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Viktor Orbán · Foto: Centro Machiavelli

Von Marcell Dengi

Man könnte meinen, dass es der Fidesz war, der am meisten durch die Scheidung mit der EVP verloren hat, aber in Wirklichkeit ist es vielleicht nicht so.

Sobald Viktor Orbán am 3. März ankündigte, dass die Fidesz-Abgeordneten die EVP verlassen werden, begannen sofort neue Verhandlungen, die nicht nur die Zukunft seiner Partei, sondern auch die Europas betreffen. Orbán sagt, er wolle ein sicheres Haus für jene europäischen Bürger schaffen, die weder illegale Einwanderung und Multikulturalismus wollen noch der LGBTQ-Bewegung auf den Leim gegangen sind. Eine Heimat für diejenigen, die Europas kulturelles Erbe schützen möchten, aber Respekt vor der nationalen Souveränität haben und in ihren Nationen ihre Zukunft und nicht ihre Vergangenheit sehen.

Er hatte zuvor erklärt, dass seine Partei diesen Schritt vorbereite, wenn die EVP die neuen Abstimmungsregeln genehmige, die die erforderlichen Stimmen für den Ausschluss einer Mitgliedspartei von 2/3 auf 51% reduzieren. Nach der Suspendierung der Fidesz war der Entzug der politischen Rechte ihrer Mitglieder mit dieser neuen Regelung der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. In einem Interview donnerte Orbán: “Das ist antidemokratisch, unfair und inakzeptabel.” Er fügte hinzu: “Im Moment ist die EVP wie ein Luftschiff, das ständig rückwärts fliegt und seine politischen Prinzipien aus dem Fenster wirft, während es an Höhe verliert”. Ihm zufolge wollte Fidesz die EVP reformieren und sie zu einer starken demokratischen Rechten machen, die in der Lage ist, Zentristen, Konservative und Christen in eine große politische Familie zu holen, in der sie sich alle zu Hause fühlen können. Diese Chance, so Orbán, sei vertan worden, als er die Formation verließ: In diesem Moment wurde die EVP Teil der Europäischen Linken. Während wir in die dritte Covid-Welle hinabsteigen, sind die meisten EVP-Mitglieder in kurzsichtige Machtspiele innerhalb der bürokratischen Blase in Brüssel verwickelt. Sie sollten sich im Gegenteil damit beschäftigen, wie man die Krise bewältigt und das Leben der Menschen rettet.

Es mag den Anschein haben, dass Orbán besiegt ist oder dass er, wie die westlichen Medien behaupten, lieber aus dem Fenster gesprungen ist, als dass die anderen EVP-Mitglieder ihn hinausgeworfen hätten; dennoch hat die EVP vielleicht mehr verloren, als man denkt. Wie ein politischer Analyst anmerkt, hat Orbán ausgezeichnete Beziehungen zu Nicht-EU-Ländern wie Russland, Großbritannien, den USA und sogar China und der Türkei. Indem sie die Unterstützung von Fidesz verlieren, werden Frankreich und Deutschland in diesen Ländern politisch an Boden verlieren. Außerdem ist Orbán ein geschickter Stratege, der niemals ohne Fallschirm ins Leere springen würde. Er sagte einem Reporter, dass seine Schublade immer voller großartiger Ideen zur Erneuerung der europäischen Politik ist. Er sieht die aktuelle Situation als Chance, die Arbeit, die er mit der EVP begonnen hat, fortzusetzen und mit gleichgesinnten Parteien zusammenzuarbeiten, deren Interessen im Europäischen Parlament nicht angemessen vertreten sind. Jetzt, wo er nicht mehr an eine Partei gebunden ist, hat er die Zeit und die Freiheit, dies zu tun. Ihm zufolge gibt es keine Eile, aber es wird notwendig sein, die Verhandlungen, die bereits begonnen haben, zu beschleunigen. Im vergangenen Dezember verhandelte Außenminister Péter Szijjártó bereits mit der österreichischen FPÖ, der finnischen Perus S, der dänischen DF und auch mit der Partei des Niederländers Geert Wilders. Wenn es ihm gelingt, mindestens 7 Parteien und 23 Abgeordnete zu überzeugen, kann er eine neue Fraktion im Europaparlament bilden. Durch sie können Fidesz und andere gleichgesinnte Parteien die europäische Politik erneuern und eine Heimat für konservative Bürger schaffen.

Die linken Parteien sind anderer Meinung und glauben, dass Orbán mit dem Austritt aus der EVP einen Fehler gemacht hat. Vielleicht sind sie sich über das Bild nicht im Klaren. Erst wurde die Fidesz in der EVP suspendiert und jetzt wollte die EVP das Gleiche in der Eurogruppe tun, weil es ihr nicht passte, dass eine Partei, die kein aktives Mitglied der Formation ist, ehrgeizig nach vorne ging. Der ehemalige ungarische Außenminister Péter Balász [im Kabinett Gordon Bajnai 2009-2010] kommentierte in einem Interview, dass sich Orbán und der Fidesz in den letzten zehn Jahren durch ihr Handeln ständig von der EVP distanziert hätten. Einen Austritt Ungarns aus der EU hält er nicht für möglich: Es ist zu sehr mit deren Struktur verwoben. Er ist jedoch der Meinung, dass Budapest in der europäischen Entscheidungsfindung an Boden verloren hat. Balász, der jetzt Oppositionsanhänger ist, sieht dennoch viele andere Parteien, bei denen Fidesz in Europa Unterstützung finden kann: das ist bei Le Pens RN, Salvinis Lega oder der polnischen PO der Fall.

Bence Bauer, Leiter des Ungarisch-Deutschen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias-Corvinus-Kolleg, bezeichnete im Interview mit der ungarischen Nachrichtenseite Index.hu den Fidesz als eine starke und erfolgreiche Partei, nicht nur in Ungarn, sondern auch auf dem Schlachtfeld der europäischen Politik. Dank der ungarischen Wähler, die ihr 12 Europaabgeordnete gaben, ist die Fidesz nun die drittstärkste Partei unter den mehr als 80 in der EVP, mit nur zwei Abgeirdneten weniger als der polnische PO. Vor diesem Hintergrund kann sie als einflussreiche Partei betrachtet werden, ohne deren Unterstützung die EVP stark geschwächt ist. Die EVP steht aufgrund ihrer Abwahl vor vielen Herausforderungen. Die Fidesz ihrerseits wird immer ihren Platz in der europäischen Politik und im Parlament einnehmen. Es ist möglich, dass der Fidesz seine sorgfältig gepflegten Verbindungen nutzt, um zum Keim einer neuen Konstellation zu werden, die zu einer entscheidenden Macht im Europaparlament wird. Viktor Orbán und seine politischen Aktionen können viele andere Parteien anziehen. Kürzlich schloss er ein Radiointerview mit dem lateinischen Satz: Fortes fortuna adiuvat. Das Glück ist mit den Mutigen.

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Dieser Beitrag erschien zuerst bei CENTRO MACHIAVELLI, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


Marcell Dengi

MCC Visiting Fellow am Centro Studi Machiavelli. Student der Internationalen Wirtschaft an der Budapester Universität für Technologie und Wirtschaft und der School of Economics am Mathias Corvinus Collegium.


3 Gedanken zu „Orbán könnte eine politische Revolution in Europa starten“
  1. Die Deutsche Welle soll ja angeblich jetzt nach Ungarn gehen, hoffentlich lässt sich das abwenden. Wird aber Zeit dass hier auch mal mehr her kommt. Kossuth Radio auf Mittelwelle kommt leider nur ungarisch, was für viele schwer werden dürfte. Immerhin soll ja RT DE als deutschsprachiger Sender starten.

  2. Ja, daran beisse ich auch herum. Unglaublich was der Mann für Ungarn getan hat. Letztlich auch für Europa und uns alle. Umsomehr verwundert mich sein Verhalten in Verbindung mit Corona und ich frage mich was/wer ihn dazu zwingt. Oder glaubt er das etwa selber? Nein, das glaube ich nicht.

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