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3. Faszination Fliegen

Als ich 9 war, durfte ich mir im Keller meiner Eltern eine kleine Werkstatt einrichten. Dort entstanden auch meine ersten Modellflugzeuge. Es wurde ausschließlich nach Bauplan, mit viel Balsaholz und Sperrholz gebaut. Die Fernsteuerungen waren unendlich teuer. Es roch nach Spannlack, Leim und Modellbausprit. Zur Firmung hatte ich mir von meinem Bruder einen 6,5 ccm Zweitaktmotor von Webra gewünscht, den ich in ein damals oft gebautes Modellflugzeug einbaute. Der „Charter“ war schwer übermotorisiert und konnte senkrecht fliegen, was für ein Spaß.

Und natürlich gehörte zum Fliegen auch immer wieder das Reparieren der Flugzeuge nach mehr oder weniger spektakulären Abstürzen. Einmal gelang es mir sogar, ein Motorflugzeug am Dach des Fernheizkraftwerkes Pinkafeld zu zerstören. Meine Lieblingsübung bestand darin, am Sportplatz mit Vollgas durch das Tor zu fliegen, von dem vorher das Netz entfernt worden war. Doch am schönsten war das Segeln am Hang.

Pinkafeld hat einen kleinen Ortsteil namens Hochart, der mit 600 m Seehöhe rund 200 m über der Stadt liegt und einen herrlichen Südhang hat. Von dort blickt man direkt über die weiten Felder bis nach Oberwart und Großpetersdorf. Ideale Bedingungen für das Hangsegelfliegen. Das Segelfliegen am Hang ist wesentlich schwieriger als alle Übungen mit dem Motorflugzeug in der Ebene. Es ist ein Spiel mit der Thermik und dem Hangaufwind, gelandet wird nicht gegen sondern mit dem Wind und jede Fehleinschätzung gefährdet das über viele Stunden gebastelte Modell.

Das Sitzen in der Wiese an einem schönen Sommertag mit guten Aufwindverhältnissen, die Stille, unterbrochen nur vom Wind, vom Zirpen der Grillen und vom Pfeifen des Hangseglers, der in tiefem Überflug die Gesetze der Aerodynamik auch hörbar macht, ist eines der schönsten Erlebnisse. Der nahegelegene Flugplatz Pinkafeld befindet sich in Sichtweite dieses Hanges und oft war ich mit meinem Modellsegelflugzeug gemeinsam mit einem „Großen“ auf der Suche nach dem besten Aufwind. Manchmal gesellte sich auch ein Bussard dazu, um mit seinem Pendant aus Balsaholz um die Wette zu kreisen.

Gelernt habe ich das Modellfliegen von meinem Bruder Christian, doch es war mein Vater, der viel Zeit dafür verwendet hat, mich am Abend mit dem Auto nach Hochart zu bringen, damit ich dort meinem Hobby nachgehen konnte.

Die „echten“ Segelflugzeuge waren für mich damals in weiter Ferne und freilich hatte ich mir immer gewünscht, einmal selbst in einem Cockpit sitzen zu können.

Mit der Übersiedlung nach Eisenstadt und dem Eintritt in die HTBL-Flugtechnik war dieser Wunsch noch größer geworden.

Die Ausbildung an der HTBL-Flugtechnik enthielt neben vielen Theoriestunden auch sehr viel Praxis. Wir wurden in Holzarbeiten, Drehen, Schweißen, Löten, Elektroinstallation, im Biegen von Blechen, Setzen von Nieten und an Flugzeugen direkt in einem kleinen Hangar ausgebildet. Eine der aufregendsten Aufgaben war es damals, eine Etrich-Taube zu renovieren, die heute an der Decke des Technischen Museums in Wien hängt.

Die Etrich-Taube stammt aus dem Jahr 1909 und wurde vom österreichischen Flugpionier Igor Etrich entwickelt. Die HTL-Eisenstadt hatte die Aufgabe erhalten, mit Schülern der Flugtechnik eine Komplettrestaurierung der Flugmaschine vorzunehmen. Heute würde sich vermutlich kein Mensch mehr in diese enge Kiste mit ihrem viel zu schweren Motor und den filigranen Steuervorrichtungen setzen, um vom Boden abzuheben. Damals war jeder Flug noch eine reale Gefahr für Leib und Leben. Das Flugzeug hatte keine Ruder im klassischen Sinn. Es wurde ausschließlich durch Flächenverwindung gesteuert.

