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Fotomontage: Demokracija

Von Borut Korun

Die slowenischen Historiker, bis hin zu Gott Grafenauer, schrieben von den Menschen des frühen Mittelalters als Slowenen. Dann geschah ein Wendepunkt. Gott Grafenauer wurde durch seinen Schüler Peter Štih ersetzt und plötzlich gab es in den ersten Jahrhunderten unserer historischen Vergangenheit keine Slowenen mehr.

Peter Štih hat es auf einen Schlag geschafft, die harte Arbeit seiner Vorgänger rückgängig zu machen – er hat die Slowenen aus unserer frühen Vergangenheit gestrichen.

Natürlich sollten nicht alle Historiker und Linguisten in einen Topf geworfen werden. Als ich Präsident der slowenischen Konferenz des slowenischen Weltkongresses war, organisierte ich ein Symposium, dem ich absichtlich den provokanten Titel “Slowenen im frühen Mittelalter” gab. Keiner der eingeladenen Experten hatte Einwände gegen diesen Titel und das Symposium wurde von prominenten slowenischen Historikern und Sprachwissenschaftlern besucht. Unter diesem Titel haben wir auch eine Sammlung von Beiträgen veröffentlicht.

Eine orchestrierte Geschichte

Aber in diesem Umfeld befinden sich auch Leute, die die offizielle Geschichtsschreibung repräsentieren, die Institutionen leiten, die Mitglieder von Akademien sind und die natürlich auch an Universitäten lehren, kurz, Leute, die die Schere und die Leinwand in der Hand haben.  Sie entscheiden, wer befördert wird, wer einen Doktortitel machen kann und so weiter. Sie erzählen der jungen Generation von Historikern, dass unsere frühe Vergangenheit wie ein Geschichtsbuch mit leeren Seiten ist.

Seit wann diese Destruktivität?

Dass die Slowenen erst im 19. Jahrhundert zu einer Nation wurden, ist ein ideologisches Produkt des slowenischen Neomarxismus. Milan Kundera, der berühmte tschechische Schriftsteller, schrieb aus seiner tschechischen Erfahrung der kommunistischen Ära: “Der erste Schritt, ein Volk zu liquidieren, ist, sein Gedächtnis auszulöschen. Um seine Bücher, seine Kultur, seine Geschichte zu zerstören.”  Der erste Schritt in diese Richtung wurde in Slowenien von Professor Štih getan. Er strich die Slowenen aus dieser frühen Zeit und erfand stattdessen die Karantaner. Um keinen Zweifel daran zu lassen, dass er es ernst meinte, betonte er dies wiederholt in der Öffentlichkeit. Zum Beispiel in der neomarxistischen Zeitschrift Mladina (12.12.2005).

Woher kam die “Bekehrung” Štihs?

Ist es Štich ergangen wie dem Saulus, der vom Pferd fiel und zum Paulus wurde? Ihm widerfuhr eine Art negative “Erleuchtung”. Es wäre angemessener, von einer Sonnenfinsternis zu sprechen. Aber es ist nicht nur eine neo-marxistische Agenda, es ist etwas anderes.

Vom fleißigen Schüler des slowenischen Historikers Bogo Grafenauer wurde Dr. Štih zum Anhänger der Wiener Historiker um Wolfram Herwig (Dr. Štih ist heute Präsident der Slowenische Akademie der Wissenschaften und Künste und korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), wobei ihm einflussreiche Historiker, die sich mit der österreichischen und der deutschen Geschichte oder mit der Vergangenheit der germanischen Völker beschäftigen, zu einem Bewusstseinswandel verhalfen. In der Schmiedung eines österreichischen Bildes der Vergangenheit werden die Slowenen als historisches Subjekt in raffinierter Weise umgeformt. Diesen Historikern ist der Gedanke, dass die Gründer der österreichischen Staatlichkeit eigentlich Slowenen waren, äußerst unangenehm, und so meiden sie in ihren Geschichtswerken Bezeichnungen wie Slowenen, Slawen und alle Ableitungen dieser beiden Namen wie der Teufel das Weihwasser. Und so werden in dem ehrgeizigen Unterfangen, in einem 500 Seiten umfassenden Band (“Österreichische Geschichte”) die Geschichte zwischen 378 und 907 darzustellen, unter dem Titel Karantanien genau 17 Zeilen über diese Staatenbildung geschrieben, unter dem Titel Die Karantanen sogar 4 Seiten, während dem sogenannten Krain eine halbe Seite gewidmet ist. Die Slowenen werden mit keinem einzigen Wort erwähnt. Dieser Band der elfbändigen Reihe zur österreichischen Geschichte wurde von Štichs Mentor Herwig Wolfram herausgegeben.

