Repres­sion: Wie Staaten usur­pierte Völker zu entna­tio­na­li­sieren trachten – am Beispiel Südtirols

Von Rein­hard Olt *

„Um Völker auszu­lö­schen, beginnt man damit, sie ihrer Erin­ne­rung zu berauben. Man zerstört ihre Bücher, ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre Symbole, ihre Fahne. Andere schreiben dann ihre Bücher, geben ihnen eine andere Kultur, erfinden für sie eine andere Geschichte und zwingen ihnen andere Symbole und eine andere Fahne auf. Danach beginnt das Volk zu vergessen, wer es gewesen ist, wenn nicht die geschicht­liche Erin­ne­rung von neuem geweckt wird.“

Als Gabriele Marzocco, der verstor­bene wort­mäch­tige Histo­riker und publi­zis­ti­sche Streiter für die Wahrung ethni­scher Iden­ti­täten zu dieser Fest­stel­lung gelangte, hatte er gewiss nicht allein seine neapo­li­ta­ni­schen Mitbürger im Blick gehabt, für deren volk­liche Eigen­arten und Eigen­stän­dig­keit er sich in der von ihm gegrün­deten Zeit­schrift „Nazione Napo­le­tana“ vehe­ment einsetzte. Selbst­ver­ständ­lich war ihm auch das Schicksal derer vertraut, die sich Italien insbe­son­dere nach dem Ersten Welt­krieg einver­leibte und – ganz gleich, ob in Rom faschis­ti­sche Schwarz­hemden oder demo­kra­ti­sche Weiß­hemden bestimmten – seiner rück­sichts­losen Entna­tio­na­li­sie­rungs­po­litik mit dem Ziel der „ewigen Italia­nità“ unterzog.

Markan­testes Beispiel dafür ist der südliche Landes­teil Tirols, den es 1918 besetzte, wegen seines 1915 voll­zo­genen Seiten­wech­sels im schänd­li­chen „Frie­dens­ver­trag“ von Saint- Germain-en-Laye 1919 als Kriegs­beute zuge­spro­chen bekam und 1920 auch förm­lich annek­tierte. Das faschis­ti­sche Italien suchte dann ab Oktober 1922 alles auszu­merzen, was zwischen Brenner und Salurn auch nur im Entfern­testen an die in Jahr­hun­derten entstan­dene deutsch-öster­rei­chi­sche kultu­relle Prägung erin­nerte. Denn wer dem eigenen fremdes Terri­to­rium einver­leibt, muss der ange­stammten Bevöl­ke­rung die Iden­tität rauben, soll die Anne­xion Bestand haben.

Der Entna­tio­na­li­sie­rung sind die zuge­fügten imma­te­ri­ellen Schäden auf Dauer beson­ders förder­lich, wenn zuvor­derst die Umbe­nen­nung von Namen, die an Orten, Plätzen, Sied­lungen, Wegen, Bächen, Flüssen und Bergen haften, ange­ordnet und – bis hin zu Vor- und Fami­li­en­namen, selbst auf Grab­stätten – uner­bitt­lich durch­ge­setzt wird. Seit der Macht­über­nahme Musso­linis war Südtirol Exer­zier­feld römi­scher „Umvol­kungs­po­li­tiker“. Unter seinem Getreuen Ettore Tolomei, der dies an der Spitze einer Gruppe fana­ti­scher geis­tiger Eroberer von Bozen aus ins Werk setzte, wurde bis zum zweiten Seiten­wechsel Italiens 1943 das gesamte Namensgut des „Alto Adige“ („Hoch-Etsch“) italia­ni­siert. Mit den will­kür­lich gebil­deten iden­ti­täts­ver­fäl­schenden Namen sollte der fremd­ge­prägte Kultur­raum nicht etwa nur geistig Italien unter­worfen werden, sondern nach außen hin wurde der sprach­liche Verge­wal­ti­gungsakt als „Re-Italia­ni­sie­rung“ ausgegeben.