Die Arbeit an diesem Flugzeug war für uns überaus lehrreich und der Pioniergeist dieser Jahre sprang auch auf uns über. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum ich später vor allem an leichtgewichtigen Flugzeugen, an Segelflugzeugen, Motorseglern, Hängegleitern und Paragleitern interessiert war. Ich habe als Bordtechniker viele Flüge vor allem mit der Boeing 767 und der Boeing 737 absolviert, um neue oder frisch gewartete Triebwerke zu prüfen. Doch das Fliegen mit einem kleinen Flugzeug ist damit nicht vergleichbar. Je kleiner das Flugzeug, umso echter das Fluggefühl, umso grenzenloser die Freiheit, die man auch in der Luft spürt. Ein Blick aus dem Fenster eines Passagierflugzeuges ist wie das Betrachten eines Bildes. Bei einem Flug mit einem Hängegleiter fühlt man sich als Teil dieses Bildes, als Teil der Strömung, frei wie ein Vogel. Es ist eine Mischung aus Respekt vor den Gewalten der Luft, unendlicher Freude und manchmal auch Angst.

Doch vom Fliegen waren wir Schüler damals noch weit entfernt. Neben den Arbeiten an der Etrich-Taube durften wir unter Aufsicht auch bereits kleinere Wartungsarbeiten an Segelflugzeugen durchführen. Doch keiner von uns hatte schon Flugstunden bekommen.

Eines Tages wurde uns eröffnet, dass am Flugplatz Spitzerberg ein Segelflugkurs für die Schüler der HTL angeboten wurde. Ich meldete mich an – und für mich begann damit ein großes Abenteuer. Das Abenteuer des Flugsports.

Die Flugschule Spitzerberg ist eines der traditionsreichsten Flugsportzentren Österreichs. Bereits seit 1929 werden dort Flugschüler ausgebildet und Wettkämpfe veranstaltet. Im Jahr 1931 gelang dort vom Hundsheimer Kogel aus ein für damalige Verhältnisse sensationeller Dauerflug mit einem Gleiter. 2 Stunden und 23 Minuten war der Pilot mit einem „Zögling“ in der Luft und erreichte eine Startüberhöhung von 300 m. Nur wenige Jahre später, 1937 wurde mit 27 Stunden und 50 Minuten ein Dauerflugrekord vom Spitzerberg aus gestartet. Ein Zeichen dafür, wie rasch die technische Entwicklung in der Luftfahrt voran ging.

Wir jungen Flugschüler waren am Tag unserer Ankunft am Spitzerberg fürchterlich aufgeregt. Nach der ersten Nacht in unseren Mehrbettzimmern standen wir früh auf und räumten, unterAufsicht, unser Schulflugzeug, einen Bergfalken, aus dem Hangar.

Nach einer kurzen Einschulung durfte ich mit meinem Fluglehrer im Cockpit Platz nehmen. Vom Modellfliegen und natürlich durch die Ausbildung an der HTL war mir jeder Handgriff in der Theorie bekannt. Doch wenn man selbst den Steuerknüppel in der Hand hat, die Beine in den Seitenruderpedalen hat und die wenigen Instrumente zu überwachen hat, dann sieht plötzlich alles ganz anders aus. Wir wurden durch ein Schleppseil mit unserer Schleppmaschine verbunden. Das Seil wurde straff gezogen, ein Helfer musste die ersten Schritte, eine Tragfläche des Bergfalken in der Hand, mitlaufen und dann ging alles sehr schnell. Ich durfte natürlich nicht selbst steuern sondern nur die Hand am Steuerknüppel halten, um die richtigen Bewegungen zu erfühlen. Nach wenigen Sekunden waren wir in der Luft und folgten exakt den Bewegungen unserer Schleppmaschine. Nachdem wir 400 m Höhe erreicht hatten, klinkte sich der Fluglehrer aus – und übergab mir mit klaren Anweisungen das Ruder: Zuerst geradeaus fliegen, Geschwindigkeit halten, auf Querlage achten. Es war wie ein Traum. Ich war Pilot, zum ersten Mal in meinem Leben.

