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Sepp Kerschbaumer vor Gericht in Mailand (Foto entnommen dem Buch: Dr. Helmut Golowitsch, Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter - Tod - Erniedrigung. Südtirol 1961-1969)

„Seit 1960 begannen eigentümliche Gestalten die Täler Südtirols zu durchziehen, wie von einer allzu nahen, für die europäischen Völker tragischen Vergangenheit heraufgerufen. Sie forderten zum Aufstand gegen den Staat auf. Sie boten Waffen, Kriegsgerät und Sprengstoff an. Sie sicherten die Hilfe fremder Mächte zu. Sie reizten zu Gewalttaten auf. Sie nahmen Männer für Terroraktionen in ihren Sold und bildeten sie aus. Viele von ihnen haben kein Gesicht, es bleibt nur ein Deckname, eine flüchtige Beschreibung. Sie gehen durch das Leben Südtirols wie ein Schatten des Bösen.“ (Zitiert nach: „Südtiroler Nachrichten“, Nr. 14/15, 20. Dezember 1963, S. 2)

Was hier wie ein Ausschnitt aus einem Kriminalschundroman klingt, ist in Wahrheit ein Zitat aus der damaligen Anklageschrift.

Die Absicht war erkennbar: Das Gespenst eines wiedererwachenden Pangermanismus neonazistischer Prägung, der in Südtirol Söldner angeworben hätte, sollte in diesem Gerichtssaal beschworen werden. Deshalb hieß es auch weiter in der Anklageschrift, daß „revanchistische Kreise“ in der Bundesrepublik Deutschland Südtirol als Ausgangspunkt einer „pangermanistischen“ Kampagne nehmen wollten, um die Frage der Grenzrevisionen bis nach Danzig hin wieder aufzurollen.

Die Verlesung der Anklageschrift geriet so zu einer düsteren und bedrückenden Märchenstunde für die Angeklagten, gegen die die Staatsanwaltschaft alle immer noch gültigen einschlägigen faschistischen Politparagraphen des Strafgesetzbuches in Anwendung bringen wollte.

Sollte die Verurteilung gemäß der Anklage erfolgen, so würden die Südtiroler Angeklagten sämtliche lebenslänglichen Kerker plus 60 Jahre erhalten. („Südtiroler Nachrichten“, Nr. 14/15, 20. Dezember 1963, S. 2)

Die meisten italienischen Pressekommentare lagen zu Beginn des Prozesses auch auf der Linie der Anklageschrift. Herbert Godler, der Prozeßbeobachter der „Salzburger Nachrichten“ in Mailand, beklagte in einem Bericht, daß die meisten italienischen Zeitungskommentatoren das Gericht in Mailand zu einem „Urteil ohne Mitleid“ auffordern würden.

Die „Südtiroler Nachrichten“ berichteten, daß die Angeklagten in einigen italienischen Zeitungen sogar als „geschulte Mörder“ und als „SS- Bestien“ beschimpft würden. Sepp Kerschbaumer wurde als „Neandertaler“, als „schlechte Karikatur Hitlers“ und als „Apostel der Terroristen“ bezeichnet. („Südtiroler Nachrichten“, Nr. 1, 17. Jänner 1964)

Mit einer einfachen Frage führte jedoch der Hauptangeklagte Sepp Kerschbaumer zu Beginn des Prozesses am 17. Dezember 1963 diese unwürdige Hetze ad absurdum.
Er brachte den Gerichtsvorsitzenden Dr. Simonetti in Verlegenheit, indem er sagte:
„Ich möchte fragen, ob Italien – das das Selbstbestimmungsrecht für Triest verlangt hat – berechtigt ist, die Südtiroler für dieselbe Forderung zu bestrafen?“

Dr. Simonetti wandte sich an die Verteidiger und sagte: „Meine Herren, Sie werden verstehen, daß ich diese spezielle Frage nicht beantworten kann.“ (Robert H. Drechsler (Hrsg.): „Der Mailänder Südtirol-Prozeß“, Südtirol-Dokumentation Folge 6-7/1964, Wien 1964; S. 28 f)

Die feste und würdevolle Haltung der Angeklagten sollte bald dazu füh­ren, daß auch die ärgsten medialen Hetzer mit ihrer Propaganda zurückstecken mußten.

 

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