Ungarns „umstrit­tenes“ Klub­rádió: eine Lageanalyse

Foto: Ungarn Real

Von Irén Rab *

Wie sehr die Autorin Recht hatte, wissen wir bereits heute. Klub­rádió hat neue Unter­lagen einge­reicht und es wird seine geliebte Frequenz zurück­be­kommen. Viel Lärm um nichts. Wie es im Artikel steht.

Eine funkelnde Kerze erhellt die einzelne Rose auf dem Tisch, sonst ist die Umge­bung dunkel. Die Land­schaft verschwindet in der Infor­ma­ti­ons­dun­kel­heit. Ungarns letztes „Wahr­heits­radio” ist abge­schaltet. An der Zere­monie nahmen dem Bericht zufolge auch deut­sche und andere Kollegen teil, die sich um die Unab­hän­gig­keit der unga­ri­schen Medien sorgen, selbst das deut­sche öffent­lich-recht­liche Fern­sehen war zugegen. Die demo­kra­ti­sche Oppo­si­tion Ungarns, ange­führt vom unab­hän­gigen Abge­ord­neten Hadházy, kam mit einer Fackel in der Hand. Es gab Tränen in den Augen, aber auch Kampf­fieber, sie werden die Schlacht nicht aufgeben, wenn nötig, bringen sie ihren Kampf für die Wahr­heit bis zum Euro­päi­schen Gerichtshof.

Natür­lich müssen sie das tun, genau das ist es, was von ihnen erwartet wird, man braucht wieder eine saftige neue Geschichte, um Defi­zite in der Rechts­staat­lich­keit Ungarns beschei­nigen zu können! Die auslau­fende Lizenz und der Weg zum Gericht mit der Beru­fung kam zupass. Es war klar, dass das Gericht, das genau nach den Buch­staben des Gesetzes entscheidet, die Beru­fung zurück­weisen muss und dann können zwei Fliegen mit einer Klat­sche an der Mauer des Rechts­staats­me­cha­nismus totge­schlagen werden: die Einschrän­kungen in der Pres­se­frei­heit und die mangelnde rich­ter­liche Unabhängigkeit.

Dann, am nächsten Tag nach der Abschal­tung, kann man natür­lich sofort eine neue Frequenz bean­tragen, das wird Klub­rádió tun und selbst­ver­ständ­lich auch erhalten.

Klar wird dies später als ein weiterer Beweis für die Schwäche von Orbáns Politik darge­stellt werden, da er offen­sicht­lich gezwungen war, Brüssel nachzugeben.

Unter dem Vorwand des Klub­rá­diós begann die Anti-Orbán-Sensi­bi­li­sie­rung der west­li­chen Öffent­lich­keit bereits Anfang Februar. Damals spra­chen sie nur über die als Damo­kles­schwert über dem Klub­rádió schwe­bende Bedro­hung. Die Verstöße, welche eine auto­ma­ti­sche Verlän­ge­rung der Frequenz­ge­neh­mi­gung juris­tisch verun­mög­lichten, wurden dabei nicht erwähnt. Die Gefahr für das Klub­rádió wurde als weiteren Schlag gegen die Demo­kratie darge­stellt, der verdeut­licht, dass Orban & Co die Kontrolle über die Medien in Ungarn endgültig über­nehmen wollen. Die von der Medi­en­be­hörde fest­ge­stellten Verstöße werden für einen Westler sowieso als klein­ka­riert und nicht nach­voll­ziehbar erscheinen, obwohl er sich ansonsten zu Hause stets buch­sta­ben­ge­treu an das Recht hält.

Nach dem Gerichts­ur­teil wurde eine neue Protest­welle für die Pres­se­frei­heit in Ungarn gestartet. Von Bangkok bis Brüssel fanden Proteste statt, erstere wurden vermut­lich von unga­ri­schen Rent­nern in Thai­land und letz­tere wahr­schein­lich von der bunten unga­ri­schen Oppo­si­tion orga­ni­siert. Unter­dessen sammelten die inter­na­tio­nalen Medien Muni­tion vor Ort, damit sie am Montag in allen Nach­richten des meist­ge­se­henen deut­schen Senders ARD ausge­strahlt werden konnte.

Ich wurde auch von dort infor­miert; bei den mit mora­li­scher Über­le­gen­heit vorge­tra­genen Halb­wahr­heiten und offen­sicht­li­chen Mani­pu­la­tionen ballte sich die Hand zur Faust. Ich war damit nicht allein, wer die Medi­en­ver­hält­nisse in Ungarn tatsäch­lich kennt, fühlte genauso wie ich. Natür­lich hatten dieje­nigen, die nur aus dieser einzigen Quelle infor­miert wurden, eine andere Meinung: 90 % der Kommen­ta­toren auf Twitter forderten den sofor­tigen Ausschluss Ungarns oder zumin­dest Viktor Orbáns aus der EU.

In den deut­schen Berichten kam der Besitzer von Klub­rádió und einige seiner Kollegen zu Wort, sie präsen­tierten ihre eigene Version, was ja in Ordnung wäre, denn jeder ist sich bekannt­lich selbst der nächste. Die Medi­en­be­hörde wurde über­haupt nicht kontak­tiert, dort sitzen ja Orbáns Leute. Darüber hinaus bestand für die ARD keine Notwen­dig­keit für eine andere Meinung, Fakten­check oder ausge­wo­gene Infor­ma­tionen. Anstelle der Behörde fragten sie eine Rent­nerin, Tante Magdi, die sich darüber beschwerte, dass die Obrig­keit durch die Abschaf­fung des Senders ihr Recht auf Zugang zu den einzig wahren Nach­richten vernichtet habe, obwohl ihr das zustünde.

Nicht nur Tante Magdi, sondern auch viele andere Rentner von den etwa achtzig Prozent der zwei­hun­dert­tau­send Kern­zu­hörer dieses Senders wurden befragt, für sie bedeuten die Worte von Genosse Bolgár (ein Über­bleibsel des sozia­lis­ti­schen Einheits­rund­funks) ihr tagtäg­li­ches Ideo­lo­gie­brot. Das große Bedauern brach schluss­end­lich darüber los, dass ältere Menschen das Internet nicht nutzen könnten, sie seien ja nicht internetaffin.Ich würde solche Aussagen doppelt zurück­weisen, erstens im Namen des Klub­rá­diós, weil sich dieser Sender dadurch als letzter Trost einer margi­nalen Schicht von alten Menschen präsen­tiert und seine als bunt bezeich­neten Sendungen sowie seine Viel­falt gleich­zeitig abge­wertet werden. Ande­rer­seits würde ich diese Meinung auch im Namen der Rentner sofort zurück­weisen, weil sie darauf hindeutet, dass der unga­ri­sche Rentner unge­bildet, unter­ent­wi­ckelt und unfähig ist, sich in der modernen Welt zurechtzufinden.

Auch Miklós Hargitai von der linken Tages­zei­tung Néps­zava, Präsi­dent des unga­ri­schen Jour­na­lis­ten­ver­bands MUOSZ, kam zu Wort und entspre­chend der Rollen­ver­tei­lung sprach er über die überaus wich­tige Rolle von Klub­rádió in der unga­ri­schen Medi­en­welt. Es stimme zwar, dass Klub­rádió nur ein – der Gesamt­heit der Ungarn zu Unrecht entzo­gener – Bezirks­sender ist, aber laut Hargitai kann er noch fünfzig Kilo­meter von Pest entfernt empfangen werden, sogar am Ufer des Plat­ten­sees. (Der Plat­tensee ist von Buda­pest etwa hundert Kilo­meter entfernt.) Er hat damit unge­fähr genauso Recht wie mit der Behaup­tung, dass Klub­rádió der einzige Sender ist, in dem man in Ungarn noch frei reden kann.

Der Grünen-Abge­ord­nete Daniel Freund gab dem Verdikt eine inter­na­tio­nale Perspek­tive. Freunds Name sollte man sich merken, er ist jetzt der neue Sargen­tini. “Ungarn hat mit Klub­rádió sein letztes freies Radio verloren”, sagte er. „Es geht hier aber nicht nur um die Pres­se­frei­heit in Ungarn, sondern Viktor Orbáns Vorgehen gefährdet die Demo­kratie in ganz Europa. Und wir dürfen nicht weiter tatenlos zuschauen, während Orbán vor Ort Fakten schafft. Es ist der nächste Sieg für Viktor Orbán in seinem Zehn-Jahres-Kreuzzug gegen regie­rungs­kri­ti­sche Medien”, so Freund. Der junge grüne Daniel forderte sogar auch seinen Lands­mann, den neuen Vorsit­zenden der CDU auf, Fidesz endlich aus der Euro­päi­schen Volks­partei auszu­schließen. Clever! Er will ja auch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Der Ausschluss würde die Volks­partei schwä­chen und die Posi­tion der Grünen im Euro­pa­par­la­ment stärken.

Daniel Freund ist mit seinem Wunsch nicht allein. Kaum, dass Anna Donáth (EP-Abge­ord­nete der unga­ri­schen Split­ter­partei Momentum) am Montag­morgen die Augen aufschlug, teilte sie ihren Anhän­gern auf Face­book mit, dass sie im Namen ihrer Partei, ihrer Partei­fa­milie und aller wahr­heits­ge­treuen Ungarn die Einlei­tung des EU-Rechts­staats­me­cha­nismus gegen Ungarn fordere, um das Klub­rádió und die Pres­se­frei­heit in Ungarn zu vertei­digen! In ihrer Argu­men­ta­tion war die Beschrei­bung, die man im Deut­schen Fern­sehen hörte, manchmal Wort für Wort wieder zu finden. Oppo­si­ti­ons­ab­ge­ord­nete, die dem Euro­päi­schen Parla­ment ange­hören, sind in der Brüs­seler Struktur komfor­tabel eingebettet.

Zurück auf Klub­rádió: Warum ist die inter­na­tio­nale Öffent­lich­keit am Schicksal eines zwei­hun­dert­tau­send, – na gut, nehmen wir an, eine halbe Million – Zuhörer zählenden regio­nalen Radio­sen­ders dermaßen inter­es­siert? An einem Sender, dessen Sprache, selbst wenn er welt­weit ausge­strahlt werden würde, nur solche Menschen erreichte, welche der unga­ri­schen Sprache mächtig sind. Das mag sogar ihr Glück sein, denn wenn die Euro­päer, welche dieses Radio so heftig unter­stützen, die Hass­bot­schaften, die dort regel­mäßig geäu­ßert werden, tatsäch­lich verstünden, würden sie sich mögli­cher­weise fragen, ob ein solcher Sender in einem Rechts­staat über­haupt tole­riert werden kann?

Ich weiß nicht, ob sie einen Radio­sender, der in unzu­läs­siger Weise und offen gegen die bestehende demo­kra­ti­sche Ordnung, gegen eine recht­mäßig gewählte Regie­rung hetzt, als Wahr­heits­sender bezeichnen würden. Wo selbst neutrale Nach­richten der unga­ri­schen Nach­rich­ten­agentur MTI Nach­richten so betont werden, dass auch der wahr­heits­ge­mäße Inhalt sofort in Frage gestellt wird.

Und ich weiß nicht, auf welcher Grund­lage sich ein Radio­sender als objektiv und unab­hängig bezeichnen kann, wenn er eine eindeutig linke Denk­weise reprä­sen­tiert, wenn er nur von Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­kern unter­stützt und dessen Nicht-Ende nur von ihnen beklagt wird.

Klub­rádió ist nicht unab­hängig, es ist nicht objektiv, es ist ein linkes Oppo­si­ti­ons­radio. Dazu sollte es wenigs­tens stehen!

Ich persön­lich bedauere den jetzigen Frequenz­ver­lust, weil ich Klub­rádió regel­mäßig im Auto höre, ich mag seine Kultur­sen­dungen und ich mag es, mich viel­seitig zu infor­mieren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihnen im Internet folgen werde, obwohl man das jetzt tatsäch­lich welt­weit könnte, nicht nur bis in die Nähe des Plattensees.

Der hier wieder­ge­ge­bene Meinungs­bei­trag erschien am 19. Februar auf dem Online-Portal der konser­va­tiven Tages­zei­tung Magyar Hírlap. Eine deut­sche Über­set­zung von Dr. Andrea Martin erschien zuerst bei Ungarn Real, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


*) Irén Rab ist promo­vierte Kultur­his­to­ri­kerin und studierte unga­ri­sche Philo­logie, Biblio­the­kwis­sen­schaft und Geschichte sowie Euro­pa­stu­dien an unga­ri­schen Univer­si­täten. 2003–2014 war sie als Dozentin für Hunga­ro­logie an der Univer­sität Göttingen tätig. Bis  2017 lebte sie in Deutsch­land. Seit ihrer Heim­kehr nach Buda­pest beschäf­tigt sie sich weiterhin mit wissen­schaft­li­chen Forschungen und publi­ziert in verschie­denen Zeitungen in Ungarn zum Themen­be­reich Gesell­schafts­po­litik. Sie postet auf ihrem Blog Ungarn-Real regel­mäßig Pro-Ungarn-Artikel aus dem konser­va­tiven Lager.


1 Kommentar

  1. „Klar wird dies später als ein weiterer Beweis für die Schwäche von Orbáns Politik darge­stellt werden, da er offen­sicht­lich gezwungen war, Brüssel nachzugeben.“

    Ganz sicher sogar! Wir müssen uns – immer wieder – vor Augen halten, dass wir es mit einem Feind zu tun haben, welcher derzeit noch ziem­lich mächtig ist. 

    Der Feind ist zwar auch bereits „ange­zählt“, aber somit auch beson­ders gefährlich.

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