Umfrage: „Sudti­rolo“ statt „Alto Adige“

Heimat­bund: Mehr­heit der Italiener gegen faschis­ti­sche Ortsnamendekrete

98 Jahre Verbot des Namens Tirol – der Südti­roler Heimat­bund nimmt dieses Jubi­läum zum Anlass, um das Ergebnis einer aktu­ellen Umfrage zur Südti­roler Topo­no­mastik zu präsentieren.

Am 8. August 1923 wurden mit einem faschis­ti­schen Dekret die Bezeich­nungen „Südtirol“, „Deutsch­süd­tirol“, „Tirol“, „Tiroler“ und sämt­liche übrige Ablei­tungen verboten. Dies geschah in Durch­füh­rung der vom Großrat des Faschismus am 12. März 1923 beschlos­senen „Maßnahmen für das Hoch­e­tsch zum Zwecke einer geord­neten, schnellen und wirk­samen Aktion zur Assi­mi­lie­rung und Italia­ni­sie­rung“. Einzig und allein für zulässig erklärt wurden die Bezeich­nungen „Alto Adige“ und „Atesino“ sowie die entspre­chenden deut­schen Rück­über­set­zungen „Ober­etsch“ und „Etsch­länder“.

Das italie­ni­sche Meinungs­for­schungs­in­stitut „Demetra“ stellte im Zeit­raum vom 21. bis 29. Juni 2021 zwei Fragen an insge­samt 1010 in Italien, doch außer­halb der Region Tren­tino-Südtirol lebende Personen.

Die Antworten ergaben ein klares Bild. Erstens wären 65 Prozent der Befragten mit der Abschaf­fung der faschis­ti­schen Orts­na­men­de­krete und der folg­lich amtli­chen Wieder­her­stel­lung der histo­risch fundierten Orts­namen einver­standen. Ebenso einver­standen wären, zwei­tens, 60 Prozent mit dem amtli­chen Gebrauch von „Sudti­rolo“ anstelle von „Alto Adige“.

Heimat­bund­ob­mann Roland Lang sieht in dem Ergebnis seine Vermu­tung bestä­tigt, dass die Italiener, beson­ders jene außer­halb Südti­rols, einer Lösung der Orts­na­men­frage im histo­ri­schen und wissen­schaft­li­chen Sinne durchaus offen gegen­über­stehen. Die Meinung, dass die Italiener mehr­heit­lich an den faschis­ti­schen Dekreten und an den eben­sol­chen Orts­namen fest­halten wollen, sei mit dieser Umfrage klar wider­legt, freut sich Lang. Nun gehe es darum, dass auch die Landes­re­gie­rung und insbe­son­dere die Verant­wort­li­chen im Tourismus Mut und Weit­sicht zeigen, indem sie vermehrt auf die authen­ti­schen Orts­namen inklu­sive „Sudti­rolo“ setzen und auf die faschis­mus­las­tigen und nur scheinbar italie­ni­schen Orts­namen, ange­fangen bei „Alto Adige“, verzichten.

Zu diesem Zweck hat der Heimat­bund eine Broschüre heraus­ge­bracht, in der die exakte Frage­stel­lung der Umfrage nach­zu­lesen ist und deren Antworten nach Gebiet, Geschlecht, Alter und Bildungs­grad der Befragten aufge­schlüs­selt sind. Beson­ders inter­es­sant sei in diesem Zusam­men­hang die Tatsache, dass die Zustim­mung zur Abschaf­fung der faschis­ti­schen Orts­na­men­de­krete und zur Wieder­her­stel­lung der authen­ti­schen Orts­namen inklu­sive des Gebrauchs von „Sudti­rolo“ mit stei­gendem Bildungs­grad der Befragten ebenso ansteigt. Auch enthält die Broschüre die wesent­lichsten Hinter­grund­in­for­ma­tionen zur Thematik. Sie wurden vom Südti­roler Orts­na­men­ex­perten und Mitglied der Süd-Tiroler Frei­heit, Cris­tian Koll­mann, ausgearbeitet.

Der Südti­roler Heimat­bund wird die Broschüre den poli­ti­schen Verant­wort­li­chen und den Touris­mus­ver­bänden zukommen lassen. „Die Broschüre möge den Entschei­dungs­trä­gern als Argu­men­ta­ti­ons­hilfe dienen und sie zur Über­zeu­gung gelangen lassen, dass es auch im Bereich der Orts­na­men­ge­bung auf Authen­ti­zität und nicht auf Aufge­setzt­heit ankommt, und dass dies von den Italie­nern mehr­heit­lich begrüßt würde“, sagt Roland Lang.

