Neuerschei­nung: Die Sueben und Ihre Erben von der Antike bis zur Gegenwart

Von wo die Alemannen, Elsässer, Portu­giesen, Schwaben und Schweizer einst herkamen

 

Die Deut­schen treten erst im 10. Jahr­hun­dert n. Chr. in die Geschichte ein, doch die Schwaben kennt man seit dem 1. Jahr­hun­dert v. Christi: Ihre Geschichte reicht über zwei­tau­send Jahre zurück. Wie viele große Völker bestehen sie aus mehreren Stämmen, die sowohl fried­lich vereint wie auch manchmal zerstritten waren. So ist ein verwir­rend buntes Bild ihrer Geschichte entstanden, das von vielen und oft von Schwaben und Alemannen selbst nicht recht verstanden wird. Sie wissen selber nicht genau, wer sie sind. Die einen sagen „Schwaben“ und meinen Würt­tem­berger, die anderen, beispiels­weise im bayri­schen Regie­rungs­be­zirk Schwaben, glauben hingegen, sie wären die einzigen. Die Alemannen, die nach mittel­al­ter­li­chem Sprach­ge­brauch selbst­ver­ständ­lich auch Schwaben genannt wurden, lehnen es seit rund zwei­hun­dert Jahren ab, als solche bezeichnet zu werden. Die Schweizer haben sich schon um 1500 endgültig vom Schwa­bentum verab­schiedet und die Elsässer haben manchmal ein eigenes Herzogtum gehabt, ein anders Mal zum Herzogtum Schwaben gehört und sind schließ­lich Frank­reich zuge­fallen. Die Portu­giesen wissen zumin­dest, dass es zum Ursprung Portu­gals ein Reich der Sueben gab und die Laut­ge­bung ihrer Sprache als typisch schwä­bisch kaum zu über­hören ist.

Aber das ist nicht alles. Wenn ein Schwabe gesteht: „Mir hond an Haufe Schwabe im Haus“, meint er jene flinken schwarzen Tier­chen, die offi­ziell Küchen­schaben – Blatta Orien­talis – heißen, doch von Nord­deut­schen mit dem schau­er­li­chen Namen „Kaker­laken“ bezeichnet werden. Kurzum, „Schwabe“ kann alles Mögliche heißen und von böswil­ligen Zungen wird ihnen sogar Dumm­heit unter­stellt. Doch, wie ein vermeint­lich dummes Volk so viele Genies samt die maßgeb­li­chen Geschlechter des hohen Mittel­al­ters hervor­bringen konnte, wie Staufer, Welfen, Habs­burger und Hohen­zol­lern, die alle schwä­bisch sind, bleibt ein großen Rätsel der Weltgeschichte.

Man muss weit in die Geschichte zurück­blenden, um die Lösung dieser Fragen zu erhalten: Bis zur Römer­zeit, als die Sueben spek­ta­kulär in der Welt­ge­schichte eintraten, doch zugleich sich eine erste Nieder­lage einfingen. Fast ein halbes Jahr­tau­send lang, nämlich vom ersten Jahr­hun­dert vor bis zum vierten Jahr­hun­dert nach Christus, waren die Sueben das bekann­teste und bedeu­tendste aller germa­ni­schen Völker, lange bevor die Goten und Franken erst im vierten und fünften Jahr­hun­dert n. Chr. die Bühne der Welt­ge­schichte betraten.

Schon Gaius Julius Caesar hat in seinem Geschichts­werk zum Galli­schen Krieg die beson­dere Bedeu­tung der Sueben hervor­ge­hoben: „Der Stamm der Sueben ist der weitaus größte und krie­ge­rischste unter allen Germanen. Er soll aus 100 Gauen bestehen, deren jeder jähr­lich jeweils ein Heer von 1000 Mann aufstellt, um außer­halb ihres Gebietes in den Krieg zu ziehen. Der Rest, der in der Heimat bleibt, sorgt für die Ernäh­rung der Gemein­schaft. Im nächsten Jahr stehen diese wieder ihrer­seits unter Waffen, und die andern bleiben zu Hause. So bleiben sie in der Land­wirt­schaft und Theorie und Praxis der Krieg­füh­rung in dauernder Übung.“ (De bello Gallico), IV, 1 (3 — 6).

