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Zentralgebäude der Corvinus-Universität Budapest · Foto: Tibor Illyés / MTI

Von György Germán, Goethe-Institut Budapest

Argumente und Gegenargumente, Zuversicht und Besorgnis, Erläuterungen aus Kreisen der Fachpolitik und der Politik prallten im letzten knappen Monat aufeinander: in einer nicht ohne Emotionen geführten Debatte zur Umstrukturierung des ungarischen Hochschulwesens. Fachleute und Laien, Lehrende und Studierende, Politiker*innen und Bürger*innen hielten es für wichtig, ihre Meinung – in den Medien vorrangig ihre Gegenmeinung – zu äußern. Fachliche Diskussionen allerdings bekamen weniger öffentliche Aufmerksamkeit.

Unser Beitrag widmet sich der Aufgabe, die Standpunkte der Regierung und der Nichtregierungskreise vorzustellen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Bis zum 29. Januar 2021, also vor der Entstehung dieses Artikels, sind in den Senaten aller von der Regierung   angesprochenen Hochschulen die Entscheidungen gefallen: für den Modellwechsel.

DIE ARGUMENTE DER REGIERUNG FÜR DEN MODELLWECHSEL

Laut der Argumentation der Regierung ist die Notwendigkeit eines alternativen Trägerschaftsmodells durch heimische und internationale Forschungen untermauert. In der Tat ist der Modellwechsel keine ungarische Besonderheit; Maßnahmen zur Umstrukturierung im Hochschulbereich lassen sich global beobachten. Auch die wachsende Rolle externer Teilnehmer, die Umwandlung der Verwaltungsformen und die Stärkung des Leistungsprinzips gemäß verschiedener Indikatoren und institutioneller Rangfolgen stellen einen internationalen Trend dar. Die ungarische Regierung vertritt den Standpunkt, dass die Institutionen in der geplanten neuen Trägerschaftsform flexibler und schneller auf wirtschaftliche Bedürfnisse reagieren können und dass das auf diese Weise berechenbarer funktionierende operationelle Umfeld zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulbildung beitragen werde, wodurch ungarische Jugendliche zu den Gewinnern der Zukunft gehören sollen.

Eines der mit dem Modellwechsel gesetzten Ziele sei es, die Universitäten zum Motor des ungarischen gesellschaftlichen Lebens, der akademischen Bildung und der wirtschaftlichen Entwicklung zu machen, damit – als Grundlage für die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit sowohl der jeweiligen Region als auch des Landes – ein Dienstleistungshintergrund in Bildung, Forschung, Innovation, Kunst, Sport und Kultur entstehen kann.

Für all dies wurde auch staatliche Garantie in Aussicht gestellt: Die Finanzierungsgrundlagen sollen in langfristigen Rahmenverträgen niedergelegt werden, die ab 2022 mit den Hochschulen abzuschließen sind, um eine stabile und planungssichere Zukunft zu gewährleisten. Darüber hinaus hofft die Regierung auf eine als Folge des Modellwechsels gesteigerte Fähigkeit der Institutionen, eigene finanzielle Einnahmen zu erwirtschaften.

Wie soll all dies vonstatten gehen?

Die Universitäten werden auch in Zukunft öffentliche Aufgaben wahrnehmen, während ihr Rechtsstatus und ihr operationelles Modell umgewandelt werden: Sie werden dann nicht mehr dem staatlichen Haushalt unterordnet sein, sondern nach einem Regelwerk außerhalb des Staatshaushalts agieren, in der Trägerschaft von staatlich gegründeten vermögensverwaltenden Stiftungen. Somit werden die Universitäten aus dem Kreis der Institutionen in direkter staatlicher Trägerschaft herausgenommen, und die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben unmittelbar notwendige Infrastruktur geht in ihr Eigentum über. Die Stifterrechte der vermögensverwaltenden Stiftungen verbleiben zurzeit bei der Regierung, ab dem 1. Januar 2022 hat diese jedoch die Option, die Stifterrechte dem Kuratorium zu übertragen.

Laut jetziger Planung würde sich der Staat nicht aus der Finanzierung der Grundaufgaben der vor der Umstrukturierung stehenden Institutionen zurückziehen (mit Ausnahme der Corvinus-Universität Budapest), er sieht eine ständige Präsenz als Auftraggeber vor. Nach österreichischem Modell würden die Institutionen je nach spezifischem Aufgabenfeld, aufgrund vorab festgelegter Leistungsindikatoren, im Rahmen einer mittelfristigen Finanzierung wirtschaften, und sie könnten – durch die Erleichterung ihrer Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen – flexibler mit Marktteilnehmern kooperieren. Als positives Argument wurde die Möglichkeit genannt, im neuen Modell eine leistungsorientiert differenzierte Vergütung als Motivationsfaktor einrichten zu können. Um dies zu unterstreichen, wurde die Nachricht lanciert, dass im Staatshaushalt die Mittel für die – während des Umstrukturierungsprozesses zugesagte – Erhöhung der persönlichen Vergütungen von zweimal 15 % (2021, 2022) für jede Institution bereitgestellt worden sind, die sich in der Trägerschaft des Staates oder in der einer vom Staat gegründeten vermögensverwaltenden Stiftung befindet. Die betroffenen Hochschulinstitutionen wurden sogar darüber informiert, welche Summen aus dem EU-Hilfsfonds den Institutionen, die am Modellwechsel beteiligt sind, zur Beseitigung der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Schäden zur Verfügung gestellt werden könnten.

WAS BISHER GETAN WURDE

Zum 1. August 2020 wurden die Stifter- und Verwaltungsrechte der Veterinärmedizinischen Universität Budapest, der Universität Miskolc, der Moholy-Nagy-Universität für Kunst und Design, der John-von-Neumann-Universität, der Universität Sopron und der István-Széchenyi-Universität an vermögensverwaltende Stiftungen übertragen. Danach folgte die Universität für Theater- und Filmkunst, die zum 1. September 2020 ebenfalls in eine Privatuniversität in der Trägerschaft einer vermögensverwaltenden Stiftung umgewandelt wurde. Im Januar 2021 wurde den Senaten weiterer fünf Institutionen (Universität Debrecen, Universität Dunaújváros, Universität Pécs, Universität Szeged, Semmelweis-Universität Budapest) ein Ermessensspielraum eingeräumt, und man entschied sich ohne Ausnahme für den Modellwechsel.

Wenn der oben beschriebene Modellwechsel an sich so viele positive Änderungen mit sich bringt, woher rühren dann der Widerstand und Zweifel der unmittelbar und mittelbar Betroffenen? Im folgenden Teil dieses Schreibens zeigen wir eine Auslese der in Hochschulforen und in den Medien geäußerten Gegenargumente.

ZWEIFEL BEZÜGLICH DES MODELLWECHSELS IM HOCHSCHULWESEN

Die meisten Gegenargumente wurden im Zusammenhang mit der Festlegung des Kompetenzbereichs der praktisch nicht absetzbaren und nicht vorrangig anhand von fachlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkten ernannten Kuratorien laut. Den Plänen zufolge kann nämlich die Satzung der privaten Hochschulinstitutionen auch vorsehen, dass es dem Träger (das heißt: der vom Staat gegründeten Stiftung) obliegt, den Haushalt und den Haushaltsplan sowie die Satzung der Institution zu verabschieden, den Jahresbericht anzunehmen und dem Kauf oder der Gründung einer Wirtschaftseinheit zuzustimmen. Auch die Zuständigkeit für das Ausschreibungsverfahren für den Posten des*der Rektor*in kann laut Satzung beim Kuratorium liegen. Damit wäre die jahrhundertealte institutionelle Autonomie der Universitäten aufgehoben; Entscheidungskompetenzen der Universitätsgremien und Senate, die wesentliche Fragen betreffen, würden praktisch an das Kuratorium übertragen werden. Fällt demnach fortan die Verabschiedung der Geschäftsordnung von Universitäten in den Zuständigkeitsbereich der Kuratorien, so öffnet das Tür und Tor für die Einmischung in wissenschaftliche und pädagogische Fragen – was ernsthafte Zweifel aufkommen lässt (siehe zum Beispiel das Recht, die leitenden Lehrkräfte für die einzelnen Klassen der Universität für Theater- und Filmkunst zu ernennen)

UNSICHERE EIGENTUMSVERHÄLTNISSE BEZÜGLICH DES HOCHSCHULVERMÖGENS

Die Aufsichts- und Eigentumsrechte der staatlichen Universitäten werden Stiftungen des öffentlichen Rechts übertragen, deren Vorsitzende und Mitglieder gleichzeitig die Eigentümerrechte ausüben. Die Hochschulen sollen das Vermögen erhalten, und die für ihre Arbeit erforderlichen Ressourcen sollen auch weiterhin aus dem Staatshaushalt kommen. Wer garantiert, fragen die Zweifelnden, dass die Hochschulen diese Ressourcen auch in Zukunft erhalten werden, dass das Vermögen nicht den Kuratorien übereignet wird und dass die Hochschulen nicht gezwungen werden, auf Angebote hin, „die sie nicht ablehnen können“, ihr Vermögen zu veräußern?

WAS BEWIRKT DIE REDUKTION DER RECHTSVERPFLICHTUNGEN IM ÖFFENTLICHEN BESCHAFFUNGSWESEN?

Zwar beurteilt es die Regierung positiv, dass die den Modellwechsel vollziehenden Hochschulen in der Provinz von den Einschränkungen, die für den Staatshaushalt gelten, befreit werden und dass inländische und ausländische Entwicklungsgelder durch die Reduktion der Verpflichtungen im öffentlichen Beschaffungswesen für sie leichter zugänglich werden; trotzdem legen viele dies anders aus: Kommt den Kuratorien die entscheidende Rolle zu, was die Auswahl der Gewinner von Ausschreibungen in den Bereichen Investitionen, IT-Entwicklung und Beschaffung notwendiger Arbeitsmaterialien betrifft, so kann das den Boden für Korruption und Missbrauch bereiten. Manche Stimmen sagen, man hätte vielmehr Änderungen am Gesetzesumfeld – welches das Hochschulwesen wirtschaftlich lähmt – vornehmen sollen, anstatt das Modell von Verwaltung und Trägerschaft umzuwandeln.

„UNPRODUKTIVE“ WISSENSCHAFTEN

Viele machen sich Sorgen um die „unproduktiven“ Gebiete – beispielsweise um philosophische Fächer oder die Künste – und befürchten, dass diese in den Hintergrund gedrängt werden könnten, wenn die Hochschulen finanzielle Erfolge anstreben sollen und daran gemessen werden. Auch die als „Trost“ gedachte Anspielung auf eine Redewendung ist eher unglücklich und degradierend formuliert, nämlich: Es sei zwar eine natürliche Bestrebung, dass man sich „bis zum Saum seiner eigenen Decke strecken“ möge; es könne aber – wenn notwendig – aus Solidarität ermöglicht werden, dass die betroffene Hochschule noch ein paar Zentimeter „drannähen“ darf.

Professor Mihály Szajbély betonte in seiner nun veröffentlichten Wortmeldung in der Sitzung der Universität Szeged vom 29. Januar 2021: „Es ist eine unglückliche Bildungspolitik, die nicht davon ausgeht, dass die Finanzierung der Bildung eine staatliche Aufgabe ist und stattdessen die Hochschulen auf eine Bahn der Selbsterhaltung, in den Wettbewerb mit Marktteilnehmern lenkt. Dieser Zwang ist von Anfang an ein Faktor zur Verringerung der Autonomie. Er misst die Bildungs- und Forschungstätigkeit nicht an ihrem eigenen Wert, sondern am direkten wirtschaftlichen Ertrag. Dadurch werden die Institutionen gezwungen, ihren akademischen Auftrag in den Hintergrund zu drängen.

SOZIALE AUSWIRKUNGEN

Auch bezüglich der langfristigen sozialen Auswirkungen des Modellwechsels gibt es viele Bedenken. Der Staat plant nämlich, 20- bis 22-jährige Rahmenverträge mit den Institutionen abzuschließen und diese dann in kurzfristigen Finanzierungsvereinbarungen zu aktualisieren. Viele meinen, dass dies unweigerlich zur Verringerung der Zahl der staatlich finanzierten Studienplätze bzw. zur Erhöhung der Zahl der gebührenpflichtigen Studienplätze und auch der Studiengebühren selbst führen würde. József Pálinkás, ehemaliger Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, schreibt in seinem Beitrag Der Modellwechsel der Hochschulen ist für die Fidesz lediglich eine Machtfrage im Wochenmagazin HVG (Heft vom 13. Januar 2021): Im Prinzip werden diese Institutionen (…) schon als Privatinstitutionen funktionieren. Warum ist das schlecht für das Land? Deshalb, weil die wichtigsten Fächer in der Hochschulausbildung durch eine derartige Umstrukturierung der Institutionen immer mehr in Richtung einer gebührenpflichtigen Ausbildung getrieben werden können. Die entscheidende Mehrheit der Familien wird die finanziellen Mittel nicht aufbringen können, ihren begabten Kindern durch Lernen einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen, damit sie gute Stellen besetzen können im Justiz-, Verwaltungs- oder Gesundheitswesen, bis hin zu Positionen an Universitäten.“

Die kurz bemessene Frist für eine Entscheidung seitens der Senate für oder gegen den Modellwechsel, der Mangel an breiter gefächerten Informationen und die mangelnde Abstimmung mit allen Beteiligten sorgen für schlechte Stimmung und viele Spannungen. Die sachlich-fachliche Argumentation wird von Aversionen gegenüber der Regierung überschattet, was die Herausbildung objektiver Meinungen und Standpunkte erschwert. Die Umstrukturierung des Hochschulwesens wird von Plänen, Visionen, von sehr vielen unbeantworteten Fragen und von der Suche nach Garantien begleitet.

Es ist zu befürchten, dass mit Antworten nicht in den nächsten Wochen zu rechnen ist. Und langfristig werden mahnende Stimmen – „Siehe da, ich habe es vorausgesagt!“ – in den meisten Fällen in Vergessenheit geraten.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst beim Goethe-Institut Budapest und in deutscher Übersetzung von Lutz Heis bei UNGARNREAL, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


Ein Gedanke zu „Ungarn: Pro und Contra zum Modellwechsel im Hochschulwesen“
  1. Bin ich hier bei einer konservativen Redaktion – oder ? Es hat mich verwundert, dass in dem 1. Abschnitt mit dem ” * ” der sogenannten Genderindelogie gehundigt wird. Besser ausschreiben Politikerin und Politiker und Bürgerin und Bürger – so viel Zeit müßte sein!

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