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Am 22. Juli wurde der Herausgeber von Index, der meistgelesenen Nachrichtenseite in Ungarn, entlassen. In den Tagen darauf traten 70 Redakteure zurück. Die fortschrittliche ungarische Presse und die westliche Presse sprechen erneut vom Ende der Pressefreiheit in Ungarn. Schuld dafür ist natürlich wieder mal der böse Orbán: Vor einigen Monaten hat ein Fidesz-naher Investor die Hälfte der Anteile der Werbeagentur gekauft, die Index finanziert.

In Wirklichkeit ist es jedoch komplexer bzw. sind sind viele Faktoren zu berücksichtigen, bevor man beurteilen möge. Erstens war Index keine „neutrale“ Seite sondern immer liberal ausgerichtet. Es konnte aber seit Jahren qualitativ hochwertige Arbeiten produzieren, die jeder aufgrund ihrer journalistischen Qualität gerne las. Die Richtung der Redaktion war zwar klar, aber es war kein Propagandawerkzeug. Allerdings ist Index in den letzten Jahren eines geworden, da es sich immer mehr gegen die konservative ungarische Regierung engagierte. Darüber hinaus gibt es Vorwürfe der Absprache mit Funktionären der Opposition.

Das Zeitungsmanagement gab bekannt, dass der Grund für die Entlassung von Szabolcs Dull, dem Herausgeber seit letztem Dezember, in der Offenlegung von Daten gegenüber dem Wettbewerb sowie in einer Linie lag, in der das Risiko bestand, Geld zu verlieren. Denn ja, die ungarische Presse ist frei in dem Sinne, dass sie von den Gesetzen des Marktes abhängt…

Also war Index das Opfer einer orbánʼschen Säuberung? Ist es einfach das Gesetz des Marktes und die Einhaltung der Unternehmensregeln, die Dull kaltmachten?

An den Ufern der Donau kursiert eine andere Theorie: Es wäre ein Staatsstreich der „Szeklermafia“. Ein schockierender Satz, der sich gut anhört. Aber was ist das wirklich? Um es zu erklären, müssen wir neu kontextualisieren: In Siebenbürgen gibt es eine ungarischsprachige Minderheit, die Szekler. Die Siebenbürger Sachsen kennen sie gut, da sie seit 800 Jahren ihre Nachbarn sind. Diese Szekler haben einen Nationalrat eingerichtet, um ihre Interessen als einheimische Minderheit zu verteidigen, und dieser Rat hat eine europäische Bürgerinitiative ins Leben gerufen, um einen fairen Zugang zu europäischen Geldern für die Regionen zu gewährleisten, die von den Zentralmächten häufig vernachlässigt werden, die meist wenig Respekt vor kleinen europäischen Völkern und ihren kulturellen Besonderheiten hegen.

Diese Minderheit der Szekler in Siebenbürgen ist rund 800.000 Menschen stark, von denen ein Viertel in der Diaspora lebt – hauptsächlich in Ungarn bzw. oft in Budapest. Die Szekler sind für ihre einzigartige und starke Identität und ihren großen Geist der gegenseitigen Hilfe und Einheit bekannt. Auch wenn sie einen Teil des ungarischen Volkes bilden, stellen die Szekler doch einen besonderen Teil dar. Die Szekler-Lobby hat sich aktiv mobilisiert, um die erforderliche Unterschriftenquote zu erreichen. Minister, Oppositionsführer, Künstler, Sportler, Moderatoren, Autoren, … die Mobilisierung, als große nationale Causa, ist über alle Spaltungen hinausgegangen. „Dies ist keine politische Angelegenheit, es ist eine nationale Angelegenheit“, erklärt Kampagnenmanager László Pesty, ein in Budapest lebender Szekler Regisseur und Produzent.

Im Mittelpunkt der Nachrichten für seine sehr effektive Kampagne zugunsten der Initiative stand Pesty als Verdächtiger Nr. 1 beim Zusammenbruch des Flaggschiffs der Oppositionspresse. „Ich habe mit allen Medienredakteuren – unabhängig von ihrer Richtung – Kontakt aufgenommen, um ihnen über die Initiative zu erzählen und sie zu ermutigen, darüber zu berichten“, setzte er in den letzten Tagen in verschiedenen ungarischen Medien auseinander und erklärte dabei, dass „Szabolcs Dull der einzige [war], der beurteilt hat, dass diese Petition keinen Artikel verdient [habe]“. Eine Ablehnung, die László Pesty zutiefst verärgerte, der abfällige Bemerkungen gegenüber dem ehemaligen Chefredakteur von Index äußerte. Die Szene spielte drei Tage vor Dulls Entlassung … Das Gerücht schwoll sehr schnell an und wurde zu einer echten Verschwörungstheorie: Die „Szeklermafia“ hat zugeschlagen. „Don Pesty“ rächte sich für seinen Affront! „Es ist absurd, ich hatte harte Worte gegen ihn und ich trage ihn nicht in meinem Herzen, aber ich habe nichts mit seiner Entlassung zu tun, das sind Fantasien! […] Es gibt keine ,Szeklermafiaʼ, es ist beleidigend und diffamierend, unsere Gemeinschaft derart zu bezeichnen. Ja, wir sind eine Lobby, wenn Sie so wollen. Wir führen Medienkampagnen für eine Sache durch, die uns sehr am Herzen liegt, und das war’s“, antwortete Pesty per E-Mail auf unsere Fragen. „Diejenigen, die uns dies vorwerfen – wie Szabolcs Dull – sind Globalisten, Menschen, die die einheimische Identität, die Besonderheiten der kleinen Leute, verwurzelte Menschen, die an ihrem Land und ihrer Lebensweise festhalten und keine Globalisten der Innenstadt sind, hassen“, schloss er.

Wir werden das Ende der Geschichte wahrscheinlich nicht kennen. Wie auch immer wird Index nun mit einer neuen Mannschaft weiterarbeiten. Die Resignanten werden wahrscheinlich ihr eigenes Medium gründen und die Szekler werden ihren Kampf um ihr Überleben und das der Völker Europas fortsetzen.

Die Bürgerinitiative der Szekler können Sie hier unterzeichnen: https://eci.ec.europa.eu/010/public/#/initiative

Ein Gedanke zu „Ungarn: Pressefreiheit, Index.hu und die Szekler“
  1. Szekler. Daß diese Volksgruppe existiert habe ich erst durch diese Internetseite erfahren.
    Eine Bewertung ihrer Lage ist mir nicht möglich, jedoch wünsche ich ihnen, daß sie ihren bewundernswerten Gemeinschaftsgeist weiterhin bewahren und ihrer Kultur entsprechend leben können!

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