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Foto: Flickr / Philip Brown / Demokracija

Von Jože Rant

Gibt es noch Überreste der ausgestorbenen venetischen Sprache?

Die Wochenzeitung DEMOKRACIJA veröffentlichte vor kurzem einen Beitrag des Journalisten Gašper Blažič über die Debatte und die offizielle Position der Kommission für die slowenische Sprache an der Slowenischen Akademie der Wissenschaften zu der Frage, ob die in venetischer Schrift abgefasste Inschrift “ostiiarei” in den Höhlen von Škocjan (St. Kanzian) ein venetisches Sprachrelikt ist, oder ob es auch eine slowenische Interpretation gibt und es sich somit um eine altslowenische Inschrift handeln könne.

Die “lege artis”-Erklärung von Prof. Dr. Snoj ist die, dass es sich um eine Votivinschrift (Widmung) an einen gewissen Ostiiare handelt. Die Inschrift bestehe nur aus einem Wort, nämlich dem venetischen Personennamen Ostiiareus; es handle sich also nicht um zwei Wörter “osti iarei”, was auf Slowenisch als “gesund bleiben, jung bleiben” interpretiert werden könnte.

Gemeinsame Vorfahren der Veneter und der Protoslowenen

Das venetische “ostiiarej” wird aus dem Substantiv “ostij” mit der Bedeutung “Gast”, lat. hostis, und mit dem Suffix -iar(is), gebildet. Das Suffix -iar könnte die gleiche Rolle haben wie z.B. das gallo-keltische Suffix -mar oder das (alt-)slawische Suffix -mir, die die Eigenschaft des Namensträgers betonen sollen. Allerdings kann iar (oder jar) auch ein eigenständiges Wort-Adjektiv sein, das in slawischen Sprachen Jugend, Kühnheit, Stärke bezeichnet. Zum Beispiel, jarčka ist eine junge Henne, jarec ist ein junger Widder; ferner jaro Schlange, wütend sein. Die altslawischen Götter des Frühlings sind Jarilo und Jarovit. Selbst in den ladinischen Dialekten, in dem Gebiet, das einst von den Veneti und den Karni bewohnt wurde, ist iar im Sinne von jung noch erhalten. Zum Beispiel bedeutet “iarina” auf Ladinisch “junge Henne”, und im Kanton Tessin finden wir den Bergnamen Monte Iarz (im Bleniotal). Im Ladinischen bedeutet “goste” Jause, “gešč” ist Gast, ist also verwandt mit dem slowenischen gost, gostiti se, und hier sind das g oder h noch nicht ausgestorben wie im venetischen (h)osti(s). Das venetische Ostijarei könnte somit mit junger, kräftiger Gast übersetzt werden. Wir kennen aber auch altslawische Namen wie Radegost, Gostimir, Gostislav. Aber es stimmt auch, dass das Suffix -iar (-ar oder -jar) selbst eine Aktivität in Bezug auf ein Substantiv anzeigt. Auf Slowenisch zum Beispiel: hop-hmeljar, jewel-draguljar, gosli-goslar. Auf jeden Fall sind das venezianische “iar” und “osti” auch im Slowenischen einigermaßen verständlich.

Die geheimnisvollen Wurzeln der Veneti

Wie viele andere Linguisten hat Snoj die venetische Sprache korrekt unter die italischen Sprachen eingeordnet (also Sprachen wie Latein, Etruskisch, Umbrisch). Über die linguistische Einordnung des Venetischen in die Familie der indoeuropäischen Sprachen sind die Meinungen jedoch noch geteilt. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass der Akademiker Prof. Dr. Janez Orešnik in seinem Vortrag vor den Mitgliedern der Gesellschaft für Klassik im März 2013 sagte, dass die venetische Sprache und das Slowenische verwandte Sprachen seien, dass aber das Slowenische nicht von der venetischen Sprache abstammt. Der Keltologe und Archäologe Prof. Dr. Peter Anreiter (Universität Innsbruck) vertritt in seinem Buch über die vorrömischen Namen Pannoniens die These, dass der gesamte Ostalpenraum von der Schweiz bis nach Pannonien, also das Siedlungsgebiet der Räter, Veneter und Karnier, in vorrömischer Zeit von einem einzigen indogermanischen Volk bewohnt war, das keine Kelten waren. Auch der renommierte indogermanische Linguist Luka Repanšek klassifiziert die venetische Sprache als eine italische Sprache. Jadranka Gvozdanović (Universität Heidelberg) vergleicht die Merkmale der Sprache der nordadriatischen Veneter mit der Sprache der baltischen, osteuropäischen Veneter entlang der Weichsel und der Sprache der atlantischen, armorikanischen Veneter. Sie stellt gewisse Ähnlichkeiten zwischen ihnen fest, weist aber auch auf den Einfluss der Sprache der benachbarten keltischen Stämme hin. Sie macht ferner auf die Hinweise auf die baltischen Veneti in den Chroniken des frühen Mittelalters, unmittelbar nach dem Niedergang der Antike, aufmerksam. Jordanes (gest. 551, Getica) schreibt von den Veneti und den Slawen, dass sie aus demselben Stamm stammen, aber dass es drei verschiedene Namen für sie gebe. Procopius (De bello Gothico) schreibt, dass Veneti und Slawen die gleiche “barbarische” Sprache sprechen. Die Sprachwissenschaft ist sich hingegen bei weitem nicht einig darüber, wie die sprachlichen Merkmale der italischen, keltischen und auch slawischen Sprachen im Falle der nordadriatischen Venetier ineinandergreifen.

Wer waren die Ureinwohner?

Es ist daher legitim zu fragen, ob es Überreste der venetischen Sprache gibt, die den slawischen (slowenischen) Charakter dieser Sprache bezeugen könnten. In antiken Inschriften in lateinischer Sprache auf römischen Steindenkmälern aus dem heutigen Slowenien, aber auch aus der weiteren Umgebung wie Istrien, Dalmatien und Pannonien, finden wir nicht nur die Namen römischer Bürger und der keltischen oder keltisierten wohlhabenden Elite, sondern auch die Namen der Ureinwohner, deren linguistische Analyse den Charakter ihrer Sprache offenbaren kann. Eine zweite Quelle für Informationen über die ausgestorbene venetische Sprache (und vielleicht auch über die rätische oder “illyrische” Sprache) könnten die Reste der Ursprache im Sprachschatz der Dialekte der Bewohner abgelegener Bergtäler und -orte in den Ostalpen und der weiteren Umgebung, also der Ladiner in den Dolomiten, der Furlaner und vor allem der Rätoromanen in der Schweiz sein. Geografische Namen, Bergnamen, Talnamen, Flussnamen und Familiennamen sind ebenfalls sehr langlebig und zeitbeständig. Solange sie nicht absichtlich verfremdet wurden, können sie Elemente der Namen bewahren, die ihnen von den ersten Bewohnern gegeben wurden, vielleicht sogar bis in prähistorische Zeiten zurück. Dies sind in der Regel Namen, die die geomorphologischen Merkmale des Ortes, seine Nutzung sowie wirtschaftliche oder kulturelle Aspekte (alter Glaube, zeremonielle Orte, Mythen) widerspiegeln.

Latinisierte einheimische Namen

Interessant sind die latinisierten Namen der Ureinwohner auf antiken Denkmälern aus der Umgebung von Ljubljana, aus Šmarata (Sankt Margarethen) und aus dem Karst, wie Buttus, Buttura, Bucco, Buccirega (Ig), die slowenischen Nachnamen oder Wörtern wie But, butati, Butara, Buk, buka, bukati sehr ähnlich sind. Für den berühmten, kürzlich verstorbenen Linguisten Eric Hamp war der “italische” Name Rega ein Rätsel. Der Name stammt vom Rande der Sümpfe von Ljubljana und bedeutet auf Slowenisch “Frosch”. Es gibt auch Ähnlichkeiten mit slowenischen Namen oder Wörtern in Dutzenden von einheimischen Namen, wie Caucavus, Cosutus, Crouta, Iarcius, Maleius, Meleius, Medu, Racco, Rantillus, Samuda, Sumelu, Uragisa, Veselie, Vesnis, Vetra, Vindus, Volovicus usw. Ist dies nur eine zufällige phonetische Ähnlichkeit? Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Haben diese alten einheimischen Namen einen italischen, vielleicht keltischen oder sogar indogermanischen Charakter? Es wäre sicher schön und nützlich, wenn unsere Sprachwissenschaftler uns erklären könnten, ob es sich um eine zufällige Ähnlichkeit handelt oder ob es Reste von italischen oder keltischen Sprachen auf slowenischem Boden gibt.

Verbindungen zwischen Slowenisch und Latein

Das Slowenische als slawische Sprache und das Lateinische als italische Sprache, und damit auch die rätoromanischen und ladinischen Dialekte, sind durch eine Reihe von Isoglossen verbunden. Das alles natürlich auf der Basis einer gemeinsamen proto-indoeuropäischen Sprache (PIE), der das Altslowenische sehr ähnlich ist und auch dem Altrussischen sehr nahe steht. Zum Beispiel sind das slowenische und das russische sekira, das lateinische securis und das rätoromanische skir (im slowenischen Dialekt skira) verwandt. Ähnliche beredte Isoglossen sind jug-urceus-urce, garden-hortus-urt oder iert, fairy-tale-parola-praula und viele andere. In der Regel ist die rätoromanische oder ladinische Isoglosse der slowenischen Isoglosse ähnlicher als der lateinischen Isoglosse, so dass man daraus schließen könnte, dass sie älter ist als die lateinische Isoglosse. Oder anders gefragt: Haben die Vorfahren der Slowenen (etwa im 6. Jahrhundert) das Wort für Krug aus dem lateinischen urceus als Vorlage entlehnt? Oder könnte es umgekehrt sein, dass die Vorfahren der Lateiner das Wort Krug als Vorlage für urceus von einer älteren proto- oder protoslawischen Ethnie übernommen haben? Auf jeden Fall waren die alten Slawen schon in prähistorischer Zeit mit irdenen (keramischen) Krügen vertraut und hatten wahrscheinlich weder Bedarf noch Grund, im 6. Jahrhundert “italische” Wörter zu übernehmen.

Multidisziplinäre Forschung kann Klärung schaffen

Im westlichen Teil und im Herzen der Ostalpen finden sich im Wortschatz der Rätoromanen und Ladiner eine Reihe von Wörtern, die allem Anschein nach Überreste eines sehr alten slowenischen Substrats sind. Typische Beispiele sind z.B. “cossessa” für mähen, “mouže” für melken, “coss” für Korb, “cric” für schreien, “sdermenar” für schütteln und viele andere Wörter und Isoglossen. Dass es sich wahrscheinlich um ein altslowenisches (slawisches) Substrat handelt, zeigen auch eine Reihe von Orts- und Familiennamen, die in vielen Fällen recht identisch und in Slowenien üblich sind: Bodesche, Calischa, Coritto, Cotschna, Golo, Glina, Ribitschi, Strela, Šija,  Urschai, Zavrag, Welesch, Nav, Belin, Devin. Es ist die Aufgabe der Sprachwissenschaftler, diese Analogien zu bestätigen und vor allem zu klären, ob es sich tatsächlich um alte slowenische Namen (und vor allem Worte) handelt, die in den rätoromanischen und ladinischen Dialekten überlebt haben. Wenn es sich tatsächlich um uralte sprachliche Relikte aus dem slawischen Sprachraum tief im Westen in den Alpen handelt, dann ist es die Aufgabe von Archäologen, Historikern, Genetikern und Archäogenetikern sowie Ethnologen zu erklären, wann und wie dieses interessante Phänomen entstanden ist. Nur multidisziplinäre wissenschaftliche Forschung kann Antworten auf die hier aufgeworfenen Fragen geben.

Dieser Beitrag erschien zuerst beI DEMOKRACIJA, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


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