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Gábor Vona (Foto: jobbik.hu)

Unser Mitteleuropa führte ein exklusives Interview mit Gábor Vona, dem Vorsitzenden der Jobbik – Bewegung für ein besseres Ungarn. Wir befragten den Chef der stärksten ungarischen Oppositionspartei zu Viktor Orbáns Migrationspolitik, zur Konsolidierung der Jobbik und zu den aktuellen weltpolitischen Ereignissen.

Unser Mitteleuropa: Während unseres Interviews ist in Ungarn die Debatte über die von der EU geplante verpflichtende Umsiedlung von Migranten voll im Gange. Am 2. Oktober wurde ein Referendum über diese Frage abgehalten, das aufgrund der geringen Wahlbeteiligung zwar ungültig war, doch 98 Prozent der Teilnehmer an dem Referendum wiesen das Diktat von Brüssel zurück. Was ist Ihre Position zu dieser Frage?

Gábor Vona: In Ungarn gibt es zwei politische Kräfte, welche die EU-Quotenregelung strikt ablehnen: die eine ist die Jobbik als stärkste Oppositionspartei, die andere die Regierungspartei Fidesz. Für Viktor Orbán ist die Migration jedoch nicht bloß ein bedeutendes Problem, das gelöst werden muss, sondern auch ein Thema, das von anderen ernsten Schwierigkeiten in Ungarn – wie Probleme im Gesundheits- und Bildungswesen, die Abwanderung von Ungarn ins Ausland oder die immer mehr ausufernde Korruption – ablenken soll. Diese Form von Dualität – das heißt, ich kämpfe gegen ein Problem, muss es aber gleichzeitig zu “Tarnzwecken” ständig aufrechterhalten – kennzeichnet die Politik von Fidesz.

Unser Mitteleuropa: Am 8. November stimmte das ungarische Parlament gegen den Vorschlag des Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu einer Verfassungsänderung, die den legistischen Schutz gegen die geplanten EU-Quoten vorgesehen hätte. Die Jobbik hat nicht für diese Verfassungsänderung gestimmt, obwohl sie früher selbst einen ähnlichen Vorschlag gemacht hatte. Warum?

Gábor Vona: Nach dem Referendum habe ich Viktor Orbán mitgeteilt, dass die Jobbik seinen Verfassungsänderungsvorschlag nur dann unterstützen werde, wenn zugleich auch die Migration mit Hilfe der sogenannten “Residenzanleihen” eingestellt wird, welche die ungarische Regierung gut betuchten und nicht immer gut beleumundeten Nicht-EU-Bürgern als Vehikel zur Erlangung einer Niederlassungsgenehmigung in Ungarn und somit im gesamten Schengen-Raum anbietet. Die Regierungspartei ist dieser Forderung nicht nachgekommen, weil ihr offenbar das korrupte Geschäft mit den Anleihen wichtiger war. Während Viktor Orbán in Europa als Politiker bekannt ist, der die Migration bekämpft, gibt es kaum Nachrichten über die “Residenzanleihen” der ungarischen Regierung und auch nicht über die Tatsache, dass einer der Wohnnachbarn Viktor Orbáns und zugleich enger Geschäftspartner seines Schwiegersohnes ein Saudi-Milliardär namens Ghaith Pharaon ist, nach dem international gefahndet und dem Unterstützung des Terrorismus zur Last gelegt wird. Unsere Position ist klar: Wir möchten für den Verfassungsänderungsantrag stimmen, nicht aber für eine halbe Lösung, sondern nur für eine komplette – und das will Fidesz wiederum nicht. Für viele ist es jetzt hingegen klar geworden, dass der (ungarische) “König” keine Kleider mehr anhat.

Unser Mitteleuropa: Die katastrophalen Folgen der Masseneinwanderung sind jetzt in ganz Europa offensichtlich. Die “Residenzanleihen” sind jedoch eine an sich übliche Konstruktion, warum soll gerade die ungarische Version gefährlich sein?

Gábor Vona: Die Regierungspartei hat eine beispiellos teure Kampagne für das letztendlich gescheiterte Referendum gegen die EU-Migrationsquoten geführt, welche die ungarischen Steuerzahler 15 Milliarden Forint (Anm.d.Red.: rund 50 Millionen Euro) gekostet hat. Gleichzeitig verkauft die ungarische Regierung aber die besagten “Residenzanleihen” unter anderen in der islamischen Welt, und zwar durch der Regierung nahestehende Offshore-Unternehmen, welche vollkommen intransparent agieren. Das ist ein Skandal, der nicht mit wirtschaftlichem Interesse erklärt werden kann, denn Staatsanleihen können am allgemeinen Markt unter viel besseren Bedingungen verkauft werden. Und es ist geradezu provokant, wenn Ungarn, während die Terroristen des “Islamischen Staates” aus dem Irak fliehen, ebendort ein Büro eröffnet, um potente “Anleger” nach Ungarn und somit in die Europäische Union zu locken.

Unser Mitteleuropa: Wie würde die Jobbik dieses Problem lösen, wenn sie an der Regierung wäre? Was wäre Ihre Migrationspolitik?

Gábor Vona: Unter Berücksichtigung und Einhaltung der internationalen Verträge und der EU-Regeln würde die Jobbik mit allen Mitteln das monokulturelle soziale Gefüge Ungarns aufrechterhalten. Multikulturalismus ist ein Irrweg, der in Westeuropa misslingen wird oder nur auf Kosten von großen Leiden erfolgen kann und an dessen Ende die Kultur Europas aufgelöst wird, d.h. Europa wird zu etwas anderem. Mitteleuropa und Osteuropa hingegen können sich immer noch anders entscheiden. Die Jobbik ist der Meinung, dass eine solche Entscheidung sogar zwingend ist. Multikulturalismus ist nicht unser Weg. Die demographischen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der heutigen Zeit sollen in einem christlichen und genuin europäischen Kontext gelöst werden.

Unser Mitteleuropa: Sie haben im vergangenen Jahr während Ihrer Rede zur Jahresauftaktsveranstaltung der Jobbik die Umwandlung Ihrer Partei in eine „Volkspartei“ [1] angekündigt, was auf deutsch schwer zu interpretieren ist, denn im deutschsprachigen Raum bezeichnen sich Parteien als “Volksparteien”, die eine völlig andere Politik als die Jobbik betreiben, wie in Österreich die ÖVP und in Deutschland die CDU. Was ist unter “Umwandlung in eine Volkspartei” (ungar. néppártiság oder néppártosodás) zu verstehen?

Gábor Vona: Jobbik wurde als eine radikale nationale Partei im Jahr 2003 von Studenten ins Leben gerufen, die sich nun zu einer konsolidierten nationalen Volkspartei etabliert haben. Wie ein Teenager sich aus seinem lockeren und umschweifenden Dasein hin zum Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen entwickelt, so haben auch wir uns im Laufe der Jahre geändert. Das ist ein natürlicher und organischer Prozess, was natürlich unsere Gegner und die Presse zu diskreditieren versuchen. Gestatten Sie mir die Ernsthaftigkeit unseres Anliegens durch zwei Angaben zu untermauern. Laut einer internationalen Umfrage sind in Ungarn die unter 35-Jährigen bis zu 53% für die Jobbik und alle andere Parteien teilen sich die restlichen 47% und bleiben damit weitgehend hinter uns. Unter den großen Parteien wird heute die Jobbik am allerwenigsten abgelehnt und nur 10% der Ungarn sagen, dass unsere Partei ihnen am wenigsten sympathisch ist. Diese Daten zeigen deutlich, dass Jobbik eine breite Wählerschichten umfassende “Volkspartei” ist, und somit auch ein klarer Herausforderer der gegenwärtigen Regierung.

Unser Mitteleuropa: In Österreich gab es bereits einen ähnlichen Versuch zu Zeiten von Jörg Haider. Der damalige Vorsitzende der FPÖ versuchte die Partei ins Zentrum zu ziehen, was letztlich zur Spaltung der Partei führte. Haben Sie keine Angst, dass Jobbik ein ähnliches Schicksal drohen könnte?

Gábor Vona: Nein. Die Jobbik ist derzeit Ungarns stabilste politische Gemeinschaft. Wenn man Viktor Orbán aus seiner Fidesz-Partei entfernen würde, würde diese sofort in einzelne einander bekämpfende korrupte Clans zerfallen. Ich bin seit 10 Jahren Vorsitzender der Jobbik, aber die Partei wird dennoch nicht nur durch meine Person zusammengehalten, sondern auch durch die Liebe unserer Anhänger zu ihrer ungarischen Heimat. Das hilft uns immer durch die Schwierigkeiten, wenn immer solche auftauchen.

Unser Mitteleuropa: In den letzten Jahren wurde im Zusammenhang mit der Jobbik immer wieder der Verdacht geäußert, dass sie russische Interessen vertrete. Die ungarische Boulevardpresse berichtete unlängst davon, dass Sie persönliche Beziehungen zu türkischen Terrorbewegungen pflegen und in den frühen 2000er Jahren an homosexuellen Orgien teilnahmen. Was ist wahr an diesen Vorwürfen?

Gábor Vona: Ein erfolgreicher Weg wird immer von Hass, Neid und Angriffen begleitet. Wenn so viele Lügen über mich von der Regierungspartei und ihren Medien verbreitet werden, so zeigt dies nur, dass man vor uns und vor mir Angst hat. Die Anschuldigungen sehe ich auf der einen Seite als indirektes und in diesem Sinne positives Feedback zu meiner Arbeit an, auf der anderen Seite werden wir aber, falls ein gewisses Maß überschritten wird, mit politischer Polemik aufhören und die Sache vor Gericht fortsetzen. Ich lasse mich jedenfalls nicht ablenken. Die Jobbik hat ein großartiges Programm und wir wollen ein faires, freies und demokratisches Ungarn an Stelle der gegenwärtigen stickigen und korrupten Regierungsführung.

Unser Mitteleuropa: Wie beurteilen Sie das weltpolitische Geschehen der jüngsten Zeit? Donald Trump hat entgegen allen Erwartungen die US-Präsidentschaftswahl gewonnen, die AfD wächst langsam aber sicher in mehreren deutschen Bundesländern in die Rolle einer Wechselpartei hinein und Österreich steht sehr nahe daran, als nächsten Bundespräsidenten einen Kandidaten der FPÖ zu bekommen. Können antielitäre und globalisierungskritische Parteien wie die Jobbik davon profitieren?

Gábor Vona: In der westlichen Welt sind solche Veränderungen an der Tagesordnung, wie sich am Erfolg meiner Partei zeigt, aber auch bei allen anderen Vorgängen, welche Sie eben erwähnt haben. Diese hängen miteinander zusammen und tragen gemeinsame die Botschaft in sich, dass die liberale Meinungsdiktatur und die darauf aufbauende Politik ihrem Ende entgegen geht, da sie unfähig ist, Antworten auf die Probleme der Realität zu geben und sich deshalb in eine virtuelle Welt geflüchtet hat. Das ist meiner Meinung nach sehr positiv zu bewerten, wir können uns aber nicht einfach zurücklehnen. Dass wir die liberale Anschauung verneinen ist wichtig, aber nicht genügend. Auf Ablehnung allein kann man nicht aufbauen, d. h. wir als Kraft des Wandels müssen auch zum Ausdruck bringen, was wir anders als die gegenwärtigen Kräfte machen würden, und wenn wir dazu aufgerufen werden, müssen wir auch beweisen, dass unsere Thesen funktionieren. Während ich auf der einen Seite glücklich über die Veränderungen in verschiedenen Teilen der Welt bin, erwarte ich auf der anderen Seite mit großer Spannung und Neugier, wie wir mit der auf uns zukommenden Verantwortung umgehen werden können.

Unser Mitteleuropa: Verbleiben wir beim Beispiel der AfD und der FPÖ, die derzeit in erster Linie mit Viktor Orbáns Fidesz-Partei Partnerschaften aufbauen möchten. Warum sollten diese Parteien eine Partei wie die Jobbik ansprechen, die über viele Fragen ähnliche Ansichten wie Viktor Orbán hat, der aber die Handlungsfähigkeit einer Regierungspartei fehlt?

Gábor Vona: Die Erfolge der AfD und der FPÖ sehe ich mit großer Freude, und ich drücke ihnen auch weiterhin die Daumen. Die Tatsache, dass dieser Parteien derzeit den Kontakt mit der gegenwärtigen ungarischen Regierungspartei suchen, ist verständlich, doch es handelt sich bloß um ein vorübergehendes Phänomen. Wenn die Jobbik den künftigen Regierungsauftrag in Ungarn erlangen sollte, wird man auch mit uns zusammenarbeiten müssen. Wir sprachen schon darüber, dass alle Dinge im Fluss sind. Dasselbe gilt natürlich auch für politische Partnerschaften.

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[1] Vgl. unseren Bericht über die heurige Veranstaltung: http://dokumentation.site/2016/02/09/gabor-vona-bauen-wir-bruecken/

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