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Konteradmiral Nicola De Felice · Foto: Facebook

Konteradmiral Nicola De Felice ist ein Offizier der italienischen Marine; er befehligte Fregatten und Zerstörer und beteiligte sich seit dem Libanonkrieg 1982 an fast allen NATO-, europäischen und nationalen Seeoperationen, war an nationalen und europäischen Projekten und kapazitiven Verteidigungsentwicklungen beteiligt und erfüllte programmatisch-finanzielle und strategisch-doktrinäre Aufgaben innerhalb des italienischen Generalstabs. Er hatte zudem hohe Positionen im Ausland inne, z.B. als Militärattaché in Tunesien. Sein letzter Auftrag, mit dem 2018 sein aktiver Dienst endete, war der des Leiters der italienischen Marine in Sizilien. Er sah dort alle Details des illegalen Migrationsflusses in dieser Region. Ein Ereignis dieser Zeit war die belastende und komplexe Verantwortung für die Bergung der 700 Opfer des Schiffes, das am 18. April 2015 vor Libyen gesunken ist; ein Fall, bei dem alle logistischen, gesundheitlichen, medizinisch-rechtlichen und gerichtlichen Erfordernisse zum Tragen kamen.

Im Folgendes der Text eines Interviews, das UNSER MITTELEUROPA am 23. Juli 2020 exklusiv mit Konteradmiral de Felice führte:

1. Wie sehen Sie Carola Racketes Gerichtsverfahren?

Beunruhigend. Ich bin kein Anwalt, aber ich glaube, wenn wir gerichtliche oder pseudopolitische Initiativen einleiten, die gegen nationale Gesetze und internationale Normen bezüglich der Souveränität des Staates und des Schutzes nationaler Interessen verstoßen, müssen wir vorsichtig sein, nicht zuletzt wegen der daraus resultierenden sozialen, juristischen, politischen, diplomatischen und institutionellen Konsequenzen. Der Skandal um den Präsidenten der Associazione dei magistrati nazionali (AMN), Luca Palamara, und seine Verbindungen zur Politik des italienischen linken Flügels erklären nun diese unlogischen Urteile, die eindeutig den ehemaligen Innenminister Matteo Salvini angreifen sollen.

In Bezug auf die Gerichtsentscheidung, dass Patrouillenboote der Finanzgarde nicht als Kriegsschiffe anzusehen ist, sprechen angesehene Anwälte von einer fortdauernden rechtlichen “Blendung”. Tatsächlich hat das Kassationsgericht diese Schiffe nämlich bereits mehrmals zu Kriegsschiffen erklärt. Ein Kriegsschiff absichtlich zu rammen ist jedenfalls ein Verbrechen. Stellen Sie sich vor, das Ereignis hätte in ähnlicher Weise in Deutschland  stattgefunden: Wie würde die deutsche öffentliche Meinung und die deutsche Justiz reagieren?

2. Aber was hat Carola Rackete auf See zu tun und welche Verantwortung haben die Flaggenstaaten von Schiffen der diversen NGOs?

Im zentralen Mittelmeer gibt es vier Such- und Rettungsgebiete (SAR) zwischen Italien, Malta, Tunesien und Libyen, die von den Vereinten Nationen regelmäßig über die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) kontrolliert werden. Bei der Rettung auf Hoher See gibt es Verantwortlichkeiten für jede Nation, die über das Gebiet verfügt, in dem die Rettung stattfindet. Die Vereinten Nationen haben Libyens SAR-Gebiet im Juni 2018 gemäß der Hamburger Konvention von 1979 anerkannt. In Libyen gibt es Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migranten (IOM) und der UNHCR, die zusammen mit der von der italienischen Marine ausgebildeten libyschen Küstenwache an Landepunkten operieren und Migranten, die auf Hoher See gerettet wurden, erste Hilfe leisten und sie an die von den Vereinten Nationen anerkannte lokale Behörden übergeben. Im Falle einer Rettung durch das Sklavenschiff Sea Watch 3 im Juni 2019 war der von der Behörde zugewiesene Sicherheitsort Tripolis, der jedoch von Frau Rackete nicht akzeptiert wurde. Auch wenn wir Libyen im Moment ausklammern, wären Malta oder Tunesien die nächstgelegenen und sichersten Orte gewesen: Gabès, Sfax oder La Goulette sind sehr sichere Häfen, in denen Kreuzfahrtschiffe täglich mit Tausenden westlicher Touristen, darunter vielen Deutschen, anlegen. In Bezug auf die angebliche Nichteinhaltung der Genfer Flüchtlingsschutzkonvention durch Tunesien sollte klargestellt werden, dass diese Konvention nur für politische Flüchtlinge und nicht für illegale Migranten gilt; und bis zum Beweis des Gegenteils sind die Leute an Bord der Sea Watch 3 als illegale Migranten zu betrachten.

Die Niederlande, die zu dieser Zeit Sea Watch 3 ihre Flagge gegeben hatten (jetzt ist es Deutschland), wären gemäß Art. 13 der Dublin-Verordnung dafür verantwortlich gewesen, die politischen Asylanträge von Migranten zu bearbeiten, welche die erste (illegale) Passage auf dem Deck dieses Schiffes und damit ihrem Territorium zurückgelegt haben. In der Praxis muss ein NGO-Schiff unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaats mit illegalen Migranten so umgehen, als ob diese sich in dessen Hoheitsgebiet aufhalten. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) und der italienische Schifffahrtskodex bekräftigen eindeutig das Recht eines Küstenstaats, Schiffen, die nicht dem nationalen Rechtssystem entsprechen, die Fahrt in seine Hoheitsgewässer zu verweigern; dies gilt auch für illegale Einwanderung, für die entsprechende Straf- und Verwaltungsverfahren vorgesehen sind. Ich möchte auch hinzufügen, dass der Kodex eine einstweilige Verfügung gegenüber dem Flaggenstaat des Schiffes vorsieht, um Ersatz für jene Kosten zu begehren, die dem italienischen Staat für die durch die illegalen Migranten verursachten Aufwendungen in Form verschiedener Aktivitäten sowohl auf Hoher See als auch an Land entstanden sind.

3. Was sollte Europa tun, um den illegalen Migrantenstrom zu bekämpfen?

Wenn das Ziel der europäischen Sicherheitspolitik darin besteht, jeglichen Menschenhandel als eine Version der Sklaverei des 21. Jahrhunderts zu verunmöglichen und die Todesfälle auf Hoher See zu minimieren, sollte die Anwendung der sogenannten „direkten Strategie“ meines Erachtens nicht ausgeschlossen werden. Dabei werden alle wichtigen Machtinstrumente der Europäischen Union (diplomatisch, militärisch, wirtschaftlich, nachrichtendienstlich und intern) einbezogen. Die EU ist dafür verantwortlich, die Gesamtstrategie zur Bewältigung der Migrationskrise, den Grad des Engagements, die aufzuwendenden Ressourcen, die Ziele und die Rollen der verschiedenen beteiligten Mitgliedstaaten festzulegen. Das derzeitige Waffenembargo von und nach Tripolis sowie nachrichtendienstliche Aktivitäten zum illegalen Handel mit Öl erlauben es der europäischen Militäroperation “IRINI” nicht, effektiv zu funktionieren. Ich glaube, wir können es gar nicht erwarten, dass das Problem sich auf die europäischen Hoheitsgewässer verlagert. Die sogenannte Seeblockade der libyschen und tunesischen Küstengebiete muss gleichzeitig mit der Beschlagnahme der NGO-Schiffe erfolgen, welche am Menschenhandel beteiligt sind, um zu verhindern, dass sich dieser organisatorisch und rechtlich von einer nationalen zu einer multinationalen Dimension entwickelt. Dabei ist es erforderlich, Art. 110 UNCLOS anzuwenden, in dem das Recht von Militärschiffen, verdächtige Schiffe zu kontrollieren sowie das Recht auf Verfolgung und Aufbringung geregelt ist. Im Wesentlichen also eine echte zivile und militärische Aufgabe in internationaler Zusammenarbeit mit den Nationen, die daran interessiert sind, den illegalen Migrationsstrom nach Europa einzudämmen, bis hin – so erforderlich – zur Anwendung von Art. 51 oder Art. 42 der Charta der Vereinten Nationen. Dies wurde in Somalia im Kampf gegen die Piraterie bereits erfolgreich durchgeführt.

4. Die Evangelische Kirche in Deutschland appelliert aus humanitären Gründen, das Recht auf Ausschiffung zu unterstützen: Glauben Sie, dass dies das Problem grundlegend verändert?

Die Bemühungen der Evangelische Kirche in Deutschland, mit Millionen von Euros NGOs zu finanzieren, die “bezahlte Schiffswracks” retten, um der Menschheit Gutes zu tun, machen deutlich, wie das Problem oberflächlich behandelt wird, und zeigen die mangelnde Kenntnis des kriminellen Menschenhandels. Piraten verfolgen in Echtzeit die Bewegungen von NGO-Schiffen vor der libyschen Küste über das Internet und mit Satellitentelephon. Zu gegebener Zeit schicken sie Gummiboote mit illegalen Migranten an Bord (derzeit insbesondere solche bengalischer Abstammung), die bis zu 30.000 Euro für die Fähre nach Europa zahlen, wobei das Benzin gerade reicht, um bis zu den NGO-Schiffen zu gelangen. Diese NGO-Schiffe machen sich der Zusammenarbeit für den neuen Sklavenmarkt schuldig, der dazu dient, Waffen und Drogen zu kaufen und Kriege in Afrika zu schüren. Die Haltung der Evangelische Kirche in Deutschland impliziert meiner Meinung nach, dass unter Christen eine große Verwirrung zwischen der Anwendung des humanitären Rechts (heilige Pflicht zur Rettung der Menschen auf Hoher See) und der ebenso heiligen und unauflöslichen Pflicht der Staaten zur Bekämpfung des Menschenhandels, der Respektierung der Konventionen sowie der nationalen und internationalen Rechtsordnung zum Schutz des menschlichen Lebens auf Hoher See und der Erhaltung der öffentlichen Ordnung in ihren eigenen Gewässern zur Verteidigung der Souveränität des Staates besteht.

5. Was halten Sie von der Migrationspolitik des Vatikans?

Die Richtlinien des Vatikans zu diesem Thema waren nicht immer die von Papst Bergoglio. Papst Wojtyla hat sich in seiner Evangelisierungsarbeit wiederholt auf das Thema konzentriert: “Die Einwanderung stimuliert die gesamte europäische Gesellschaft und ihre Institutionen auf der Suche nach einer gerechten Ordnung und nach Wegen des Zusammenlebens, die alle respektieren müssen, wobei die Legalität in einem Prozess der möglichen Integration zu beachten ist”. Integration ist möglich, aber unter bestimmten Bedingungen: “Es liegt in der Verantwortung der Behörden – schrieb Johannes Paul II. -, die Kontrolle der Migrationsströme im Hinblick auf die Bedürfnisse des Gemeinwohls auszuüben. Die Aufnahme muss in Übereinstimmung mit dem Gesetz und wenn nötig verbunden mit der Unterdrückung von Missbräuchen erfolgen.” Für Papst Wojtyla war es erforderlich, “das kulturelle Erbe jeder Nation zu bewahren”.

6. Könnten die Vereinten Nationen Ihrer Meinung nach mehr in Afrika tun?

Die Vereinten Nationen könnten viel mehr zur Verwaltung und humanitären Solidarität der Migrationsströme am Horn von Afrika und in Afrika südlich der Sahara beitragen, wenn sie geeignete Instrumente zur Unterstützung der Bevölkerung vor Ort beistellen, Sammelstellen einrichten und Asylantragsverfahren für die tatsächlich erforderlichen Fälle durchführen. Wir müssen unbeachtlich der humanitären Krise daran arbeiten, den Menschenhandel im Mittelmeerraum zu stoppen. In der UNO weiß jedoch die rechte Hand oft nicht, was die linke Hand tut. Einige Aussagen von Vertretern der UNHCR zur Migrationspolitik weisen auf deren tendenzielles Denkens hin. Ich schlage vor, dass sie die Ursachen des unkontrollierten Zustroms illegaler Migranten besser untersuchen und sich öfters in Afrika umsehen statt es sich in ihren bequemen Büros in Genf gut gehen zu lassen, von wo aus sie die Arbeit einzelner Nationen kritisieren, ohne sich selber die Hände schmutzig zu machen.

7. Was stimmt nicht bei den Beziehungen zwischen Italien und der EU bei der Bewältigung des illegalen Migrantenstroms?

Die EU erlaubt es nicht, vereinbarte Lösungen zu finden, es sei denn, es gibt eine gemeinsame politische Vision zu diesem Thema oder eine Konvergenz der gemeinsamen nationalen Interessen der einzelnen beteiligten Nationen. Der schlechte Fortschritt der “IRINI”-Operation zeigt deutlich, dass es an einem gemeinsamen Willen der Exekutive mangelt, wirksame Lösungen zu finden. Die fragliche Operation könnte viel mehr bewirken, ist jedoch nicht zur Bekämpfung von Schmugglern in libyschen Hoheitsgewässern zugelassen. Dass Militärschiffe nur auf hoher See außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer operieren dürfen, stellt einen “Pull Factor” von nicht geringer Bedeutung für Schmuggler und deren Bezahlung durch illegale Migranten dar; dazu tragen natürlich auch die NGO-Schiffe durch ihre kontinuierliche Ankündigung und das Hinausposaunen ihrer Anwesenheit vor der libyschen Küste bei. “Um Piraten zu bekämpfen, muss man mehr Pirat sein als sie”, hatte der römische Admiral Pompeus Magnus in seinem Krieg gegen die Piraten im Mittelmeer erklärt; dieser Einsatz wurde durch den Einsatz einer mächtigen römischen Flotte und einer pragmatischen Außenpolitik gewonnen. Das Phänomen des unkontrollierten illegalen Migrantenstroms kann nur gelöst werden, wenn Italien, Frankreich und Deutschland sich in dieser Frage in politischer Harmonie befinden. Ich hoffe, dass dies bald der Fall sein wird.

Ein Gedanke zu „Interview mit Konteradmiral (a.D.) Nicola De Felice“
  1. “… kann nur gelöst werden, wenn Italien, Frankreich und Deutschland sich in dieser Frage in politischer Harmonie befinden.”

    Also nie.

    Alternative: Souveränität herstellen!
    Das ist die Entscheidungsfreiheit in inneren und äußeren Angelegenheiten.
    Das geht ganz einfach und im Nu: Sämtliche Verträge mir der EU aussetzen oder aufkündigen, den überflüssigen Ballast an Papierkram anzünden und dann beherzt durchgreifen.

    Dazu braucht es jedoch cojones. Hat die jemand?

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