Das hat der große römi­sche Feld­herr Caesar zu seinem Sieg über die Sueben im Sundgau anno 58 v. Chr. fest­ge­halten. Die besagte Nieder­lage vermochte den Wander­trieb der Sueben nur für eine Weile zu stoppen, bis sie im 3. Jahr­hun­dert den ober­rhei­nisch-räti­schen Limes über­wanden und dem Unter­gang des West­rö­mi­schen seinen Anfang bereiteten.

289 n. Chr. taucht in einer römi­schen Geschichts­quelle zum ersten Mal der Name Alamanni auf und wurde bis ins 4. Jahr­hun­dert immer häufiger verwendet.

Dekum­at­land oder agri decu­mates nach Tacitus zwischen Limes, Donau & Rhein
Quelle: Hasel­burg-müller, GFDL <www.gnu.org/copyleft/fdl.html&gt;, via Wiki­media Commons

Als Alamanni gelten dann nicht nur jene Stämme, welche das römi­sche Dekum­at­land zwischen Limes und Rhein einnahmen, sondern alle Germanen zwischen Main und Bodensee. Das ist wohl der Grund, weshalb die Fran­zosen bis heute Deutsch­land als „l’Al­le­magne“ bezeichnen.

Im Mittel­alter – seit der Zeit der Ottonen – erhält dasselbe Gebiet wiederum den Namen Schwaben und ist eines der fünf großen Herzog­tümer des Reiches, wobei der Name Alamannen für Jahr­hun­derte aus der Geschichts­schrei­bung verschwand. Heute gelten alle zwischen Rhein und Lech als Schwaben. Ledig­lich die Elsässer bilden eine Ausnahme, da sie schon in der Mero­win­ger­zeit zu ihrem eigenen Herzogtum kamen. Im hohen Mittel­alter wurden sie jedoch wieder dem Herzogtum Schwaben zuge­schlagen. Der Name Alemannen – jetzt mit „e“ geschrieben – wurde von Huma­nisten erst im 16. Jahr­hun­dert ausge­graben und über die „Aleman­ni­schen Gedichte“ von Johann Peter Hebel (1803) wieder ins allge­meine Bewusst­sein gebracht. Dass sich die Alemannen seitdem nicht mehr als Schwaben begreifen, hat vor allem einen sprach­ge­schicht­li­chen Hinter­grund: Die neuhoch­deut­sche Diphthon­gie­rung, die sich vom 12. bis zum 16. Jahr­hun­dert allmäh­lich von Südosten, d. h. von Kärnten und der Stei­er­mark her, nach Nord­westen ausbrei­tete und fast ganz Süd- und Mittel­deutsch­land erfasste, doch nicht über den Schwarz­wald kam. Darum heißt es im äußersten Südwesten – ähnlich wie im Mittel­hoch­deut­schen – immer noch mi Wib, mi Hus und hüt (heute), im Schwä­bi­schen dagegen mae Weib, mi Haus und beit. Solche Unter­schiede fallen natür­lich auf und jeder weiß, ob er Schwä­bisch oder Aleman­nisch spricht. Beson­ders ausge­prägt ist diese Abgren­zung in der Schweiz, wo der Name Schwabe auf alle Deut­schen bezogen wird.

Das Römi­sche Reich unter Hadrian über die Regie­rungs­zeit 117–138 n. Chr.: Der Sied­lungs­raum der Suebi vor der Völker­wan­de­rung ist von Elbe und Oder sowie von der südli­chen Ostsee­küste und dem Erzge­birge umschlossen.
Quelle: Furfur, German loca­liza­tion (with minor changes) of the original Image:Roman_Empire_125.svg, made by Andrei nacu, CC BY-SA 3.0 <creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0&gt;, via Wiki­media Commons

