehen verfolgten. Das Prestige und die Immunität des Picknicks waren durch die Namen seiner Schirmherren bereits gewährleistet, diese waren aber nicht persönlich anwesend, da ihre Teilnahme im Falle diplomatischer Komplikationen sogar zu Unannehmlichkeiten hätte führen können. “Wir haben also die ganze Sache hinter den Kulissen abgesichert. Ich habe den Leiter meines Sekretariats, den stellvertretenden Minister László Vass, gebeten, in meinem Namen an dem Picknick teilzunehmen. Präsident Otto von Habsburg hat seine Tochter Walburga geschickt.”, erinnert sich Imre Pozsgay. So wurden die Gäste nicht von den Schirmherren, sondern von deren Stellvertretern begrüßt.

Aber es war nicht das offizielle Programm, das das Paneuropäische Picknick unvergesslich machte.

Nur wenige Minuten nach der Eröffnung um 15.00 Uhr brach eine Gruppe von 150 ostdeutschen Flüchtlingen aus dem Maisfeld aus und eilte zur Grenze.

Nach den geltenden Vorschriften hätten die Grenzschutzbeamten den massenhaften illegalen Grenzübertritt verhindern sollen. Oberstleutnant Árpád Bella, der diensthabende Grenzschutzbeamte, beschloss jedoch, nicht einmal Warnschüsse abzugeben, um eine Panik zu vermeiden.

Am Tag des Picknicks gelangten etwa 600 Ostdeutsche nach Österreich.

Damit wurde ein unumkehrbarer Prozess in Gang gesetzt, dessen Vorgeschichte im Frühjahr und Sommer 1989 und in der ostdeutschen Flüchtlingskrise im Sommer zu suchen ist.

Am 2. Mai 1989 wurde auf einer internationalen Pressekonferenz bekannt gegeben, dass der Abbau des Eisernen Vorhangs an der ungarischen Grenze beginnen würde. Das Treffen zwischen den Außenministern Alois Mock und Gyula Horn am 27. Juni 1989, bei dem der Stacheldraht mit riesigen Drahtscheren durchtrennt wurde, erregte großes Medieninteresse und machte der Weltöffentlichkeit bewusst, dass der Weg in den Westen über Ungarn immer freier wurde. In der Zwischenzeit war Ungarn der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten, die im Gegensatz zu den sozialistischen Praktiken demokratische Regeln für die Behandlung von Flüchtlingen enthielt. Dementsprechend wurden Flüchtlinge, die vor der Ceaușescu-Diktatur flohen, nicht nach Rumänien zurückgeschickt.

Diese Nachricht veranlasste Hunderttausende von Ostdeutschen, über die österreichisch-ungarische Grenze zu versuchen, aus der DDR zu “fliehen”.

Mit Beginn der Sommerferien begann der Zustrom von DDR-Touristen ins Land, der bis Ende August auf die Hunderttausende anstieg. Ungarn wurde zu einer Transitzone, einem Aufenthaltsort, an dem Tausende von Flüchtlingen auf die Möglichkeit zur Weiterreise warteten. Die westdeutsche Botschaft in Budapest war bereits in den ersten Augusttagen voll besetzt. Auch in den umliegenden Straßen kampierten ostdeutsche Familien.

Die ungarische Regierung stand unter enormem Druck. Die Freilassung der Flüchtlinge könnte nicht nur in der DDR unter Honecker, sondern auch in den anderen orthodoxgeführten sozialistischen Staaten unvorhersehbare Reaktionen hervorrufen,

während die Masse der Flüchtlinge im Lande zu einem immer unüberschaubareren Problem wurde.

Die Geschichte des Picknicks besagt, dass es, wie Ministerpräsident Miklós Németh sich erinnert für die ungarische Regierung eine Gelegenheit war, die Reaktion des Auslands und insbesondere der DDR auf eine mögliche Öffnung der Grenze zu “testen”. Ungarn konnte nicht auf offen zugesagte Hilfe aus dem Westen zählen, vor allem nicht in einer Zeit, in der

der Gedanke an die deutsche Einheit in den meisten Ländern des Westblocks ernsthafte Bedenken hervorrief.

Die Reformpolitik der Sowjetunion war an Gorbatschow gebunden, die Stabilität der Unterstützung war selbst innerhalb der eigenen Partei unberechenbar und in den Satellitenstaaten, mit Ausnahme von Ungarn und Polen, vorhersehbar gering. Und wie Gyula Kurucz, einer der Organisatoren des Picknicks, der nichts von den Entwicklungen hinter seiner zivilen Initiative ahnte, es 20 Jahre nach den Ereignissen formulierte: “Es blieb also bei heimlichen, taktischen Manövern”.