Der Historiker Štih hat den Österreichern somit das unangenehme Gefühl abgenommen, über die Slowenen in ihrem Land schreiben zu müssen. Um die erfundenen Karantanen weiter von den modernen Slowenen zu distanzieren, gaben sie ihnen einen multiethnischen Charakter. Es waren also keine Slowenen, die in Karantanien lebten, sondern eine Art frühmittelalterlicher Multikulti-Mix. Natürlich gibt es für beide Thesen keine Beweise, keine seriösen Daten, die so etwas nahelegen.

Slowenen erst ab dem 19. Jahrhundert?

Die Grenzen des ehemaligen Karantaniens wurden von diesen modernen Ephialtes-Jüngern auf die heutige Grenze zwischen Österreich und Slowenien gelegt, was ein weiterer Beweis dafür ist, dass unsere Vorfahren einfach den Österreichern überlassen wurden. In Wahrheit sind die Wiener sogar noch ein bisschen großzügiger als Štih und seine Anhänger, denn Herwig Wolfram teilte Karantanien neben Kärnten praktisch die gesamte Steiermark zu.

Wir sollten uns hier an die Theorie der “Windischen” erinnern, die den gleichen Zweck verfolgte, nur dass zu dieser Zeit die slowenischen Historiker nicht in dieses Geschäft involviert waren. Der Leser muss sich fragen, was die “Wissenschaft” dieser modernen slowenischen Historiker gewesen wäre, wenn das unglückliche Plebiszit nach dem Ersten Weltkrieg nicht die Grenze an den Karawanken festgelegt hätte. Wo hätten sie in diesem Fall die Grenze zwischen Karantanien und den Ländern der anderen Slowenen gesetzt?

Nach der Theorie von Herwig Wolfram sind Stämme und Völker irgendwie im Laufe von ein oder zwei Jahrhunderten entstanden. So wurden die Karantanen “erschaffen” – zuerst waren sie eine undefinierbare slawische Masse, dann einige Alpenslawen, dann wurde ein Teil von ihnen zu Karantanern, und der Rest der Alpenslawen wartete zusammen mit den Karantanern, bis sie Slowenen werden durften. Erst im 19. Jahrhundert war es dann soweit.

Die Wiener Theorie der Ethnogenese

Selbst sein jüngerer Kollege Professor Walter Pohl, ebenfalls Historiker und einer der führenden Vertreter der Wiener Historischen Schule, erkannte, dass Herwigs Theorie nur bedingt allgemein und schon gar nicht auf die Slawen anwendbar war. In seinem Buch Die Awaren, Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, schreibt er auf Seite 95: “Das am Beispiel der germanischen Wandervölker entwickelte Modell der Ethnogenese ist nur bedingt anwendbar. Das Ineinandergreifen von ‘Stammesbildung und Verfassung’, das die germanischen Großstämme der Völkerwanderungszeit charakterisiert, ist für die Slawen der Frühzeit kaum faßbar.”

Professor Dr. Štih und seine Schüler haben dieses Buch offensichtlich nicht gelesen, sonst hätten sie nicht weiterhin von den Karantanen als einem eigenen Volk gesprochen. Aber das würde man von einem Akademiker doch erwarten dürfen. Wir würden auch die folgende Erkenntnis erwarten: Wenn die Wiener Monogenese-Theorie nur bedingt auf die Slawen anwendbar ist, bedeutet das, dass sie keine Allgemeingültigkeit hat, dass es sich um ein Konstrukt handelt, das seine Ungültigkeit bereits im Falle der Slawen gezeigt hat.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei DEMOKRACIJA, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.