Koll­mann: „Tiroler Landes­teil auf italie­ni­schem Staats­ge­biet in Abrede gestellt“

Warum stellt die Orts­na­men­ge­bung in Südtirol über­haupt ein Problem dar, und wie könnte dieses Problem gelöst werden? Der Südti­roler Orts­na­men­ex­perte Dr. Cris­tian Koll­mann versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden.

Für Deutsch­land gibt es je auch die italie­ni­sche Über­set­zung „Germania“. Ist das bei „Alto Adige“ für Südtirol nicht ähnlich?

Südtirol ist offi­ziell ein drei­spra­chiges Land. Daher ist es nur folge­richtig, wenn sich die Drei­spra­chig­keit auch in der Orts­na­men­ge­bung wider­spie­gelt. Dies ist land­läufig die Meinung vieler Bürger – inner­halb und außer­halb Südti­rols. Auf den ersten Blick und ohne Kenntnis der histo­ri­schen Hinter­gründe ist man sicher geneigt zuzu­stimmen. Südtirol heißt auf Italie­nisch „Alto Adige“, so wie z.B. Deutsch­land auf Italie­nisch „Germania“ heißt. Doch so einfach ist die Sach­lage dann doch nicht. „Germania“ ist seit alters der im Italie­ni­schen verwen­dete Name für Deutsch­land und geht direkt auf das Latei­ni­sche zurück. „Alto Adige“ dagegen klingt zwar italie­nisch, hat aber einen ideo­lo­gi­schen Hinter­grund. Mit diesem Begriff sollte unter dem Faschismus und soll de facto bis heute aus italie­ni­scher Sicht die Exis­tenz eines Tiroler Landes­teiles auf italie­ni­schem Staats­ge­biet in Abrede gestellt werden. „Alto Adige“, das ins Deut­sche rück­über­setzt „Hoch­e­tsch“ oder „Ober­etsch“ bedeutet, steht für das Konzept der irre­den­tis­ti­schen Natur­grenz­theorie: Die Etsch fließt vom Alpen­haupt­kamm gen Süden und mündet in die Adria. Das Gebiet der „hohen“ oder „oberen“ Etsch gehört somit natur­gemäß zu Italien. Im italie­ni­schen Staats­ge­biet darf es kein „Tirolo“ geben. Der Name „Südtirol“ hingegen entstand ursprüng­lich als Teil­be­zeich­nung des Landes Tirol. Entspre­chend wurde der südliche Tiroler Landes­teil im Italie­ni­schen selbst­ver­ständ­lich als „Tirolo meri­dio­nale“ (ab der ersten Hälfte des 18. Jhs.), „Tirolo del Sud“ (ab der ersten Hälfte des 19. Jhs.) oder „Sudti­rolo“ (ab der zweiten Hälfte des 19. Jhs.) bezeichnet.

Tirol war aller­dings nie einsprachig.

Ja, Südtirol ist offi­ziell ein drei­spra­chiges Land. Über­haupt war Tirol in seiner gesamten Geschichte, auch schon in vorrö­mi­scher Zeit, nie einspra­chig. Aber ebenso ist es wahr, dass speziell das Gebiet des heutigen Südti­rols, nie flächen­de­ckend deutsch-italie­nisch besie­delt war. Dies ist es de facto bis heute nicht.

Was sind die faschis­ti­schen Ortsnamendekrete?

Um eben den Eindruck zu erwe­cken, dass das Gebiet des heutigen Südti­rols konti­nu­ier­lich seit der Römer­zeit flächen­de­ckend roma­nisch bzw. italie­nisch besie­delt sei, wurden während der Zeit des italie­ni­schen Faschismus Dekrete erlassen, mit denen für die neu eroberte Provinz „Alto Adige“ italie­ni­sche Orts­namen fest­ge­legt wurden. So wurden beispiels­weise am 8. August 1923 die Bezeich­nungen Süd-Tirol, Deutsch­süd­tirol, Tirol, Tiroler und sämt­liche übrige Ablei­tungen verboten. Dies geschah in Durch­füh­rung der vom Großrat des Faschismus am 12. März 1923 beschlos­senen „Maßnahmen für das Hoch­e­tsch zum Zwecke einer geord­neten, schnellen und wirk­samen Aktion zur Assi­mi­lie­rung und Italia­ni­sie­rung“. Einzig und allein für zulässig erklärt wurden die Bezeich­nungen Alto Adige und Atesino sowie die entspre­chenden deut­schen Rück­über­set­zungen Ober­etsch und Etsch­länder. Mit drei weiteren Dekreten (1923, 1940, 1942) wurden insge­samt über 10.000 Orts- und Flur­namen in italie­ni­scher Sprache fest­ge­legt, wobei diese Namen größ­ten­teils Konstruk­tionen oder, auf der Grund­lage alter, meist mittel­hoch­deut­scher Belege, Rekon­struk­tionen darstellten. Die seit Jahr­hun­derten konti­nu­ier­lich über­lie­ferten und histo­risch entwi­ckelten deut­schen und ladi­ni­schen Orts- und Flur­namen blieben außer Acht und wurden folg­lich amtlich nicht zugelassen.

Deut­sche und ladi­ni­sche Namen sind in Südtirol immer noch nicht amtlich.

An der Situa­tion der Südti­roler Orts­na­men­ge­bung hat sich – trotz Pariser Vertrags und Südti­roler Auto­no­mie­sta­tuts – bis heute de iure nichts geän­dert. De facto dürfen die deut­schen und ladi­ni­schen Orts­namen auf Landes­ebene zwar verwendet werden, doch wurde deren Amtlich­keit nie mit einem Landes­ge­setz bestä­tigt. Umge­kehrt wird die Exis­tenz der deut­schen und ladi­ni­schen Orts­namen vom Staat Italien mitt­ler­weile zwar nicht mehr bestritten, gleich­zeitig wird jedoch signa­li­siert, dass die faschis­ti­schen Orts­na­men­de­krete und damit die größ­ten­teils nur zum Schein italie­ni­schen Orts­namen nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Sie verweisen auf das Beispiel Aostatal. Wie sind dort die Orts­namen geregelt? 

Dabei gibt es in Italien eine Region, die gezeigt hat, dass es auch anders geht: Die auto­nome Region Aostatal, die offi­ziell zwei­spra­chig fran­zö­sisch-italie­nisch ist. Die aosta­ni­sche Orts­na­men­ge­bung ist jedoch, bis auf den Namen der Haupt­stadt Aoste / Aosta, ausschließ­lich fran­zö­sisch und somit, im Gegen­satz zur Orts­na­men­ge­bung in Südtirol, durch­wegs authen­tisch. Zwar wurden im Aostatal, ähnlich wie in Südtirol, im Jahr 1939 mit einem faschis­ti­schen Dekret die auto­chthonen Orts­namen verboten und durch neue italie­ni­sche ersetzt, doch unmit­telbar nach dem 2. Welt­krieg wurden die konstru­ierten italie­ni­schen Orts­namen in mehreren Etappen abge­schafft und die histo­risch fundierten Namen wieder herge­stellt. Seit 1987 ist dieser Prozess abge­schlossen. Dennoch bleibt das Aostatal offi­ziell eine zwei­spra­chige Region, aber die offi­zi­elle Orts­na­men­ge­bung gibt es histo­risch bedingt nur auf Fran­zö­sisch und nur in wenigen Ausnahmen zusätz­lich auf Italie­nisch. Man sieht hier sehr deut­lich: Mehr­spra­chig­keit der Bevöl­ke­rung oder eines Gebiets bedeutet nicht auto­ma­tisch Mehr­spra­chig­keit in der Orts­na­men­ge­bung. Dasselbe gilt für das Gebiet des heutigen Südti­rols. Doch die Orts­na­men­ge­bung harrt hier bis heute einer Lösung. Das Aostatal hat gezeigt, wie es geht. Für eine äqui­va­lente Lösung in Südtirol bedarf es „nur“ histo­ri­schen Wissens, kultu­rellen Bewusst­seins, poli­ti­schen Willens und Mutes. Das Ergebnis der Umfrage zeigt sehr deut­lich: Die Italiener würden einer Lösung der Orts­na­men­frage klar mehr­heit­lich aufge­schlossen gegenüberstehen.

Quelle: Südtirol News


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