Es sind immer diese ersten Flüge, die man niemals vergisst. Genauso wie einige Monate später meinen ersten Alleinflug am Flugplatz des Sportfliegerklub Pinkafeld. Ich habe nach den ersten Schulungstagen am Spitzerberg in den Sommerferien, meine Ausbildung in Pinkafeld fertiggemacht. Und irgendwann meinte der Fluglehrer dann zu mir, ich sei so weit. Und er würde mir außerdem für meinen ersten Alleinflug ein anderes Flugzeug geben. Einen Einsitzer, die Ka8.

Wenn man das erste Mal alleine in einem Flugzeug sitzt und selbst die Verantwortung für das Geschehen übernimmt, ist das etwas ganz Besonderes. Ich weiß noch, dass ich mich im Flug oft umgedreht hatte, weil ich nicht glauben konnte, dass ich nun wirklich ganz allein in diesem Flugzeug unterwegs bin. Ich habe laut gesungen und geschrien vor Freude. Mit der Ka8 habe ich dann noch viele Flüge absolviert, später dann mit der Ka6, der SF34b, dem C-Falken und mit der Super Dimona. Doch dieser erste Flug mit der Ka8 wird immer etwas Besonders bleiben.

Einige Zeit später durfte ich dann auch noch die Segelkunstflugausbildung mit einer Gobe machen. Einem besonders stabilen Flugzeug, das bereits in den 60er Jahren in Ungarn entwickelt worden war. Einige Passagiere, die an Wochenenden von mir zum Fliegen eingeladen wurden, konnten sich von den besonderen Kunstflugeigenschaften dieser Maschine aus erster Hand überzeugen lassen – nicht immer zu deren Gefallen. So manche „Kotztüte” wurde an diesen Wochenenden gefüllt.

Besonders schön waren die Flüge mit meinem Vater, der anfangs unter Übelkeit litt, aber mit jedem neuen Flug auch seinen empfindlichen Magen stärkte. An einem Sommertag mit mäßiger Thermik sind wir einmal mit einer SF34b, einem zweisitzigen Segelflugzeug mit recht guten Gleitflugeigenschaften nach dem Ausklinken über Pinkafeld zum Hochwechsel geflogen und von dort aus weiter zum Semmering. Es war ein Kampf um jeden Meter und es war notwendig, jeden noch so leichten Aufwind zu nutzen, um wieder zurück zum Flugplatz zu kommen. Zum Abschluss erlaubten wir uns noch einen schnellen Überflug über die Piste mit dem Wind mit mehr als 200 km/h, nach einem Turn wurde dann gelandet. Mein Vater war nun tatsächlich flugtauglich, die Übelkeit für immer verschwunden.

Für mich begann, als ich 17 war, nicht nur das Abenteuer Segelfliegen, sondern ich sollte auch mit dem Drachenfliegen beginnen. Mein Bruder hatte mich als Gegenleistung zu meiner Hilfe beim Bau seines Blockhauses zu einem Grundkurs eingeladen, den wir in Lackenhof am Ötscher absolvierten. Es war eine unendliche Schufterei, den nicht ganz leichten Drachen viele Male am Tag den kleinen Übungshang hinaufzuschleppen nur um dann einen Flug von wenigen Sekunden machen zu können. So wurde aber das Starten und Landen mit dem Drachen gelernt. Denn hier gibt es kein Fahrwerk, auf das sich der Pilot verlassen kann. Und so passiert es am Anfang immer wieder, dass der Pilot im wahrsten Sinne des Wortes den Boden küsst, wenn die Geschwindigkeit beim Landen und beim Ausschweben des Hängegleiters nicht stimmt.

Auch hier war der erste große Flug ein unvergessliches Erlebnis. Ich war damals natürlich noch ohne Einkommen und hatte keinen eigenen Hängegleiter. Die Flugschule stellte mir für den ersten Flug herunter vom Ötscher einen Drachen namens „Duck“ zur Verfügung. Wenn man mit einem Drachen das erste Mal auf einem größeren Berg am Start steht, dann gibt es jedenfalls großes Herzklopfen. Umso schöner ist es aber dann, wenn nach dem Sprint die Beine leichter werden und man sich wie ein Vogel vom Boden erhebt. Auch die Lage des Körpers in der Luft erinnert an einen Vogel und man kann die Welt unter sich während des ganzen Fluges genießen.

