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Tamás Fricz · Foto: Derzsi Elekes Andor/ Wikimedia

Die rechte Seite: Kommentar zum Verhältnis Ungarn-EU

Von Tamás Fricz

Ich weiß, es gilt als Tabubruch, aber jemand muss dieses Wort einmal nicht bloß zur Abschreckung niederschreiben: Huxit. Damit ist nach dem Vorbild des Brexit der freiwillige, souveräne Austritt Ungarns aus der EU gemeint.

Besonders nach den heftigen westlichen Angriffen in Zusammenhang mit unserem Kinderschutzgesetz sollte endlich begonnen werden, über die Frage nachzudenken, ob wir einen Huxit brauchen.

Scheideweg erreicht

Ich behaupte nicht, dass wir ihn brauchen würden. Im Juli 2021 ist es aber an der Zeit, einmal ernsthaft über unseren eventuellen Austritt aus der EU nachzudenken. Die Staatengemeinschaft blutet aus tausend Wunden, zeigt immer mehr imperiale Symptome und benimmt sich gegenüber den ost- und mitteleuropäischen Staaten zunehmend herablassender und arroganter. Wir haben einen Scheideweg erreicht.
Die globalistische Finanzelite und die von ihr geleiteten EU-Institutionen, also die EU-Kommission, das Europäische Parlament, der Europäische Gerichtshof und in Teilen der Europarat sind fest entschlossen, uns eine Lektion zu erteilen. Ja mehr noch: Sie wollen uns bestrafen. Sie wollen an unserem Lebensnerv sägen, wenn wir nicht tun, was sie uns diktieren.
Ihre Ultima Ratio ist der Entzug von uns zustehenden EU-Geldern. Katarina Barley, eine Vize-Präsidentin der Kommission, machte – neben George Soros und seinen Anhängern – kein Hehl daraus, als sie erklärte, dass man renitente Länder wie Ungarn und Polen finanziell aushungern müsse.
Was spricht also für einen Verbleib in der Union und was spricht dagegen? Es ist sinnvoll, diese Frage aus politischer, wirtschaftlicher, kultureller, werteorientierter und militärischer Perspektive zu untersuchen.

Was spricht für einen Verbleib in der Union?

Aus politischer Perspektive spricht für einen Verbleib, dass die EU-Mitgliedschaft jedem ungarischen Bürger das gute Gefühl gibt, Mitglied eines entwickelten, demokratischen und auf der Gemeinschaft freier Nationen gründenden Westens zu sein, nach dem wir uns immer gesehnt haben und bei dem wir uns nach 40 Jahren Kommunismus endlich am Ziel wähnten. Es ist ein erhebendes Gefühl, zu einer der modernsten Gemeinschaften der Welt zu gehören. Sich nach gut 15 Jahren von diesem Gefühl zu verabschieden, ist nur angesichts sehr starker und nachdrücklicher Gründe akzeptabel.
Gibt es derzeit solche Gründe? Ganz klar: es gibt sie! Nämlich die Tatsache, dass die angebetete Staatengemeinschaft ihre Prioritäten zwischenzeitlich gründlich verändert hat. Die globalistischen, liberalen Eliten wollen die Union in ein völlig anderes Gebilde verwandeln, als sie bisher war.
Vor anderthalb Jahrzehnten traten wir einer Gemeinschaft freier und souveräner Staaten bei. Jetzt wiederum entsteht mit Hochdruck ein superföderales, sich die Nationalstaaten unterwerfendes imperiales Europa. Die Vereinigten Staaten von Europa sollen geschaffen werden.
Unser wichtigstes Ziel und unsere Hoffnung waren es, dass wir nach der sowjetischen Gewaltherrschaft unseren weiteren Weg als souveräne, unabhängige Nation gehen können. Genau das gerät nun aber in Gefahr. Wenn jetzt wieder jemand damit beginnt, uns zu diktieren, was wir tun sollen, dann verliert die EU-Mitgliedschaft für uns ihren Wert.

Das Interesse Ungarns …

Soeben hat eine einjährige Konferenz- und Diskussionsreihe über die Zukunft der Union begonnen. Schon jetzt ist allerdings klar zu erkennen, dass die Mainstream-Kreise die Verwirklichung des oben erwähnten Ziels in den Mittelpunkt der Diskussionen stellen. Ganz zu schweigen von den eingebauten Sicherungen, wonach die diese Diskussionsreihe leitenden EU-Institutionen die Diskussion moderieren und ihnen nicht genehme Meinungen einfach unter den Tisch fallen lassen können.
Es ist ein erschreckend klares Signal, dass das koordinierende Gremium der Diskussionsreihe von Guy Verhofstadt geleitet wird, der ein überzeugter, verblendeter Globalist und Orbán-Hasser ist. Die bezüglich der Diskussion entstandene sogenannte Spinelli-Gruppe – benannt nach einem italienischen Erz-Kommunisten – hat sich offen die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa als Ziel gesetzt.
Natürlich müssen wir uns mit größter Kraftanstrengung an dieser Diskussion beteiligen. Wenn jedoch das Endergebnis für uns unannehmbar ist, dann ist es nicht sicher, ob es das Interesse Ungarns ist, sich den imperialen und globalistischen Bestrebungen weiter zu beugen.

EU-Gelder sind auch Kompensationszahlungen

Aus wirtschaftlichem Blickwinkel spricht für unseren Verbleib in der Union, dass wir Nettoempfänger von EU-Geldern sind. Jetzt geht es gerade um den Zugang zu den Geldern des EU-Wiederaufbaufonds in Höhe von 2.500 Mrd. Forint. Den uns zustehenden Anteil will man uns jedoch vorenthalten.
Das Bild ist aber nur dann vollständig, wenn wir berücksichtigen, dass Ungarn parallel zum EU-Beitritt auf beträchtliche Zolleinnahmen und den Schutz der ungarischen Unternehmen verzichtet hat. Wir haben unseren Markt geöffnet für westliche Waren und Investoren, die regelmäßig einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Gewinne in ihre Heimatländer transferieren.
Wir sollten weiterhin nicht vergessen, dass die westeuropäischen Länder nach dem Krieg im Rahmen des amerikanischen Marshall-Plans riesige Finanzhilfen erhielten, die zum Aufblühen ihrer Volkswirtschaften beitrugen. Die in den 1970er und 80er Jahren aufgenommenen Länder, also Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und Dänemark, traten noch einer prosperierenden Union bei. Als wir jedoch 2004 zusammen mit neun weiteren Ländern beitraten, befand sich die Staatengemeinschaft nicht mehr in einem so guten wirtschaftlichen Zustand, was sich nicht zuletzt in verringerten Transferzahlungen äußerte.

Scheinargumente

Das vielleicht schwerwiegendste wirtschaftliche Argument gegen einen Austritt ist aber, dass sich die westlichen Firmen dann von uns abwenden und die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen leiden würden.
So könnte es angeblich dazu kommen, dass etwa Audi, BMW und Mercedes ihre hiesigen Fabriken wegverlagern würden. Das hört sich abschreckend an. Könnte es aber wirklich dazu kommen? Würde uns tatsächlich eine prekäre wirtschaftliche Lage bevorstehen und müssten wir zur Autarkie übergehen?
Ich glaube nicht. Einerseits deswegen, weil die westlichen Investoren zuallererst der Profit interessiert. Wenn sie in Ungarn preiswert produzieren können, dann werden sie nicht gegen ihre eigenen Interessen auftreten. Man schaue sich nur einmal an, wie gut westeuropäische Firmen mit den Chinesen und den Russen klarkommen. Und im Vergleich zu diesen beiden Ländern ist Ungarn für sie nun wahrlich ein vertrauteres Terrain. EU-Mitgliedschaft hin oder her, die westlichen Firmen wissen genau, woran sie sind, wenn sie in Ungarn investieren. Nicht zuletzt schätzen sie unsere Berechenbarkeit.
Andererseits müssen die Länder natürlich auf mehreren Beinen stehen. Wir haben das schon vor ein paar Jahren erkannt und handeln dementsprechend. Man denke nur an die von der ungarischen Regierung forcierte Öffnung nach Osten.

Norwegen, Schweiz, Großbritannien …

Schließlich ist es drittens für mich offensichtlich, dass wir wie Norwegen und die Schweiz beziehungsweise jetzt auch Großbritannien parallel zum Austritt Verhandlungen mit der Union und einzelnen Mitgliedsstaaten aufnehmen müssten. Nach dem Vorbild dieser drei Länder müssten wir spezielle Verträge abschließen. Dazu sind wir jetzt schon wirtschaftlich stark genug und kein ausgeliefertes Land mehr, das nicht auf eigenen Beinen stehen kann.

Welche Probleme hat Norwegen, weil es kein EU-Mitglied ist? Kein einziges! Ein eventueller Austritt muss keine Konfrontation bedeuten, sondern die Neuverhandlung der Beziehungen zwischen der Union und nun souveränen Staaten. Das ist ganz sicher keine leichte Aufgabe, aber sie ist machbar.
Aus militärischem Blickwinkel wäre ein EU-Austritt Ungarns besonders deswegen irrelevant, weil wir seit 1999 Mitglied der NATO sind und das auch bleiben werden. So oder so müssen wir unsere Verteidigungsfähigkeit weiter stärken, und genau das tun wir ja bereits.

Bindung durch gemeinsame Wurzeln und Werte?

Und schließlich, was vielleicht das wichtigste ist: Aus kulturellem, werteorientiertem Aspekt spräche für unsere weitere Mitgliedschaft, dass uns angeblich die griechischen und römischen Wurzeln beziehungsweise die christlichen moralischen Normen zusammenhalten würden. Ist das aber noch so? Klare Antwort: Leider ist das nicht mehr so.
Unsere Wege trennen sich, solange der Westen bewusst mit der christlichen Moral und Werteordnung bricht und stattdessen auf den hemmungslosen Selbstgenuss des Individuums setzt und sich den Aufbau einer auf Selbstvernichtung basierenden kosmopolitischen, gesichtslosen Weltgesellschaft zum Ziel setzt – siehe „Great Reset“.
Im Gegensatz dazu hängen wir Ungarn, Polen und insgesamt die Mittel-Ost-Europäer an unseren Jahrtausende alten kulturellen und Glaubensgrundlagen. Wir hängen an unserem Leben! Und genau das stellt alle anderen Aspekte in den Schatten.
An dieser Stelle halte ich jetzt inne, die Konsequenz dieser Gedankengänge werde ich nicht aussprechen. Nur so viel sei erwähnt: Der Fidesz ist völlig richtig erst nach sehr gründlichem Abwägen und langem Abwarten aus der Volkspartei ausgetreten. Aber er ist erhobenen Hauptes gegangen und wurde nicht rausgeworfen. Das ist ein riesiger Unterschied. Dieses Vorgehen ist richtig. Denn wenn wir jetzt nachgeben, dann haben wir verloren. Es würde uns alles genommen, wofür wir bis jetzt gekämpft haben.

Der Autor ist Politologe und arbeitet als Berater beim Alapjogokért Központ (Ungarisches Institut für Grundrechte).

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. August in der regierungsnahen Tageszeitung MAGYAR NEMZET

… und in deutscher Übersetzung von Karl Frankenfeld in der BUDAPESTER ZEITUNG, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


6 Gedanken zu „Tamás Fricz: Es ist Zeit, über den Huxit zu sprechen“
  1. Möglicherweise liegt die Zukunft gerade für die ehemaligen Ostblockstaaten auch in einem eigenen Verbund, der die wirtschaftlichen Vorteile untereinander betont. Die Eu kann nicht mehr anders, als nur noch über Druck und Repressalien zu arbeiten. Das bedeutet im Umkehrschluß der Druck wird ständig höher und mit ihrem Klimafond habe sie die Möglichkeit , die Länder an den Finanztropf zu hängen. Und bist Du nicht willig-gibt es halt kein Geld mehr. Wenn das neu erbaute Atomkraftwerk dann halb fertig da steht, ist es man schlecht.
    Im Grunde arbeiten sie jetzt wie andere Großstaaten- winken mit dem Geld in eine absolute Abhängigkeit. Sie verstehen dabei nicht, das es genau diese ehemaligen Ostblockstaaten sind, die Diktatur in welcher Form auch immer, meilenweit gegen den Wind riechen.

  2. Es gibt Abkommen und Vertragshandlungen bei denen alle Mitglieder einstimmig abstimmen – zustimmen müßten und wenn die EU-Leitung zu schlimm würde, dann kann Ungarn solche Abstimmungen immer blockieren.

  3. Tamás Fricz bringt es auf den Punkt. Ich kann jedes seiner sehr korrekten Argumente nachvollziehen. Es ist sachlich formuliert und nicht uebertrieben! Er hat recht: Ungarn und Polen haben in der EU nichts mehr verloren.

  4. Ein guter Beitrag von Tamas Fricz. Ja, Ungarn sollte darüber nachdenken, die EU zu verlassen. Es gibt noch andere Länder für wirtschaftliche Beziehungen außer der EU, zu der ja weiterhin wirtschaftliche Beziehungen aufrechterhalten werden können/müssen; im Huxit-Fall allerdings zu ungarischen Bedingungen.

    Jedoch muss kritisch angemerkt werden: Den “Great-Reset”, also die Globalisierung, zu verstehen als ein System des “hemmungslosen Selbstgenuss des Individuums” ist definitiv falsch. Der “Great Reset” führt über in ein übles kollektivistisches Gesellschaftssystem der staatlichen und unternehmerischen Planwirtschaft. Der Ausdruck “hemmungslosen Selbstgenuss des Individuums” liegt mir auch zu nah dran an der Diffamierung individueller Rechte (Grundrechte). Genau diese Diffamierung betreibt ja der “Great Reset” auf genau diesem Weg.

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    1. Danke J.S.
      Die Liste dringend notwendiger Richtigstellungen wäre lang, wenn man sie erstellen wollte.
      Anscheinend hat man sich daran gewöhnt, daß Liberal angeblich immer Links ist, Korporatismus heiß jetzt Kapitalismus, freie Märkte sind böse und unsozial, usw.
      Die Umgestalter unserer Vokabeln haben ganze Arbeit geleistet – leider auch bis in die “alternativen” Kreise hinein.
      Ein Grundkurs in Etymologie und Hermeneutik würde wäre oftmals kein Fehler.

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