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Gewichtige Fragen an Alfred de Zayas

Alfred de Zayas ist Professor für Völkerrecht an der Geneva School of Diplomacy und war in hohen Funktionen für die die Vereinten Nationen im Sekretariat des Hohen Kommissars für Menschenrechte tätig. Er gab sputniknews.com ein Interview, um jüngste Entwicklungen um den kommenden Prozess gegen Julian Assange zu besprechen.

Sigurdur Ingi Thordarson, ein wichtiger Zeuge US-Justizministeriums im Fall gegen Julian Assange, hat laut isländischer Zeitung Stundin zugegeben, wichtige Anschuldigungen zu vermeintlichen Hacker-Aktivitäten in Island gegen den WikiLeaks-Gründer erfunden zu haben. So war herausgekommen, dass einer der Hacker-Angriffe fälschlicherweise dem WikiLeaks-Gründer zugeschrieben worden war. Sie bildeten jedoch einen Bestandteil der Anklageschrift. Edward Snowden kommentierte die Entwicklung am 26. Juni auf Twitter: „Dies ist das Ende des Verfahrens gegen Julian Assange“.

Die Übernahme des Interviews erfolgt mit freundlicher Genehmigung von sputniknews.com. Zum englischen Original weiter hier.

Frage: Können jene Eingeständnisse dem WikiLeaks-Gründer noch helfen?

Alfred de Zayas: Ich bin nicht so optimistisch wie Edward Snowden. Die Anklage gegen Assange wird wegen der Lügen von Thordarson nicht genügend an Substanz verlieren, um noch gestoppt werden zu können. Die USA fühlen sich verpflichtet, gegenüber allen Informanten ein Zeichen zu setzen. Der Fall gegen Assange war nie ein juristischer Fall, sondern stets ein politischer. Die Politik erhält dabei Vorrang vor dem Recht. Das US-Ministerium für „Justiz“ wird einfach andere Aspekte des gegen Assange konstruierten Verfahrens intensivieren.

Die UN-Arbeitsgruppe zum Thema “Willkürliche Inhaftierung” hat wiederholt erklärt, dass die Inhaftierung und Verfolgung von Assange gegen Artikel 9 des Internationalen Pakts der bürgerlichen und politischen Rechte verstößt, den sowohl die USA als auch das Vereinigte Königreich ratifizierten. Die Arbeitsgruppe und mehrere UN-Berichterstatter, darunter Nils Melzer, der UN-Berichterstatter für Folter und ich haben die sofortige Freilassung von Assange gefordert. Melzer hat ein brillantes Buch geschrieben – Der Fall Julian Assange (Piper Verlag, München 2021), das den Verfall der Rechtsstaatlichkeit in den USA, Großbritannien und Schweden im Detail aufzeigt.

Was wir hier erleben, ist ein Krieg gegen den Journalismus und ein Krieg gegen alle Informanten. Das Problem wird durch die Komplizenschaft der Massenmedien, die vom ersten Tag an mitspielten, über eine Dämonisierung von Assange und Verbreitung falscher Anschuldigungen nur weiter verschärft.

So ist es den “Meinungsmachern” gelungen, ein negatives Image von Assange zu zeichnen und das bleibt hängen: Calumniare audacter, sempre aliquid haeret – Verleumde ohne Rücksicht: Etwas bleibt immer hängen!

Frage: Anfang dieses Monats forderte eine parteiübergreifende Gruppe von 24 britischen Parlamentariern Joe Biden unter Berufung auf die Pressefreiheit auf, die Anklage gegen den WikiLeaks-Gründer fallen zu lassen. Wird Biden ihnen im Lichte seiner Menschenrechtsagenda ein offenes Ohr schenken? Wie könnte Bidens Weigerung, die Anklage gegen Assange fallen zu lassen, sich auf sein politisches Image auswirken?

Alfred de Zayas: Ich bezweifle, dass Biden die Politik ändern wird, die bereits sein Mentor Barack Obama eingeführt hat – nicht nur gegen Assange, sondern auch gegen Chelsea Manning, Edward Snowden und viele andere. Biden wird ein paar Banalitäten sagen, um sein Gesicht zu wahren, aber ich erwarte keine “Pardon des Präsidenten”, wie es Trump zuvor verurteilten Kriegsverbrechern zukommen ließ.

