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Karl Marx · Foto: Visegrád Post

[dropshadowbox align=”none” effect=”lifted-both” width=”auto” height=”” background_color=”#ffffff” border_width=”1″ border_color=”#dddddd” ]Die 1938 gegründete Magyar Nemzet (dt. “Ungarische Nation”) ist die größte Tageszeitung Ungarns und steht der Regierung von Viktor Orbán nahe.[/dropshadowbox]

 
Von László Földi (Experte für nationale Sicherheitsfragen)

Da eine Gesellschaft nicht offen sein kann, führt die Verwendung dieses Ausdrucks zu begrifflichen Verzerrungen. Diese beiden Wörter, die zusammen verwendet werden – „Gesellschaft“ und „offen“ – sind antinomisch. Alle Gesellschaften in der Geschichte haben innerhalb eines bestimmten Rahmens existiert, und das ist immer noch der Fall: Es ist das einzige funktionierende Modell. Das ist es, was nationale Grenzen am besten symbolisieren, indem sie geografische Einheiten begrenzen, die von denjenigen bevölkert werden, die der gleichen Nation angehören. Auch die Abschaffung der Binnengrenzen der Europäischen Union wurde zwar offiziell proklamiert, war aber in der Praxis nur so lange wirksam, bis der erste harte Schlag kam – eine  Flut illegaler Einwanderer oder eine unwillkommene Pandemie –, woraufhin man bald feststellte, dass es doch noch eine Grenze zwischen Deutschland und Österreich gibt, und dass, sobald eine Lösung für ein unerwünschtes Problem gefunden werden musste, Dänemark und andere Länder der Union diese einst als überflüssig erachteten Verteidigungslinien neu interpretierten. Mit anderen Worten: Das Prinzip der „offenen Grenzen“ ist charakteristisch für eine Zeit der Konsolidierung, des Lebens ohne Probleme und ohne Schutzbedürfnis.

Gegenüber jeder Nation stellt die perverse Logik der „offenen Gesellschaft“ automatisch ihre kulturellen Besonderheiten, ihre Sprachgemeinschaft, ihre ideologische und religiöse Identität in Frage. Wer diese Strukturen aufweichen oder leugnen will, stellt bewusst den Sinn seiner eigenen Existenz in Frage und stellt sich außerhalb der sozialen Gemeinschaft. Er darf in dem Land seiner Wahl leben, aber nur als willkommener Gast. Er kann sich überall niederlassen, wo er will – mit der vielleicht nicht so überraschenden Ausnahme einiger arabischer Länder –, aber das Wahlrecht ist denjenigen vorbehalten, die die Regeln der Integration akzeptieren. Sie genießen den Schutz des Gesetzes wie jeder andere auch, sofern sie innerhalb des Gesetzes leben, können aber nicht an der Definition des Gesetzes durch die gesetzgebende Vertretung teilnehmen. Und diese Regeln gelten auch für diese westliche Welt, die sich so tolerant gibt: Wenn das nicht der Fall wäre, warum sollte sie dann versuchen, Menschen, die nicht bereit sind, die von den Gastländern vorgeschriebenen Bedingungen zu respektieren, per Gerichtsbeschluss auszuweisen?

Auch inmitten des Wandels der Zeiten und der gesellschaftlichen Mutationen gibt es Regelmäßigkeiten, Grundwerte und von Zeit zu Zeit auch Fehler, die offensichtlich dringend korrigiert werden müssen. Aber am Ursprung jedes objektiven Prozesses steht der Mensch – ecce homo – der das Geschehen lenkt. Der Mensch, der schafft, Ideale schmiedet und – im Besitz der Fähigkeiten, die er seinem Schöpfer verdankt – die Verantwortung für die Entwicklung trägt, die seiner Zeit obliegt. Der Mensch ist nie frei von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen, ob sie nun positiv und zukunftsweisend sind oder im Gegenteil monströs und so beschaffen, dass ihre Umsetzung die Mehrheit nur ins Unglück stürzen kann.

Es hat sich oft gezeigt – wenn auch meist erst im Nachhinein –, dass prominente historische Persönlichkeiten einige ihrer Ideen und Errungenschaften den Unzulänglichkeiten ihrer Persönlichkeiten zu verdanken haben. Einerseits gibt es eine kreative Kraft, die sie auszeichnet. Auf der anderen Seite gibt es diese Schwäche in ihren Egos, diese Deformierung, durch die sie bewusst von der Normalität abweichen. Die Frage ist nur, welcher von beiden sich durchsetzen wird. Die extremen Ideen, die in den Theorien der philosophischen Schulen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts aufgetaucht sind, und die inzwischen ihre Virulenz bewiesen haben, haben offensichtlich ihre Wirkung gehabt, und die Menschen leben noch heute unter ihrem Einfluss. Zu den ideologischen Vorläufern der Theorien der „offenen Gesellschaft“ gehören Namen wie Marx, Engels, Antonio Gramsci, Max Horkheimer oder Herbert Marcuse, in deren Leben diese beiden Persönlichkeiten genau betrachtet werden können.

Marx, der Patriarch der kommunistischen Ideologie – wie Horkheimer, der die Frankfurter Schule leitete – wurde staatenlos und musste aus Deutschland fliehen. Marx musste nach Großbritannien fliehen, während Horkheimer in die Vereinigten Staaten emigrierte. Es steht außer Zweifel und ist leicht zu verstehen, dass eines der wesentlichen Elemente ihres philosophischen Denkens die Suche nach einem kosmopolitischen Leben war, die Negation des bestehenden Gesellschaftsmodells, durch das sie die Perspektive einer a-nationalen Existenz zu formalisieren versuchten. In den philosophischen Thesen des Italieners Antonio Gramsci, der an körperlichen und geistigen Defekten litt und dessen kurzes Leben – er starb im Alter von 46 Jahren – oft von Entbehrungen geprägt war, spiegelt die Hypothese der Alternativlosigkeit des Klassenkampfes die Schwierigkeiten seines Lebens wider.

Alles ist Revolution: Da das konsolidierte Leben nur das todgeweihte Symbol einer überholten Welt ist, darf man nicht zögern – erklärt er – Blut zu vergießen und die Nation zu destabilisieren – notwendige Opfer auf dem Altar einer neuen Zeit. Engels’ Anti-Religiosität, die ihre Wurzeln im Vaterhaus hat, kann in die gleiche Kategorie eingeordnet werden. Auf der Flucht vor der Diktatur eines tief religiösen, aber strengen und rücksichtslosen Vaters nimmt es der junge Engels seinem Vater nicht übel, sondern sieht – erschreckend unsinnig – die Religion selbst als Quelle seiner Probleme. Herbert Marcuse, eines der Idole der 68er-Revolte, stellt da keine Ausnahme dar: Von seiner Persönlichkeit geht eine schädliche Strahlung aus. Das Ideal der freien Liebe, der Überwindung aller Tabus des Sexuallebens, verbreitete sich naturgemäß zuerst unter jungen Menschen, unter Äußerlichkeiten, die die Gesellschaft schockierten. Dieser Vergleich zwischen den oben genannten Denkern beinhaltet zweifellos einige Spekulationen, aber die subjektive Bestimmung des zu Abweichungen neigenden Menschen ist in der sie umgebenden Symbolik zu beobachten.

Aber es gibt noch etwas Schwerwiegenderes: In ihren persönlichen Eigenschaften und in ihrem Verhältnis zur Welt ist es nicht schwer, Ähnlichkeiten zwischen diesen Vorläufern und denen zu entdecken, die heute die Ideologie der „offenen Gesellschaft“ propagieren. Denn schließlich zeigen ihr Wunsch, über Nationen hinaus zu denken, ihre Theorie der Geschlechter und ihr Versuch, den Begriff der Familie neu zu definieren, deutlich die ideologische Sackgasse, in die sie uns zwingen. Man hat den Eindruck, dass ihre Philosophie der „offenen Gesellschaft“ eine Art Schlüssel ist, der den nationalen Rahmen sprengen soll. Durch den Spalt dieser bereits halb geöffneten Tür rauscht heimlich der Wind der „neuen Zeit“ herein. Wie können wir erklären, dass die Bewohner des Hühnerstalls ihrer Ansicht nach auch als Mitglieder der Familie betrachtet werden können? Hier muss ganz unverblümt gesagt werden, dass Familie – und das wird sich nie ändern – bedeutet: eine Mutter, ein Vater und ihre Kinder, während Hunde, Katzen und andere Tiere zwar Freunde der Familie sein können, aber nicht deren Mitglieder.

Unsere Aufgabe ist es, die Tür der Gesellschaft als Grundformat der menschlichen Gemeinschaft gegen diese abweichenden Ideologien zuzuschlagen. Die Elemente, die es bereits geschafft haben, unsere Immunabwehr zu überwinden, sind eine tägliche Herausforderung für alle, die sich für die Grundwerte der Menschheit einsetzen wollen. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit sollte jeder verstehen, dass wahre Offenheit bedeutet, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und nicht Träume von Anarchie zu hegen, die zu vorhersehbaren Zerstörungen führen.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 12. März 2021 in der Magyar Nemzet und wurde von der VISEGRÁD POST, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION, aus dem Ungarischen übersetzt.


5 Gedanken zu „Kritik am Modell der “offenen Gesellschaft”“
  1. Man hätte die genannten Kernpunkte einer Offenen Gesellschaft nach Karl Popper kaum besser zusammenfassen können. Möge es als Anregung dienen, das Werk zu lesen, und sei es auch zum wiederholten Male.

    … Ob man Soros als “Wortverdreher oder Lügner” sehen kann, beantwortet sich aus dem Dekonstruktivismus und Derrida.
    Die “Open Society” war von Soros zwar noch zu Poppers Lebzeiten gegründet worden, wurde aber erst nach dessen Ableben zu einer relevanten Größe gebracht.

    … bei allem Respekt und größter Sympathie gegenüber Ungarns Regierung, in Bezug auf Virus-, Test- oder Impf-Narrative will ich besser nicht ausprobieren, wie “offen” die Gesellschaft wirklich ist. Ich gehe davon aus, daß auch in Ungarn an höherer Stelle entschieden wurde, aus welchen Zutaten die Suppe zu kochen ist.

  2. Wie schon der Forist Eugen Karl schrieb, ist das Verständnis von “offene Gesellschaft” als eines Staates ohne (funktionierende) Grenze eine Verballhornung des Begriffs. Der Begriff “offene Gesellschaft” wurde von Karl Popper (zwar nicht erfunden, aber) geprägt und ausgearbeitet. Dies veröffentlichte er in seinem zweibändigen Werk “Die offene Gesellschaft und ihre Feinde”, das 1949 auf Englisch (er hat es in England geschrieben) und 1957 auf Deutsch erschien.

    “Offene Gesellschaft” ist nicht räumlich zu verstehen, sondern inhaltlich. Popper stellte mit diesem Begriff die Erfordernisse einer nicht-idelogischen (!) Gesellschaft dar. Eine Ideologie behauptet ja, alles zu wissen, wie eine Gesellschaft gestaltet werden soll und wie die Zukunft einer Gesellschaft aussehen soll; daher braucht eine idelogisch gestaltete Gesellschaft keine Debatte; und noch mehr: Die ideologische Gesellschaft bzw. die ideologischen Machthaber hassen die Debatte, denn die könnte ja zu anderen Ergebnissen kommen, als die Ideologie behauptet. Dann sind diese Debattierer “Dissidenten” und werden von den ideologischen Machthabern sozial und/oder physisch vernichtet. (Die Ungarn und die Deutschen können ein Lied davon singen.)

    Eine nicht-idelogische Gesellschaft braucht jedoch zu ihrer Gestaltung (in der Gegenwart und für die Zukunft) eine unentwegte öffentliche und vor allem eine freie Debatte. Eine nicht-ideologische Gesellschaft braucht also eine ergebnis-offene Debatte – und dies ist, was Popper mit dem Wort “offen” meint. Die Debatte in einer nicht-ideologischen Gesellschaft muss eine in diesem Sinne “offene” Debatte sein. Das ist es, was er mit “offener Gesellschaft” meinte.

    (Die Verballhornung dieses Begriffs als “Staat ohne Grenzen”geht auf Soros zurück, der angeblich bei Popper studiert haben will. Wenn das stimmt, hat er entweder nichts verstanden von dem, was Popper sagte, oder er ist ein Wortverdreher und Lügner.)

    Im Gefolge von Popper wurde der Begriff “offene Gesellschaft” von anderen Sozialwissenschaftlern weiter ausgearbeitet. Denn eine nicht-ideologische, “offene” Gesellschaft, die eine offene Debatte führen will, ist nicht denkbar als eine Gesellschaft, in der es interne Grenzen zwischen einzelnen Gruppen der Gesellschaft gibt. In einer Gesellschaft mit abgeschlossenen Gruppen (z.B. die Kasten in Indien oder die muslimischen Parallelgesellschaften in vielen westlichen Ländern) kann nicht mehr “offen” debattiert werden. Das zweite Merkmal einer “offenen Gesellschaft” ist also: ungehinderte Kooperation aller Mitglieder und Gruppen der Gesellschaft.

    Die “offene Gesellschaft” (in der Bedeutung von Karl Popper) ist in Deutschland beschädigt, vielleicht schon zerstört. Wer die Regierungspolitik (z.B. die Einwanderungspolitik) kritisiert, wird zum Schweigen gebracht (nichts mehr mit Debatte); die muslimische Einwanderung schafft Parallelgesellschaften. Das alles ist die “geschlossene Gesellschaft”, die ideologische, autoritäre Gesellschaft, auf die wir hier in Deutschland mit großen Schritten zugehen.

    Oh du glückliches Ungarn!

  3. Zitat:..”Jeder sollte verstehen, dass wahre Offenheit bedeutet, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und nicht Träume von Anarchie zu hegen, die zu vorhersehbaren Zerstörungen führen”..
    Das sind Allgemeinplätze, die nicht weiterführen. Der gewöhnliche Bürger ist ein Mitläufer, er hat nicht die mentalen Fähigkeiten, “Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen”. Nicht einmal bei den vermeintlichen intellektuellen Führungskräften ist das der Fall – wie der Beitrag zeigt. Dieser weicht darin aus, welche Werte / Ideologie für die heutige Zeit oder die Zukunft gelten sollten. Er verkennt sogar, dass Epochen temporär sind und dass wir in einer leben, welche die bolschewistischen Konstruktionen und Ideologien überwinden müsste. Richtig gelesen! Gemeint ist, dass etwa Architektur und Städtebau unsere Demokratie mit bolschewistischen Prinzipien ausdrückt, genauer: Mit dem Quadrat oder Rechteck des sowjetischen Kasimir Malewitch. Da waren die Nazis weiter, die sie als kulturbolschewistisch ausmachten. Es wird ferner nicht erwähnt, dass “die Mutter der Moderne” (G.W. Herder) die *Aufklärung* oder besser der “Aufkläricht” ist und man hier ansetzen müsste, deren ideologische Schwächen und Unklarheiten zu korrigieren. Selbst Habermas erkannt deren “Krise”, hatte aber auch keine Gegenvorschläge.

  4. @Eugen Karl

    Vielen Dank für die Ehrenrettung Karl Poppers.
    Während ich den Artikel las, hatte ich schon die unterschwellige Befürchtung, es könne nicht mehr lange dauern, bis auch Popper und Bergson im Sumpf des Instituts für Sozialforschung und dessen Protagonisten landen. Ich war erleichtert, feststellen zu dürfen, daß der Autor diesen Spin vermeidet. Karl Popper war nun mal kein George Soros, genau so wenig wie GWF Hegel Junghegelianer war.
    Nicht umsonst befaßte sich Popper nicht nur mit der “Offenen Gesellschaft”, er beschrieb auch “ihre Feinde”. Ich wage zu mutmaßen, daß er sich angesichts einer “Open Society” im Grabe drehen würde.

  5. Das ist ein Mißverständnis. Eine offene Gesellschaft ist keine Gesellschaft ohne Grenzen. Offene Gesellschaft bedeutet, daß das Staatswesen nicht ideologisch und damit auswegslos bestimmt ist. Der Begriff, den Popper von Bergson aufnimmt, wendet sich gegen konstruierte kollektivistische Gesellschaftsmodelle, wie diese exemplarisch in den Theorien Platons, Hegels und Marx’ zu finden sind. Eine offene Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der das Individuum maximale Freiheit genießt, so zu leben, wie es ihm paßt, und Veränderungen von unten nach oben durch das Tun und Lassen der Bevölkerung sich ereignet.

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