Weniger genossen habe ich bei diesem ersten Flug jedoch meine Landung. Die Landewiese der Flugschule war ausgesprochen klein. Ich hatte jedenfalls beim Anflug den Eindruck, noch etwas zu hoch zu sein und machte daher in rund 200 m Höhe noch einen Vollkreis. Ich hatte mich jedoch – sicher auch aufgrund meiner völlig anderen Erfahrungen bezüglich des Gleitwinkels beim Segelflug – gründlich verschätzt und kam zu tief an. Die Stromleitung vor der Landewiese war dann natürlich gehörig im Weg und wurde von mir prompt gestreift. Die Brennnesseln direkt unter der Leitung sorgten dafür, dass dieser erste Flug ein wenig würdiges Ende fand.

Erst Jahre später habe ich wieder mit dem Drachenfliegen begonnen und mir ein eigenes Fluggerät namens Saphier angeschafft. Dann wurde auf Basis des Grundkurses der Sonderpilotenschein gemacht – und wenig später auch der Sonderpilotenschein für Paragleiter. Das Fluggerät, das meinen Lebensweg wesentlich ändern sollte.

Was ist so toll am Fliegen mit dem Paragleiter? Sowohl beim Segelfliegen als auch beim Motorflug oder beim Flug mit dem Hängegleiter sind wesentlich mehr Vorbereitungsarbeiten notwendig. Wer den Segelflugsport ausübt, ist in der Regel Mitglied eines Flugklubs. Dort sind Beiträge zu entrichten aber auch Arbeitsdienste zu leisten, wie etwa Bodendienste am Funkgerät, in meinem Fall auch kleinere Wartungsarbeiten an den Flugzeugen oder ganz einfach das Rasenmähen mit dem Traktor, um die Piste in Ordnung zu halten. Beim Drachenfliegen ist der Aufbau und Abbau des Fluggerätes mit einem gewissen Aufwand verbunden und auch der Transport mit dem Auto erfordert einen Dachträger. Mein Bruder und ich verwendeten für unsere Drachen außerdem einen Hilfsmotor, um von der Ebene aus starten zu können.

Das war insofern ein Abenteuer, als wir dafür keine Ausbildung genossen hatten. Mein Bruder kaufte den Motor und wir probierten das Ding einfach mit unseren Hängegleitern aus. Nachdem der Start meinem Bruder einige Male misslungen war, hatte ich das Glück, als erster abheben zu dürfen. Ich fühlte mich in die alte Zeit der fliegenden Kisten und der Pioniere der Luftfahrt zurückversetzt. Da man beim Start keine Hand frei hat und nach wie vor durch Laufen startet, war eine umfunktionierte Wäscheklammer im Mund der Ersatz für den Gashebel. Beim Zubeissen wurde Vollgas gegeben, machte man den Mund auf, lief der Motor in Leerlauf. Man hat mich beim Start selten so verbissen gesehen wie beim Test dieses Motorsystems.

Das Paragleiten ist in der Vorbereitung sehr unkompliziert. Hier kann man das Fluggerät einfach im Kofferraum mitführen. Das Gewicht ist so gering, dass man den Berg bei sportlicher Kondition auch zu Fuß besteigen kann. Und das Aus- und Einpacken des Paragleiters erfordert nur wenige Minuten. Ich habe meine Freunde immer davor gewarnt, dass der Paragleier vor allem in Bodennähe Gefahren birgt. Denn kommt es hier zu einer Turbulenz, die den Schirm zum Einklappen bringt, ist man nur mehr Passagier. In größerer Höhe hat man immer noch die Möglichkeit, den Rettungsfallschirm zu werfen oder den Schirm wieder zu öffnen, das ist eigentlich keine große Sache. Jedoch fällt man zuerst einmal etliche Meter Richtung Erde, bevor der Schirm wieder offen ist. Und in Bodennähe bedeutet dieses Fallen in den meisten Fällen nichts Gutes. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ausgerechnet mir dieses Unglück widerfahren sollte.

Die Fliegerei hat mich auch in den ersten Jahren meines Berufslebens begleitet. Meine ersten beruflichen Erfahrungen machte ich jedoch als Einrichtungsberater in einem kleinen Unternehmen. Ich zeichnete Küchen und war auch beim Verkauf dabei. Hier lernt man viel über Menschen.

