Südtirol: Ein Modell für die Ost-Ukraine? (Teil 1)

Taugt der Auto­no­mie­status Südti­rols als Vorbild für die abtrün­nigen Gebiete im Osten der Ukraine? Was nun sowohl von Moskauer als auch Bozener Vertre­tern ange­priesen wird, erscheint aus mehreren Gründen fragwürdig. 

In dem seit 2014 schwe­lenden Konflikt zwischen der Ukraine und Russ­land über das Donbass-Gebiet in der Ost-Ukraine hat ein Moskauer Diplomat unlängst einen Sonder­status für die dort domi­nanten ethni­schen Russen ins Spiel gebracht. Alek­sandr Alek­se­je­witsch Аwdejew, der russi­sche Botschafter beim Heiligen Stuhl, erklärte in einem Inter­view mit der Zeitung Il Mess­ag­gero, man könne sich „am Umgang Italiens mit Südtirol orientieren“.

Russ­lands Vatikan-Botschafter Alek­sandr A. Аwdejew. Foto: Russi­sche Botschaft, CC BY-SA 4.0, Wiki­media Commons

In Italien habe es „in den 1950er Jahren große Span­nungen im Norden gegeben, wo die deut­sche Minder­heit eine voll­stän­dige kultu­relle Auto­nomie forderte“, so Аwdejew. Rom habe „eine faire und ausge­wo­gene Kompro­miss­lö­sung gefunden, und diese Erfah­rung könnte auch für Kiew bei der Lösung der Probleme im Donbass nütz­lich sein“.

Dass der Hinweis die „kultu­relle Auto­nomie“ Südti­rols just von Abdejew kommt, hat zum einen mit seiner Herkunft aus Krement­schug am Dnjepr im zentralukrai­ni­schen Verwal­tungs­be­zirk Poltawa, zum andern mit seiner früheren Funk­tion als Kultur­mi­nister der Russi­schen Föde­ra­tion zu tun.

Vor allem aber ist er Teil einer gezielten Stra­tegie: Moskau versucht, das überaus zugäng­liche Italien nicht zum ersten Mal für seine Ziele zu gewinnen. Rom hatte sich nämlich nicht nur bald nach Verhän­gung der gegen Russ­land wegen der Krim-Frage verhängten Sank­tionen unter Beru­fung auf das tradi­tio­nell freund­schaft­liche italie­nisch-russi­sche Verhältnis davon losgesagt.

Kurz­zeit-Regie­rungs­chef Matteo Renzi und dessen Außen­mi­nister Paolo Genti­loni, der ihm dann nach­folgte (und heute der EU-Kommis­sion ange­hört), hatten anläss­lich von Besu­chen in Moskau im Gefolge der ostukrai­ni­schen Wirren, bei denen dann die sepa­ra­tis­ti­schen „Volks­re­pu­bliken“ Donezk und Lugansk ausge­rufen worden waren, über­dies als „italie­ni­schen Modell­fall“ auch die „Lösung des Südtirol-Konflikts“ zur allfäl­ligen „Befrie­dung“ ange­priesen. Daher galt Abde­jews Vorstoß zugleich dem Bemühen, dass Rom die EU zu einem Ukraine-Kurs­wechsel veran­lassen möge.

Luis Durn­walder pflichtet bei

Dass der aus der Ukraine stam­mende russi­sche Diplomat beschö­ni­gend von einer „fairen und ausge­wo­genen Kompro­miss­lö­sung“ sprach, die Italien in Bezug auf Südtirol gefunden habe, mag man dessen in dieser spezi­ellen Frage wenig ausge­prägten histo­risch-poli­ti­schen Kenntnis zuschreiben. Dass aber ausge­rechnet der lang­jäh­rige frühere Südti­roler Landes­haupt­mann Luis Dumwalder „diesen Ober­le­gungen nur beipflichten“ kann, wie die in Bozen erschei­nende Tages­zei­tung Dolo­miten in ihrer Ausgabe vom 30. Dezember 2021 vermel­dete, erstaunt dagegen umso mehr.