Ich persönlich denke, dass sich das politische Image von Joe Biden deutlich verbessern würde, falls er die moralisch notwendige und mutige Entscheidung treffen würde. Aber Biden ist von Falken umgeben, die es nicht zulassen werden das “gute Image” der US-Armee von einem “Hacker” besudeln, noch Strafverfolgungen von US-Soldaten für Kriegsverbrechen in Afghanistan oder im Irak zuzulassen.

Das Pentagon will jede Opposition, jeden Dissens ersticken und wird jeden verfolgen, der es wagt, US-Verbrechen aufzudecken. Sehen Sie, wir Amerikaner sind per Definition “die Guten”. Das habe ich im Gymnasium in Chicago gelernt und habe viele Jahre daran geglaubt – als Glaubensbekenntnis, als Religion. Jeder, der etwas anderes sagt, musste böse oder geistesgestört sein.

Frage: Nach dem mysteriösen Tod von John McAfee in einem spanischen Gefängnis twitterte Snowden, dass Assange “der nächste sein könnte”, und verurteilte das US-Gerichtssystem, weil es unfair wäre, Angeklagte viel eher in den Selbstmord zu treiben als sie dem Verfahren auszusetzen. Würden Sie zustimmen, dass Assange sich am Rande der Verzweiflung befände? Wie passt das zum Umstand, dass die USA andere Länder über “Menschenrechte” belehren?

Alfred de Zayas: Ich glaube nicht, dass Assange jemals Selbstmord begehen würde. Zugegeben, es ist fünf Jahre her, dass ich Assange in der Botschaft von Ecuador getroffen habe, als ich über drei Stunden mit ihm zubrachte. Der Mann beeindruckte mich durch seinen scharfen Intellekt, seinen Mut und seine Belastbarkeit. Ich weiß, dass er von Natur aus ein Kämpfer ist. Außerdem ist er Vater von zwei kleinen Jungen und beabsichtigt, Stella Morris, die Mutter seiner Kinder zu heiraten.

Er hat überhaupt keinen Grund, Selbstmord zu begehen. Er ist sicher nicht am Rande der Verzweiflung – aber die Mainstream-Medien schaffen dieses “Narrativ” so zu drehen, damit wir in der Zivilgesellschaft es demütig hinnehmen, falls er “umgelegt” würde und vergessen eine internationale Untersuchungskommission einzufordern.

Frage: Einige argumentieren, dass McAfee nicht selbstmordgefährdet gewesen wäre, und verweisen auf seine frühere Warnung, dass wenn er “wie Epstein” umkäme, dies zu bedeuten hätte, dass er “umgelegt” worden wäre. Es gibt auch diejenigen, die argumentieren, dass Epstein sich nicht selbst umgebracht hätte. Würden Sie zustimmen, dass die USA und die EU es wiederholt verabsäumten, „Kronzeugen“ zu schützen? Könnte dies ein weiterer Grund sein, sich Sorgen um die Sicherheit von Assange zu machen?

Alfred de Zayas: Wenn Assange im Belmarsh-Gefängnis tot aufgefunden würde, würde ich eine außergerichtliche Hinrichtung vermuten, für die die CIA bekannt und erfahren ist. Vielleicht nicht so “scheußlich” wie der Mord am Dissidenten Jamal Khashoggi durch saudische Gangster, aber genauso so sicher wie die Eliminierung von Jeffrey Epstein und John McAfee, die beide zu viel wussten.

McAfee war sicherlich nicht selbstmordgefährdet – wie seine Witwe wiederholt bestätigt hat. McAfee wusste, dass er ins Visier genommen wurde und dass die USA keine Minute zögern würden, ihn gezielt töten zu lassen. Ich gebe den spanischen Behörden die Schuld, die ihn festgenommen hatten, und den spanischen Richtern, die über seine Auslieferung entschieden. Spanien liefert nicht einmal Kriminelle aus, die in Venezuela Rassemorde begangen hatten und Chavistas im Zuge von Protesten, den “Guarimbas“, verbrannten und dann nach Spanien flohen, um sich der Strafverfolgung zu entziehen.

In Wahrheit ist das ganze “Geschäft” um Auslieferungen ähnlich verpolitisiert wie das Völkerrecht und die Menschenrechte. Die USA und die EU haben die schlechte Gewohnheit absichtlich Kronzeugen nicht schützen zu wollen. Schlimmer noch, die USA und die EU handelten in Komplizenschaft im Zuge der „illegalen Auslieferungen“ im „Krieg gegen den Terror“. Niemand war schockiert, als der UN-Berichterstatter für Terrorismus, Ben Emmerson Q.S. CBE, das Netzwerk dieser offiziellen Kriminalität aufdeckte.

