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8. Alte und neue Freunde

Cicero hat einmal gemeint, einen sicheren Freund erkenne man in unsicherer Sache. Ich war vor meinem Unfall jahrelang politisch aktiv und in verschiedenen Vereinen organisiert. Oft kann man sich als Politiker der Anzahl der auch privaten Einladungen kaum erwehren. Da ist die Welt voll von Schulterklopfern, Unterstützern und Leuten, die alle behaupten, engstens mit dir befreundet zu sein.

Doch die Folgen des Absturzes waren so schwer, dass eigentlich kaum jemand damit gerechnet hatte, dass ich wieder den Weg zurück in meinen Beruf finden würde. Es schien also so, als wäre ich künftig nicht mehr dazu geeignet, für das Fortkommen anderer ein wesentlicher Faktor zu sein.

So zeigte man zwar anfängliches Interesse an meinem Gesundheitszustand, der Kontakt wurde aber nach und nach seltener. Ich wusste fortan, wer meine wahren Freunde waren. Sie sind es noch heute.

Besonders gefreut habe ich mich über die Besuche jener Personen, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, und die mich trotzdem regelmäßig am Weißen Hof in Klosterneuburg besuchten. Ganz besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang meinen Freund Gerhard, der nahezu jede Woche bei mir war und mit dem ich viele schöne Stunden in Gesprächen am Abend in der Kantine der Reha-Einrichtung oder in meinem Zimmer verbringen durfte.

Diese Form der Aussprache war für mich wichtig und stellte auch den Kontakt zur Welt da draußen her. Ansonsten lebten wir in unserer eigenen kleinen Wirklichkeit auf dem kleinen Berg in Klosterneuburg. Eine Gemeinschaft von Hoffenden, Verzweifelten und vor allem von Menschen, die auf die Probe gestellt wurden.

Es gab junge Menschen, die bei einem Motorradunfall ihr Bein verloren hatten, Verbrennungsopfer, die einen großen Teil ihrer Haut eingebüßt hatten und eben die vielen querschnittsgelähmten Kollegen, die nach und nach lernten, alte Fertigkeiten auf einem anderen Weg umzusetzen. Die nach und nach verstehen mussten, dass der eigene Wert nicht an der eigenen Unversehrtheit zu ermitteln ist. Und natürlich entstanden auch dort neue Freundschaften.

Da waren einmal meine Zimmerkollegen Andreas und Bernhard. Andreas war ein junger Arzt und herausragender Sportler. Er hatte als Ruderer an den olympischen Spielen teilgenommen und verunglückte im Urlaub beim Sprung in ein Wasserbecken. Eigentlich ein Klassiker, wie wir diese Art von typischem Unfall nannten. Das Becken war zu seicht und so brach sich Andreas seine Halswirbel. Er war vom Hals abwärts gelähmt. Doch das Schicksal meinte es gut mit ihm – er konnte nach und nach seine Gliedmaßen bewegen und auch das Gefühl in Händen und Beinen kam wieder zurück. Letztlich war Andreas so weit, dass er wieder aufstehen und gehen konnte und nach einigen Monaten an Training erledigte er alle Wege am Weißen Hof ohne Gehhilfe.

Man kann sich vorstellen, welches Glück dieser Mensch ausstrahlte. Seine Zukunft war für ihn wieder völlig offen und er wusste, dass er eines Tages wieder seinen alten Beruf ausüben, ja sogar wieder Operationen durchführen konnte. Eines Tages wurde ihm ein recht eigenartiger Apparat vorbei gebracht, der so etwas wie eine künstliche Gebärmutter darstellte und an welchem er seine alten Fertigkeiten wieder eintrainierte. Das sorgte natürlich für Erheiterung unter den Patienten. Täglich übte er auch mit einem kleinen Ball, den es galt, immer wieder fest zusammen zu pressen, um auch die Kraft in den Fingern wieder zurück zu erhalten.

Und Andreas liebte das Leben. Immer wieder kam er am Abend mit einer Flasche Rotwein vorbei und wir unterhielten uns bei einem Glas über unsere Zukunftsaussichten. Ganz besonders in Schutz genommen haben wir in all dieser Zeit einen der jüngsten Patienten am Weißen Hof und meinen Zimmerkollegen Bernhard. Bernhard war 13 Jahre alt und am Hof seines Vaters mit dem Fahrrad verunglückt. Er hatte ganz einfach den Traktor übersehen und war dagegen gestoßen. Die Folgen auch hier: eine Querschnittslähmung.

Es waren vor allem die jungen Patienten am Weißen Hof, die sich sehr rasch mit der neuen Ausgangssituation in ihrem Leben zurecht gefunden hatten und besonders eifrig und zielstrebig ihr Training absolvierten. Bernhard war da keine Ausnahme. Er trainierte jeden Tag von früh bis abends und auch ihm gelang letztendlich der Schritt aus dem Rollstuhl. Doch eines war unübersehbar. Der Unfall hatte diesen jungen Burschen letztendlich zu einem Menschen gemacht, der die Ansichten eines reifen Erwachsenen vertrat. Er wusste, was er von seinem Leben wollte und er wusste auch, was er tun musste, um seine Ziele zu erreichen.

Natürlich war im Haus sehr bald bekannt, dass ich freiheitlicher Politiker war und es kam auch immer wieder zu Gesprächen, deren Inhalt sich um Politik in Österreich drehte. Da meine Partei in Fragen der Zuwanderung eine sehr restriktive Haltung vertritt, hat man sich ganz besonders darüber amüsiert, dass ich einen Großteil meiner Zeit mit einem Freund aus Polen und einem weiteren Kollegen mit Wurzeln in der Türkei verbrachte. Wir wurden über die Lautsprecheranlage immer gemeinsam ausgerufen, weil der Hausverwaltung offenbar klar war, dass wir wieder einmal irgendwo zusammen steckten.

Ich konnte in dieser Zeit auch in dieser Hinsicht menschlich sehr viel lernen und vertrete strikt die Ansicht, dass nicht das Umfeld oder die Herkunft eines Menschen ausschlaggebend sind, sondern letztlich nur der Mensch selbst. Beide Patienten, die im Ausland geboren waren, fühlten sich als echte Österreicher und waren auch nach ihrem Unfall fest dazu entschlossen, hier in ihrer neuen Heimat ihre Leistungen zu erbringen und ein neues Leben aufzubauen. Welch ein Unterschied zu jenen Menschen, die völlig frei von persönlichen Hürden einer Leistungsminderung ausschließlich kommen, um unser Sozialsystem zu genießen. Ich habe mich sehr gefreut, als ich lange nach meiner Entlassung etwas hören sollte. Einer der beiden war nach seiner Entlassung aus der Reha-Einrichtung Mitglied im Österreichischen Nationalteam der Basketballer als Behindertensportler und vertrat so unser Land auch nach außen.

Von ganz besonders großer Bedeutung ist nach einem schweren Unfall auch die Unterstützung der eigenen Familie. Sowohl meine Frau als auch meine Eltern und meine Geschwister haben von Anfang an klar gemacht, dass sie, ganz egal wie die Sache letztendlich ausgehen würde, immer unterstützend an meiner Seite sein würden. Das ist auch für eine Genesung oder für weitere Fortschritte auf dem Weg der Rehabilitation von großer Bedeutung. Ich habe leider auch andere Fälle erlebt, wo eine Partnerin oder ein Partner einen Menschen, der plötzlich behindert war, nur in den ersten Wochen oder Monaten seines langen Weges unterstützt hat, um dann letztendlich aufzugeben und das eigene Glück bei einem anderen Partner zu suchen. Man kann sich vorstellen, wie hart man davon getroffen werden kann. Nicht nur, dass der Umgang mit dem eigenen Körper plötzlich ein völlig anderer ist, nicht nur, dass man oftmals seine eigene Wohnung nicht mehr betreten kann, weil sie nicht barrierefrei ist, nicht nur, dass man sich auch Sorgen um seine existenzielle Zukunft oder seinen Beruf macht, nein, auch der eigene Partner oder die eigene Partnerin lässt dich im Stich.

Daher gilt es dankbar zu sein, wenn man Freunde und Familie hat, die in allen Zeiten bereit sind, einen noch so harten und beschwerlichen Weg gemeinsam zu gehen.

Daher gilt es danke zu sagen, danke an alle Angehörigen, Freunde und Begleiter von behinderten Menschen, die aufrichtig bereit sind, ihre Lieben weiter zu unterstützen und Menschen nicht nur an der Zahl oder Funktionstüchtigkeit von Gliedmaßen oder Sinnesorganen beurteilen.

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