Wir führten Bulthaup-Küchen, eine der teuersten Marken, sowie auch einige günstigere Produkte in unserem Angebot. Die teuerste Küche verkauften wir damals an eine ältere Dame mit dem typisch burgenländischen Kopftuch, das man noch bis hinein in die 70er Jahre im Land getragen hatte. Die kleine gebückte Frau bestellte für ihr Eigenheim eine Küche im Gegenwert von heute 50.000 Euro, ohne eine große Sache daraus zu machen. Sie brauche diese Küche für ihre große Familie am Bauernhof, so erzählte sie uns. Es waren oft die Yuppies in ihren dunklen Anzügen und den viel zu großen Leasingautos, die die billigsten Küchen kauften. Schein und Sein, das begleitet mich nun schon ein Leben lang. Und irgendwann lernt man auch, hinter die Fassade zu sehen.

Im Küchenstudio war ich nur im Zeitraum nach meiner Matura, bis zum Antritt meines Militärdienstes in der Seekaserne Oggau. Danach fand ich den Weg zurück in die Luftfahrt. Ich wurde von der Lauda Air als Triebwerkstechniker engagiert. Damit begann für mich aber zuerst eine weitere Phase der Ausbildung.

Meine Zeit bei der Lauda Air begann kurz nach der größten Katastrophe der österreichischen Luftfahrtgeschichte. Am 26. Mai 1991 um 23:17 Ortszeit stürzte eine Boeing 767-ER der Lauda Air im Westen Thailands ab, nachdem sich die Schubumkehr an einem Triebwerk während des Flugzeuges aktiviert hatte. 223 Menschen kamen bei diesem Unglück ums Leben.

Später stellte sich heraus, dass Boeing und die US-Luftfahrtbehörde FAA die für diesen Fall vorgesehenen Maßnahmen und ihr Training am Flugsimulator für ausreichend gehalten hatten, um das Flugzeug wieder kontrolliert landen zu können. Dies entsprach aber bei weitem nicht den Tatsachen. Die Piloten hatten keine Chance, bei Mach 0,8, also bei 80 Prozent der Schallgeschwindigkeit, das Flugzeug mit einer auf einer Seite ausgefahrenen Schubumkehr unter Kontrolle zu bringen. Die Gesprächsaufzeichnungen aus dem Cockpit gaben auch Zeugnis von den letzten Worten der Piloten. „Jesus“ war das letzte, was einer der beiden Männer noch sagen konnte.

Obwohl die Lauda Air und ihre Techniker keine Schuld an diesem Unglück hatten, war es doch für das Unternehmen eine äußerst schwierige Zeit. Für mich als jungen Techniker galt es daher, besonders gewissenhaft zu sein. Denn das Leben vieler Menschen hängt letztendlich davon ab, ob ein Flugzeug auch technisch in Ordnung ist.

Zunächst kümmerte ich mich im Engineering der Lauda Air um die so genannten Hilfsgasturbinen, später um die Hauptriebwerke. Ich absolvierte zahlreiche Kurse der Firmen Pratt & Whitney, Garrett und CFMI, um für die eingesetzten Flugzeugtypen Boeing 737 und Boeing 767 auch fit gemacht zu werden. Es war nicht meine Aufgabe, auch sogenannte Wartungslizenzen zu erwerben. Doch ich habe rasch festgestellt, dass unsere Techniker, die direkt an den Flugzeugen ihre Arbeiten durchführen, die Theoretiker aus dem Büro nicht immer allzu ernst genommen haben. Daher besorgte ich mir einen roten Lauda Air-Overall und fuhr so oft wie möglich hinaus auf die „Platte”, wie das Vorfeld von uns genannt wurde. Ich legte dann die Prüfung für den Luftfahrzeugschein zweiter und erster Klasse ab, war einer der jüngsten „Einserwarte” in Österreich und endlich nicht nur mehr „Schreibtischhengst”.

Meine Firma schickte mich oft ins Ausland, vor allem nach Phoenix, Arizona, nach Basel und nach Zürich zu Swissair, nach Raunheim zu Garrett, nach Paris zu Air France Industries und nach Frankfurt zur Lufthansa. Dort wurden unsere Triebwerke einer generellen Überholung unterzogen oder es fanden Kongresse statt.

