„Alles hat hier schon mehr Kraft und Leben […] und man glaubt wieder einmal an einen Gott“. Diese Worte notierte der Alte Goethe 1786 als er den Brenner passierte – weiland nur ein Pass, nicht Staatsgrenze – und für einige Tage im südlichen (nicht südlichsten) Teil Tirols einkehrte und „Land und Leute“ genoss.
Südtirol: Eine unheilvolle Geschichte
Südtirol, seit Dezennien Projektionsfläche konservativ-nostalgischer Sehnsüchte von außerhalb, ein Land, in dem augenscheinlich noch Überlieferung gedeiht und gewachsene Werte hochgehalten werden, ist nicht gefreit von subversiven Kräften, die sich am Althergebrachten stören und anstelle des „Oikos“, dem trauten Heim, eine multikulturelle Gesellschaft setzten wollen, ein Konglomerat der Entwurzelten. Da dieses Phänomen mehr oder minder im gesamten westlichen Teil des abendländischen Kulturkreises zu Tage tritt, dürfte es dem Leser nicht unbekannt sein. Erschwerend kommt für Südtirol jedoch ein zweites gewichtiges Problem hinzu: Das Leben in einem fremden Staate mit volatilem Regierungssystem und einer damit verbundenen undurchsichtigen Politik gegenüber der deutschen und ladinischen Minderheit. Nichtsdestotrotz erreichen das kleine Land zwischen Brenner und Haderburg europaweite Tendenzen immer erst in Verzug, die Ausgangslage wäre aus der Sicht des heimatverbundenen Lagers eine merklich bessere als in vielen anderen Teilen des deutschsprachigen Raums.
Doch wie ist es um jene Gruppierungen und Akteure bestellt, die das Althergebrachte schützen – kurz: konservativ sind? Dieser Beitrag versucht sich an einer Standortanalyse sämtlicher heimatverbundener Akteure in der Sphäre des Politischen in Südtirol. Dabei werden sämtliche Akteure, deren „Räson“ nicht abstrakten, linksgerichteten Idealen folgt, sondern der gewachsenen institutionell-politischen Realität des Landes und den Lebensbedingungen der Südtiroler Rechnung trägt, unter dem „heimatverbundenen Lager“ subsumiert.
Parteienlandschaft:
Die seit mittlerweile über 70 Jahre das Land regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) ist in den letzten Jahren denselben Trend anderer ehemals konservativer Parteien wie der CDU anheimgefallen: Der schrittweisen Entkernung des konservativen Profils und Aufgabe aller daraus abgeleiteten politischen Positionen bis auf die „Schwarze Null“.
So erfolgte im Zuge des SPRAR-Programms 2015 eine „top down“-Zwangsverteilung von jungen Männern afrikanischer Provenienz bis in die entlegensten Winkel des Landes (in alle!), frenetische Unterstützung des für Südtirol ungünstigen Verfassungsreferendums aus dem Jahre 2016 sowie ein immer stärkere Entfernung vom volkstumspolitischen Lager hin zu den neuen Leitlinien „jünger, weiblicher, sozialer“ – der gängige Euphemismus für den „Linksruck“ – was bisher in eine Reihe infantiler Peinlichkeiten der Jungabgeordneten J.L. kulminierte und von der Schmähung des Landesadlers über exorbitanten Spesenabrechnungen bis hin zu lapidaren Corona-Sagern reicht. Staatstragender Habitus, solides Arbeitsethos und vor allem souveräne Volkstumspolitik sind also der SVP entschwunden. Beide Listen ließen sich übrigens beliebig verlängern. Problematisch ist hierbei die Tatsache, dass die SVP ein Groß ihres rund 45 Prozent umfassenden Stimmenpotenzials von einer demographisch gewichtigen älteren Wählergruppe bezieht, die, vielfach aus Gewohnheit oder langfristiger Parteibindung, letztlich ihre Stimme jener Partei geben, deren Stoßrichtung ihnen seit einigen Jahren zuwiderläuft.
Abgestraft wurde in den zurückliegenden Landtagswahlen (2018) jedoch nicht die SVP, sondern zwei der drei deutschen Rechtsparteien, die Freiheitlichen und die BürgerUnion. Während letztere nach jahrelanger „Randthemenkrämerei“ und notorischer Oppositionshaltung zum Selbstzweck der Wiedereinzug ins „Hohe Haus“ versagt blieb und damit weitestgehend von der politischen Bildfläche verschwunden ist, verloren die Freiheitlichen aufgrund eines Rentenskandals von gravierender Tragweite, über die Medien ausgetragene Dissonanzen (zur Infantilität gesellten sich Infamität und Vulgarität: „Muschimund“-Affäre, „Penisring“-Affäre, etc.) sowie die diversen Aus- und Rücktritten nach der Parteiübernahme von außen durch den neuen Obmann Andreas Leiter-Reber rund 2/3 ihrer Stimmen. Nun droht den Freiheitlichen aufgrund der dünnen Personaldecke, mangelnde Kompetenz der beiden übriggebliebenen Landtagabgeordneten sowie den völlig unzureichenden Kommunalstrukturen künftig ein Dasein unter ferner liefen zu fristen, in der Irrelevanz.
Einziger Lichtblick: Südtiroler Freiheit
Einziger Lichtblick in der Parteilandschaft bleibt – zumindest partiell – die Südtiroler Freiheit, die für eine deutschsprachige Rechtspartei einen bemerkenswerten Querschnitt der Gesellschaft in ihren Reihen aufzuweisen hat (beachtlicher Akademiker- und Frauenanteil) und zudem auf einen bewährten Nachwuchs und eine starke Verankerung auf kommunaler Ebene setzten kann. Jedoch scheint die Lage nach den Landtagswahl 2018, wo die Stimmenanzahl trotz gutem Wahlkampf und günstiger Lage nicht ausgebaut werden konnte – ein Umstand, der wohl auch auf den familienbedingten Abgang ihrer gestandenen Gallionsfigur Eva Klotz zurückzuführen ist – etwas festgefahren.
Entscheidend für das heimatverbundene Lager in parteipolitischer Hinsicht ist sicherlich die künftige Entwicklung und Ausrichtung der Südtiroler Freiheit. Das Primat „Los von Rom“ mit dem die Partei auch primär in der Bevölkerung assoziiert wird, und die daran gekoppelten alltagspolitischen Themenfelder wie Toponomastik ist richtig und wichtig. Da abseits der bisherigen thematischen Akzentuierung eine gesellschaftspolitisch breitere Ausrichtung der Partei zur Akquirierung neuer Stimmen vonnöten sein wird, bleibt zu hoffen, dass sich diese nicht an den sezessionistischen Partnern in Europa wie der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung oder Nicola Sturgeon und ihrer SNP in Schottland orientiert. Eine Selbstbestimmung muss immer auch dem gesellschaftspolitischen Leitstern des dem Tirolertum immanenten Katholizismus konservativer Spielart bzw. dessen Ethik und nicht einem nivellierenden Linksliberalismus folgen, der die bereits arg geschwächten Wurzeln der eigenen Kultur unterminiert.
Abschließen lassen sich die vorliegenden „parteipolitischen Betrachtungen jedoch nicht ohne ein neues Phänomen zu konstatieren, das sich erstmals in den Landtagswahlen 2018 abzeichnete: deutsche und ladinische Stimmen für die Lega Matteo Salvinis. Zurückzuführen ist dieses Wahlverhalten auf den – im Gegensatz zum österreichischen Pendant FPÖ – ungemein erfolgreichen Regierungskurs der Lega als Juniorpartner in den wenigen Monaten vor der Landtagswahl. Nicht nur Salvinis erfolgreiche Eindämmung der illegalen Migration sei an dieser Stelle angeführt, sondern der gesellschaftspolitisch konservative Kurs der Lega allgemein.