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3. Okt. 2015  Auszug aus dem Buch “Helyzet van! Migráció szürreál” von IRÉN RAB (Budapest, Garbo K. 2016)

Das große Deutschland ist ein viertel Jahrhundert alt geworden. Das kleine Ungarn hat dafür seinerzeit sein Bestes gegeben, Zuflucht für die DDR-Bürger, die nicht zurück wollten, es gab ihnen zu essen und zu trinken, kutschierte sie an die Grenze, öffnete Zäune und nahm damit die Kritik des Ostblocks und auch eine nicht auszuschließende sowjetische Retorsion in Kauf. Vergessen wir nicht, dass im Sommer 1989 noch die weichen Kommunisten an der Macht waren, die sich zwar auf Verhandlungen mit der Opposition einließen, aber die bewaffneten Kräfte auf ihrer Seite hatten! Auch wenn diese vielleicht schon über ihr Überleben und die Rettung ihrer Macht nachdachten, war ihre Reaktion unvorhersehbar.

Eine Zeit lang war Deutschland dankbar, dann begann es diese selbstlose Hilfeleistung zu vergessen und heute sieht Deutschland im kleinen Ungarn das gemeinsame Feindbild des Westens. Die Person des Ministerpräsidenten wurde derart dämonisiert, dass sein Name nicht mehr nur seine staatsrechtlichen Würden umfasst, er ist als Lehnwort in die deutsche Sprache aufgenommen worden:

Orbanisierung.

Das ist der Ausdruck dafür, wenn eine Gruppe, eine Partei oder ein Land sich so ausrichtet, so denkt, so handelt wie es den Prinzipien Orbáns entspricht. Mir gefällt vor allem die Wortschöpfung selbst und ich frage mich, wofür sie in der deutschen Sprache Synonym sein wird. Wird das Wort sich in der Alltagssprache verwurzeln oder bleibt es auf die Sprache der Politik beschränkt? Wird es einmal einen positiven Beiklang haben oder benutzt werden, um Kindern einen Schrecken einzujagen? (Obwohl wir natürlich, Gott bewahre, seit Grimm, Hoffmann und Hauff keinem Kind mehr einen Schrecken einjagen wollen!)

Das Land hat also gefeiert: Feuerwerk, Bier und Bratwurst, Straßenfest und die nicht wegzudenkenden Festreden. Ungarn wurde darin kaum noch erwähnt, die große deutsche Einheit ist von Bismarck an über Hitler bis heute unter Assistenz des kultivierten Westens zustande gekommen, wir wurden dort nicht gefragt. Es reicht, dass wir die Drecksarbeit erledigt haben, wie auch heute.

Die große feierliche Rede wurde dieses Jahr in Frankfurt gehalten, mit einem Auftritt des Bundespräsidenten Joachim Gauck und des hessischen Ministerpräsidenten, Volker BuffierMutti Merkel saß zwischen ihnen, lachte, sprach aber nicht, mit der Innenpolitik verschont die Partei sie dieser Tage. Verschont wurden die Redner allerdings nicht, von den Kommentarschreibern bekamen sowohl Gauck als auch Buffier eine Abrechnung.

Der ehemalige Ossi-Pastor Gauck sprach ganz so, wie es einem Pastor würdig ist: „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich.” Er wies dem Volk den Weg der Akzeptanz und gab damit der aktuellen Krisensituation einen historischen Rahmen.

Denn was jetzt im Zuge der Flüchtlingsfrage geschieht ist eine Wiederholung der Vergangenheit, vor einem viertel Jahrhundert war die deutsche Wiedervereinigung eine ebenso große wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung,

das ruft bei Gauck das Déjà-vu hervor. So wie damals wächst auch jetzt zusammen, was zuvor nicht zusammengehörte, es muss nur der richtige Anknüpfungspunkt zwischen Ureinwohnern und Ankömmlingen gefunden werden, und dafür brauchen wir nichts anderes als Geduld, die Rose kommt ganz von alleine.

Der Frankfurter Gastgeber empfing im Namen des offenen und toleranten wiedervereinten Deutschlands alle Anwesenden, unter denen sich auch Delegierte aus den Reihen der Flüchtlinge befanden. „Seien Sie herzlich willkommen!” begrüßte der Minister sie auf Deutsch und ganz im Zeichen der Willkommenskultur. Das ließ bei den Kommentarschreibern alle Sicherungen durchbrennen, denn sie waren zu diesem großdeutschen Feiertag schließlich nicht eingeladen worden, weder sie, noch die Obdachlosen, noch die Hartz-IV-Empfänger, nicht mal für die mittellosen Rentner waren Klappstühle aufgestellt worden.

Auch Gauck bekam in den Kommentaren viel Geschimpfe ab, vor allem einer seiner Sätze blieb vielen im Halse stecken: Die „Einheimischen” (er hat Einheimisch gesagt!) müssten sich „an ein Land gewöhnen, in dem Vertrautes zuweilen verloren geht.”

Warum sollten wir?! Wir haben ein Recht auf unsere eigene Identität! Warum müssen wir uns umgewöhnen? Sollen doch  die Flüchtlinge sich an uns gewöhnen! – schrie das Volk virtuell auf. Einige zitierten den hier passenden Artikel 56 und 64 des Grundgesetzes „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden … werde. So wahr mir Gott helfe”. – Wir wurden nicht gefragt, ein Demagoge hat gesprochen, die Politik will es so, wir nicht. Die Ossis verbaten sich sogleich den Vergleich, wir waren auch Deutsche, wir haben die gleiche Sprache gesprochen, hatten die gleiche Religion und wir hatten auch ein Zuhause. Damals wuchs zusammen, was zusammengehörte…

:beitrag: UNGARNREAL:partner:


4 Gedanken zu „Erinnerung an den Tag der Deutschen Einheit 2015“
  1. Irgendwann sind genügend ostdeutsche Jugendliche durch die tollen unabhängigen Staatsmedien so verblödet, dass sie sich an die Westdeutschen angepaßt haben, Verzeihung, allerdings mein Eindruck…

    1. Lutz Suckert, ich grüße Sie,
      es ist nicht nur ein Eindruck, sondern es ist so. Aber, es sind keine ostdeutschen Jugendlichen, sondern mitteldeutsche Jugendliche (Ostdeutschland liegt woanders!). Ich erlebe das in meiner Familie. Zwei Kinder hier und unser jüngster Sohn in Bayern.
      Bei ihm und seiner ebenfalls mitteldeutschen Ehefrau muß ich mir jedes Wort einige Male überlegen. Er hat sich sehr angepaßt, auch in andereen Dingen. Dann folgt unser ältester Sohn mit Familie.
      Nur unsere Tochter und ihre Familie machen eine Ausnahme. Deswegen stehen ihre beiden Brüder auch etwas Kontra. Ich beobachte das auch bei vielen, vielen Jugendlichen. Auch bei meinem Neffen und meiner Nichte.

      Viele Grüße an Sie von einem Sachsen.

  2. Dass sich so manche Ostdeutschen doch noch einmal den Eisernen Vorhang zurück gewunschen hätten hat damals auch niemand gedacht.

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