web analytics

Von heute auf morgen sind wir, bin ich, in einer anderen Welt aufgewacht. Die Generation um 1945, der ich angehöre, ist eine Generation des Kalten Krieges. Wir sind  mit der gegenseitigen atomaren Abschreckung  in einer bipolaren Welt aufgewachsen. Seit dem Fall der Berliner Mauer haben wir uns an den Frieden gewöhnt – warum eigentlich? Die Logik des Erst- und Zweitschlages ist mir vertraut. Wir alle haben uns unter diesem nuklearen Schirm relativ sicher gefühlt. Nur ein geistig nicht mehr zurechnungsfähiger Despot, kann im Ernst daran denken, diese letzte aller Waffengattungen einzusetzen oder damit zu kokettieren.

Nun, ich halte Putin nicht für geistig verwirrt und immer noch für einen kühl kalkulierenden Strategen, der die Drohung mit der atomaren Karte sehr gezielt und dosiert einsetzt. Er hat dies persönlich bekanntgegeben, natürlich als eine Reaktion auf westliche Maßnahmen, vor allem die Verschärfung der Wirtschaftssanktionen, den Beschluss der Deutschen Bundesregierung Waffen an die Ukraine zu liefern und die Bundeswehr massiv aufzurüsten. Die Drohung richtet sich nicht gegen die Ukraine, das wäre auch unsinnig, sondern ist vielmehr als Signal an die USA zu verstehen. Die Alarmbereitschaft ist, wie Militärexperten versichern, nur auf einer niederen Stufe von 0 auf 1(bei einer vierstufigen Skala) erfolgt, aber sie umfasst immerhin strategische Raketentruppen, die Nord- und die Pazifikflotte, sowie die Fernfliegerkräfte.

Militärexperten deuten das Ziehen der atomaren Karte auch als ein Zeichen zunehmender Nervosität Putins und vor allem als Warnung an die Atommacht USA, nicht einzugreifen. Außerdem habe er den erbitterten Widerstand der ukrainischen Streitkräfte unterschätzt und stehe wegen der Wirtschaftssanktionen unter massivem Druck.

Davon betroffen sind immerhin der russische Präsident Putin selbst, sein Außenminister Lawrow, Regierungsmitglieder und Abgeordnete aus seinem Umfeld, sowie fünf Oligarchen, die nicht mehr in die Schweiz einreisen dürfen. Auch die Sanktionen des internationalen Zahlungssystems Swift trägt die Schweiz mit.

Schwierig wird es für Putin, wenn sich zwei Gruppen von ihm absetzen: Die Oligarchen und der berühmte kleine Mann. Die Oligarchen, die zum Teil seine Freunde waren, wie der Aluminium Magnat Oleg Deripaska oder sein wichtigster Finanzier, Michael Friedmann,  äußern sich bereits kritisch: Ersterer fordert das Ende des Staatskapitalismus, Letzterer das Ende des Krieges.

Schwierig wird es, wenn der Normalbürger nicht mehr an sein Bargeld herankommt. Es dürfen nur mehr 20 Euro pro Tag behoben werden, während der Rubel ins Bodenlose stürzt. Das Volk merkt erstmals, dass etwas nicht stimmt, dass ihm Opfer abverlangt werden und sie wissen nicht wofür.

David gegen Goliath

Kämpfen und sterben ihre Söhne für Putin, für russische Größe? Das mag noch bei der älteren Generation verfangen, die den vaterländischen Krieg erlebt hat, den Putins Propaganda heraufbeschworen hat, aber bei der jüngeren Generation? Die Wahrheit wird sich nicht verschweigen lassen. Nicht verschweigen lassen wird sich auch, dass der russische Vormarsch nur schleppend vorankommt, wie diese Karte, die mir von Georg Mader, einem Fachjournalisten übermittelt wurde und vom Institute for the Study of War stammt, deutlich macht. Karte 1

Charkiv, die zweitgrößte Stadt der Ukraine im Nordosten, übrigens mit einer weitgehend russischen Bevölkerung (90%) ist trotz schwersten russischen Beschusses, lange nicht eingenommen worden.

Um die ukrainische Hauptstadt Kiew massieren die Russen zwar eine Panzer Armada, 60 km lang, die bisher allerdings nicht in die Kämpfe eingegriffen hat.

Krieg im Zeitlupentempo

Die Russen drehten bisher vorsichtig an der Eskalationsschraube, weil sie offensichtlich so wenig tote Soldaten wie möglich in Kauf nehmen wollen. Einen Häuserkampf scheuten sie bislang. Vielmehr deutet die Panzerkolonne darauf hin, dass eine Landbrücke zwischen Kiew und dem Donbass, also der Ostukraine, hergestellt werden soll. Kiew selbst soll offenbar eingekesselt und ausgehungert werden. Der Preis für einen Angriff wäre hoch. Auf beiden Seiten.

Wieso kann und konnte der kleine David dem russischen Goliath bisher so erfolgreich die Stirn bieten? Nach informierten Quellen haben die US Streitkräfte zumindest seit der Annektion der Krim durch Russland, die ukrainische Armee aufgerüstet. Mit Tiefladern mit amerikanischen Hoheitszeichen wurden Panzer von der polnischen Grenze aus in den Donbass geschleust, mit amerikanischen LKW wurden Waffen auf ukrainisches Gebiet transportiert. Amerikanische Soldaten sind über den Bahnhof von Lemberg, danach mit Autos und Bussen weiter in die Ostukraine gefahren, als Berater. Von den ehemaligen Militärflughäfen des Warschauer Pakts in der Nähe Lembergs, sind meistens nachts amerikanische Militärtransporter des Typs Herkules mit Rüstungsmaterial aufgebrochen, um die ukrainischen Streitkräfte im Falle eines russischen Angriffs entsprechend zu stärken. Das erklärt auch die Raketenangriffe auf diesen Stützpunkt zu Beginn des Krieges von Weißrussland aus. Der meiste Nachschub wurde von Litauen aus geliefert, wo sich 70 km vom Stadtzentrum Vilnius entfernt der zweitgrößte Militärflughafen der ehemaligen Sowjetunion befindet, den die NATO für Herkulesmaschinen adaptiert und zu einem Raketenstützpunkt ausgebaut hat, von wo Mittelstreckenraketen, die atomare Sprengköpfe tragen, in 3 Minuten Moskau erreichen. Genau dies sollte sich, nach dem Willen Putins, in der Ukraine nicht wiederholen. Daher der Wunsch Moskaus, immer schon, die Ukraine nicht in die NATO zu integrieren und auch nicht in die EU aufzunehmen. Putin hat sich auf die Zersplitterung der EU und auf die Schwäche und Kampfmüdigkeit der NATO verlassen. Zu Unrecht wie man sieht.

Die Ukraine und die EU

Zum Abschluss noch einige Worte zu dem Wunsch des ukrainischen Präsidenten Selenskij, in Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union zu treten: Während meiner Tätigkeit als EU Parlamentarierin und meinen Missionen in die Ukraine habe ich mich für eine Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union eingesetzt. Ein polnischer Delegierter in der Europäischen Volkspartei meinte sogar, wenn die EU schon wen aufnehme, dann solle es nicht die Türkei, sondern Ukraine sein. Gegen die Türkei habe ich mich ausgesprochen, für die Ukraine habe ich mich eingesetzt. Die damalige österreichische Außenministerin, Ursula Plasnik bremste mich ein: Dazu sei die Zeit nicht reif, man wisse nicht, wie sich die Situation in der Ukraine entwickeln werde – sich offenbar der labilen innenpolitischen Situation, aber auch des russischen Widerwillens gegen einen solchen Schritt, bewusst. Ich muss, zugeben, ich war damals enttäuscht. Und habe das halbherzige Vorgehen der EU in Sachen Ukraine nie wirklich nachvollziehen können. Ich kann es mir nur erklären mit der Angst vor den Kosten und dem freien Personenverkehr. Natürlich wird die Rechtssicherheit immer wieder vorgeschoben. Die Ukraine muss sich erst beweisen, bevor sie aufgenommen wird.

Möglicherweise haben Bundeskanzler Schüssel und die damalige Außenministerin auch die Interessenlage Russlands einkalkuliert und sind in Erinnerung an die schwerwiegenden Vorbehalte gegen Österreichs EU-Beitritt noch zu Sowjetzeiten auf die Bremse getreten.

An den Lippenbekenntnissen in der EU zur Integration der Ukraine hat sich heute nichts geändert. Mehr als eine Beitrittsperspektive bietet sie nicht an.

Dafür haben wir Jahrelang Putin hofiert. Karl Schranz ist mir ihm Schi gefahren, die EX-Außenministerin Karin Kneissl hat vor ihm einen Knicks gemacht. Wir haben zugelassen, dass sich Oligarchen mit und ohne Strohmänner in den schönsten Gegenden eingekauft haben, auch in Wien. Natürlich waren auch ukrainische Oligarchen dabei. So der Putin nahe Dimitro Firtasch, dessen Verstrickung in den Milliardenskandal des Finanzdienstleisters Wirecard evident ist, dessen Chef Jan Marsalek abgetaucht ist und in Russland vermutet wird. Das wird noch viele U-Ausschüsse beschäftigen.

Die Schattenwirtschaft war das eine, die Wirtschaftsbeziehungen waren das andere und sie haben funktioniert. Durchaus zum Vorteil Österreichs. Russland ist nach Deutschland der zweitgrößte Investor in Österreich und Altkanzler Schüssel immer noch Mitglied des Boards von Lukoil, dem größten russischen Energiehandelsunternehmen.

 

7 Gedanken zu „Die Ukraine-Krise – Ein Bruch mit der Nachkriegsordnung und eine Zeitenwende“
  1. Naja, da stimme ich zu Teilen überhaupt nicht bei, im Gegenteil. Was mir fehlt, ist der Hinweis auf die Tatsache, dass zu einem, fast acht Jahre lang, auf die zivile Bevölkerung des Donbass geschossen und gebombt wurde. Desweiteren, wird die Tatsache ausgeblendet, dass die Ukraine ein massives nationalfaschistisches Problem hat, gibt dazu viele Beiträge u.a. auch von Reuter 2018, NBC, The Guardian oder Foxx. Das man diese Nazis öffentlich hofiert ist eine Sache, doch das man dieses menschenverachtende Pack auch noch mit modernsten Waffen ausstattet, ist wohl des guten Zuviel.
    Zudem fehlt mir auch der Aspekt der sogenannten wertewestlichen Welt zum Maidan, den von den USA und BND finanzierten Putsch 2014. Nur weil der damalige Präsident das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterschreiben wollte. So sieht sie eben aus, die wertewestliche Demokratie und Toleranz.
    Ebenso unbeachtet, dass die USA seit ihrem Bestehen, mehr als 236 Kriege führten und wo wahren hier die Beileitsbekundungen und kollektiven Sanktionen des „Wertewestens“ gegen die völkerrechtswidrigen Angriffskriegen gegen den Irak, Libyen, Jemen, Syrien, usw., welche allesamt keinerlei UN Mandat erhielten ? Zumal die NATO unter der Federführung stets Flächenbombardements durchführen, d.h., ganze, zivile Gesellschaften niederbomben.
    Wo bleibt auch die neutral, sachliche Gegenüberstellung bzgl. der Aufrüstung direkt vor den Grenzen Russlands ? Man stelle sich einmal vor, Russland und China, würden Stützpunkte in Mexiko, Venezuela, Kuba oder sonst wo auf der Karibik bilden und dort Trägerraketen aufstellen, welche mit Atombomben bestückt werden und die Hauptstadt der USA innerhalb 4-7 min erreichen könnten ? Was dann wohl geschehen würde ? Aber ich vergas, dass sind ja die guten, die wertewestlichen Bomben, die in der Ukraine aufgestellt werden sollten.
    Oder wo bleibt der Einwand, der geheimen, sechs gesicherten, wahrscheinlich aber 11 Chemie und Biolabore der USA, welche in der Ukraine aufgebaut und unterhalten wurden ? Direkt an der Grenze zu Russland ? Würde das der NATO oder USA etwa gefallen, selbes Szenario vor der eigenen Haustüre?
    Oder was war mit der NATO Osterweiterung ? Die sollte doch ausbleiben, aber die Versprechen und Zusagen der USA, sind genau so viel Wert, wie der Dollar, nämlich nichts.
    Warum wurde auch nichts darüber vermeldet, dass seit 2015 ein Abkommen besteht, dass die Stationierung von Atomwaffen in der Ukraine erlaubt ? Zwar nicht von ihnen selbst, jedoch von ausländischen Kräften ? Gleiches Szenario in Kuba, Mexiko oder Venezuela ? Was dann ?
    Und was den Krieg mit Atombomben betrifft, da gibt es nur ein Land, dass diese schrecklichen Waffen eingesetzt hat und das gleich zweimal ne das obwohl der Gegner schon am Boden lag, ich denke, dass sagt alles, über die Gesinnung der sog. „Weltpolizei“ im Dienste des Kapitals.
    Ich schließe mich da dem Journalisten Gellermann an und bin der gleichen Meinung, dass dies ein Krieg, gegen den Krieg ist. Auch wenn ich niemals einen Krieg gutheißen werden………………

    In diesem Sinne

    19
    1. Ich teile Ihre Auffassung in allen Punkten, möchte aber noch auf ein weiteres Problem aufmerksam machen. Deutschland hat sich entschieden, Waffen an die ukrainischen Soldaten zu liefern. Wenn man bedenkt, dass Deutschland bis heute noch keinen Friedensvertrag bzgl. des 2. WK abgeschlossen hat, sondern dass nur ein Waffenstillstandsabkommen existiert, stellt die Tatsache, Waffen zu liefern, die gegen Russland eingesetzt werden, einen Bruch des Waffenstillstandsabkommens dar. Russland hätte daher das Recht, in Deutschland einzumarschieren. Die jetzige deutsche Regierung wäre daher gut beraten, von einem solchen Ansinnen abzurücken und eine direkte Konfrontation zwischen Deutschland und Russland zu vermeiden. Leider ist deutsche Regierung nicht in der Lage, geschichtliche Zusammenhänge und Konsequenzen zu erkennen, was mangels Bildung und Erfahrung der Minister nicht weiter verwundert.

      16
      1. Vielen Dank für die Ergänzungen. Das ist in der Tat so. Viele denken, dass die BRD der legitime Rechtsnachfolger des deutschen Reiches ist, was jedoch nicht zutrifft, in Anlehnung an das Ermächtigungsgesetz von 1933. Auch sind viele, auch Juristen der Meinung, dass der 4+2 all diese Dinge geregelt hat, auch das ist nicht korrekt. Tatsache ist, wie sie es schon richtiger Weise geschrieben haben, dass Deutschland immer noch keinen Friedensvertrag hat, jedoch wieder von seinen, wohl niemals „ad acta“ gelegten, Allmachtsphantasien träumt. Machtbesoffen, biedert man sich den USA an, obwohl denen die Deutsche Wirtschaft seit Anbeginn des industriellen Zeitalters, ein Dorn im Auge ist. Würde man das Recht, als eine ernste Sache betrachten, ja, so hätte Russland in der Tat das Recht, wieder mal seine Fahne an ein Berliner Gebäude zu hissen………………..

        Mfg

  2. Salopp gesagt kann man nur hoffen, dass Putin schnellstmöglich entmachtet wird und sich die Situation wieder beruhigen wird. Außenstehende können zwar eine Meinung haben, haben aber i.d.R. keine tiefergehende Ahnung von den tatsächlichen Verhältnissen. Deshalb ist es schwierig, die jetzige Situation auch tiefergreifend zu beurteilen. Ein Krieg, der schnell eskalieren kann, muss in jedem Falle vermieden werden. Das sagt ein 1944 geborener der bis heute eine schöne Zeit erleben konnte.

    2
    7
    1. Bevor sie solche Texte von sich geben, sollten sie sich mal mit der Realität auseinandersetzen. Das Narrativ der wertewestlichen Welt sukzessive der Staatsmedien, gleichen sich aufs Wort. Putin ist das personifizierte Böse. Doch was sind dann für jene die Nazis und Faschisten in der Ukraine, die seit Jahren, unbehelligt von den selbsternannten, wertewestlichen Nazijägern und unter Ausschluss jeglicher Verantwortung, ihr mörderisches Unwesen an unschuldigen Frauen, Kindern und Alten treiben ? Aber diese Nazis unterliegen wohl der Causa „Lex Wertewesten“………..
      Hat Putin nicht seit Jahren gewarnt ? Hat die NATO unter der Federführung der USA nicht alle Regeln des Friedens gebrochen ? Wie würde es ihnen gefallen, wenn ihr Nachbar vor ihrer Haustüre, Raketen aufstellen würde obwohl er eigentlich ganz woanders zuhause ist ?………..

      In diesem Sinne

      9
      1
      1. Na ja, kann man natürlich auch aus dieser Perspektive sehen. Aber ob diese Sichtweise tatsächlich die Richtige ist, wird wohl immer umstritten bleiben. Die Ukraine ist ja weder in der EU noch in der Nato und einen solchen Krieg zu der jetzigen Zeit anzuzetteln bleibt wohl auch sehr fragwürdig. Auch sollte man nicht vergessen, dass Putin vorher wochenlang betont hat, lediglich militärische Übungen zu veranstalten. Und das war nach meiner Lesart einfach gelogen. Ob das ein staatsmännisch richtiges Verhalten war? Jedenfalls hat Putin viel Vertrauen verspielt und wie es weitergeht werden wir sehen. Nebenbei bemerkt habe ich 24 J. während meiner Weltumsegelung in einer internationalen Seglergemeinschaft gelebt. Da beurteilt man möglicherweise viele Dinge etwas anders, ob richtig oder falsch wird die Zukunft zeigen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert