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Robert Schuman · Foto: MTI/FR

Von Tamás Fricz

Die Europäische Union befindet sich in der Krise und am Scheideweg. Vielleicht als Reaktion darauf hat die Brüsseler Elite beschlossen, in diesem Jahr eine Reihe von Konferenzen über die Zukunft der Union zu veranstalten. Die Frage ist also: Wohin als nächstes?

Bei der Erkundung möglicher Alternativen für die Zukunft möchte ich zu den Wurzeln zurückkehren und gleich darauf hinweisen, dass die Idee, auf den Geist der Gründerväter der Union zurückgreifen zu wollen, wie es heute fast alltäglich geworden ist, aus nationaler und souveränistischer Sicht grundlegend falsch ist.

Tatsache ist, dass die so genannten Gründerväter – mit unterschiedlichen Schwerpunkten – die künftige Europäische Gemeinschaft generell als föderale, supranationale Föderation konzipiert haben. Im Gegensatz dazu stellen wir nationale Souveränisten und Konservative uns die Union als eine freie Föderation souveräner Nationen vor. Wenn wir behaupten würden, dass wir zu den Gründervätern zurückkehren und ihnen folgen sollten, sprechen wir gegen uns selbst. Deshalb schlage ich hier vor, dass wir uns von dieser Idee lösen, weil sie uns in die Irre führt.

Ich möchte meine Aussage auch mit ein paar Zitaten untermauern.

In der europäischen Öffentlichkeit gilt Robert Schuman als der prominenteste Gründervater der Europäischen Gemeinschaft, des Gemeinsamen Marktes oder der Europäischen Union, heute einfach Union, schon allein deshalb, weil es der französische Außenminister war, der am 9. Mai 1950 im Namen der französischen Regierung die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) initiierte, die als erster Schritt zur europäischen Integration gelten kann.

Der in Lothringen geborene Robert Schuman, ein gläubiger katholischer Politiker mit französischer und deutscher Identität (von Charles de Gaulle zynisch “Boche” genannt), war eine Schlüsselfigur für die Idee der europäischen Integration und hegte viele Jahre lang die Vision einer europäischen Einheit, welche die Spaltung zwischen den Nationen überwinden würde. Aber man sollte schnell hinzufügen, dass er auf dieser Reise zwei sehr wichtige Helfer hatte: Der eine war US-Außenminister Dean Acheson, der nach dem Willen der Vereinigten Staaten die französische Regierung drängte, etwas für die Eingliederung Deutschlands und die Vereinigung der (west-)europäischen Länder zu tun – und es versteht sich wohl von selbst, wie viel Gewicht die Stimme des brutal bereicherten Amerikas, das den totalen Sieg im Krieg errungen hatte, gegenüber den Führern der kontinentalen Staaten hatte.

Die andere Person war der Kosmopolit, ursprünglich ein Kaufmann und Bankier, Jean Monnet, der als eine Art rechte Hand und Berater von Schuman von Anfang an einen europäischen Einheitsstaat, einen supranationalen, föderalistischen Staat, angedacht hatte; er hatte ihn sich allerdings in einer viel schnelleren und radikaleren Form vorgestellt als Schuman. Der EGKS-Plan wurde nicht von Schuman, sondern von Monnet ausgearbeitet, und Schuman nickte ihn ohne wesentliche Änderungen ab, so dass die treibende Kraft in dieser Konstellation tatsächlich der radikal globalistische Monnet war.

Aber lassen Sie uns herausfinden: Was dachte der erste Gründervater über die Zukunft von Europa?

Von Schuman kennen wir den Ausspruch, der aus seiner frommen, zutiefst engagierten katholischen Spiritualität stammt: “Europa wird entweder christlich sein oder es wird nicht sein.” Dies ist heute vielleicht eine wichtigere Wahrheit als zu seiner Zeit. Weniger zitiert wird ein anderer Spruch, der ebenfalls zeitlos und aktuell ist, nämlich: “Die Demokratie wird entweder christlich sein oder sie wird nicht sein. Es ist ein Satz, der in diesen Zeiten des aktuellen Amoklaufs der “liberalen Demokratie” viel Bedeutung hat. Mit beiden Sätzen können wir uns zu 100 Prozent identifizieren, aber das bedeutet nicht, dass wir zu der konkreten politischen Vision der europäischen Integration eine ähnliche Position einnehmen können wie zu Schumans Ansichten. Zunächst einmal: Was genau steht in der Erklärung vom 9. Mai, die Schuman der französischen Regierung und der europäischen Öffentlichkeit vorgelegt hat?

Darin heißt es: “Die Vereinheitlichung der Kohle- und Stahlproduktion wird als erste Etappe der europäischen Föderation unmittelbar die Schaffung einer gemeinsamen Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung gewährleisten und eine Änderung in der Reihe der Regionen herbeiführen, die seit langem in den Dienst der Produktion von Kriegsmitteln gestellt wurden.

“Dieser Vorschlag wird die ersten greifbaren Grundlagen für eine europäische Föderation schaffen, die für die Erhaltung des Friedens unerlässlich ist, und zwar durch die Vereinheitlichung der Grundproduktion und die neu geschaffenen Institutionen der Hohen Behörde, deren Entscheidungen Frankreich und Deutschland und die mit ihnen verbundenen Länder zusammenführen werden.”

An dieser Stelle sei angemerkt, dass der erste Präsident der 1952 eingerichteten Hohen Behörde der EGKS kein Geringerer als Jean Monnet selber war, der als überzeugter Föderalist und Globalist keinen Augenblick lang einen Hehl daraus machte, dass er die Hohe Behörde (die Vorgängerin der heutigen Kommission) als eine föderale supranationale Regierung ansah. (Max Kohnstamm, der Generalsekretär der Hohen Behörde und Mitstreiter Monnets, drückte es unverblümt aus: Ein Weltstaat muss durch die Abschaffung der Nationen geschaffen werden.)

Aber springen wir ein wenig zurück und sehen wir uns an, worüber Schuman auf der Pariser Botschafterkonferenz am 2. März 1951 gesprochen hat. Dort sagte er, die Zersplitterung Europas sei obsolet, sinnlos, geradezu absurd geworden. In einer Welt der Blöcke müsse sich Europa vereinen. (René Lejeune, Politics and the Sanctity of Life, New Man, 2006) Er fügte hinzu: “Wir brauchen eine gemeinsame Vision des zukünftigen europäischen Stadtstaates, eine endgültige Lösung, die ich ständig im Kopf habe.”

Die Vision ist klar, unmissverständlich.

Schumans Vision wurde von der am meisten betroffenen Partei, dem deutschen christdemokratischen Bundeskanzler Konrad Adenauer (1949-1963), geteilt, der Schumans Idee mit großer Begeisterung aufnahm und sie ihm in einem persönlichen Gespräch mitteilte. Damals, nach der schweren Niederlage im Zweiten Weltkrieg, hatte Deutschland ein vitales Interesse daran, im Rahmen der europäischen Integration wieder an Europa anschließen zu können und sich auf diese Weise den Völkern (West-)Europas wieder präsentabel zu machen. Für Adenauer konnte dieses hehre Ziel durch die teilweise oder vollständige Aufgabe der deutschen Souveränität erreicht werden, und schon im Januar 1950 schlug er vor, die Industrieproduktion im Saargebiet unter internationale Aufsicht zu stellen. Im März 1950 ging er sogar so weit, dass er kühn eine volle Union (!) zwischen Deutschland und Frankreich vorschlug.

Ein weiterer Punkt – auf den ich jetzt nicht eingehen will – ist, dass in den 50er Jahren der große Plan, die große Monnet-Schuman-Vision, durch das Wiederaufleben der Souveränitätswünsche der Mitgliedstaaten zerschlagen wurde; der Bundesstaat wurde damals nicht umgesetzt, sondern es entstand eine Konfrontation und Bruchlinie zwischen Föderalisten und Souveränisten innerhalb der Union, die bis heute anhält.

Diesmal wollte ich lediglich zeigen, dass die Lösung nicht in den Ansichten der Gründerväter der Europäischen Union zu finden ist, denn das ist nicht die Lösung, sondern die Wurzel des Problems und der aktuellen Krise.

Auch innerhalb des Christentums gibt es eine Bruchlinie zwischen Globalismus und Patriotismus, die wir zum Beispiel auch auf der innenpolitischen Ebene entdecken können. Das ist kein Problem, dem kann man im Geiste christlicher Toleranz begegnen: Schumans Ansichten über den Glauben und die Rolle des Christentums in Europa sind ewig, doch seine politisch-institutionell-konstitutionellen Ideen sind – aus einer souveränistischen, patriotischen Perspektive gesehen – grundlegend fehlerhaft. Es ist ein nuancierter Ansatz erforderlich.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Ursachen für die aktuelle Krise der Union liegen in ihren Wurzeln begründet. Daraus ergibt sich der Umkehrschluss: Indem wir die Wurzeln hinter uns lassen, sollten wir einen völligen Neuanfang erzielen und eine lose Föderation souveräner europäischer Staaten von unten schaffen können. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, das Alte zu flicken, sondern eine neue Allianz zu schmieden.

