web analytics
Maren Schoening · Bildquelle: Budapester Zeitung

Von Maren Schoening

Der Begriff Mitteleuropa ist im Laufe der Geschichte vielfältig als Geschichts- oder Kulturraum und auch als geografische Zuordnung verwendet worden.
Im Kalten Krieg war Mitteleuropa für viele Intellektuelle in den 1980er Jahren die Hoffnung zur Überwindung der Teilung des Kontinents. Der tschechische Exil-Schriftsteller Milan Kundera beteiligte sich an dieser Diskussion mit seinem Aufsatz „Die Tragödie Zentraleuropas“ von 1983. Er betonte darin die kulturelle Selbstständigkeit Mitteleuropas, die Abgrenzung zu Russland und beklagte, dass der Westen die Länder Zentraleuropas vergessen habe.

Im Rahmen der Wiedervereinigung stand das Thema erneut kurz auf der Agenda mit Forderungen nach einem neutralen Block in der Mitte Europas.

Wo stehen wir heute?

Vor unseren Augen zerfällt eine alte Weltordnung, neue Machtzentren entstehen und die geostrategische Macht wird neu geordnet. Der imperiale Drang Chinas und Russlands verändert das Gesamtgefüge. Diverse Player greifen offen oder verdeckt das westliche Lebensmodell an und haben ein Interesse an der Schwächung Europas.

Daneben stehen globale Herausforderungen vom Klimaschutz, der Ressourcenknappheit, dem demographischen Wandel bis zur Migration sowie die Lösung von Sicherheitsfragen, der Technologiewettbewerb bis zu globalen Handelskonflikten auf der Agenda. Zu unserer eigenen Schwächung trägt auch der Brexit und der demographische Wandel bei.

Mit dem Brexit hat die EU 13 Prozent ihrer Einwohner und rund 15 Prozent ihrer Wirtschaftskraft verloren. Durch den demographischen Wandel sinkt der Anteil der EU an der Weltbevölkerung von rund 12 Prozent im Jahr 1960 auf nur noch prognostizierte 4 Prozent im Jahr 2070. Wir Europäer müssen uns dieser Herausforderungen bewusst sein und unsere eigenen Strategien anpassen. Mir scheint, dass noch nicht alle diese Herausforderungen verstanden haben.

Interne Bruchlinien

Zusätzlich treffen diese Faktoren auf eine schwierige innere Verfasstheit in Europa. Die Ost-West- und die Nord-Süd-Spaltung sind offensichtlich. Der NATO-Beitritt und die Osterweiterung der EU – und damit die Rückkehr von Europäern nach Europa – war eine Kraftanstrengung, die wir nicht unterschätzen dürfen.

Wir müssen uns bewusst sein, dass sich 11 von 27 Mitgliedsländern vor 1989 hinter dem Eisernen Vorhang befanden. Die Abwicklung der europäischen Nachkriegsordnung hat die Menschen und die Politik gefordert. Die Menschen der ehemaligen kommunistischen Länder mussten in einem neuen System zurechtkommen, sich anpassen und in den 1990er Jahren wirtschaftliche Probleme meistern.

Altbundeskanzler Helmut Kohl hat schon in seinem 2014 erschienenen Buch „Aus Sorge um Europa“ bemängelt, dass „die Fehler, die auf dem Weg zu einem geeinten Europa gemacht wurden und die zu gravierenden Fehlentwicklungen geführt haben, darin liegen, dass der europäische Einigungsprozess nach 1998 nur noch halbherzig und nicht mehr mit der notwendigen Klarheit und Zielstrebigkeit weitergegangen wurde“.

In Vielfalt geeint

Beim letzten Deutsch-Ungarischen Forum hatten zwei junge Leute in ihren Statements an die Gäste appelliert, dass Europa wieder mehr zusammenrücken sollte und Kooperationen und solidarisches Miteinander wichtiger denn je sind. Sie forderten mehr Stolz auf die gemeinsamen Ergebnisse als europäische Gemeinschaft und erinnerten auch an das Motto der EU, in Vielfalt geeint zu sein.

Die jungen Leute haben ein gutes Gespür für die aktuelle Lage.

Der innere Zustand hat Auswirkungen auf die Herangehensweise und die Möglichkeit zur Lösung der außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben.

Mit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten ist nicht nur ein neuer Wirtschaftsraum entstanden, es sind Menschen und Staaten aufgenommen worden, die ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Erfahrungen mitgebracht haben. Diese Erfahrungen nutzen wir heute zu wenig für die Weiterentwicklung und die Lösung von Herausforderungen. Vielmehr werden die Belange Europas noch immer viel zu sehr westeuropäisch gedacht. Es ist bedauerlich, dass viel zu wenig Menschen im alten Westeuropa Interesse an den Belangen der mittel- und osteuropäischen Länder haben.

Trotz allem haben wir aber auch viel erreicht: Heute können wir in Europa reisen, studieren und arbeiten. Frieden und – zum Teil relativen – Wohlstand haben wir uns gemeinsam erarbeitet. Das sind unsere Erfolge.

Erfolgreich sind auch die wirtschaftlichen Verflechtungen, gerade auch zwischen Deutschland und den V4-Staaten mit einem Warenaustausch, der höher ist als der Warenaustausch zwischen Deutschland und Frankreich. Im Bereich des Zusammenwachsens bleiben vielfältige Aufgaben. Ich frage mich immer, warum eine Bahnfahrt von Berlin nach Budapest rund 13 Stunden für 870 km und die Fahrt von Berlin nach Paris nur 8,5 Stunden in Anspruch nimmt, obwohl die Städte 1000 km entfernt liegen.

Welchen Beitrag sollte Deutschland leisten?

Wenn Europa künftig in der Weltliga mitspielen und mitgestalten möchte, dann müssen wir die Ost-West-Spaltung beenden. Dafür ist die Überwindung des Denkens in West- und Osteuropa und damit im Denkschema von vor 1989 erforderlich. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020 den Deutschen ins Stammbuch geschrieben: „Europa, wenn ich es richtig sehe, ist nicht enger zusammengerückt. Und vermutlich tragen auch wir [Anmerkung: die Deutschen] dafür die Verantwortung, nicht nur alle anderen.“

Auch Deutschland muss sich also bewegen und die Länder durch die Augen der anderen sehen. Nur gemeinsam haben wir die Chance, Europa zu einer Gestaltungsmacht zu machen. Das heißt nicht, dass man über Defizite, Unterschiede und Vertragsverletzungen hinwegsieht. Dafür gibt es Regeln, Gerichte und Parlamente. Nötig ist aber die Stärkung des Dialogs auf Augenhöhe, Interesse und Offenheit an der Sicht der anderen Seite und gegenseitiger Respekt.

Entwicklung einer Mitteleuropastrategie

Am 26. September findet die nächste Bundestagswahl statt. Nach der Wahl hat die neue Bundesregierung die Chance zur Stärkung der Beziehungen zwischen Deutschland und den V4-Ländern. Die Entwicklung einer neuen Mitteleuropastrategie mit einer strukturierten Zusammenarbeit im Rahmen der bestehenden europäischen Ordnung könnte ein Signal senden.

[dropshadowbox align=”none” effect=”lifted-both” width=”auto” height=”” background_color=”#ffffff” border_width=”1″ border_color=”#dddddd” ]Die Autorin ist Vorsitzende des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks und mit dem Jugendwerk Co-Ausrichterin des Deutsch-Ungarischen Forums. Außerdem ist sie geschäftsführende Gesellschafterin von DialogUngarn. Der Gastbeitrag basiert auf einem Vortrag, den die Autorin am 3. März auf einer Veranstaltung des Deutsch-Ungarischen Instituts hielt.
[/dropshadowbox]

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der BUDAPESTER ZEITUNG, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


3 Gedanken zu „Deutschland und die V4-Gruppe: Neue Dimension der deutschen Mitteleuropapolitik“
  1. Das ist m. E. mit dieser m. E. elötengestoierten Rögierung nicht zu machen.

    Dazu ist es erforderlich, dass die ÖfD mindestens als stärkste Fraktion an die Rögierung kommt und den/die KönzlerIn stellt.

    Dazu muss sie mehrheiltlich gewöhlt werden.

Schreibe einen Kommentar zu Otto Gröhert Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert