Klaus Johannis: Trianon und das Erbe eines säch­si­schen Präsidenten

Klaus Johannis · Bildquelle: Aachener Nachrichten

Von Csaba T. Szabó
 

Bei der Verlei­hung des Karls­preises 2021 in Aachen reagierte Staats­prä­si­dent Klaus Johannis auf die viel­be­ach­tete Erklä­rung von János Áder zur Ukraine über die Tragödie von Trianon, vermut­lich mit einem Monat Verspä­tung. Der rumä­ni­sche Präsi­dent ist “genervt” und “verär­gert” über die Tatsache, dass unga­ri­sche Poli­tiker ständig auf Trianon pochen, und es ist an der Zeit, dies zu akzep­tieren! Er sagt dies, weil er selbst aus Sieben­bürgen stammt und glaubt, dass – ich zitiere –

die Rumänen 1918 per Abstim­mung beschlossen haben, dass Sieben­bürgen sich mit Rumä­nien verei­nigen soll. Mit dieser Aussage spielt Klaus Johannis zum x‑ten Mal die “unga­ri­sche Karte” aus.

Unter dem Deck­mantel der “unga­ri­schen Bedro­hung”, die als Risiko für die natio­nale Sicher­heit ange­sehen wird, haben Gene­ra­tionen von rumä­ni­schen Poli­ti­kern ihre eigene poli­ti­sche Krise durch­lebt und erleben sie immer noch – zumin­dest seit hundert Jahren

Klaus Johannis wurde in eine säch­si­sche Familie hinein­ge­boren. Aller­dings in einer säch­si­schen Familie, die sich bereits in den 1970er Jahren sehr von ihren Wurzeln entfernt hatte und, man könnte sagen, roma­ni­siert wurde. Dass sie aus Ceaușescus Rumä­nien nicht fliehen konnten oder wollten, ist eine inter­es­sante Geschichte, aber auch das haben nicht viele recher­chiert, schließ­lich gibt es heute kaum noch Menschen, die das Leben von Poli­ti­kern wirk­lich erfor­schen. Die wenigen inves­ti­ga­tiven Jour­na­listen und Orga­ni­sa­tionen, die noch dazu in der Lage sind, sind so beschäf­tigt, dass solche Klei­nig­keiten wie eine detail­lierte Unter­su­chung der Vergan­gen­heit von Klaus Johannis vor 1990, bei der jeder noch so kleine Moment erforscht wird, ein kleines Problem zu sein scheint.

Natür­lich könnte Johannis auch unga­ri­sche Freunde aus dieser Zeit gehabt haben, aber auch darüber wissen wir nicht viel. Hermann­stadt ist per Defi­ni­tion keine unga­ri­sche Stadt und war es auch nie, daher ist es eini­ger­maßen verständ­lich, dass der gebür­tige Sachse aus Südsie­ben­bürgen den Ungarn gegen­über neutrale oder sogar nega­tive Gefühle hatte. Dafür gibt es natür­lich keine Beweise, obwohl wir wissen, dass sich Sachsen und Sieben­bürger Ungarn seit 1848/49 nicht beson­ders gut verstanden haben: Die Hinrich­tung von Stephan Ludwig Roth, die Magya­ri­sierung der dualis­ti­schen, öster­rei­chisch-unga­ri­schen Politik und die schritt­weise Aufhe­bung der säch­si­schen Auto­nomie haben leider ihre Spuren in den unga­risch-säch­si­schen Bezie­hungen hinter­lassen. Ein Ausdruck davon war das Treffen in Medgyes am 8. Januar 1919, auf dem die Sachsen die Verei­ni­gung begrüßten.

In ihrer Erklä­rung heißt es:

“Die Sieben­bürger Sachsen erklären unter Beru­fung auf das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker ihren Beitritt zum König­reich Rumä­nien und heißen das rumä­ni­sche Volk als Brüder und Schwes­tern will­kommen und wünschen ihm viel Glück bei der Verwirk­li­chung seiner natio­nalen Ideale”.

Es ist ja bekannt, dass die Sachsen vor der Medgyes-Erklä­rung alles andere als einmütig waren: Im November und Dezember 1918 gab es in der säch­si­schen Intel­li­genz große Debatten darüber, wo man in der zusam­men­ge­bro­chenen öster­rei­chisch-unga­ri­schen Monar­chie stehen sollte.  Dies zeigte sich deut­lich daran, dass sich der Zentralrat der Sachsen am 29. Oktober 1918 in Hermann­stadt zum unga­ri­schen Staat bekannte. Im November verhan­delte der Säch­si­sche Natio­nalrat mit der Regie­rung von Mihály Károlyi, doch ein Teil der Sachsen begann, sich stärker an den Rumänen zu orientieren.

Am 25. November 1918 beschloss die Vertre­tung der Sieben­bürger Sachsen, sich weder an die Rumänen noch an die Ungarn zu binden.

Sie waren auch mit dem Vorschlag von Fried­rich Ipsen, einem Priester aus Medgyes, unzu­frieden, der Sieben­bürgen als Kanton nach dem Vorbild der Schweiz im künf­tigen Rumä­nien sehen wollte. Ipsens Plan gehörte zu den föde­ra­lis­ti­schen Vorschlägen, die 1918 im Umlauf waren, aber leider konnte er sich nicht mit den Wilson’schen Visionen von Ethni­zität und Natio­nal­staat­lich­keit verbinden.

Der Punkt ist jedoch, dass die Sachsen 1918–19 auch nicht für die Wieder­ver­ei­ni­gung gestimmt haben: Johannis’ Aussage ist daher falsch.

Es waren die säch­si­schen Anführer, die will­kür­lich entschieden, und es gab nie eine Abstim­mung oder ein Refe­rendum unter den Tausenden oder Hundert­tau­senden Sachsen zu diesem Thema. Ebenso wenig gab es ein Refe­rendum oder eine Abstim­mung unter den Ungarn und Rumänen, obwohl in deren Gene­ral­ver­samm­lung in Gyul­a­fehérvár mit fast 100.000 Dele­gierten ein bedeu­tender Teil der sieben­bür­gi­schen Roma-Bevöl­ke­rung vertreten war.

Zwischen 1919 und 1923, während der Pariser Frie­dens­ver­träge und ‑verhand­lungen, hielten nur sehr wenige Gemeinden und kleine Regionen Volks­ab­stim­mungen über die Legi­ti­mität der von den Groß­mächten will­kür­lich gezo­genen neuen Grenzen ab. Ein Beispiel dafür war die Abstim­mung in Sopron und Umge­bung vom 14. bis 16. Dezember 1921, bei der neun Ortschaften darüber abstimmten, ob sie zu Öster­reich oder zu Ungarn gehören wollten. Sechs der neun Gemeinden stimmten für Öster­reich, aber da Sopron für Ungarn stimmte, blieben alle neun Gemeinden Teil von Ungarn.

So etwas war in Partium undenkbar, wo Dutzende von Städten und deren unmit­tel­bare Umge­bung 1919–20 noch weit­ge­hend unga­risch waren (mindes­tens 50–60 Prozent, in einigen Fällen 90 Prozent).

Für eine Gene­ra­tion, die eines Morgens in einem anderen Land ohne Wahl­recht, ohne Refe­rendum aufge­wacht ist, war es also keine ange­nehme Zeit.

Der Krieg war verloren, junge Menschen aus der Familie kamen in den Kämpfen ums Leben, und dieje­nigen, die über­lebten, wachten nach weniger als andert­halb Jahren in einem anderen Land auf. Für viele Menschen war dies natür­lich nur in der Verwal­tung spürbar, aber Hundert­tau­sende von Ungarn – vor allem die städ­ti­schen, intel­lek­tu­ellen und admi­nis­tra­tiven Schichten – waren direkt und spürbar betroffen.
Klaus Johannis weiß kaum etwas darüber. Warum sollte er auch: selbst seine Eltern haben das Trauma von Trianon nicht erlebt, und für ihn ist es nur Geschichts­schrei­bung, die man auf die eine oder andere Weise erbt: die einen lernen es als Tragödie, die anderen als Geschichte der Geschichte. Johannis, der in den 1970er Jahren Geschichte in der Ceaușescu-Ära studierte, konnte nur die Propa­gan­da­ge­schichte von Trianon kennen.

Seine Aussage ist jedoch nicht nur wegen ihrer histo­ri­schen Unzu­läng­lich­keiten und ihres falschen, meta­his­to­ri­schen Charak­ters problematisch.

Klaus Johannis erhielt in Aachen eine Auszeich­nung, die im Geiste des Euro­päismus, der harmo­ni­schen Bezie­hungen zwischen West und Ost und des Frie­dens in Europa geboren wurde.

Johannis tritt in die Fußstapfen großer Vorgänger wie Konrad Adenauer, Winston Chur­chill, Vaclav Havel und George Konrad (der gleiche Preis wurde auch dem wegen Kriegs­ver­bre­chen ange­klagten Henry Kissinger oder dem für seine Korrup­ti­ons­skan­dale bekannten Jean-Claude Juncker verliehen). ) Die jahre­langen Stiche­leien und die Arro­ganz von IJohannis gegen­über der unga­ri­schen Gemein­schaft haben nun sozu­sagen ihren “Höhe­punkt” erreicht: Er hat vor ganz Europa gezeigt, dass er in Wirk­lich­keit von Europa ganz weit weg ist.

Dieje­nigen, die mit dem poli­ti­schen Diskurs in Rumä­nien vertraut sind, wissen jedoch, dass Johannis nichts anderes getan hat, als was so viele in der heutigen Politik tun: Er hat den Mythos des Sünden­bocks und des gemein­samen Feindes benutzt. Wenn das Haus brennt – und in Rumä­nien brennt alles, vom Kran­ken­haus bis zum Parla­ment, von der Gesell­schaft bis zur Politik -, versucht der Präsi­dent, der sich an den letzten Fetzen seiner Popu­la­rität klam­mert, die Karte des ewigen Erfolgs, die wir die “unga­ri­sche Karte” nennen. Sie wurde von Brătianu, Ceaușescu, Iliescu, Vadim, Băsescu und vielen anderen unga­ri­schen und rumä­ni­schen Poli­ti­kern verwendet, unab­hängig von ihrer poli­ti­schen Zuge­hö­rig­keit oder Partei. So geht das schon seit hundert Jahren:

Die Ungarn sind gut dafür, als natio­nales Sicher­heits­ri­siko benutzt zu werden, um einen ansonsten fluid-struk­tu­rierten rumä­ni­schen Staat, der ausein­an­der­fällt, zu einen.

Denn wenn die Anglie­de­rung von 1,5 Millionen Ungarn an Rumä­nien keinen anderen Nutzen hatte, so ist doch so viel sicher: Sie gibt einem Land Stabi­lität, das auf der Suche nach sich selbst ist, das zerbrech­lich ist und das aufgrund fehlender Struk­turen kurz vor dem Zusam­men­bruch steht.

Der Autor, Dr. Csaba T. Szabó, ist Theo­loge und Postdoc-Forschungsstipendiat.

Quelle: Szabadság.ro


2 Kommentare

  1. Es ist reine Verleum­dung, daß sich die Familie von Klaus Johannis in den 1970er Jahren von ihren säch­si­schen Wurzeln entfremdet hat und „roma­ni­siert“ wurde, auch wenn Johannis eine Rumänin gehei­ratet hat. Da träumt der unga­ri­sche Autor davon, aber das haben die Sieben­bürger Sachsen grund­sätz­lich nicht getan.
    Seine Eltern sind nach der Wende nach Deutsch­land ausge­wan­dert, wie die meisten Sieben­bürger Sachsen.
    Klaus Johannis hat es vorge­zogen, in Rumä­nien zu bleiben und trat 1990 in das neuge­grün­dete Demo­kra­ti­sche Forum der Deut­schen in Rumä­nien (DFDR) ein, die poli­ti­sche Vertre­tung der deutsch­spra­chigen Minder­heit. Er war sogar 2002–2013 deren Vorsitzender.
    Soviel zum Thema „Roma­ni­sie­rung“.

    Belege:
    de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Johannis
    de.wikipedia.org/wiki/Demokratisches_Forum_der_Deutschen_in_Rum%C3%A4nien

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  2. Die Abstim­mungs­er­geb­nisse nach dem Waffen­still­stands­ver­trag von 1918 sind bekannt:

    Erst nach einer erzwun­genen Hunger­blo­ckade mit Millionen toter Kinder, sowohl in Deutsch­land, als auch in Deutsch-Öster­reich kamen die Schand­ver­träge zustande. Und in allen Besat­zungs-Zeitungen stand zu lesen, daß bei Grenz­ver­schie­bungen vorher abge­stimmt worden war. Das klappte beson­ders gut bei der Abtre­tung von Nord­schleswig an Däne­mark. Da hatte die USA bereits 1917 bestimmt, daß Dänisch-West­in­dien (1666 bis 1917) nach dem Krieg USA-Gebiet wird, und aus urdeut­schen Norschles­wi­gern Dänen werden müssen. 

    Sieben­bürgen war zu großen Teilen von Deut­schen bewohnt, die sich in Ungarn gut aufge­hoben fühlten. Nie hätten die für einen Eintritt in einen bettel­armen „Zigeu­ner­staat“ votiert, wie es Rumä­nien nun einmal 1919 war! Und wie gut es die Rumä­ni­sche Nomen­kla­tura mit den Deut­schen meinte, beweist die Tatsache, daß die Deut­schen nach 1945 alle fort mußten. (Verspä­tete Umset­zung der Forde­rungen aus dem Prager Pansla­wis­mus­kon­gress von 1848)

    Und wie man in den 1919 noch völlig unweg­samen Karpaten eine Volks­ab­stim­mung durch geführt haben will, das weiß wohl nur Graf Drakula! 

    Ganz Sieben­bürgen muß wieder unga­risch werden!

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