In den Tagen nach dem Picknick blieb eine aggressive Offensive der DDR aus, aber

die Nachricht vom erfolgreichen “Durchbruch” ermutigte viele Flüchtlinge, die Grenze illegal zu überqueren.

Diese Versuche wurden von der Grenzpolizei jdeoch mit einem härteren Durchgreifen beantwortet. Am 21. August endete der Versuch von Kurt-Werner Schultz tragisch, als er bei einem Handgemenge mit einem Grenzsoldaten vor den Augen seiner Familie getötet wurde. Am 23. August kam es zu einem weiteren Zwischenfall – der so genannten Schlacht von Sopronpuszta und Kópháza -, bei dem mehr als 100 Menschen, darunter auch Kinder, mit Grenzsoldaten zusammenstießen, die mit Schlagstöcken und Gewehren bewaffnet waren. Es war allen klar, dass die Situation nicht länger tragbar war.

Am 25. August trafen sich der ungarische und der westdeutsche Ministerpräsident zu einem Geheimtreffen im Schloss Gymnich bei Bonn. In dieser unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehaltenen Besprechegung

wurde vereinbart, die Grenze für DDR-Bürger zu öffnen.

Am 8. September setzte die Ungarische Volksrepublik das Abkommen mit der DDR aus dem Jahr 1969, das die Ausreise der Ostdeutschen aus Ungarn beschränkte, formell außer Kraft und öffnete damit den Weg in den Westen. Die Entscheidung wurde von der Regierung in den Abendnachrichten am 10. September bekannt gegeben. Innerhalb von neun Tagen übertraten 12.121 Ostdeutsche die Grenze nach Österreich, bis zum 20. September waren es 17.500.

Das Paneuropäische Picknick wurde nicht nur zu einem symbolischen Ereignis, das den lang erwarteten Moment des freien Grenzübertritts sinnbildlich verkörperte, sondern es beschwor auch die Ereignisse herauf, die zur Öffnung der Grenze und

zur Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands führten.

Die Autorin, Dr. phil. Nóra Szekér, ist Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei RETÖRKI.

Originaltext auf Ungarisch: https://tuntetes-archivum.hu/1989.08.19

Dieser Beitrag reschien in deutscher Übersetzung von Sophia Matteikat zuerst bei UNGARNREAL, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


GENERATION STACHELDRAHT, DIE 1989 GESCHICHTE SCHRIEB

Von wem, wo und wie hast du die Nachricht von dem Plan für die Veranstaltung erhalten?

Als László Magas endlich so um den 20. Juli aus Deutschland nach Hause kam und den Brief von Maria Filep gefunden hatte, setzte er sich gleich ins Auto und fuhr kreuz und quer durch die Stadt. Man muss wissen, dass damals nur einige wenige Telefon hatten. Damals war unser Auto sozusagen das Telefon.

Ich sah, dass László Magas mit seinem Wagen in unseren Garten fuhr und hinten sich wendete. Er stieg gar nicht aus, denn er wollte schnell weiter. Er sagte, er hätte einen Brief aus Debrecen, von den dortigen MDF-Leuten, bekommen,

die ein Picknick bei Sopron an der österreichisch-ungarischen Grenze am 19/20 August veranstalten wollten.

Er konnte einen Saal für den nächsten Tag im sog. „Kakasos Ház“ (Das Haus mit dem Hahn) organisieren, wo wir besprechen könnten, ob wir an der Organisation teilnehmen wollen.

Viel Lust hatte ich nicht dazu, weil wir in Sopron superaktiv waren und seit der Gründung fast „hauptamtlich“ für das MDF gearbeitet hatten. Ich sehnte mich gerade nach einer kleinen sommerlichen Erholung. Deshalb, als ich in die Wohnung kam und meine Frau fragte, was László wollte, antwortete ich, dass er „schon wieder eines meiner Wochenenden verdorben hatte“. Wenn es nur bei einem Wochenende geblieben wäre!!! Aber es war gut, dass es so gekommen war.

Was für eine konkrete Aufgabe hast du im Laufe der Organisation bekommen?

