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Mussolini bei Hitler im Führerhauptquartier Wolfsschanze bei Rastenburg unmittelbar nach dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944. Bild: Wikimedia Commons

Der 20. Juli 1944 und der anglikanische Widerstand

Am 20. Juli 2020 jährt sich das fehlgeschlagene Attentat auf Adolf Hitler. An jenem Tag eskalierten die Gegensätze zwischen bedeutenden Wehrmachtsführern und den Spitzen des nationalsozialistischen Regimes – ein Konflikt, der sich schon in den beiden Jahren davor immer deutlicher abzeichnete. Claus Graf Schenk von Staufenberg, Henning von Treskow, Werner Karl von Haeften sowie eine Vielzahl Ihrer Mitverschwörer fühlten sich den Traditionen des preußischen Staats- und Militärwesens verpflichtet und waren bereit ihr Leben für den als erforderlich erachteten Umsturz einzusetzen. Das Ergebnis ist bekannt. Der von Staufenberg im Führerhauptquartier ‘Wolfsschanze’ platzierte Sprengsatz kam zur Explosion, doch einmal mehr überlebte der Führer. Der fühlt sich danach von seiner Vorsehung erst recht bestätigt. Zehn Monate Krieg unter immer größer werdenden Verlusten mussten folgen. Zugleich kam es zu rund 7000 Verhaftungen und den abstoßenden Auftritten des Präsidenten des Volksgerichtshofes, Roland Freisler. Die Zahl der Hingerichteten belief sich auf 4980 Opfer.

Persönlichkeiten, die sich gegen die Nazi-Diktatur gestellt haben, in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin.

Der Schock fuhr nicht nur so manchen NS Granden tief in die Glieder. Blanker Schrecken machte sich auch unter den führenden Kreisen in Großbritannien breit. Der Gedanke der Beseitigung Hitlers und seines Regimes von Innen heraus schien unerträglich. Das Ereignis verleitete die anglikanische Presse gegen den deutschen Widerstand Partei zu ergreifen. Die ansonsten in gewohnt angelsächsischer Disziplin zur Schau gestellte Maske drohte, wenigstens für den Moment, gehörig zu verrutschen. Der Manchester Guardian konnte seine Freude über das missglückte Attentat nur schwer unterdrücken und schrieb:

„Um der Zukunft willen mag es gut sein, dass die Verschwörung stattfand – und besser vielleicht noch, dass sie fehlschlug.“

Das britische Informationsministerium wird noch deutlicher:

„Hitlers Strategie stellt einen der größten Vorteile der Alliierten dar. Wir haben alles Interesse daran, ihn und seine Institution uns bis Kriegsende zu erhalten.“

Doch damit nicht genug. Wie Joachim Fest in einer historischen Abhandlung eindrucksvoll darlegte, gibt der britische Rundfunk die Namen einiger mutmaßlichen Verschwörer preis. Darüber hinaus  wird es Roland Freisler ermöglicht, ein britisches Flugblatt als zusätzliches Beweismittel den solcherart bloßgestellten Angeklagten triumphierend entgegenzuhalten und diese ihrem sicheren Todesurteil zu überantworten.


B.Z. vom 21.Juli 1944 – Vorsehung und Schutz durch Großbritannien?

Hitlers stille Helfer in Großbritannien

Hitlers stille Helfer in Großbritannien hatten einmal mehr ganze Arbeit geleistet. Nicht umsonst begegnen hohe britische Würdenträger dem deutschen Widerstand, schon vor Kriegsausbruch und auf britischem Boden vielfach nur mit schroffer Zurückhaltung oder eisiger Ablehnung. Als ein für die britische Haltung typischer Vertreter agierte Sir John Wheeler-Bennett, der noch vor dem Krieg vermeintlich freundschaftliche Kontakte zur innerdeutschen Opposition pflegte, diese dann leugnete und zum Attentat vom 20. Juli zu guter Letzt nur noch folgendes zu sagen hatte:

„Die Gestapo und die SS haben uns einen anerkennenswerten Dienst erwiesen, indem sie eine Anzahl von Leuten beseitigen, die nach dem Krieg als ‘gute’ Deutsche posiert hätten… Es ist deshalb zu unserem Nutzen, dass die Säuberung weitergeht.“

In ähnlichem Kontext antwortete der britischer Außenminister Anthony Eden dem Bischof George Bell von Chichester, der vergeblich anregte, bedrängten deutschen Widerständlern Fluchthilfe angedeihen zu lassen:

„Ich kann nicht sehen, dass für uns nur irgendeine Verpflichtung besteht, denen zu helfen, die in den jüngsten Anschlag verwickelt waren.“

Als besonders unangenehm muss den Propagandisten auf den britischen Inseln der Umstand erschienen sein, dass die maßgebenden Köpfe des Widerstands ausgerechnet Wehrmachtskreisen und Vertretern des preußischen Adels zuzuordnen waren. Dies drohte die britische Kriegspropaganda in ihrem Kern zu erschüttern. Sie trachtete schon seit dem ersten Weltkrieg, einzig und allein das Preußentum als größtes Übel dieser Welt zu stigmatisieren. Am Ende schien sich diese Agitation zumindest bei ihren eigenen Urhebern zu verfangen. In seinem Buch ‘Failure of a Mission’ (Gescheiterte Mission) fasst der ehemalige britische Botschafter, Sir Neville Henderson, seine Tätigkeit in Berlin während den Jahren 1937 bis 1939 zusammen. Nach einer abstrus anmutenden Rassentheorie erläutert er schon auf der vierten Seite, dass zwischen den ‘real enemies’ (‘echten Feinden’), gemeint sind die Preußen und den ‘reineren (rassisch zu verstehen; Anm. d. Red.) Deutschen vom Nordwesten, Westen und Süddeutschland’ zu unterscheiden sei. Gerade und nur mit den Letzteren verbände einen ‘Englishman on his travels such natural sympathy’ (‘einen Engländer auf Reisen solch natürliche Sympathie’). Zuvor räsoniert er über den möglichen Zusammenhang zwischen der hohen ‘Slavic blood mixture’ (slawischen Blutmischung) besonders bei den Preußen und deren ausgeprägten Militarismus.

Somit ist es verständlich, dass selbst Jahrzehnte nach jenen Ereignissen so mancher ‘true Englishman’ wird befürchten müssen, an jene unliebsamen Begebenheiten und Fehleinschätzungen erinnert zu werden. Dies zwingt die bewährte Desinformationspolitik fortzusetzen und  beispielsweise zu verbreiten, dass London seine Kriegsarchive geöffnet hätte, woraus hervorging, dass der britische Nachrichtendienst einst ernsthaft an Attentatsplänen gegen Adolf Hitler gearbeitet hätte.

Mit etwas Phantasie lässt sich ausmalen, was passieren könnte, wenn sich ein solch geklittertes Geschichtsbild in der Öffentlichkeit verankern ließe: Es würde sich aufdrängen in das Kunterbunt der Gedenkstätte des Deutschen Widerstands (GDW) im Bendlerblock in Berlin, nicht nur das Bild von Walter Ulbricht, wie bereits in der Vergangenheit geschehen, anzubringen, sondern gegebenenfalls auch eine Gedenktafel zur Erinnerung an den Widerstand des britischen Geheimdienstes zu errichten. War jener für oder gegen den Nationalsozialismus gerichtet? Das ist die Frage.

Der russische Historiker Nikolay Starikov hat jene brisante Frage durchleuchtet und ans Tageslicht gebracht, wer die NSDAP finanzierte, ihrem Führer zur Macht verhalf, seine Außenpolitik vorgab und die Hauptstoßrichtung gegen Osten festsetzte. Doch dieses für den Westen höchst peinliche Kapitel ist eine andere Geschichte.

Zum Autor: Friedrich P. Ost beschäftigt sich mit Fragen der Politik und Zeitgeschichte. Er ist Autor von Publikationen und Analysen über globale Entwicklungen, Hintergründe sowie politische Trends.

Von Redaktion

4 Gedanken zu „Der 20. Juli 1944 und der anglikanische Widerstand: Für oder gegen das NS-Regime?“
  1. 1944?
    Schon wieder oder immer noch?
    Haben wir nicht seit 6 Monaten 2020?
    Sind die Deutschen in einer Zeitschleife gefangen?
    Wer dauernd nach hinten schaut, sieht nicht, wo er hingeht. Wer ständig in der Vergangenheit lebt, hat keine Zukunft.

    Abspülen bitte!

  2. Ergänzend zu Ihrem hervorragenden Artikel eine Aussage des ehemaligen Bundestagspräsidenten:

    „Was wir im deutschen Widerstand während des Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: dass der Krieg schließlich nicht gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde”.
    Eugen Gerstenmaier, Bundestagspräsident ab 1954,
    während des Krieges Mitglied der „Bekennenden Kirche“ im Widerstand

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