Gibt es in Italien einen Geheim­bund von Frei­mau­rern, der führende Richter ernennt?

Der Platz, an dem sich italienische Spitzenbeamte in einer Freimaurerloge getroffen haben sollen · Bildquelle: Remix News

Neue Zweifel am Funk­tio­nieren der Demo­kratie in Italien entstehen nach einem neuen Justizskandal

Von Olivier Bault

Im vergan­genen Jahr pran­gerte der italie­ni­sche Staats­prä­si­dent Sergio Mattar­ella ange­sichts der Skan­dale um den italie­ni­schen Justiz­ver­wal­tungsrat (CSM) „die unzu­läs­sige Vermi­schung zwischen Poli­ti­kern und Rich­tern“ sowie die „Dege­ne­ra­tion des Systems der Strö­mungen“ an. Er bezog sich damit auf die poli­ti­schen Strö­mungen inner­halb des CSM, die mit der Art und Weise der Ernen­nung von Rich­tern und Staats­an­wälten durch die verschie­denen Strö­mungen, die im Natio­nalen Rich­ter­ver­band (ANM) vertreten sind, verbunden sind.

Mattar­ella forderte daraufhin eine tief­grei­fende Reform des CSM, der für die Gewähr­leis­tung und Über­wa­chung der Unab­hän­gig­keit und Unpar­tei­lich­keit des italie­ni­schen Justiz­sys­tems zuständig ist. Bis heute steht diese Reform aus, trotz der sehr ernsten Skan­dale, die die poli­ti­schen Akti­vi­täten von Netz­werken von Rich­tern und Staats­an­wälten aufge­deckt haben, die den CSM durch­laufen haben, um rechts­ge­rich­tete Führer wie Silvio Berlus­coni und Matteo Salvini durch Gerichts­ver­fahren außer Gefecht zu setzen.

Doch während man auf diese Reform wartet, ist gerade ein neuer Skandal ausge­bro­chen, nachdem Beweise für eine geheime Frei­mau­rer­loge, in die italie­ni­sche Eliten verwi­ckelt sind, ans Licht gekommen sind. Mitglieder des CSM, Richter, Poli­tiker und Beamte der Guardia di Finanza (eine mili­ta­ri­sierte Poli­zei­truppe unter der Schirm­herr­schaft des Wirt­schafts- und Finanz­mi­nis­te­riums) sowie Ange­hö­rige der Polizei gehören angeb­lich einer Loge mit dem Namen „Hungaria“ an – keine Anspie­lung auf Viktor Orbáns Heimat­land, sondern auf einen Platz in Rom, wo die Mitglieder ihre Treffen abge­halten haben sollen, im Haus eines wich­tigen Rich­ters. In dieser Loge werden die Ernen­nungen und Abbe­ru­fungen von Magis­traten in Italien entschieden, heißt es.

Geheim­bünde sollen in Italien verboten sein

Wenn diese Tatsa­chen stimmen, würde die Exis­tenz dieser Loge gegen das italie­ni­sche Gesetz verstoßen, das Geheim­bünde verbietet. Schlimmer noch, es würde neue Fragen über die demo­kra­ti­sche Natur des poli­ti­schen Systems Italiens aufwerfen, das bereits durch die Enthül­lungen in Zweifel gezogen wurde, die durch das Abhören des mäch­tigen Staats­an­walts Luca Pala­mara, ein ehema­liges Mitglied der CSM und ehema­liger Präsi­dent der Natio­nalen Rich­ter­ver­ei­ni­gung (ANM), die italie­ni­sche Richter und Staats­an­wälte zusam­men­fasst, als Teil einer Korrup­ti­ons­er­mitt­lung erhalten wurden.

Eine Unter­su­chung wurde bereits von Staats­an­wälten in vier verschie­denen Regionen einge­leitet, aber wird sie nicht von Mitglie­dern der unga­ri­schen Loge blockiert werden? Immerhin stammen die Aussagen, die von der Exis­tenz dieser Loge berich­teten, von einem Anwalt, der an einem Fall im Zusam­men­hang mit dem italie­ni­schen Ölkon­zern Eni betei­ligt war, Pietro Amara, aus dem Jahr 2018.

Ein Mailänder Staats­an­walt, Paolo Storari, wollte heraus­finden, ob Pietro Amara lügt, was ein Vergehen ist und straf­recht­lich verfolgt werden könnte, oder ob er die Wahr­heit sagt, in welchem Fall die Exis­tenz dieser Geheim­ge­sell­schaft zu unter­su­chen wäre.

Ange­sichts der Untä­tig­keit des Mailänder Ober­staats­an­walts Fran­cesco Greco entschied sich Stolari dafür, das Gesetz zu brechen, indem er die vertrau­liche Akte, die Amaras Anschul­di­gungen enthielt, an Pier­ca­millo Davigo weitergab, der damals Mitglied des Justiz­rats war, aber auch Davigo entschied sich, nicht zu handeln. Schließ­lich war es eine CSM-Mitar­bei­terin, die Amaras Aussagen anonym und illegal an zwei Zeitungen und an Anto­nino di Matteo, ein weiteres CSM-Mitglied, weiter­lei­tete, und so kam es Ende April zum Skandal.

Die EU zeigt mit den Fingern auf Ungarn und Polen

Trotz der Schwere des neuen Skan­dals um die mögliche Exis­tenz einer geheimen Frei­mau­rer­loge, die mit dem CSM verbunden ist, hat die Euro­päi­sche Kommis­sion wenig Inter­esse an dem Fall gezeigt.

Wenn die EU nach den Prin­zi­pien der Rechts­staat­lich­keit arbeiten würde, wäre es nur natür­lich, dass die Kommis­sion es vermeiden würde, ihre Nase in die Orga­ni­sa­tion und den Betrieb des Justiz­sys­tems eines Mitglieds­landes zu stecken, da dies nach den euro­päi­schen Verträgen eine exklu­sive natio­nale Kompe­tenz ist. Es liegt also an den Italie­nern selbst, ihre Probleme auf diesem Gebiet zu lösen.

Aber es ist tatsäch­lich so, dass für einige Länder – nämlich Polen und Ungarn – die Euro­päi­sche Kommis­sion und nach ihr der Euro­päi­sche Gerichtshof (EuGH) sich mit der Macht ausge­stattet sehen, das Funk­tio­nieren des Justiz­sys­tems in diesen Ländern zu über­wa­chen. Dasselbe gilt auch für das Euro­päi­sche Parlament.

So versucht die Kommis­sion nun, Polen vom EuGH wegen der Diszi­pli­nar­kammer verur­teilen zu lassen, die es im Rahmen der 2017 beschlos­senen Justiz­re­formen inner­halb seines Obersten Gerichts­hofs geschaffen hat. Sinn und Zweck dieser Reformen war es, der fast völligen Straf­frei­heit von Rich­tern aufgrund des im Berufs­stand vorherr­schenden Korpo­ra­tismus ein Ende zu setzen, d.h. zu verhin­dern, dass es zu solchen Situa­tionen wie in Italien kommt, ohne dass jemand etwas dagegen tun kann, außer zu klagen. Der Gene­ral­an­walt des EuGH hat gerade der Euro­päi­schen Kommis­sion zuge­stimmt, dass eine Diszi­pli­nar­kammer, deren Mitglieder von einem Justizrat ernannt wurden, dessen Mitglieder wiederum von einem gewählten Parla­ment ernannt wurden, gegen soge­nannte euro­päi­sche Prin­zi­pien verstößt.

In Italien scheint die Straf­frei­heit von Rich­tern garan­tiert zu sein, aber die Gewal­ten­tei­lung funk­tio­niert nur in eine Rich­tung: Während Poli­tiker nichts gegen Richter tun können, können letz­tere viel gegen sie tun, und es sind merk­wür­di­ger­weise immer wieder rechte Poli­tiker, die gewöhn­lich zur Ziel­scheibe werden. Außerdem geschieht dies oft mit der Unter­stüt­zung von krummen linken Poli­ti­kern wie dem ehema­ligen Staats­prä­si­denten Giorgio Napo­li­tano, der sich als Kommu­nist wahr­schein­lich nicht so sehr um die Demo­kratie scherte und der 2011 mit eindeutig unde­mo­kra­ti­schen Mitteln zum Abgang von Minis­ter­prä­si­dent Silvio Berlus­coni beigetragen haben soll, unter anderem mit Hilfe von links­ge­rich­teten Rich­tern und Staats­an­wälten (und auch mit Hilfe von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, aber das ist eine andere Geschichte). Wir sehen derzeit, wie sich die Geschichte mit den Straf­ver­fahren gegen Matteo Salvini wegen seiner Entschei­dungen als Innen­mi­nister, die Ankunft von ille­galen Einwan­de­rern an Bord der Schiffe Grego­retti und Open Arms zu blockieren, wieder­holt. Wir sahen dieselbe Taktik in der Vergan­gen­heit mit einer Viel­zahl von Schein­pro­zessen gegen Silvio Berlusconi.

„Seit vielen Jahren leide ich und pran­gere die ideo­lo­gi­sche Unter­wan­de­rung und Undurch­sich­tig­keit des Macht­sys­tems an, die einen Teil der Justiz, einige Staats­an­walt­schaften und die Spitze der orga­ni­sierten Strö­mungen kenn­zeichnet, „, sagte Berlus­coni am 27. März letzten Jahres in einem Inter­view mit Il Giornale und kommen­tierte das Buch „Il Sistema“ (Das System), das der Verlags­leiter von Il Giornale, Ales­sandro Sallusti, auf der Grund­lage seiner Gespräche mit dem ehema­ligen Staats­an­walt, Leiter der ANM und CSM-Mitglied Luca Pala­mara geschrieben hat.

Italien braucht die Gewal­ten­tei­lung, auf der eine libe­rale Gesell­schaft beruht, betonte Berlusconi

Nach dem Aufkommen dieses neuen Skan­dals um die Exis­tenz einer geheimen Frei­mau­rer­loge inner­halb der italie­ni­schen Justiz sagte der ehema­lige Premier­mi­nister und frühere Vorsit­zende der Demo­kra­ti­schen Partei der Mitte-Links, Matteo Renzi: „Zwei Jahre lang haben sie uns glauben gemacht, dass das Problem bei einem einzigen Richter, Luca Pala­mara, liegt. Jeden Tag, der vergeht, entde­cken wir etwas Neues. Einen bequemen Sünden­bock zu finden, ist nicht die Lösung, niemals. Und tatsäch­lich kommen die Probleme, die unter dem Teppich versteckt sind, immer wieder zum Vorschein.“

Er fügte mit Sarkasmus hinzu: „Ich bin sicher, dass Richter Davigo – der uns seit Jahren in allen TV-Shows, an denen er teil­nimmt, und in den Kolumnen von Il Fatto Quoti­diano mora­li­sche Lektionen erteilt – diese selt­same Affäre erklären kann. (…). Aber es ist jetzt offen­sicht­lich, dass der CSM in Schwie­rig­keiten ist. Und wenn eine Insti­tu­tion leidet, ist das ein Problem für alle. Ein großes Problem für alle.“

Aller­dings nicht für die Leute in Brüssel, denn die Gewal­ten­tei­lung, wie sie sie sich vorstellen, funk­tio­niert nur in eine Rich­tung, nämlich zugunsten unab­hän­giger und unab­setz­barer Richter. Mit Demo­kratie hat das natür­lich nichts zu tun. Die parla­men­ta­ri­sche Demo­kratie polni­scher oder unga­ri­scher Prägung ist in ihren Augen ohnehin zu „popu­lis­tisch“.

Quelle: Remix News


5 Kommentare

  1. servus,
    ist nicht anders, als im korrupten/korrumpierenden BRD-System ( nicht Deutschland! )
    liebe Grüße
    ausschließ­lich der handler bestimmt den will­fä­higen ( erpreß­barsten) Anwärter für irgend eine „Entschei­dungs­po­si­tion“

  2. Aha, jetzt nach 30Jahre merkt der Staats­chef, dess die Gerchte eine eigen Macht im Land sind?!

    In den 90er ‚retteten‘ die Staats­an­waelte Italien vor Partei­kor­rup­tion (Opera­tion „Mani pulite“): die heimi­sche CDU (DC), und Sozia­listen (PSI) wurden im Block abge­fuehrt und Poli­tiker meis­tens nach lang­wie­rige Uhaft verur­teilt (Bettino Craxi, ehem PSI Cheft setzte sich in Hammamet ab, um die Vehaf­tung zu entgehen).
    Aber auch unzaeh­ligen Partei nahe Unter­nehmen wurden von Anklagen ruiniert, viele begangen in Uhaft selbstmord.

    Der einzige von Justiz­ak­tio­nismus unber­uhrte Partei war der PCI (Linken), die immer wieder den CSM und die Gericht­kaste vertei­digten. Seitdem erhob sich das Justiz­ap­pa­ratus als unber­uhr­bare 3tte Macht im Land. Das ergebnis sieht man ja…

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