Mittei­lung der Zeitung „Der Lands­mann“ (zuvor „Der Tiroler“) vom 24. Oktober 1925 über den zwin­gend vorge­schrie­benen Gebrauch der italie­ni­schen Orts­na­mens-Erfin­dungen. Foto: Archiv Golowitsch

Dafür musste, neben dem prin­zi­pi­ellen Verbot der deut­schen Sprache in der Öffent­lich­keit, in Ämtern, auf Behörden, in Zeitungen, Zeit­schriften und sons­tigen Publi­ka­tionen, vor allem das Schul­wesen herhalten, wo der faschis­tisch-brachiale Umer­zie­hungs­furor am rigo­ro­sesten wütete. Die von einer Autoren­gruppe unter Ägide des vom Verein Südti­roler Geschichte zusam­men­ge­stellte und in einem im effekt!-Verlag (Neumarkt/Etsch) unlängst als Buch erschie­nene Doku­men­ta­tion, veran­schau­licht dies, versehen mit aussa­ge­starken authen­ti­schen Beispielen, die auch für Gegen­wart und Zukunft Mahnung sind, auf prägnante Weise. Im Buch­titel „Die Deut­schen brau­chen keine Schulen“ steckt der Haupt­teil einer bereits ein Jahr nach der Einver­lei­bung Südti­rols in den italie­ni­schen Staats­ver­band vom dama­ligen italie­ni­schen Vize­prä­fekten der Provinz Bozen, Giuseppe Bolis, getä­tigten sympto­ma­ti­schen Äuße­rung, die gleichsam als Richt­linie für das faschis­ti­sche Erzie­hungs­we­sens galt: „Die Deut­schen brau­chen keine Schulen, und wir brau­chen auch keine Deutschen“.

Als sich alle kolo­nia­lis­ti­schen Zwangs­maß­nahmen, die Bevöl­ke­rung des „Hoch­e­tsch“ („Alto Adige“, gemäß damals verord­neter, allein­gül­tiger Benen­nung) zu assi­mi­lieren, als fruchtlos erwiesen, zwangen die „Achsen­partner“ Musso­lini und Hitler die Südti­roler in einem perfiden Abkommen, entweder für das Reich zu optieren und über den Brenner zu gehen oder bei Verbleib in ihrer Heimat schutzlos der gänz­li­chen Italia­nità anheim zu fallen. Obschon die meisten für Deutsch­land optierten, verhin­derte der Zweite Welt­krieg die kollek­tive Umsied­lung. 1946 lehnten die Alli­ierten die Forde­rung nach einer Volks­ab­stim­mung in Südtirol ab. Woraufhin sich in Paris die Außen­mi­nister Öster­reichs und Italiens auf eine Über­ein­kunft verstän­digten, von welcher Bozen, Inns­bruck und Wien die verbriefte Gewähr für die auto­nome Selbst­ver­wal­tung des Gebiets sowie den Erhalt der Tiro­lität seiner Bevöl­ke­rung gesi­chert wissen glaubten.

Doch Alcide DeGas­peri bog die im Abkommen mit Karl Gruber vom 5. September 1946 gege­benen Zusagen so um, dass die verspro­chene Auto­nomie nicht speziell für die Provinz Bozen, sondern für die Region Tren­tino-Alto Adige galt, in die beide Provinzen verbunden wurden. Das schiere Über­ge­wicht des italie­ni­schen Bevöl­ke­rungs­ele­ments bewirkte zwangs­läufig die Majo­ri­sie­rung des deutsch-öster­rei­chi­schen sowie des ladi­ni­schen Tiroler Volks­teils und führte die für Bozen eigen­ständig auszu­üben verspro­chene poli­tisch- admi­nis­tra­tive und kultu­relle Selbst­ver­wal­tung ad absurdum.

