Norbert Hofer: Leben nach der Quer­schnitts­läh­mung (Auto­bio­grafie, 11. Kapitel)

11. Wenn der Körper nicht mehr will

Wer sich noch nie mit einer Quer­schnitts­läh­mung befasst hat, weiß oft nicht, dass jede Quer­schnitts­läh­mung ein anderes Zustands­bild des Körpers mit sich bringt. Zunächst unter­scheidet man zwischen inkom­pletter und kompletter Quer­schnitts­läh­mung. Eine inkom­plette Quer­schnitts­läh­mung bedeutet, dass man auch unter­halb der Rücken­marks­ver­let­zung noch teil­weise fühlen und sich bewegen kann. Und wesent­lich ist auch, in welchem Bereich das Rücken­mark beschä­digt wurde. Bei einer Verlet­zung im Hals­wir­bel­säu­len­be­reich sind beispiels­weise Hände und Beine, oft auch die Atmung betroffen. Bei einer Verlet­zung im Bereich der Lenden­wir­bel­säule sind in der Regel nur die Beine gelähmt. In meinem Fall handelt es sich nach der ersten Prognose um eine komplette Quer­schnitts­läh­mung, verur­sacht durch eine Rücken­marks­ver­let­zung in der Lenden­wir­bel­säule. Meine Prognose lautete also: ein Leben im Rollstuhl.

Doch bei einer Quer­schnitts­läh­mung geht es in vielen Fällen nicht nur um die Bewe­gungs­un­fä­hig­keit von Armen oder Beinen sondern auch um andere Körper­funk­tionen, die betroffen sind. Viele Pati­enten leiden beispiels­weise unter Spas­tiken. Hier handelt es sich um einen erhöhten Muskel­tonus, der zu erheb­li­chen Schmerzen führen kann.

Diese Spas­tiken verhin­dern zudem, mit den noch funk­tio­nie­renden Muskeln gezielte Bewe­gungen ausführen zu können. Oft sind die Pati­enten auch sehr berüh­rungs­in­tensiv, wobei Berüh­rungen auch direkt zu unko­or­di­nierten Bewe­gungen der Glied­maßen führen können. Einige von uns fanden das nach einem anfäng­li­chen Schock sogar recht lustig, bei den Ange­hö­rigen kam jedoch keine rechte Heiter­keit auf.

Bei vielen Pati­enten gehen auch die Sexu­al­funk­tionen völlig verloren, was vor allem für junge Quer­schnitts­ge­lähmte zu erheb­li­chen psychi­schen Problemen führen kann. Auch die Ausschei­dungs­or­gane funk­tio­nieren in vielen Fällen nicht mehr.

Oftmals haben behin­derte Menschen so keinerlei Kontrolle über ihre Blase, die sich spontan entleeren kann und auch der Darm kann betroffen sein. Es sind diese zusätz­li­chen Heraus­for­de­rungen, die für Pati­enten mit Quer­schnitts­läh­mungen das gesell­schaft­liche Leben oft beson­ders schwierig machen. Andere haben das Glück, davon nicht oder nur kaum betroffen zu sein. Es sind die Reha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tungen in Öster­reich, welchen großer Dank geschuldet ist. Sie zeigen den Pati­enten auf, wie man trotz Verlustes von wich­tigen Körper­funk­tionen wieder ein gere­geltes Leben führen kann. Zudem geben neueste Fort­schritte in der Medizin Hoff­nung, dass die eine oder andere Funk­ti­ons­stö­rung in Zukunft gemin­dert werden kann.

Es bleibt die Tatsache, dass Menschen, die plötz­lich mit einer Behin­de­rung konfron­tiert sind, auch mental sehr stark sein müssen, um mit dieser neuen Situa­tion zurecht zu kommen. Öster­reichs Reha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tungen bieten auch dazu alle erdenk­li­chen Hilfen an. Oft ist es so, dass verun­fallte Pati­enten die Behin­de­rung nicht wahr haben wollen, andere verzwei­feln und finden keine Lebens­freude mehr. Hier ist es beson­ders wichtig, sowohl von Seiten der Ärzte­schaft als auch durch das Pfle­ge­per­sonal und die physio­the­ra­peu­ti­sche Hilfe, aber vor allem durch die Familie, den nötigen Rück­halt zu geben.

Ich kann den Betrof­fenen nur sagen, dass sich all diese Hürden meis­tern lassen und sich nahezu jede auch noch so aussichtslos wirkende Situa­tion zu einem Besseren wenden kann. Verlieren Sie also nie den Mut, wenn Sie einmal glauben, einfach nicht mehr Tritt fassen zu können. Der Körper ist ein Wunder, und in der Lage, Dinge zu voll­bringen, die wir uns nicht vorstellen können.

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