Abge­sehen von dieser Zwei­tei­lung des schwä­bisch-aleman­ni­schen Volkes stellt sich die Frage, ob es jemals wirk­lich ein Volk war oder nicht doch eher ein mixtum compo­situm, d. h. aus verschie­denen Teilen zusam­men­ge­setzt. Darüber streiten sich seither jeher die Geister, doch ohne eindeu­tiges Ergebnis. Dazu schrieb Karl Frie­de­rich Stoheker in ‚Zur Geschichte der Alamannen‚:

„Es ist frei­lich mit Sicher­heit anzu­nehmen, dass die Alamannen, wie die anderen Groß-Stämme der Völker­wan­de­rungs­zeit, auf keiner von Anfang an gege­benen ethni­schen Einheit beruhten. Wir haben auch sonst viele Zeug­nisse dafür, dass zu dem einmal in Bewe­gung gera­tenen Kern — bei den Alamannen handelt es sich doch wohl um Sueben aus dem Elbraum, ohne dass man sich speziell auf die Semnonen fest­legen konnte — dann klei­nere oder größere Gruppen aus anderen Stämmen hinzu­traten. Sie brauchten nicht einmal germa­ni­scher Herkunft zu sein, wie die Assi­mi­lie­rung von Teilen der Alanen durch die Vandalen in Nord­afrika zeigt. Am Beispiel der Juthungen können wir über eine längere Zeit hinweg verfolgen, wie ein ursprüng­lich selb­stän­diger Verband sich immer enger an den alaman­ni­schen Gesamt­stamm anschloss.“

 

Das West­rö­mi­sche Reich vor dem Unter­gang ab 450 bis etwa 476/480: Die Karte zeigt Alamannen mit einem sehr zusam­men­ge­schrumpften west­rö­mi­schen Staats­ge­biet
Quelle: Gustav Droysen, Public domain, via Wiki­media Commons

Als suebi­sche Stämme im weiteren Sinn gelten Lango­barden, Semnonen, Hermun­duren, Marko­mannen und Quaden. Da aber die Lango­barden bekannt­lich ein eigenes Reich in Ober­ita­lien grün­deten und die Marko­mannen die Vorfahren der Baiern – im Mittel­alter stets mit i geschrieben – sind, gelten im engeren Sinn nur die Semnonen, Hermun­duren und Quaden als suebisch.

Sprach­ge­schicht­lich bilden alle genannten Stämme inso­fern eine Einheit, als sie nach der Beschrei­bung von Tacitus Hermi­nonen sind, deren Sprache sich deut­lich von jener der übrigen west­ger­ma­ni­schen Stämme unter­scheide, die als Istväonen (Franken und Hessen) und Ingväonen (Sachsen, Chauken und Friesen) bekannt sind. Mit anderen Worten: Schwä­bisch, Bairisch und Lango­bar­disch, das ausge­storben ist, gehören zur selben Sprach­fa­milie, haben sich aber im Laufe der Geschichte doch so weit ausein­an­der­ent­wi­ckelt, dass sie leicht zu unter­scheiden sind. Ob man sie als verschie­dene Spra­chen oder nur als Dialekte betrachtet, ist eine Frage der Defi­ni­tion. Tatsache ist, dass sowohl das Schwä­bisch-Aleman­ni­sche als auch das Bairisch-Öster­rei­chi­sche in zahl­reiche Dialekte zerfallen sind, sodass man sie wohl eher als Spra­chen betrachten kann.

Die gleiche Schwie­rig­keit tritt bei der Frage auf, ob Schwaben und Baiern eigene Völker oder doch nur deut­sche Stämme darstellen. Auch das bleibt eine Frage der Defi­ni­tion. Mit Bestimmt­heit lässt sich nur sagen, dass die west­ger­ma­ni­schen Stämme bzw. Völker nur dadurch zu einem Volk verschmolzen sind, nachdem sie im Frän­ki­schen Reich verei­nigt worden waren. Ohne gewalt­same Eini­gung durch die Franken in der Zeit zwischen 500 und 800 n. Chr. hätten sie sich wohl zu eigen­stän­digen Völkern und Reichen entwi­ckelt: So wie Nord­ger­manen die Nationen der Dänen, Schweden und Norweger bildeten.