Das Nieder­halten der Südti­roler – doku­men­tiert anhand bislang unver­öf­fent­lichter Zeugenberichte

Schon als sich die Nieder­lage NS-Deutsch­lands in Umrissen abge­zeichnet hatte, setzten im Gebiet der „Opera­ti­ons­zone Alpen­vor­land“, zu der das südliche Tirol nach Abset­zung Musso­linis und Seiten­wech­sels Italiens 1943 gehörte, italie­ni­sche Parti­sanen aus dem „befreiten Italien“ alles daran, Fakten zu schaffen, welche von vorn­herein für die Zeit nach Kriegs­ende den Verbleib Südti­rols im Stie­fel­staat gewähr­leisten sollten. Es ist das blei­bende Verdienst des Histo­ri­kers Helmut Golo­witsch, anhand einer Fülle archi­vierten Mate­rials in seinem soeben erschie­nenen Buch „Repres­sion. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ (Neumarkt/Etsch, Effekt! Verlag 2020, ISBN-9788897053682) eindrück­lich und muster­gültig doku­men­tiert zu haben, wie diese Insur­genten operierten, um die Südtirol-Frage auf ihre Art und Weise ein für alle Mal zugunsten des aber­ma­ligen Kriegs­ge­winn­lers Italien zu beantworten.

Bislang unbe­kannte Berichte betrof­fener Terror-Opfer, welche damals von Pfarr­äm­tern und SVP-Orts­gruppen proto­kol­liert und als Origi­nale oder Kopien auf gefähr­li­chen Wegen über die Berge nach Nord­tirol gebracht worden waren. Foto: Archiv Golowitsch

Man fragt sich, warum diese zum einen im Bozner, zum andern im Inns­bru­cker Landes­ar­chiv sowie nicht zuletzt im Öster­rei­chi­schen Staats­ar­chiv zu Wien frei zugäng­li­chen Samm­lungen authen­ti­scher Berichte aus dem während des fakti­schen „Inter­regnums“ von massiven Repres­sa­lien über­zo­genen südli­chen Landes­teil Tirols sich unbe­sehen in dunklen Archiv­ma­ga­zinen befanden, bis sie der Publi­zist ans Licht hob, minu­tiös aufbe­rei­tete und 75 Jahre nach Kriegs­ende der (zumin­dest inter­es­sierten) Öffent­lich­keit jetzt präsen­tiert. Und kann sich eigent­lich nur eine nahe­lie­genden Antwort geben, nämlich dass die herkömm­liche (und zumin­dest in Teilen ideo­lo­gisch dogma­ti­sie­rende univer­si­täre) Zeit­ge­schichts­for­schung zum Südtirol-Konflikt dieses authen­ti­schen Quel­len­ma­te­rial igno­rierte, weil dessen bestür­zender Inhalt der in der Zunft domi­nanten zeit­geis­tigen poli­tisch-korrekten „Opinio comunis“, insbe­son­dere hinsicht­lich ihrer quasi kano­ni­sierten Betrach­tungen über „bella Italia“, zuwiderläuft.

Wie stellt sich nun das Ergebnis der Kärr­ner­ar­beit Golo­witschs für uns Nach­ge­bo­rene dar, und welche gewinn­brin­gende Erkenntnis vermögen wir daraus zu ziehen? Gegen Kriegs­ende keimte in Südtirol die Hoff­nung auf Wieder­an­glie­de­rung an Nord- und Osttirol und damit auf Rück­kehr zu Öster­reich. Alle Kund­ge­bungen, auf denen diesem Wunsch Ausdruck gegeben werden sollten, liefen den Inter­essen der west­li­chen Sieger­mächte zuwider, die, den nieder­ge­henden „Eisernen Vorhang“ und den auf Stalins rigider Macht­po­litik zur Absi­che­rung des Mosko­witer Vorhofs dräu­enden Ost-West-Konflikt vor Augen, Italien, wo zudem die KPI zuse­hends an Anhän­ger­schaft gewann, in ein Bündnis einbauen wollten, weshalb insbe­son­dere Washington die römi­sche Politik tatkräftig unter­stützte. Mithin unter­lagen in Südtirol alle Bemü­hungen, dem Wieder­ver­ei­ni­gungs­ver­langen öffent­lich Stimme und Gewicht zu verleihen, den vom ameri­ka­ni­schen Militär ange­ord­neten Kund­ge­bungs­ver­boten. Über­dies wurden alle Versuche, die zum Ziel hatten, weithin vernehm­lich einzu­treten für die Selbst­be­stim­mung und für das Recht, sie zu ermög­li­chen, durch behörd­lich gedul­dete Terror­ak­tionen gegen die Bevöl­ke­rung unterbunden.