Karte mit den abtrün­nigen Gebieten im Osten der Ukraine. Foto: Archiv des Autors

Gerade Durn­walder weiß als Ange­hö­riger der Erleb­nis­ge­ne­ra­tion, dass Italien in der Südtirol-Frage von 1945 bis zur soge­nannten Paket-Lösung 1969 respek­tive bis zum Auto­no­mie­statut von 1972 alles andere als „nach einer fairen und ausge­wo­genen Kompro­miss­lö­sung“ gesucht hatte.

Zudem weiß er, welchen Behar­rungs­ver­mö­gens seines Vorgän­gers Silvius Magnago es bedurfte – mit maßgeb­li­cher Unter­stüt­zung Öster­reichs, insbe­son­dere durch Bruno Krei­skys Vorstoß bei den Vereinten Nationen – sowie nicht zuletzt auch der von Verzweif­lung ob der in ihrer Heimat obwal­tenden italie­ni­schen Zwangs­herr­schaft bewirkten Aktionen selbst­loser BAS-Frei­heits­kämpfer, dass Rom über­haupt von seiner Unnach­gie­big­keit und Italia­nità-Stur­heit abließ.

Und schließ­lich hat er – als Nach­folger Magnagos als Landes­haupt­mann – selbst genü­gend Erfah­rung im Umgang mit trick­rei­chen bis hinter­lis­tigen römi­schen Regie­rungen, mit Insti­tu­tionen der italie­ni­schen Zentral­staats­ge­walt sowie auch und vor allem mit deren stets die „eine, unge­teilte Nation“ sowie die gesamt­staat­liche „Ausrich­tungs- und Koor­di­nie­rungs­be­fugnis“ verab­so­lu­tie­renden Justiz­in­stanzen gesam­melt, um derart gefäl­ligen, aber zutiefst geschichts­wid­rigen Beschö­ni­gungen entge­gen­zu­treten, statt sie quasi öffent­lich zu goutieren.

Realis­ti­scher Blick auf die Südtirol-Autonomie

Wie steht es denn, realis­tisch betrachtet, um die Südtirol-Auto­nomie? Quer durch alle italie­ni­schen Parla­ments­par­teien gibt es einen Konsens für mehr Zentra­lismus. Dagegen kann Südtirol nichts ausrichten: es ist „zu klein und zu irrele­vant“, so der Befund des früheren Sena­tors Fran­cesco Palermo, der seinen Senats­sitz dem dama­ligen Zusam­men­wirken von Südti­roler Volks­partei (SVP) und Partito Demo­cra­tico (PD) im Wahl­kreis Südti­roler Unter­land verdankte.

Überall dort, wo es trotz Auto­no­mie­be­stim­mungen recht­liche Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­räume gibt oder eine Frage vor dem Verfas­sungs­ge­richtshof ausge­fochten werden muss, machen sich die zentra­lis­ti­sche Staats­ord­nung und der Primat des natio­nalen Inter­esses bemerkbar.

Von Anfang an, das heißt seit 1945, war die staat­liche italie­ni­sche Gesamt­ord­nung zentra­lis­tisch, und selbst mit der auf mehr Föde­ra­lismus zielenden Verfas­sungs­re­form von 2001 war es damit in jener vom ehema­ligen Regie­rungs­chef Matteo Renzi 2014 ins Werk gesetzten vorbei, sodass der Zentral­staat die Auto­nomie Südti­rols trotz jener von der SVP beschwo­renen Schutz­klausel weiter aushöhlte und den Bozner Hand­lungs­spiel­raum erheb­lich einengte.