Und lassen Sie mich abschließend sagen, dass die Union entweder eine lockere Wirtschafts- und Handelsunion souveräner Staaten sein wird oder es wird keine Union geben.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Berater am ungarischen Zentrum für Grundrechte

Quelle: Magyar Nemzet


3 Gedanken zu „Neustart der EU?“
  1. Es wird sich gar nichts zum Besseren ändern, diese sogenannten Eliten
    sind Raubtiere in Menschengestalt. Sie schaffen sich gerade ihre Welt und
    hängen diese zum Diskurs aus, obwohl hinter verschlossenen Türen längst
    alles geplante Sache ist. Es sind und waren immer schon Raubtiere, der
    Satanismus ist ihre Raubtier-Religion. Sie werden sich eine Welt erschaffen
    wollen, welche ihre Begierden und Gelüste in ausreichendem Maße stillt.

    Alles andere ist nur Täuschung, Illusion und geplanter Irrtum.

  2. Zum “Geist der Gründerväter” zurückkehren zu wollen, wäre anachronistisch, wenn nicht gar der Definition eines “Wahnsinns” recht nahe, gemäß welcher Europa zum wiederholten Male an die selbe Wand laufen würde.

    In den Grundlagen der “Integration Europas” mittels der Römischen Verträge 1957 sehe ich zahlreiche Strukturen, in denen die Totalitarismen, mit denen wir Europäer uns heute konfrontiert sehen, bereits von Anbeginn angelegt waren.

    Wenn Schuman sagte, Europa werde entweder “christlich sein oder es wird nicht sein“, so muß dies nicht verwundern.
    Wenn er “christlich” sagte, wird er wohl “katholisch” gemeint haben. Wer war denn der Gastgeber bei der Unterzeichnung der “Römischen Verträge”.
    Das zu einigende Europa war von Beginn an ein katholisches Konzept, ein von Vatikanischen Hegemonialansprüchen durchseuchtes Projekt unter dem Deckmantel von Frieden und Kooperation. (nachdem mal wieder Rom gegen Rom Krieg geführt hatte)

    Selbst die Demokratie wird hierbei vereinnahmt. Wenn die Alternative lautet: sie werde “entweder christlich sein oder sie wird nicht sein”, dan wird sie nicht sein, weil sie nicht sein kann.
    Demokratie unter dem Katholischen Anspruch nach den Vorstellungen von Päpsten, Kaisern und Cäsaren?
    Demokratie ist im Ursprung nun mal so ziemlich alles andere als “Römisch”. Europa dagegen ist so römisch, wie es kaum römischer sein könnte.

    …Daß die Demokratie inzwischen “Amok läuft”, liegt sicher nicht am Liberalismus. Liberalismus und Demokratie sind kaum trennbar. Dabei will ich gerne auch so weit gehen, Laizität sowie zahlreiche weitere Gedanken verschiedener Phasen der Aufklärung mit einzubeziehen.

    Darzulegen, warum der Liberalismus heute ein anderer ist, und warum er nur noch wenig mit seinen Ursprungsgedanken zu tun hat, ist im engen Korsett Politischer Korrektheiten schwierig geworden. Die genealogischen Gemeinsamkeiten derer, die den Liberalismus seit nunmehr mindestens hundert Jahren pervertieren, möge sich folglich jeder selbst erschließen.
    (Literaturhinweise gebe ich gerne, nicht nur aus den eigenen Schriften)

  3. Europa wird eine Föderation von souveränen Staaten oder es wird nicht sein. Dem ist zuzustimmen. Kein Staat gibt sich ohne Not auf. Das sieht man schon an den deutschen Bundesstaaten. Eine Neugliederung der Bundesstaaten wäre sinnvoll. Es wird sie nicht geben, solange es keine Notwendigkeit gibt, da der Finanzausgleich das Überleben der schwachen Staaten ermöglicht. Auf Europäischer Ebene ist es nicht anders. Bei aller Rhetorik um Werte etc., es geht letztlich ums Geld. Hier ist mancher Staat bereit, auf gewisse Souveränitätsrechte zu verzichten. Aber wenn es hart auf hart kommt, ist jeder dann doch sich selbst der nächste. Beispiele: Verstöße bzw. Umgehungen gegen die Vorschriften im Finanzbereich, u.a. Finanzierung des Staates mit Hilfe der nationalen Zentralbank oder der Ankauf von staatlichen Wertpapieren durch die EZB. Wenn es um das Flüchtlingsthema geht, treten die unterschiedlichen Interessen offen zu Tage. Nun gibt es auch noch die Schuldenaufnahme durch die EU. Der Schuldenorgie außer durch die Eurostaaten nun auch durch die EU sind nun Tür und Tor geöffnet. Über den Weg der Schuldenunion wird sich ein staatliche Union nicht erreichen lassen. Das wird auch in Deutschland erkannt werden, wenn es wieder zum kranken Mann Europas geworden ist.

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