Die Lauda Air wurde als kleines Unternehmen ausgewählt, eine neue Form der technischen Überwachung zu erproben, das sogenannte Main Engine Condition Monitoring. Früher wurden Triebwerke nach einer gewissen Einsatzzeit einer Grundüberholung unterzogen. Die Kosten dafür sind enorm. Ziel des ECM ist es, die Leistungsfähigkeit des Triebwerks laufend zu kontrollieren und aus Daten wie der Abgastemperatur und der Drehzahlentwicklung von Kompressor und Turbine Rückschlüsse auf den Verschleiß zu ziehen. Zu diesem Zweck wurde ich auch immer wieder als Bordingenieur eingesetzt. Wurde ein neues Triebwerk eingebaut, so flog ich die ersten fünf bis zehn Starts im Cockpit mit, um die exakten Daten zu erfassen und daraus später den Verschleiß zu ermitteln.

Da auch die Kollegen aus anderen Luftfahrtunternehmen an den Ergebnissen interessiert waren, wurde ich eines Tages nach Paris eingeladen, um dort über unsere Erfahrungen zu berichten. Mein Englisch war damals recht passabel, weil im Alltag sämtlicher Schriftverkehr und auch ein erheblicher Teil der sonstigen Kommunikation bei einem Luftfahrtunternehmen selbstverständlich in englischer Sprache abgewickelt wurde. Trotzdem war ich recht nervös. Was sollte ich junger Spund den alten Hasen in der Branche erzählen?

Der Vortrag fand im Hotel Hilton statt und ich sah mich mit einem voll besetzten Saal konfrontiert. So begann ich also mit meinem Vortrag, berichtete aus den Erfahrungen mit ECM, erläuterte alle mir bekannten Details. Keine einzige Frage wurde während meines Referats gestellt, kein Zwischenapplaus aber auch keine Unmutsäußerungen. Hatte ich meine Kollegen wirklich so gelangweilt? Es schien mir, als würden die Herrschaften im Saal auf irgendetwas warten.

Nachdem ich geendet hatte, höflicher Applaus, dann gehen einige Hände nach oben. Endlich kommen die Fragen der Kongressteilnehmer, mir fiel ein Stein vom Herzen. Doch dann die Überraschung. Gefragt wurde ausschließlich, wie denn Niki Lauda so als Chef sei, wie wir ihn als Mitarbeiter erleben, ob wir stolz sind, für so eine Persönlichkeit arbeiten zu dürfen. Deshalb also das gespannte Schweigen. Alle wollten wissen, wie es ist, für einen der erfolgreichsten Rennfahrer der Motorsportgeschichte zu arbeiten.

Nun, wie war das denn eigentlich? Wir Techniker waren bei unseren Arbeiten einerseits auf Zahlen und Daten aus dem Bordcomputer, auf Manuals und auf unsere persönlichen Erfahrungen angewiesen, andererseits versuchten wir uns aus den Gesprächen mit den Piloten einen Reim darauf zu machen, wo wir die Ursache für einen beanstandeten Defekt finden könnten. Grundsätzlich werden Flugzeuge einige Minuten vor Dienstschluss kaputt, damit das Personal möglichst viele Überstunden und Nachtstunden, möglichst bei Minustemperaturen auf dem Flugfeld, abzuleisten hat. Das scheint wohl ein weiteres Gesetz von Murphy zu sein.

Oft erfuhren wir vom Piloten schon über Funk, welche Probleme es an Bord gab. Die Informationen von Niki Lauda, sofern er selbst im Cockpit saß, waren aber immer besonders exakt. Er berichtete nicht nur, welchen Defekt er festgestellt hatte, sondern er gab auch gleich an, welches Bauteil vermutlich Ursache für das Problem war. Und meist hatte er recht. Er war also nicht nur ein interessanter Unternehmer und hervorragender Pilot, sondern auch ein begnadeter Techniker. Dieser Zugang zur Technik war wohl neben seinem fahrerischen Können eine Basis für seine frühen Erfolge in der Formel 1. Ich habe Lauda immer sehr respektiert und gerne für das Unternehmen gearbeitet. Wir waren ein junge und begeisterte Truppe, die sich zum Ziel gesetzt hatte, das Unternehmen größer und erfolgreicher zu machen. Da war es schon mal egal, wenn man eine Nacht in der Firma blieb, um ein Problem zu lösen oder wenn die Bezahlung schlechter war als beim verstaatlichten Konkurrenten Austrian Airlines. Die Arbeit machte einfach großen Spaß.

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