Der Menschenrechtsrat hörte höflich zu, ließ den Bericht schubladisieren und vergessen. Leider zählt die Menschenwürde heutzutage nur wenig. Alles gemäß Machiavelli: “Der Zweck heiligt die Mittel”. Was aber, wenn nicht nur die Mittel, sondern auch der Zweck ein Übel darstellt? Was, falls am Ende die Orwellsche Dystopie uns erwartet, auf die wir unaufhaltsam zubewegen?

Unser Mitteleuropa hat Alfred de Zayas noch zusätzliche Fragen gestellt:

Frage: Wurden Sie wegen Ihrer scharfen Kritiken als „unpatriotisch“ beschimpft?

Alfred de Zayas: Natürlich – das bin ich gewöhnt, schon seit Jahren!

Frage: Was verstehen Sie unter Patriotismus?

Alfred de Zayas:  Patriotismus bedeutet für verschiedene Menschen  unterschiedliche Dinge. Für mich bedingt Patriotismus Bürgersolidarität, der Gerechtigkeit zu Hause fördert und Widerstand gegen offizielle Lügen, Apologetik, Beschönigungen sowie Verbrechen und Tyrannei leistet. Patriotismus erfordert ein Bekenntnis zur Wahrheit und Bereitschaft „Fake News“ und verdrehten politischen „Narrativen“ entgegenzuwirken.

Frage: Wie hätte Patriotismus auf staatlicher Ebene auszusehen?

Alfred de Zayas: Auf internationaler Ebene bedeutet Patriotismus, Schaden vom eigenen Land abzuwenden, indem man proaktiv Dialog und Verständigung sucht, um zu Frieden und Gerechtigkeit beizutragen – Pax et Iustitia.

Frage: Glauben nicht Staaten über dem Recht zu stehen?

Alfred de Zayas: Manche Heranwachsende und junge Soldaten meinen oft, Patriotismus lasse sich auf die Formel „richtig oder falsch – es ist mein Land“ verkürzen, doch riskieren zugleich unwissentlich zum Kanonenfutter oder Opfern von Kriegstreibern und Kriegsgewinnlern zu werden. Letztere riskieren nicht ihre eigene Haut, doch lassen nur andere für ihre Profite sterben. Patriotismus kann und darf nicht das reflexartige Nachbeten von „richtig oder falsch – es ist mein Land“ bedeuten, was Regierungen nur die faulen Ausreden liefert, unser Vertrauen zu missbrauchen, Steuergelder mit ausländischen Interventionen zu verschwenden, durch illegale Überwachung unsere Privatsphäre zu verletzen und uns in jede Art geopolitischer Verbrechen zu verstricken.

Frage: Wie lässt sich jene Problematik lösen?

Alfred de Zayas: Ein wahrer Patriot sagt: „Nicht mit mir“ und fordert von der Regierung eine Rechenschaftspflicht, sodass unsere Länder tatsächlich den Weg zu Frieden und Gerechtigkeit finden. Horaz edel klingende Maxime « dulce et decorum est pro patria mori » – Es ist süß und ehrenvoll, für sein Land zu sterben – müsste konstruktiv umformuliert werden: `Es ist süß, für sein Land zu leben! ` Genau das meinte Cicero mit caritas patriaeLiebe zum Vaterland.

Frage: Wer gilt als Patriot?

Alfred de Zayas: Für mich jeder Bürger, der die Demokratie ernst nimmt und von den Behörden Transparenz und Rechenschaftspflicht fordert. Zu den Patrioten des 21. Jahrhunderts zählen für mich Whistleblower, die kriminelle Aktivitäten sowohl der Regierung als auch des Privatsektors aufdecken. Sie sind die Torwächter der sozialen Ordnung.

Frage: Zählt Edward Snowden dazu?

Alfred de Zayas: Snowden ist sicherlich ein Patriot, da er wegen seines Gewissens Leben und Karriere riskiert hat. Wir können mehr dazu in seinem fesselnden Buch `Permanent Record `nachlesen. Wir alle sind ihm zu Dank verpflichtet.

Frage: Wer ist dagegen kein Patriot?

Alfred de Zayas: Jeder Opportunist, der seine Karriere auf Kosten des Gemeinwohls vorantreibt. Jeder, der die öffentliche Meinung durch Sensationsgier oder Anschuldigungen ohne Beweise und Säbelrasseln manipuliert und am Ende das Land und seine jungen Soldaten in verbrecherische Kriege stürzt. Die Sicherheit jedes Amerikaners wurde durch solche Falken aufs schwerste desavouiert, selbst wenn die Medien sie manchmal als „Patrioten“ feierten.

Von Redaktion

10 Gedanken zu „Fallbeispiele des Tiefen Staates: John McAfee und Julian Assange“
  1. Falsch ist daran nichts. Das Prinzip folgt nur einer anderen, vielleicht zeitgemäßeren Logik.
    Ob das besser ist, müssen die Admins anhand der Zugriffszahlen beurteilen.
    Schließlich ist es deren Projekt – ich hingegen bin nur zu Gast.

  2. Die Darstellung über Assange ist falsch. Assange war kein “Hacker”, sondern beschaffte sich durch Spionage-Tätigkeit eine große Zahl vertraulicher Daten und Unterlagen. Diese verkaufte er dann an seine Auftraggeber, nur ein Teil wurde in Wikileaks veröffentlicht. — Ziel war die Zerschlagung US-amerikanischer und westeuropäischer Nachrichtennetze. Als Folge dieser Spionage-Angriffe starben hunderte Agenten und Soldaten. — Man kann es schönreden, wie man will: Assange ist ein Hochverräter, und nichts anderes.

    1. “Der Verstand verfolgt mich, aber ich bin schneller”. Wieder so ein Supersreader fundierten Halbwissen, voll-imunisiert gegen den lautesten Knall.

      “Als Folge dieser Spio­nage-Angriffe starben hunderte Agenten und Soldaten”
      Die Darstel­lung über Agenten und Soldaten ist falsch. US-Agenten und Soldaten sind keine Beschützer des Volks, sondern Raubritter archaisch tickender Herrenmenschen. Als Folge dieser US-Agenten und Soldaten starben Milionen unschuldiger Menschen auf der ganzen Welt, in den meisten Fällen Zivilisten.

  3. Off topic:
    Schade, daß die Kommentarstränge durch die Umsortierung “zerschossen” wurden.
    War das ein Versehen?
    Oder soll das so sein, daß man jetzt rückwarts lesen muß?

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      1. Hallo Abgrund,
        Ihr “Rückwärtstext” trifft es auf den Punkt.
        Wie schon gesagt, der direkte Mailkontakt steht Ihnen gerne offen.
        Für mich ist nun mal ein Kommentarstrang ähnlich einem sich entwickelnden Gespräch. Dazu gehört zunächst eine Chronologie des seither Gesagten für den, der etwas später dazukommt.
        Erst wenn man weiß, was die bereits anwesenden Teilnehmer zuvor gesprochen hatten, kann man sinnvoll einsteigen, um eventuell etwas beizutragen.

        Mag ja sein, daß das jetzt nicht mehr zeitgemäß ist. Aber in diesem Durcheinander komme ich mir plötzlich vor wie in einer Schwatzbude.
        Jedem Kommentar geht eine “Entwicklungsgeschichte” voraus. Um den jeweils aktuellsten Kommentar zu verstehen, ist es sinnvoll, zu wissen, wie es zu genau diesem kam.

        1. “Wie schon gesagt, der direkte Mailkontakt steht Ihnen gerne offen.”
          Es ist in der Pipeline, ich melde mich ganz sicher noch 🙂

          Die “Entwicklungsgeschichte” verwischt auch in Mails. Ich habe mal versucht, die “roten Linien” zu pflegen, es war fast immer unbefriedigend. Hängt aber stark von den Themen und dem Tiefgang ab.

      1. Daran ist nichts falsch, nur die Intuition stört sich ggf. Wenn neue Kommis oben stehen, müsste streng genommen das Eingabefeld für neue Kommis auch oben sein. Unten gibt man ein, und der Kommi erscheint oben. Außerdem erscheinen Unterkommentare sozusagen “gegen den Strich”, nämlich wie immer von oben nach unten. Ich habe die Erfahrung gemacht – weil ich die Änderung der Default Order früher auch schon mal ausprobiert habe, dass die Nachteile die Vorteile etwas überwiegen.

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