Die Organisation, die Abwicklung des Paneuropäischen Picknicks im Jahr 1989 in Sopron war eine echte Gruppenarbeit. Die Leitung des MDFs und auch die Leitung des oppositionellen Runden Tisches (wo ich mit László Magas und Dr. Felix Örs das MDF vertrat) arbeitete wie Workaholics Tag für Tag an für uns wichtig erscheinenden Projekten. Das Picknick war so eins. Wir hatten regelmäßig Besprechungen in der Angelegenheit „Picknick“, an denen die Organisatoren vollständig anwesend waren. Wir bekamen das Ersuchen viel zu spät und befürchteten, dass wir das Picknick wegen der fehlenden Zeit nicht in würdiger Weise, im würdigen Rahmen werden organisieren können.

Von einer Verschiebung konnte aber wegen des 20. Augustes keine Rede sein.

Im Zusammenhang mit dem Programm kamen viele Ideen auf, und die die Zustimmung der Versammlung erhielten, leiteten wir nach Debrecen weiter. So eine Idee von László Magas war, dass es eine Grenzöffnung an der alten Pozsony (Preßburger) Straße geben solle. Das gefiel jedem und unsere Freunde in Debrecen waren auch einverstanden, nur dass es nicht so einfach war, das zu organisieren. Heute wissen wir, was für eine wichtige Sache das war. Wenn diese Idee nicht aufgekommen wäre, dann wären mit großer Wahrscheinlichkeit auch keine Ostdeutsche gekommen. Diese Besprechungen, Idee-Börsen im Zusammenhang mit der Organisation waren sehr wichtig. Tatsächlich konnte jeder von uns Einfluss auf die Ereignisse nehmen, obwohl wir uns an die Einzelheiten nicht mehr erinnern, denn diese sind nur kleine, winzige Puzzle-Stücke, die sehr wichtig waren, nur sie erschienen damals nicht als wesentlich!

Ich kann mich nicht einmal an Bruchteile meiner Aufgaben erinnern! Aber das ist auch bei den anderen so, die kein Tagebuch geführt haben. Es ist deshalb so, weil in dieser Situation die kleinen Aufgaben nicht wesentlich erscheinen.

Wir hatten keine Ahnung, dass wir Geschichte schreiben und all das einmal auch für andere interessant sein wird.

In Wirklichkeit begannen ab dem 10. Jahrestag die Geschichtswissenschaftler und die Journalisten Interesse zu zeigen, wer was gemacht hatte.

Meine Aufgaben waren im Übrigen alle so, dass man sie in den Nachmittagsstunden oder am Wochenende erledigen konnte. Es gab nämlich Organisatoren – wie mich – die tagsüber an ihrem Arbeitsplatz arbeiten mussten. Aber es gab unter uns auch Studenten, Rentner, Freischaffende und Lehrer, die ihre Sommerferien hatten. Sie übernahmen die am Vormittag, in den Ämtern zu erledigenden Arbeiten, sie verhandelten mit den staatlichen Firmen und Ämtern, mit dem Grenzschutz.

Ich arbeitete hauptsächlich mit Pál Csóka zu zweit. Wegen unserer Deutschsprach- und Ortskenntnisse fuhren wir hinüber nach Österreich.

Dort verteilten wir z.B. deutschsprachige Flugblätter, die wir an die Frontscheibe der Autos klemmten.

Wir machten uns nachmittags gegen 4-5 Uhr auf den Weg und verteilten die Flugblätter in Sankt Margarethen, Rust und Mörbisch am See, damit die Österreicher dann kommen sollen. Sie kamen auch …

An der Flugblätterverteilung in Sopron nahm ich auch teil. Wahrscheinlich waren wir dort in ganzen Gruppen. Im Burgviertel steckten wir die Flugblätter unter die Scheibenwischer der Autos. Ich legte sie mit besonderer Lust auf die Wägen mit DDR-Kennzeichen und dachte gar nicht daran, was für eine Bedeutung das haben könnte. Uns wurde auch aufgetragen, dass wir

in Österreich einen politischen Kontakt finden sollen, um die Erlaubnis für die Grenzöffnung auch auf der österreichischen Seite zu erhalten.

Ich erinnere mich, dass wir mit Pál Csóka eines Tages aufs Geratewohl zum Bürgermeisteramt in Rust gingen. Selbstverständlich war es zu diesem Zeitpunkt bereits längst geschlossen! Wegen der knappen Zeit – jegliche Etikette beiseiteschiebend – gingen wir zum Privathaus des Bürgermeisters. Er war nicht zu Hause … Mit hängenden Köpfen fuhren wir nach Hause!

