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Bild: Maik Maid / flickr.com (CC BY-SA 2.0) https://www.flickr.com/photos/frnetz/14673019398

Von Viktor Erdesz

Die Europäische Initiative „Kohäsionspolitik für die Gleichstellung der Regionen und die Erhaltung der regionalen Kulturen“ ist zunächst beendet. Dabei wurde nach einer rasanten Aufholjagd tatsächlich die Hürde der einen Millionen erforderlichen Unterschriften genommen. Doch eine zweite Hürde, jene der Mindestanzahl in sieben Mitgliedstaaten, wurde nicht erreicht. Verloren ist die Sache jedoch noch lange nicht. Auf Grund der Corona-Beschränkungen steht die Frist kurz vor der Verlängerung.

Initiative aus dem Szeklerland

In den letzten Wochen berichteten wir verstärkt über die oben genannte Initiative. Initiator ist der Szeklerrat in Siebenbürgen – die (realpolitisch leider bedeutungslose) Vertretung der Ungarn im zum größtenteils ungarisch besiedelten Szeklerland. Das Szeklerland liegt im östlichsten Teil Siebenbürgens. Von den rund 800.000 Einwohnern sind laut der letzten Volkszählung (2011) über 70 Prozent der Bewohner Ungarn. Die Ungarn genießen in Rumänien nur wenig politische Minderheitenrechte. Gesellschaftlich werden sie sogar immer wieder schikaniert. Die Initiative soll historisch gewachsene Regionen wie das Szeklerland schützen und fördern.

Das Szeklerland, hier gelb eingezeichnet, liegt heute tief im rumänischen Staatsgebiet im östlichsten Teil Siebenbürgens. Bild: Sie / wikimedia.at (CC BY-SA 3.0)

Ziel ist die Schaffung von autonomen Regionen

Die Initiative definiert ihr Ziel wie folgt:

Für diese Regionen, einschließlich geografischer Gebiete ohne Strukturen mit Verwaltungszuständigkeiten, sollte die Vermeidung eines wirtschaftlichen Rückstands, die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und die Erhaltung der Bedingungen des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts so erfolgen, dass ihre Besonderheiten unverändert bleiben. Dazu müssen diese Regionen die gleiche Möglichkeit haben, auf verschiedene EU-Fonds zuzugreifen, und die Erhaltung ihrer Besonderheiten und ihre angemessene wirtschaftliche Entwicklung müssen gewährleistet sein, damit die Entwicklung der EU gefördert werden kann und deren kulturelle Vielfalt erhalten bleibt.

Die ausführliche Zielsetzung findet sich auf der Netzseite der Initiative.

Im Elsass leben 800.000 Deutsche

Sollte die Initiative Erfolg haben, wäre die Europäische Kommission zumindest gezwungen sich mit der Thematik zu beschäftigen und aktiv Gesetzesvorschläge vorzulegen. Ein Erfolg hätte nicht nur für Siebenbürgen weitreichende Folgen, sondern für eine Vielzahl an Regionen in Europa. Insbesondere durch die Grenzziehungen nach den zwei Weltkriegen gibt es unzählige kulturell in sich geschlossene Regionen, die im jeweiligen Staat kaum Rechte besitzen und daher durch Assimilierung zu verschwinden drohen. So wäre als Beispiel das Elsass zu nennen. Die deutsche Minderheit ist schon in solch einem Maße assimiliert, dass sie sich selbst als „Elsässer“ und nicht als „Deutsche“ bezeichnen. Wobei das „Elsässisch“ ein gewöhnlicher alemannischer Dialekt ist, der im Südwesten des deutschen Sprachraumes gesprochen wird. So hätte ein Badener nach einer kurzen Gewöhnungsphase nur wenig Verständigungsprobleme mit dem „so verschiedenen“ Elsässer. 43 Prozent der Bewohner des Elsass gaben an, Elsässisch gut zu beherrschen und regelmäßig zu verwenden. Das sind immerhin über 800.000 Menschen, was die größte deutsche Minderheitengruppe Europas darstellen würde. Genau solche Gebiete würde die Initiative schützen. Regionen wie das Elsass oder das Szeklerland sind nun schon seit 100 Jahren dem ständigen Assimilierungsdruck ausgesetzt. Man kann hier gar nicht alle Regionen aufzählen, doch es wäre gewiss ein riesiger europäischer Kulturverlust, wenn diese Gegenden in die Leitkultur des jeweiligen Nationalstaats aufgehen würden.

Auch in Südtirol riesige deutsche Minderheit

Doch auch solche Regionen würden finanziell gefördert werden, die bereits Autonomierechte genießen. Hier lässt sich als wichtiges Beispiel Südtirol nennen. Südtirol genießt eines der umfassendsten Autonomierechte in ganz Europa. Die Region, die ebenfalls nach dem ersten Weltkrieg an Italien abgespalten wurde, erhielt als Reaktion auf massive Unruhen in den 1960er Jahren ein umfassendes Autonomiepaket. Ermöglicht wurde dies unter anderem durch gewalttätige Anschläge. Auf dem Höhepunkt dieser Anschlagsserie, der Südtiroler Feuernacht am 11. Juni 1961, wurden über 30 Strommasten gesprengt, was die Wirtschaft in der ganzen Region lahmlegte. Die Anschlagsserie, die sich ausdrücklich nicht gegen Menschen richtete, wurde von zahlreichen Burschenschaftern, wie Dr. Norbert Burger, Mitglied der Wiener akademischen Burschenschaft Olympia, mitgetragen. Doch auch in Südtirol versucht Rom in den letzten Jahren immer wieder verstärkt diese Rechte zu beschränken. Der Anteil der Deutschen macht in Südtirol mit 62 Prozent der Bevölkerung aktuell rund 330.000 Menschen aus. Doch auch diese bereits autonomen Regionen können jeden Cent aus den Töpfen der Europäischen Union gebrauchen. In Südtirols Hauptstadt Bozen wird zum Beispiel das Deutschtum immer weiter zurückgedrängt, aktuell sind nur noch 25 Prozent der rund 100.000 Einwohner deutschsprachig.

In Regionen wie Südtirol liegt ein riesiges Unterstützungspotential. Bild: Thomas Stoerck / wikimedia.org (CC-BY-SA-3.0)

Unterschriften fast ausschließlich von Ungarn

Für den Erfolg der Initiative gab es zwei große Hürden: Die erste besagte, dass eine Millionen Unterschriften insgesamt gesammelt werden müssten. Die zweite besagte, dass ein Mindestquorum in mindestens sieben Mitgliedsstaaten genommen werden musste. Die Frist lief bis Anfang Juni, es gab insgesamt ein Jahr Zeit. Dabei wurden die eine Millionen Unterschriften erfolgreich erreicht, das Mindestquorum in sieben Ländern jedoch nicht. Hier bedarf es einer Analyse, warum nicht beide Ziele erreicht wurden. Betrachten wir nun als erstes die insgesamt eine Millionen Unterschriften näher im Detail. Von den insgesamt etwa 1,2 Millionen gesammelten Unterschriften stammen fast 800.000 aus Ungarn. Von den restlichen stammen fast 400.000 aus Siebenbürgen (davon die Hälfte handschriftlich, daher in der Online-Statistik nicht einsehbar). Weitere nennenswerte Zahlen sind die etwa 30.000 Unterschriften aus der Slowakei. Danach folgt mit einem riesigen Abstand Deutschland mit 10.000 Unterschriften, ein Land mit immerhin 80 Millionen Einwohnern. Da in Siebenbürgen und der Slowakei die deutsche Minderheit insgesamt aus nur noch etwa 35.000 Menschen besteht, hingegen die Ungarische aus etwa 1,7 Millionen Menschen (laut den letzten Volkszählungen 2011), ist es offensichtlich, dass die eine Millionen Unterschriften fast ausschließlich durch das Volk der Ungarn erreicht wurden. Zunächst das positive – die Ungarn haben eine vorbildliche Arbeit bei sich geleistet. Im ländlich geprägten Siebenbürgen sind schon die handschriftlichen Unterschriften im sechsstelligen Bereich eine riesige Leistung. Im ungarischen Inland wurde die Initiative weiträumig medial bekannt gemacht. Die Orbán-Regierung ermöglichte eine umfassende Berichterstattung, die bis ins Abendprogramm des Staatsfernsehens reichte.

Ungarn konzentrierte sich zu sehr auf sich

Doch hierin liegt gleichzeitig der Fehler, der begangen wurde. Man hat sich nur zu sehr auf sich konzentriert. Das ungarische Volk kann es aus alleiniger Kraft auch bei einem perfekten, theoretischen Ablauf gar nicht schaffen, allein die sieben Mindestquoren zu erfüllen. Neben Ungarn wurde es in der Slowakei und in Rumänien erfüllt. Es gibt noch jeweils eine riesige ungarische Gemeinschaft in den ehemaligen Gebieten im heutigen Serbien und in der Ukraine. Dort leben in der Wojwodina/Vajdaság rund 250.000 Ungarn und in Transkarpatien/Kárpátalja 150.000. Doch beide Länder gehören nicht zur Europäischen Union. In den anderen verlorenen Gebieten leben kaum Ungarn, in Kroatien rund 15.000, im Murgebiet in Slowenien und im Burgenland jeweils nochmal 5.000. Somit war es ein großer Fehler, dass sich die Initiatoren, der Szeklerrat, fast nur auf ihr eigenes Volk konzentrierten. Denn die Ungarn hätten diesen Kraftakt gar nicht nötig gehabt. Mit den riesigen anderen europäischen Minderheitengruppen, wie den Südtirolern, Elsässern oder Katalanen, um nur wenige Beispiele zu nennen, wäre das Erreichen des Mindestquorums ein Kinderspiel gewesen.

Regionen auch in der Verantwortung

Hier darf man aber natürlich die Schuld nicht nur beim Szeklerrat suchen. Denn der war durchaus bemüht, die Initiative in anderen Regionen Europas bekannt zu machen. Wie wir bereits berichteten, wurde im Herbst letzten Jahres mit der patriotischen Partei „Südtiroler Freiheit“, die immerhin 6 Prozent bei den letzten Landtagswahlen erreichte, eine gemeinsame Pressekonferenz zur Initiative abgehalten. Somit hat der Szeklerrat seine Arbeit hier geleistet und ein Fundament gebaut. Doch danach wurde es in Südtirol ganz still um die Initiative. Aus ganz Italien stammen nicht einmal 1.000 Unterschriften, was ohne Zweifel als Peinlichkeit bezeichnet werden muss. Eine Teilschuld liegt hier beim Szeklerrat, der nach wenigen Wochen hätte erkennen müssen, dass die Initiative in Südtirol nicht richtig anläuft. Man hätte die Freunde hier nochmals anstacheln müssen und die guten Ergebnisse aus Ungarn als Druckmittel vorzeigen sollen. Die Hauptschuld liegt aber natürlich bei den Verantwortlichen vor Ort, die es einfach nicht geschafft haben, das Gewicht der Sache zu erkennen und entsprechend zu werben.

In Österreich riesiges Potenzial

Auch in Österreich hätten die Ungarn aggressiver werben müssen. Es wurde zwar genau so wie in Südtirol in vereinzelten patriotischen Medien schon im Herbst über die Sache berichtet, doch danach wurde es auch hier still. Aus Österreich stammten bei Fristende rund 2.500 Unterschriften, 13.500 wären für das Quorum nötig gewesen. Dies ist aus vielen Gründen eine leichtfertig vertane Chance. Erstens leben in Österreich sehr viele Ungarn. Man hätte allein mit den Ungarn in Österreich, da der Hauptwohnsitz zählt, die 13.500 Unterschriften erreichen können. Zweitens gibt es in Österreich ein riesiges patriotisches Lager. Bei der letzten Nationalratswahl konnte das patriotische Lager fast 800.000 Stimmen auf sich vereinen. Fast all diesen Menschen ist das Thema Südtirol eine Herzensangelegenheit, hier hätte man riesige Massen bewegen können. Drittens hätten die Ungarn durch die räumliche Nähe und der historischen Verbundenheit ein deutlich leichteres Spiel gehabt, die Menschen in Österreich zur Unterschrift zu bewegen, als zum Beispiel im entfernten und kulturfremden Katalonien.

Aus Corona-Hindernis wird Chance

Natürlich spielte auch die Corona-Krise eine große Rolle. Das Virus legte in den letzten anderthalb Monaten der Unterschriftensammlung fast ganz Europa lahm. Auf der einen Seite wurde dadurch die händische Unterschriftensammlung unmöglich, auf der anderen Seite bestimmte nur Corona die mediale Berichterstattung. Gerade wichtige Regionen wie Katalonien oder Südtirol waren von der Pandemie am stärksten betroffen. Hier wurden den Bürgern als Schutzmaßnahme fast alle Freiheitsrechte entzogen. Es ist verständlich, dass die Menschen zu dieser Zeit viele andere Sachen im Kopf hatten als eine Unterschriftensammlung für Europäische Regionen. Doch gerade das Virus ermöglicht nun vermutlich eine Fristverlängerung.

Angeblich stimmt Kommission zu

Unmittelbar nach Ende der Frist reichte der Szeklerrat bei der Europäischen Union den Antrag für eine Fristverlängerung ein. Die Argumente waren besonders stark, da das Gesamtquorum von einer Millionen Unterschriften erreicht wurde. Es ist weder gelogen, noch übertrieben, dass nur wegen der Corona-Krise das Mindestquorum in vier weiteren Ländern, was nur einige zehntausende Unterschriften wären, nicht erreicht wurde. Und wie durch ein Wunder sickerten in den vergangenen Tagen Stimmen aus Brüssel durch, dass eine Fristenverlängerung von insgesamt sechs Monaten genehmigt wird. Wie Ungarn Heute berichtete, hat die Europäische Kommission einer Fristenverlängerung angeblich zugestimmt. Balázs Izsák, der Präsident des Szeklerrats, kommentierte dies folgendermaßen:

Ich wähle meine Worte vorsichtig, weil wir die offizielle Erklärung der Europäischen Kommission zur Verlängerung noch nicht erhalten haben. Aber ich war wirklich sehr froh, als ich die Nachrichten gelesen habe. Ich hoffe es ist wirklich wahr und wir können die Unterschriften weiter sammeln.

Die neuartige Coronavirus-Pandemie behinderte alle laufenden Arbeiten zum Sammeln von Unterschriften. Ich hoffe, dass der Mechanismus der Europäischen Bürgerinitiative zur Stärkung der direkten Demokratie gerettet wird, da ihre Existenz jetzt auf dem Spiel steht. Bisher gab es keine Regelung für besondere Umstände, das heißt dafür, was passiert, wenn die Unterschriftensammlung behindert wird. Ich vertraue darauf, dass man eine faire Lösung findet, und wir können dann die Unterschriften in einem Zeitraum von insgesamt zwölf Monaten sammeln. Ich betrachte die mögliche Verlängerung nicht als zweite Chance, sondern als die Wiederaufnahme unserer Arbeit.

Zunächst abwarten, dann aktiv handeln

Die Hürden für eine Fristverlängerung sind hoch. Neben der Europäischen Kommission muss auch der Rat der Europäischen Union (Ministerrat) und auch das Europäische Parlament zustimmen. Die Kommission ist jedoch das mit Abstand wichtigste Organ der EU. Ein grünes Licht von dessen Seite hätte eine starke Signalwirkung. Zunächst einmal heißt es abwarten. Es können mit Sicherheit noch einige Wochen oder gar Monate vergehen, bis die Entscheidung in allen drei Organen gefällt wird. Sollte es jedoch tatsächlich so sein, darf danach keine Zeit verschwendet werden. Auch die vergangenen Fehler dürfen nicht wiederholt werden. Man muss sich von Anfang an auf Länder mit niedrigen Hürden, wie Österreich, konzentrieren. Auch wichtigen Regionen wie Südtirol muss die Bedeutung der Initiative klar gemacht werden. Schafft man dies, ist ein Erfolg der Initiative gewiss.

 

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