Will man sich mit Schwaben und Alemannen einge­hender befassen, ist es sinn­voll, sie als ein Volk zu betrachten, das aus verschie­denen Stämmen zusam­men­ge­setzt ist und im Mittel­alter im Herzogtum Schwaben eine staat­liche Orga­ni­sa­ti­ons­form fand. Dabei beweisen eine Viel­zahl der Mund­arten wie auch unter­schied­liche Charak­ter­ei­gen­schaften, dass die Homo­ge­nität eines Stammes nicht vorhanden ist. Es ist eben doch ein Volk — und keines­wegs das kleinste und unbe­deu­tendste der euro­päi­schen Geschichte!

Das Volk scheint deutsch, indem es das Schicksal der Deut­schen teilt, die typi­scher­weise auf verschie­dene Staaten zerstreut sind. So wie Deut­sche insge­samt auf Deutsch­land, Öster­reich, die Schweiz, Frank­reich, Luxem­burg, Belgien, Däne­mark und Polen verteilt sind, so findet man das schwä­bisch-aleman­ni­sche Volk im Bundes­land Baden-Würt­tem­berg, im Frei­staat Bayern, im aleman­ni­schen Vorarl­berg Öster­reichs, in Liech­ten­stein sowie in der Schweiz und Frank­reich, wobei der Elsass seit dem 17. Jahr­hun­dert unter fran­zö­si­scher Hoheit steht. Dazu ist ein Teil der Sueben im fünften Jahr­hun­dert auf die Iberi­sche Halb­insel ausge­wan­dert und hat dort ein eigenes Reich gegründet, das heute Portugal heisst.

Inso­fern sind die Schwaben typisch deutsch: Trotz enger Verwandt­schaft allzeit uneins, im Mittel­alter „hie Welf, hie Wiblinger!“, dann Würt­tem­berger, Badener und bayri­sche Schwaben, katho­lisch und evan­ge­lisch, reichs­städ­tisch und landes­herr­lich, eigen­bröt­le­risch, intel­li­gent, wie auch manchmal nur als „dumme Schwaben“ verschrien, kurzum: Ein schwie­riges Volk. Deshalb stellt es eine Heraus­for­de­rung dar, der komplexen Geschichte der Schwaben gerecht zu werden.

Das Buch von Eduard Huber handelt nicht nur von alten Geschichten, sondern will das Verständnis für eine durchaus leben­dige Gegen­wart hier und heute wecken: Die Schwaben und Alemannen können daraus nicht nur entnehmen woher sie kommen, sondern auch wer sie eigent­lich sind. Und alle Nicht-Schwaben sollten endlich begreifen, mit was für einem Volks­stamm sie es im deut­schen Südwesten zu tun haben. Hubers strin­genter Band infor­miert präzise über die Historie der Sueben. Daher ist das Geschichts­werk Hubers ein wesent­li­cher Beitrag zur Lebens­ge­schichte unseres Volkes und verdient von allen Geschichts­in­ter­es­sierten gelesen zu werden.

Neuerschei­nung 2022:

Eduard Huber
Die Sueben und ihre Erben
Alemannen, Elsässer, Portu­giesen, Schwaben und Schweizer –
Von der Antike bis zur Gegenwart

272 Seiten mit 16 farbigen Bild­seiten. Geb. mit SU, € 25,80

 

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5 Kommentare

    • Man könnte vermut­lich nicht nur, man kann angeb­lich auch. Angeb­lich kann man u.a. die Urvölker finden, aus denen man stammt, etwa Kelten, Germanen, Finno-Ugrier, Hunnen, Perser, Ozea­nier u.a.m.
      Es gibt auf dem freien Markt Test­in­sti­tute für Gentests, etwa mit Adresse in London oder in Israel. Weil ich die Serio­sität nicht über­prüfen kann, nenne ich keine Firmen­namen. Immerhin ist es schön, dass der Denk­an­satz der Exis­tenz von Stam­mes­völ­kern von diesen Unter­nehmen gepflegt wird.

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