An Ort und Stelle gab es aber auch die schwierige Aufgabe der Geländebereinigung. Zwar war das Gelände eben, aber wegen der Zelte und hauptsächlich wegen der Bühne musste man es vorbereiten. Es gab unwahrscheinlich viel Unkraut, hohes Gras, kleinere Büsche, die man zusammen mit den Wurzeln heraushauen musste. Das war eine Arbeit für einen halben Tag. Wahrscheinlich war es an einem Samstag.

Es war ein großes Erlebnis, denn ich konnte da das erste Mal den Eisernen Vorhang berühren!

Wir betrachteten gerade neben dem bereits abgenommenen Tor den Eisernen Vorhang, als ein Fahrzeug mit offenem Verdeck kam. Die Sache wurde davon denkwürdig und deshalb erinnere ich mich daran. Arbeitermiliz und die Grenzschutzoffiziere waren gerade auf dem Weg zu einer Jagd, denn für sie war in diesem Bereich alles erlaubt. Auf dem Verdeck stand ein Offizier und zeigte schreiend seine Faust. Wir verstanden nur Wortfetzen, aber als er neben uns vorbeifuhr, konnten wir die Worte gut vernehmen:

hier wird es gar kein Picknick geben … wir schießen euch ins Hinterteil!“

Meine wichtigsten Aufgaben bestanden aber während des Picknicks. Wegen meiner Sprachkenntnisse übernahm ich die Abwicklung der Pressekonferenz, wo ich simultan auf Englisch/Ungarisch/Deutsch übersetzte. Danach führte ich mit meinem eigenen Wagen den Bus mit den Journalisten zum Tor, weil ich den Weg kannte, der Busfahrer aber nicht. Wir wären zusammen nach Szentmargitbánya gefahren, aber dieser Programmpunkt blieb weg.

Dann fuhren wir auf das Gelände des Picknicks, wo ich die Reden auf Deutsch übersetzte bzw. zurück ins Ungarische. Ich meine, ich las unseren Aufruf auf Deutsch und auch auf Englisch vor. Meine weiteren Aufgaben waren danach die Unterhaltung der ausländischen Diplomaten und Journalisten. Das führten wir zu zweit mit meinem Freund Dr. Félix Örs aus.

Welche Wirkung dieses große Ereignis auf deine Persönlichkeit hatte, welche Emotionen die Erinnerung an dieses bei dir weckt?

Dieser Tag ist für mich seither ein bestimmendes Erlebnis. Besonders deshalb, weil ich immer, was die deutsche Teilung betraf, empfindsam war. Die Oberschule besuchte ich in deutschsprachigen Gymnasien in einem dritten Land und

in der BRD. Meine dortigen Klassenkameraden verstanden es nicht, warum man sie wegen des II. Weltkrieges mit dieser Teilung bestrafen muss,

letztlich wurden sie 12 Jahre nach Beendigung des Krieges geboren. Aber ich hatte immer auch Freunde auf der anderen Seite. Viele, aus der DDR kommenden Semesterkollegen sagten dasselbe während meiner Studienzeit an der Universität. Deshalb freue ich mich besonders, dass ich – wenn auch nur eine mohnkerngroße Kleinigkeit – aber

doch etwas zusammen mit meinen Freunden im Interesse der Vereinigung von Deutschland und Europa tun konnte.

In diesem Zusammenhang sagte Herr Minister Norbert Blüm Folgendes am ersten Jahrestag in Sopron: „Vor einem Jahr, am 19. und 20. August,

siegten die Menschen mit Hilfe der Tapferkeit und der Fantasie über die Verstocktheit und Sklaverei. Damit brachten sie nicht nur für die in der Osthälfte unseres Vaterlandes lebenden Mitbürger die Freiheit, sondern ebenso für die in den anderen Staaten lebenden von Europa.“

Diese dort erlebte Katharsis weckt in mir natürlich tiefe Emotionen bis zum heutigen Tag, obwohl ich überdurchschnittlich pragmatisch denke. Eben deshalb ist es interessant – selbst für mich -, dass ich erst sehr langsam die geschichtliche Bedeutung des Picknicks begriff. József Antall, – der erste Ministerpräsident nach der Wende -kam oft nach Sopron und er fragte uns ständig über das Picknick, die Sache gefiel ihm sehr.

Wir taten aber nur, was wir für richtig und wichtig erachteten!