Eine dyna­mi­sche Entwick­lung im Sinne jenes ausge­prägten Auto­no­mie­an­spruchs wie ihn die SVP seit der Streit­bei­le­gungs­er­klä­rung gegen­über den UN 1992 vorgab und als Ziel die „Voll­au­to­nomie“ propa­gierte, wurde damit unter­bunden; statt­dessen öffnete sich nach und nach die Schere zwischen römi­schem Zentra­lismus und der Selbst­ver­wal­tung der Auto­nomen Provinz Bozen-Südtirol und feierte während der mit Notver­ord­nungen operie­renden Regie­rungs­zeit des Mario Monti fröh­liche Urständ.

Los von Rom: Demons­tra­tion für die Unab­hän­gig­keit Südti­rols. Foto: Südti­roler Schützenbund

Selbst­ver­ständ­lich ist es einem verdienst­vollen Mann wie Durn­walder unbe­nommen, das „Südti­roler Modell, so wie ich das sehe“ in Über­tra­gung auf „die beiden Teil­re­pu­bliken“ in der Ost-Ukraine für „eine gute und außerdem realis­ti­sche Lösung“ zu halten, „die übri­gens auch in Moskau Akzep­tanz finden dürfte“, wie ihn die Dolo­miten zitierten.

Zu wider­spre­chen ist ihm jedoch hinsicht­lich der von ihm verwen­deten Begriff­lich­keit: Es handelt sich nämlich nicht um „Teil­re­pu­bliken“, vorerst auch nicht nach dem Verständnis derer, die die „Volks­re­pu­bliken“ Donezk und Lugansk ausriefen, denn sie sahen und sehen sich nicht als terri­to­riale Glieder der Russi­schen Föde­ra­tion, sondern als eigen­staat­liche Enti­täten mit entspre­chenden Insti­tu­tionen (Regie­rungen, Parla­menten, Justiz­ein­rich­tungen, Mili­tär­ver­bänden etc.), die aller­dings nur von Moskau aner­kannt sind.

Grund­sätz­li­chen Wider­spruch verdient indes Durn­wal­ders eben­falls von den Dolo­miten zitierte Aussage, wonach „die Lage der russi­schen Minder­heit in der Ost-Ukraine durchaus mit jener der deutsch­spra­chigen Bevöl­ke­rung Südti­rols nach Kriegs­ende vergleichbar“ sei. Dies selbst nur mit dem beliebten Äpfel-mit-Birnen-Vergleich zu konter­ka­rieren, wäre unge­nü­gend, weil das eine mit dem anderen wenig bis nichts zu tun hat.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei COMPACT MAGAZIN, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.

3 Kommentare

  1. Impe­rium, ja bitte, das der Deut­schen, das der Ungarn und den Russen auch gegoennt!
    Hard­core Natio­na­lismus, tessek/ bitte, die Frage ist Ober­bayern staats­faehig, schae­bisch als deut­sche Mundart, so verhaeklt sich ukrai­nisch zu Russisch, mit Donau­schwaben unter­halte ich mich entweder auf Hoch­deutsch oder auf Unga­risch in Hoch­sprache, schrift­lich verstehe ich das Deutsch durchaus!
    Ukrai­ni­sche Kultur gibt es nicht, sollte man sie statu­ieren kommt russisch heraus, also warum ein zweites Sued­tirol stiften!
    SU0uedtirol kann somit kein Vorbild sein…
    Alf v.Eller Hortobagy
    unabh.Politikberater
    und
    Jurist

  2. Dezen­tra­li­sie­rung ist das einzige, was hilft. Im Zeit­alter des Inter­nets gibt es keinen Bedarf an Impe­rien mehr. Die Zukunft liegt bei Klein­staaten, die themen­be­zo­gene Zusam­men­schlüsse eingehen. Ich kann aus dem Patent­wesen sagen: Das EPÜ als multi­na­tio­nales Abkommen funk­tio­niert, der Versuch eines „Gemein­schafts­pa­tents“ der EU blieb im Versuch stecken.

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