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Wladimir Putin und Xi Jinping besiegeln die strategische Partnerschaft zwischen den beiden Staaten. Foto: kremlin.ru

Die russisch-chinesischen Beziehungen gestern – heute – morgen

Seit Juni 2019 trat die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China in eine neue Ära. Die Übereinkunft wurde von Wladimir Putin und Xi Jinping in Moskau besiegelt. Zu jenem Zeitpunkt hatte der Handelskrieg zwischen USA und China noch nicht seinen Höhepunkt erreicht. China wollte daher nur von „Handelsstörungen“, doch nicht von einem Handelskrieg sprechen. Es bestand noch Hoffnung auf dem Verhandlungsweg zu einer Einigung zu gelangen.

Tatsächlich konnte am 15.1.2020 ein für die amerikanische Seite vorteilhaftes Handelsabkommen der Phase I mit China abgeschlossen werden. Inzwischen hatten sich die Anführer der Massenunruhen von Hongkong nach Washington begeben, um in den Räumlichkeiten des US Außenministeriums und US Kongresses ihre Pläne zur Loslösung von Hongkong weiter voranzutreiben. Zuvor noch am 17.11.2019 ließen die USA ein Gesetz zum Schutz der Demokratie und Bürgerrechte für Hongkong – analog zu dem gegen Russland gerichteten Magnitsky Gesetz – verabschieden. Die offene Unterstützung atlantischer Kräfte zu den Kommunalwahlen in Hongkong sollte zum Sieg der Opposition beitragen. Parallel wurde US Unterstützung auch taiwanesischen Politikern zuteil, die in ähnlicher Weise auf die Trennung von China hinarbeiten. Gestiegene US Waffenlieferungen und gemeinsame Militärmanöver im Verbund mit der 7. US Flotte waren die unmittelbaren Folgen.

Die aggressive Vorgehensweise wurde nur noch von Trumps Worten zur Corona-Krise übertroffen. Dem US Präsident scheint zu gefallen eine Vendetta gegen das Reich der Mitte anzuführen. Trump wirft China vor die Pandemie ausgelöst zu haben. US Sammelklagen gegen die Volksrepublik werden parallel dazu geltend gemacht. Das Weiße Haus geht daran bestehende wirtschaftliche, wissenschaftliche und humanitäre Zusammenarbeit einzufrieren und damit die Basis des bilateralen Beziehungsgeflechts der letzten  Jahrzehnte aufzulösen.

Die Radikalität der Maßnahmen zerstreute letzte Zweifel, dass es sich nur um antichinesische Reflexe des US Establishments gehandelt haben könnte. Peking zog den eindeutigen Schluss: Es geht nicht mehr um Handelskonflikte, sondern einen Kalten Krieg gegen die chinesische Zivilisation. Die Schlussfolgerung waren unmissverständliche Stellungnahmen des chinesischen Außenministeriums gepaart von Demonstrationen militärischer Stärke.

Die wichtigsten Entscheidungen wurden im Juni dieses Jahres im Zuge des chinesischen Volkskongresses getroffen, um sich auf einen langfristigen Konflikt einzustellen. Man rückte von bisherigen Wachstumserwartungen ab und ließ den Schwerpunkt auf die Bedürfnisse des Binnenmarktes sowie den Ausbau der Infrastruktur verlagern. Zugleich wurde die Entscheidung für ein nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong getroffen, welches die Antwort aus China auf das Gegenstück aus Washington zum Schutz der Demokratie und Bürgerrechte darstellt.

Am 26. Mai dieses Jahres sprach Xi Jinping in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der chinesischen Streitkräfte vor dem Nationalen Volkskongress und dort versammelten Militärs, die er aufforderte alle notwendigen militärischen Maßnahmen unverzüglich zu ergreifen.

Die neue Normalität in den Beziehungen zwischen Peking und Washington beeinflusst auch das Verhältnis zu Moskau. Nach dem sino-russischen Gipfel des Vorjahres zeigte Russland entsprechende Reaktionen: Nach sorgfältiger Prüfung wurde an China die Technologie des Raketenangriffs-Frühwarnsystems (SPRN) ausgeliefert. Russische und chinesische strategische Bomber flogen zusammen in Richtung der US-Stützpunkte in Südkorea und Japan. Angesichts der wachsenden Bedrohung beider Länder sind weitere gemeinsame Maßnahmen angesagt. Nicht umsonst hat die USA Russland und China in ihrem Nationalen Sicherheitskonzept schon im Jahr 2017 als strategische Rivalen bezeichnet.

Zurzeit lassen die Präsidentschaftskanzleien Russlands und Chinas die Dokumente für das kommende Gipfeltreffen vorbereiten. Es soll im September zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs stattfinden. Für den Gipfel stehen zwei Szenarien zur Disposition. Das erste beinhaltet die Weiterführung der Zusammenarbeit im bisherigen Tempo. Das zweite Szenario soll für die beschleunigte Umsetzung der strategischen Partnerschaft in allen Schlüsselbereichen sorgen. Es betrifft vor allem Handel und Investitionen, die  hinter der militärisch-technischen Zusammenarbeit stark nachhinken.

Der Wirtschaftskrieg gegen beide Länder und ein Ende der Covid-Krise lassen eine  Umformatierung des Weltmarktes in Makroregionen erwarten: Dazu gilt es die Frage der Einbeziehung Chinas in die Makroregion EAEU (Euroasiatische Wirtschaftsunion) zu klären. Unterschiedliche Währungssysteme stehen als Hindernis einem solchen Schritt entgegen.

Ein zweites Hindernis stellt das gegenseitige Misstrauen unter den politischen und wirtschaftlichen Eliten beide Länder dar, die zum Teil noch vom neoliberalen Wirtschaftsprogramm – dem  sogenannten Washington-Konsens – herrühren. Es trägt auch zur Stimmung unter den einfachen Leuten bei. In Russland bestehen Befürchtungen, dass China Ansprüche auf “Sibirien und den Fernen Osten“ erheben könnte. Dazu wird von China eine historisch umstrittene Version bezüglich der Annexion Sibiriens und des Fernen Ostens vermeintlich unterstützt. Dies hat zu Gefühlsausbrüchen in den sozialen Netzwerken Chinas im Zuge des 160. Jahrestages der Gründung von Wladiwostok geführt: In Beiträgen wurde der Pekinger Vertrag von 1860 als ungleich und die russische Hafenstadt als Haishenwei bezeichnet.

Derartige historische Fragestellungen gilt es aufzuarbeiten. Aufklärungskampagnen in beiden Ländern könnten die Unverletzlichkeit bestehender Grenzen thematisieren, um die gewaltfreie, territoriale Abgrenzung beider Staaten, die noch nie gegeneinander gekämpft hatten, zu propagieren. Ein neuer Grundlagenvertrag könnte zur Überwindung solcher Differenzen weiter beitragen.

Der derzeitig gültige Vertrag über gut nachbarschaftliche Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der Volksrepublik China wurde am 16.7.2001 für den Zeitraum von 20 Jahren abgeschlossen. Eine Verlängerung ist geplant, doch der Vertragsablauf  im nächsten Jahr ermöglicht es, über ein neues Dokument nachzudenken. Der neue Vertrag könnte die bestehende Staatsgrenze über seine ganze Länge anerkennen und dazu beitragen vorhandene letzte Phantomschmerzen dauerhaft zu beseitigen.

Auch ohne Abschluss eines formellen Militärbündnisses könnte der neue Vertrag gemeinsame Herausforderungen adressieren, wie beispielsweise die mögliche gemeinsame Antwort auf einen Atomangriff auf nur einen der beiden Staaten. Die chinesischen und russischen Streitkräfte werden in der Lage sein ihre Sicherheit zu Lande, zu Wasser, in der Luft sowie auch im Weltraum inklusive Cyberspace zu garantieren.


SCO Anti-Terroristen-Manöver                    Foto: Xinhua

Dramatisch geänderte Umstände werden die Regierungen Russlands und Chinas veranlassen, eine Analyse der globalen und bilateralen Beziehungen vorzunehmen und ihre Langzeitpläne aufeinander abzustimmen, um den unvermeidlichen Lauf der Geschichte in den Dienst ihrer nationalen Interessen zu stellen. Dazu sind Moskau und Peking berufen als wichtige Garanten zur globalen Stabilität und Sicherheit verstärkt beizutragen.

Zum Autor
Yuri Vadimovich Tavrovsky –
Professor und Orientalist, Vorstand des Expertenzentrums Chinesisch-Russischer Angelegenheiten

Übersetzung aus dem Russischen: Continental Council / Friedrich P. Ost

 

Von Redaktion

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