Ich war auch 1999 sehr überrascht, als ich als Sekretär der Stiftung die Aufgabe erhielt, dass ich zum 10. September um 10 Uhr die für eine Auszeichnung würdigen ins Parlament zaubern solle. Ich stellte mir selbst die Frage, ob wir diese verdient haben? Seitdem weiß ich, dass dies zutrifft!! Diese unsere Gruppe würde sogar noch mehr verdienen…

Die Erinnerung an das Picknick weckt in mir aber nicht nur Emotionen, sondern gibt mir auch die Kraft, dass ich nach meinen Möglichkeiten alles tue, um die Bekanntheit und Anerkennung des Picknicks zu verbreiten. Das ist deshalb wichtig – abgesehen davon, dass wir persönlich betroffen sind -, weil die für diese Zeit Interessierten erfahren müssen, welche wichtige Rolle in dieser Periode die Zivilpersonen gespielt hatten. I

In Wirklichkeit hatten die polnischen und ungarischen Zivilleute eine Situation in Mittel- und Osteuropa herbeigeführt, die eine Eskalation bewirkte und die Großmächte und die lokalen Politiker lieber den Systemwechsel „auf sich nahmen“, um eine eher nicht zu handhabende Revolution zu vermeiden.

Zitieren wir einen Fachmann auch, einen Geschichtswissenschaftler, in diesem Zusammenhang. Namentlich László Borhi: „Im Zusammenhang mit dem Jahr 1989 bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Veränderung entgegen der allgemeinen Annahme nicht nur von Bush und Gorbatschow herbeigeführt wurde.

Polen und Ungarn spielten eine sehr große Rolle, was den Systemwechsel betrifft, sogar derart, dass selbst die Führung der NATO-Staaten Angst vor diesem Übergang hatte.

Die davor existierende Welt war für sie, wenn auch nicht gut, doch berechenbar, daher tanzten sie vor Freude überhaupt nicht. Die Forschung brachte mich zu diesem Ergebnis und das wollte ich nicht kosmetisch abändern.“ (Index – „Als die Engländer und Amerikaner den Juden hätten helfen können, taten sie nichts“ ein Artikel von Adam Kolozsi, 04.04.2019)

Nagy László war einer der Hauptorganisatoren des “Paneuropäischen Picknicks, 1989”

Dieser Beitrag erschien zuerst in deutscher Übersetzung von Dr. Gábor Bayor bei UNGARNREAL, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


2 Gedanken zu „Das Paneuropäische Picknick und die Öffnung der Grenzen (19.8.1989)“
  1. Naja, viel Lob kann ich da nicht dran lassen. Denn damit wurde schon die Migrationswelle vorbereitet und ermöglicht. Im Alten starren System wäre das unmöglich gewesen.
    Es ist wohl eindeutig zu sehen dass dies von langer Hand geplant war, und die Ausführenden willkommene Marionetten waren.
    Den damit begann der Untergang Europas.

  2. Versuchen wir doch einmal, uns in die Zeit des “Umbruchs ’89” zurückzudenken.
    Wer auch immer die treibenden Kräfte hinter den damaligen Entwicklungen gewesen sein mögen, von den Organisatoren im Vordergrund war es eine anerkennenswerte Leistung, eine solche Begegnung auf die Beine zu stellen.
    Die Signalwirkung, die von jener Aktion ausging, brachte rein menschlich gesehen eine bemerkenswerte Entwicklung auf den Weg.
    Was daraus politisch gemacht wurde, darf auf einem anderen Blatt stehen, wenngleich es ein Blatt im selben Buch wäre.

    Was mich persönlich dabei störte, war die Bezeichnung als “Paneuropäisches Picknick”. Das lag mir zu nah an den damals schon lange nachlesbaren “Paneuropäischen Unionsplänen”. Doch sei’s drum – es waren die Ungarn, die mal wieder einiges riskierten, um Europa ein neues und freundlicheres Gesicht zu geben. Dazu möchte ich ihnen allen guten Willen und die besten Absichten gerne unterstellen.

    Dies in Sopron (resp. Ödenburg) geschehen zu lassen, hatte dabei auch eine historische Bewandtnis, die es nicht unbedingt einfacher machte, sich den Deutschen bzw. den Deutschsprachigen Nachbarn zu öffnen.

    Über den einen oder anderen Schirmherrn mag man dabei denken wie man will – Politik ist nun mal die Kunst des Machbaren.
    Gratulation und Dank an Ungarn.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert