Tsche­chien und die Slowakei 30 Jahre nach ihrer Trennung

Ein Vergleich der Entwick­lung von 1993 bis in die Gegenwart

Vor dreißig Jahren hört die Tsche­cho­slo­wakei auf zu exis­tieren, und der 1. Jänner 1993 ist die fried­liche Geburts­stunde zweier Staaten: Tsche­chien und Slowakei. Es erhebt sich die Frage: Wo stehen die beiden Länder heute in wirt­schaft­li­cher Hinsicht, und welches von ihnen hat den Lebens­stan­dard der Bevöl­ke­rung wirk­samer angehoben?

Das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) misst die Wirt­schafts­leis­tung eines Landes und das BIP pro Kopf gibt Auskunft darüber, welchen Lebens­stan­dard der Durch­schnitts­bürger genießt. Zur Zeit der Teilung der Tsche­cho­slo­wakei steht die Wirt­schaft im tsche­chi­schen Landes­teil auf einem erheb­li­chen höheren Niveau als in der Slowakei, in deren Ostteil sich die Schwer­indus­trie, in der Haupt­sache die Produk­tion von Rüstungs­gü­tern, befindet. Ein Umstand, der auf die stra­te­gi­sche Sicht­weise des früheren Warschauer Paktes zurück­geht, der die Waffen­schmieden möglichst weit weg von der Grenze zum NATO-Mitglied Deutsch­land situiert.

Deswegen gestaltet sich mit einem Minus von 22 % der Rück­gang des Lebens­stan­dards im slowa­ki­schen Teil der CSR nach dem Ende des KP-Regimes und der Ände­rung der Eigen­tums­ver­hält­nisse in der Wirt­schaft viel drama­ti­scher als im Westen der CSR (bloß 12 % Minus). Erst 1996 erreicht das nunmehr unab­hän­gige Tsche­chien wieder das wirt­schaft­liche Niveau von 1989/90; die Slowakei gar erst 1998.

In den folgenden Jahren holt die Slowakei die Wohl­stands­ver­luste auf, was schwer­punkt­mäßig auf die Inves­ti­tionen verschie­dener – vor allem bundes­deut­scher – Auto­kon­zerne (VW, Audi) zurück­geht, die im Groß­raum Preß­burg riesige Ferti­gungs­werke aus dem Boden stampfen. Die Folge: Die Region  Preß­burg erfreut sich seit etli­cher Zeit eines höheren Wohl­stands als Wien. Den parallel dazu enorm gestie­genen Grund­stücks­preisen begegnen immer mehr Bewohner der slowa­ki­schen Metro­pole mit dem Erwerb von Grund und Boden auf der öster­rei­chi­schen Seite der Grenze; die burgen­län­di­sche Gemeinde Kittsee, ursprüng­lich ein Kroa­ten­dorf, gerät immer mehr zu einem Vorort von Preßburg.

Trotz der Aufhol­jagd der von Prag mitunter etwas von oben herab betrach­teten Slowaken liegt das BIP pro Kopf in Tsche­chien auch in jüngster Zeit über dem der Slowakei. 2021 erreicht es laut dem deut­schen Institut Statista in der Tsche­chi­schen Repu­blik 22.270 Euro, in der Slowakei nur 17.820 Euro (zum Vergleich: Öster­reich 44.790; Deutsch­land 43.290; Luxem­burg 114.370; Bulga­rien 9.850). Damit ist das Wirt­schafts­ni­veau in Tsche­chien rund 26 Prozent höher als in der Slowakei. Laut Euro­stat-Daten liegt das Brut­to­in­lands­pro­dukt pro Kopf für die Tsche­chen im Jahr 2021 bei 91 % des Durch­schnitts der Euro­päi­schen Union, vergli­chen mit nur 68 % in der Slowakei.

Wobei anzu­merken ist: Das Gefälle inner­halb der Slowakei ist gewaltig, dem Wohl­stand im äußersten Westen, also in der Gegend um Preß­burg, steht, je weiter man nach Osten blickt, bittere Armut gegen­über. Manche Beob­achter führen dies auch auf die in der Ost-Slowakei konzen­triert siedelnde Volks­gruppe der Roma zurück, deren arbeits­fä­hige Ange­hö­rige während der KP-Diktatur unter gelindem Druck der Behörden einfache Tätig­keiten in der Rüstungs­in­dus­trie voll­führen, nach der poli­ti­schen Umwäl­zung arbeitslos werden und seither – so scheint es – noch keinen rechten Zugang zu den Erwerbs­be­din­gungen in der Markt­wirt­schaft finden. Was auch immer die Gründe dafür sind.

Die Höhe des Brut­to­in­lands­pro­dukts spie­gelt sich auch bei den Löhnen wider. Der durch­schnitt­liche Brut­to­mo­nats­lohn in Tsche­chien beträgt im zweiten Quartal 2022 1.626 Euro, während er sich in der Slowakei im selben Zeit­raum auf nur 1.291 Euro beläuft. Mit anderen Worten: Die Löhne in  Tsche­chien sind im Schnitt um 26 % höher. Wenn man die Preise betrachtet, ist der Unter­schied zugunsten der Tsche­chen noch größer. Tatsäch­lich beträgt das Preis­ni­veau in Tsche­chien nur 80 % des EU-Durch­schnitts, in der Slowakei hingegen satte 90 %. Traurig, aber wahr: Der Slowake hat weniger im Lohn­sa­ckerl, muss aber Waren zu höheren Preisen erwerben. Man kann in Tsche­chien vom dortigen Lohn etwa zwei Fünftel mehr Waren kaufen als von einem slowa­ki­schen Lohn in der Slowakei.

Wie hoch ist die Arbeits­lo­sig­keit in den beiden Staaten? Nach 1989 ist der tsche­chi­sche Landes­teil die große Über­ra­schung wegen seiner extrem nied­rigen Erwerbs­lo­sen­quote, jahre­lang sind es um die drei Prozent, was prak­tisch einer Voll­be­schäf­ti­gung gleich­kommt. Anders der slowa­ki­sche Teil der CSR: Der Zusam­men­bruch der Rüstungs- und Schwer­indus­trie führt zu einem spek­ta­ku­lären Anstieg der Arbeits­lo­sen­quote, vor allem bei der Roma-Volks­gruppe. In den folgenden Jahren holt der kleine Bruder im Osten zwar auf, aber derzeit (Euro­stat-Daten für den Oktober 2022) liegt die Arbeits­lo­sen­quote in Tsche­chien bei 2,1 %, in der Slowakei hingegen bei knapp 6 %.

Wie sieht es mit der öffent­li­chen Verschul­dung aus? Beide Länder erben eine relativ nied­rige Staats­ver­schul­dung aus der Zeit des Kommu­nismus. Bis zum Jahr 2000 verzeichnet die Slowakei jedoch einen starken Anstieg und erreicht 50,5 % des BIP. Im Jahr 2019 beträgt die tsche­chi­sche und slowa­ki­sche Staats­ver­schul­dung 30 % bzw. 48 % des BIP. Danach erfor­dert die Corona-Pandemie kost­spie­lige staat­liche Maßnahmen, was sich im Anstieg der Verschul­dung wider­spie­gelt. Dadurch erreicht die tsche­chi­sche Staats­ver­schul­dung Ende 2021 42 % des BIP, während die slowa­ki­sche Verschul­dung 62,2 % des BIP ausmacht.

Ein relativ beliebter Indi­kator für die Erhe­bung der Lebens­qua­lität ist der Human Deve­lo­p­ment Index (HDI), der neben dem BIP pro Kopf beispiels­weise auch die Lebens­er­war­tung bei der Geburt, den durch­schnitt­li­chen Bildungs­stand und den Lebens­stan­dard berück­sich­tigt. Der Wert des Index erstreckt sich von Null bis Eins, 2021 erhält die Schweiz mit einem Index­wert von 0,962 die beste Bewer­tung. Tsche­chien belegt mit 0,889 den 32. und die Slowakei mit 0,848 den 45. Platz. Beide Länder gehören zur Gruppe der am weitesten entwi­ckelten Länder, also zu jenen Staaten, die einen HDI-Wert von mindes­tens 0,8 errei­chen. Nebenbei: Öster­reich hält mit 0,916 Platz 25.

Ein weiterer beliebter Indi­kator ist der Glück­s­index, der auf einer subjek­tiven Einschät­zung des Wohl­be­fin­dens der Befragten basiert (UNO-World Happi­ness Report). Bei der letzten Umfrage 2019/21 liegt Tsche­chien auf Platz 18, die Slowakei auf Platz 35; die Finnen belegen den ersten Spit­zen­rang. Recht behag­lich fühlen sich die Öster­rei­cher: Unsere Heimat hält den zehnten Platz.

Fazit: Tsche­chien und die Slowakei haben sich in den vergan­genen dreißig Jahren ähnlich entwi­ckelt. In Bezug auf BIP, Löhne und Lebens­qua­lität hinkt die Slowakei der Tsche­chi­schen Repu­blik hinterher, aber wenn man die Ausgangs­lage berück­sich­tigt, ist es der Slowakei gelungen, sich Tsche­chien in Bezug auf den Lebens­stan­dard auf bemer­kens­werte Weise anzunähern.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei ZUR ZEIT, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.

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4 Kommentare

  1. Inter­es­sant wäre jetzt noch wie sich die beiden Länder gesell­schaft­lich und poli­tisch weiter­ent­wi­ckelt haben. Von der Slowakei erfährt man leider deut­lich weniger als vom west­li­cher beein­flußten Tschechien.

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  2. Zusammen gewür­felte Kunst­staaten sind nie von Dauer, die unter­schied­li­chen Menta­li­täten lassen sich auch nicht auf Dauer „still“ halten – nur in dieser Gutmen­schen-BRD ist dies offen­sicht­lich möglich.

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  3. Als die Slowakei sich 1938 unter dem Prälaten Tiso von Tsche­chien trennte und damit die Tsche­cho­slo­wakei auflöste, sah sich das Deut­sche Reich genö­tigt, die Sude­ten­deut­schen vor tsche­chi­schen Über­griffen zu schützen. Dann kam der 2. Welt­krieg… Schön aber, daß die Inter­na­tio­nale 1993 keinen neuen Krieg für nötig befand.
    „Die Vertrei­bung der Sude­ten­deut­schen aus der Tsche­cho­slo­wakei ist nach Ansicht der tsche­chi­schen Histo­ri­kerin Alena Miskova als Genozid zu werten.“ (APA vom 3.7.2002)

    „Man hat die alte mit Frank­reich und der Sowjet­union verbün­dete Tschechoslowakei
    als einen auf das Herz Deutsch­lands gerich­teten Dolch bezeichnet. Sie war in der Tat eine feind­liche Festung mitten im deut­schen Raum gewesen, eine Einbruchs-Pforte aller Gegner des Reiches.“ (Quelle: Emil Maier-Dorn, “Anmer­kungen zu Sebas­tian Haffner”, S. 164)

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  4. Die Sieger des 1. Welt­krieges pferchten 2 Völker auf Öster­rei­chisch-deut­schem Boden zusammen, 2 Völker, die seit 80 Jahren ausein­ander wollten. Vergleiche drängen sich auf, z.B. der Balkan, wo heute noch ein damals gelegter Krisen­herd gärt. Die Völker müßten sich bei Frank­reich und England endlich mal in gebüh­render Weise „bedanken“.

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