Terror durch „Nach­kriegs­par­ti­sanen“ und unifor­mierte Plünderer

An massiven Über­griffen auf Propo­nenten von Selbst­be­stim­mung und Rück­glie­de­rung sowie gegen die prin­zi­piell zu Nazis gestem­pelten deutsch- öster­rei­chi­schen und ladi­ni­schen Bevöl­ke­rungs­teile Südti­rols waren neben maro­die­renden und gleichsam in Banden umher­zie­henden Trägern italie­ni­scher Uniformen vor allem auch Ange­hö­rige des sich „anti­fa­schis­tisch“ gebenden italie­ni­schen Befrei­ungs­aus­schusses CLN (Comi­tato di Libe­ra­zione Nazio­nale) betei­ligt. In dessen „Resistenza“-Formation reihten sich vorma­lige Faschisten ein, die rasch die Montur, aber nicht die Stoß­rich­tung gewech­selt hatten, nämlich die beschleu­nigte Fort­füh­rung der Unter­wan­de­rung mit dem Ziel der unaus­lösch­li­chen Verwand­lung Südti­rols in einen in jeder Hinsicht rein italie­ni­schen Landstrich.

Cara­bi­nieri und Alpini in Südtirol schritten nicht gegen den Terror ein – Unifor­mierte betei­ligten sich zum Teil sogar daran. Fotos: Archiv Golowitsch

Italie­ni­sche Bewaff­nete zu Kriegs­ende – unter ihnen zahl­reiche „Nach­kriegs­par­ti­sanen“

Im Mittel­punkt der Publi­ka­tion Golo­witschs stehen daher die gegen Personen(gruppen) und Sachen verübten Gewalt­taten sowie die im südli­chen Tirol zwischen (den Wirren und der eher unüber­sicht­li­chen Lage bis zum) Kriegs­ende 1945 und der Entschei­dung der alli­ierten Außen­mi­nister vom 1. Mai 1946, die Forde­rung Öster­reichs nach Rück­glie­de­rung Südti­rols abzu­weisen, insge­samt obwal­tende Repres­sion. „Nach­kriegs­par­ti­sanen“ sowie Gewalt­täter aus den Reihen des die ameri­ka­ni­schen Besat­zungs­truppen ablö­senden italie­ni­schen Mili­tärs, wie etwa der „Kampf­gruppe Folgore“ und der „Kampf­gruppe Friuli“, bedrohten die deut­sche und ladi­ni­sche Bevöl­ke­rung, plün­derten, raubten, mordeten unge­sühnt und hielten damit die aus persön­li­chem Erleben wie kollek­tiver Erfah­rung seit 1918 eher verängs­tigte Südti­roler Bevöl­ke­rung nieder.

Soldaten der Kampf­gruppe „Folgore“ ( „Blitz“)

Mit sozu­sagen von oben begüns­tigtem, weil staat­lich gebil­ligtem Terror konn­te­daher im „demo­kra­ti­schen Italien“ die nahezu bruch­lose Fort­füh­rung derfa­schis­ti­schen Politik einhergehen.

Es gab eine Reihe Südti­roler Mord­opfer. Die an ihnen began­genen Untaten wurden nie gesühnt. Fotos: Archiv Golowitsch

Die Refa­schi­sie­rung des Landes

Frühere Faschisten wurden weithin in ihre vormals beklei­deten Ämter und Funk­tionen wieder­ein­ge­setzt, sodass sich im öffent­li­chen Leben allmäh­lich eine fakti­sche Refa­schi­sie­rung einstellte. Golo­witschs Doku­men­ta­tion fördert klar zutage, wie eben just ab 1945 die römi­sche Zwischen­kriegs­po­litik des Ethno­zids im neuen, aber kaum anders gestrickten Gewande fort­ge­setzt wurde. Deren Bestim­mung war es, durch staat­lich geför­derte Zuwan­de­rung aus dem Süden Italiens die zuvor von Musso­lini und seinen Getreuen bis an die „Grenze des Vater­landes“, wie es das geschichtsfäl-schende faschis­ti­sche „Sieges­denkmal“ in Bozen propa­giert, ins Werk gesetzte Auslö­schung der deut­schen und ladi­ni­schen Teile des Tiroler Volks­kör­pers zu voll­enden und das Land an Eisack und Etsch gänz­lich der Italia­nità anzuverwandeln.

Um nur eines von vielen markanten Beispielen aus der Fülle der in der Doku­men­ta­tion ausge­brei­teten zeit­ge­nös­si­schen Zeug­nisse zu nennen, sei hier jener aufschluss­reiche Vermerk vom September 1945 erwähnt, worin es heißt, die am 8. Mai 1945 gegrün­dete (und bis heute im Lande domi­nante) Südti­roler Volks­partei (SVP) habe wöchent­lich mehrere Über­fälle, Dieb­stähle, Raub, Plün­de­rung und Mord bezeu­gende Tatbe­richte erhalten. Der „Volks­bote“, das SVP-Partei­organ, meldete am 21. März 1946, in einer einzigen Eingabe an die zustän­digen Behörden seien 60 teils blutige, teils unblu­tige Über­fälle aufge­zählt gewesen.

Sich duckende poli­ti­sche Führung – der Klerus auf Seiten des Volkes

Zu denen, die derar­tige Gescheh­nisse ereignis- und ablauf­ge­treu wieder­gaben sowie nicht selten selbst schrift­lich fest­hielten, in Berichts­form abfassten und an sichere Gewährs­leute über­gaben, die sie nach Inns­bruck brachten, gehörten in vielen Fällen katho­li­sche Geistliche.

Nahezu alle Orts­pfarrer Südti­rols sammelten und unter­schrieben Peti­tionen, in denen die  Wieder­ver­ei­ni­gung Tirols und die Rück­kehr zu Öster­reich gefor­dert wurde. Fotos: Archiv Golowitsch

Indes fördert Golo­witschs Publi­ka­tion auch von Ängst­lich­keit, Unter­wer­fung und Arran­ge­ment hervor­ge­ru­fene Leise­tre­terei zutage, die sich nicht anders denn alspo­li­ti­sches Fehl­ver­halten charak­te­ri­sieren lässt. So fürch­teten Partei­gründer underster SVP-Obmann Erich Amonn und sein Partei­se­kretär Josef Raffeiner eigener Aussage zufolge für den Fall, dass sie die ihnen aus Orts­gruppen ihrer Partei zuge­gan­genen Tatbe­richte öffent­lich gemacht hätten, Anklage und Verur­tei­lung wegen des straf­be­wehrten Delikts „Schmä­hung der italie­ni­schen Nation und der bewaff­neten Streit­kräfte“ aus dem trotz Regime­wech­sels nach wie vor in Kraft befind­li­chen­fa­schis­ti­schen „Codice Penale“. Weshalb Sie die Berichte zwar verwahrten, aber­ver­schwiegen. Selbst Vertreter der alli­ierten Sieger­mächte, die ja der Form nach dieei­gent­liche Gewalt im Lande hätten inne­haben und ausüben müssen, wozu gehört hätte, die offen­kun­digen italie­ni­schen Umtriebe zu unter­binden, setzten sie nur münd­lich davon in Kenntnis und konnten allen­falls ein Achsel­zu­cken erwarten.

Dasselbe gilt, wie Golo­witsch darlegt, auch für Poli­tiker der unter Vier­mächte-Statut der alli­ierten Besatzer stehenden und zwischen 27. April und 20. Dezember 1945 gebil­deten Provi­so­ri­schen Regie­rung zu Wien, der, unter Leitung des sozia­lis­ti­schen Staats­kanz­lers Karl Renner zu glei­chen Teilen Vertreter von ÖVP, SPÖ und KPÖ ange­hörten. Und ganz beson­ders gilt es für die aus der ersten Natio­nal­rats­wahl (25.11.1945) hervor­ge­gan­gene und vom 20. 12. 1945 bis 8.11. 1949 amtie­rende Regie­rung unter ÖVP-Kanzler Leopold Figl mit sieben Minis­tern der ÖVP, fünf Minis­tern (ab 24.11.1947 deren sechs) der SPÖ und (bis 24.11.1947) einem von der KPÖ gestellten Minister.

Viele der Berichte über die Vorgänge in Südtirol gelangten im Original oder in Abschrift nach Nord­tirol und von dort auch zur Kenntnis der in Wien Regie­renden, zumal da der auf das Engste mit der Causa „Zukunft Südti­rols“ vertraute Außen­mi­nister Karl Gruber (ÖVP) Tiroler (mit Wohn­sitz in Inns­bruck) war. In Wien machte man, auf die Wünsche vor allem der ameri­ka­ni­schen und briti­schen Besat­zungs­mächte Rück­sicht nehmend, die ja mit den Komman­dan­tura-Sowjets – als den miss­trau­ischsten und sich stets als gegne­ri­sche Macht gebär­denden Besat­zern – auskommen mussten,den Inhalt der Südti­roler Berichte nicht zugäng­lich, um öffent­liche Sympa­thie­be­kun­dungen für die Südti­roler und even­tuell damit verbun­dene Aufwal­lungen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Am 5. September 1946, wenige Monate nach Amts­an­tritt Figls, traf Gruber in Paris jene Verein­ba­rung mit DeGas­peri, die für den von den Sieger­mächten bestimmten Verbleib Südti­rols bei Italien und die damit einge­läu­tete Nach­kriegs­ent­wick­lung maßgeb­lich sein sollte.

Fazit: Wer die dadurch und in den Folge­jahren hervor­ge­ru­fenen Enttäu­schungen der Südti­roler ob ihrer neoko­lo­nia­lis­ti­schen Unter­jo­chung durch Rom und ihre zunächst hilf­lose Wut bis hin zur auch gewalt­be­reiten und gewalt­tä­tigen Aufleh­nung idea­lis­ti­scher Akti­visten des Befrei­ungs­aus­schusses Südtirol (BAS) vom Ende der 1950er bis hin in die 1970er Jahre sozu­sagen von der Wurzel her begreifen will, kommt an Golo­witschs höchst ansehn­li­cher und zutiefst beein­dru­ckender Doku­men­ta­tion nicht vorbei.


*) Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Rein­hard Olt war 27 Jahre poli­ti­scher Redak­teur der Frank­furter Allge­meinen Zeitung (F.A.Z.) und von 1994 bis 2012 deren Korre­spon­dent in Wien für Öster­reich, Ungarn, Slowe­nien, zeit­weise auch für die Slowakei. Daneben nahm er Lehr­auf­träge an deut­schen, öster­rei­chi­schen und unga­ri­schen Hoch­schulen wahr. Seit 1990 ist er Träger des Tiroler Adler-Ordens, seit 2013 des Großen Adler-Ordens. 1993 erhielt er den Medi­en­preis des Bundes der Vertrie­benen (BdV). 2003 zeich­nete ihn der öster­rei­chi­sche Bundes­kanzler mit dem Leopold-Kunschak-Preis aus, und der öster­rei­chi­sche Bundes­prä­si­dent verlieh ihm den Profes­soren-Titel. 2004 wurde er mit dem Otto-von-Habs­burg-Jour­na­lis­ten­preis für Minder­hei­ten­schutz und kultu­relle Viel­falt geehrt und ihm das Goldene Ehren­zei­chen der Stei­er­mark verliehen. 2012 promo­vierte ihn die Eötvös-Loránt-Univer­sität in Buda­pest zum Ehren­doktor (Dr. h.c.), verbunden mit der Ernen­nung zum Professor, und 2013 verlieh ihm der öster­rei­chi­sche Bundes­prä­si­dent das Ehren­kreuz für Wissen­schaft und Kunst.
Im Jahre 2017 erschien sein reich ausge­stat­tetes Buch „Stand­haft im Gegen­wind. Der Südti­roler Schüt­zen­bund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“ (effekt!-Verlag, Neumarkt/Etsch)

1 Kommentar

  1. Erobe­rungen passen nicht in das demo­kra­ti­sche Zeit­alter. Man sollte eine Volks­ab­stim­mung in Südtirol machen und gut ist’s! Niemand sollte gegen seinen Willen gezwungen werden, in einem anderen Land zu leben. Wenn wie zu erwarten die Mehr­heit für Öster­reich stimmt, dann sollte Südtirol zu Öster­reich kommen. Möglichst ohne Aufre­gung oder gar Haß.

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