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US-Außenminister A. Blinken versucht Xi Jinping den US-Zick-Zack-Kurs zu erläutern

Von JURY TAVROVSKY | Seit fast vier Jahrzehnten folgte China im Kiel des Flaggschiffes Amerika. Nach Deng Xiaopings Besuch Anfang 1979 in Washington und der Bildung einer antisowjetischen “vereinigten Front” blieb Peking auf Geheiß des Architekten der Reformen [Deng Xiaoping] geduldig, um “im Schatten Kräfte zu sammeln und auf einen günstigen Moment zu warten”. Nachdem Xi Jinping zum Führer des Reichs der Mitte aufgestiegen war, reiste er im Jahr 2013 – kurz nach seinem demonstrativen Besuch in Moskau – nach Amerika und schlug Barack Obama vor, das bisherige Format durch eine “neue Art von Großmachtbeziehungen” zu ersetzen und China im Gegensatz zu seiner bisherigen Rolle als Juniorpartner künftig die eines gleichberechtigten Staates zuzugestehen: Die Initiative wurde abgelehnt – ein «leuchtendes Haus auf einem Hügel» braucht keine «leuchtende Pagode» nebenan.
Anmerkung der Redaktion: Anspielung auf die legendären Worte des englischen Predigers John Winthrops aus dem Jahr 1630, anlässlich der Einschiffung von Puritanern nach Amerika. Seine «City upon a Hill» [Stadt auf dem Hügel] in Anlehnung an das Matthäusevangelium wurde seither zum geflügelten Wort zahlreicher US-Präsidenten, um dank Evangelium dem global beanspruchten US-Exzeptionalismus göttliche Weihe zu geben.

Die letzten Illusionen über die Möglichkeit einer “konstruktiven Beteiligung” Chinas an der Pax Americana wurden 2017 nach dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas zerstreut, nachdem der von Xi vorgeschlagene Plan zum Aufbau einer mächtigen und modernen sozialistischen Macht bis 2049 verabschiedet wurde. Der Plan – Chinas Traum von einer großen Wiedergeburt der chinesischen Nation – wurde zum Parteiprogramm, und Xi Jinping selbst wurden defacto lebenslange Vollmachten zugestanden, um das Projekt umzusetzen.

Washington hat die Geschehnisse entsprechend bewertet und ist nach anfänglichen Beschimpfungen über das “revisionistische China” bzw. “autoritären Führer Xi” zu Taten übergegangen: Im Jahr 2018 verhängte Donald Trump zusätzliche Straf-Zölle auf chinesische Importe und ordnete einen Kaufstopp für Geräte der chinesischen Hi-Tech Firmen ZTE und Huawei an. Gleichzeitig eskalierte die Situation in Xinjiang, gefolgt von einer versuchten Farb-Revolution in Hongkong. Die COVID-19-Pandemie wurde von den Medien genutzt, um China einmal mehr mit der sogenannten “gelben Gefahr” gleichzusetzen.

Nach der erfolgreichen Inszenierung der “ukrainischen Tragödie” beschloss man, dieses Programm auch in Taiwan abspielen zu lassen: Man begann das Land mit Waffen vollzupumpen und drängte die lokalen Regierungsvertreter die Unabhängigkeit der Insel auszurufen.

Es ist kein Zufall, dass der US-Außenminister seit 2018 nicht mehr nach Peking kam: Es war Amerikas Auftakt zur “letzten und entscheidenden Schlacht”, um China in die zweite Reihe zu zwingen. Die Anstrengungen der USA haben China viel Schaden zugefügt und seine “große Renaissance” langsamer gemacht. Aber auch Washington hat seine Ziele nicht erreicht. Trotz der von Trump initiierten und von Joseph Biden fortgeführten Handelsbeschränkungen erreichte der bilaterale Handel im Jahr 2022 ein Rekordvolumen von 691 Milliarden Dollar. Dennoch konnten die Amerikaner nur Waren im Wert von 153,8 Mrd. an die Chinesen verkaufen. Es gelang nicht, China gemäß der ukrainische Blaupause in die taiwanesische Falle zu locken.

Xi Jinping hatte, ganz im Stil der Stratageme des Philosophen Sunzi [legendärer chinesischer General, Militärstratege und Philosoph; 544 v. Chr. – 496 v. Chr.], den Krieg praktisch schon gewonnen, bevor dieser überhaupt begonnen hatte: Eine einwöchige Blockade der Insel und Schießübungen der Marine und Luftwaffe nach dem Besuch der ehemaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sollten genügen.

Die Nervosität Washingtons steigerte sich seit dem 20. Parteikongress der KPCh im vergangenen Herbst, auf dem Xi Jinping sich uneingeschränkte Befugnisse bestätigen ließ. Der Kongress bekräftigte auch das Konzept zur Realisierung einer “Schicksalsgemeinschaft der Menschheit” und das “globaler Sicherheit”.

Die Spannungen lassen sich weiters durch Anwachsen der unterschiedlichen Entwicklungstendenzen zwischen Amerika und China erklären: Wirtschaftlicher und moralischer Niedergang im Fall der USA und das “Wiedererstarken der Nation” im Fall Chinas. Der “Kapitalismus amerikanischer Ausprägung” hat im eigenen Lager seinen Tiefpunkt erreicht und verliert in der Welt zusammen mit dem US-Dollar zusehends an Boden. Der “Sozialismus chinesischer Ausprägung” dagegen hat drei Jahre Pandemie und amerikanische Sanktionen überstanden, gewinnt im Reich der Mitte selbst rasch an Momentum und stärkt seinen Einfluss auf der ganzen Welt. Zum ersten Mal in den letzten Jahren ist China in einer so starken Position, während Amerika sich nur in einer geschwächten wiederfindet.

Das Gespräch zwischen Biden und Xi auf dem letztjährigen G-20-Gipfel in Bali erbrachte beidseitiges Verständnis zur Herstellung einer “neuen Normalität” in den Beziehungen zwischen den USA und China. Die beiden Politiker vereinbarten, konstruktive Gespräche aufzunehmen. Doch die mächtige Anti-China-Lobby der USA verhinderte selbst die Möglichkeit der Normalisierung. Die Tatsache, dass Biden sein Wort nicht hielt, hat zu einer entsprechenden Reaktion des Herrschers im Reich der Mitte geführt: Xi Jinping weigerte sich sogar, Telefonate vom Gastgeber aus dem Weißen Haus entgegenzunehmen.

Anthony Blinken: Mit gespaltenem Geist im gekrümmten Körper

“Gespaltenheit der Persönlichkeit” in der politisch gestaltenden Elite der USA: So könnte die Diagnose lauten, wenn man die Versuche zur Wiederaufnahme des Dialogs mit der VR China auf Kosten eines zweitägigen Besuchs von Außenminister Anthony Blinken bewertet, während diesen ein Wutanfall wegen eines “Spionagezentrums” in Kuba überkam. Blinkens letzter Versuch, nach Peking zu reisen, wurde durch eine andere Hysterie vereitelt: Ein “Großer-Weißer-Ballon” hatte dazu herzuhalten .

Die Chinesen sehen die Situation nüchtern und sind sich der verbleibenden Macht und Gefahr, die von Amerika ausgeht voll bewusst. Dennoch haben sie in den letzten Monaten die Spielregeln geändert und in eigenen Schriftzeichen festgeschrieben: Die Kontakte werden fortgesetzt, aber nicht mehr zu amerikanischen Bedingungen. Washington soll die Niederlagen seiner ein halbes Jahrhundert andauernden Versuche, die Farbe der chinesischen kommunistischen Flagge zu ändern, auslöffeln und die “neue Normalität”, die Gleichberechtigung zwischen den USA und der VR China, akzeptieren. Andernfalls könnte es noch mehr verlieren und mit einer Situation konfrontiert werden, die “schlimmer als schlimm” zu bezeichnen wäre.

Die Chinesen wollen dem Weißen Haus nicht einen “Tod durch Schweigen”  bereiten und nicht alle Signale der Verhandlungsbereitschaft ignorieren. Sie empfingen Blinken “in höchstem Maße”. Das Gespräch mit Außenminister Qin Gang dauerte mehr als fünf Stunden. Es gab auch ein Treffen mit seinem Chef, dem außenpolitischen Kurator der Partei, Wang Yi. Beide Diplomaten ermahnten Amerika, “zwischen Dialog und Konfrontation, Kooperation und Konflikt die Wahl zu treffen”. Es versteht sich von selbst, dass die Gesprächspartner ein pralles Dossier der bilateralen Beziehungen durcharbeiteten und sich auf gegenseitige Kompromisse in verschiedenen Fragen einigten.

Der Höhepunkt des Aufenthalts des Außenministers in Peking war ein Treffen mit Präsident Xi. Da China in einer starken Position ist, kann es versöhnliche Gesten setzen ohne seiner Reputation zu schaden. Aber auch dieses markante Ereignis wird nichts daran ändern, dass China die USA derzeit als stagnierend bzw. “verblassender  Natur” wahrnimmt. Alle Bemühungen von Befürwortern, eine akute Krise abzuwenden, könnten über Nacht von unnachgiebigen Kämpfern gegen die “rote Alternative” oder “gelbe Bedrohung” zunichte gemacht werden. In einem solchen Fall würde es zur Phase eines neuen Kalten Krieges kommen und Blinken müsste an seiner “Sisyphusarbeit” festhalten, um den Dialog zwischen beiden Mächten zumindest auf niedrigstem Niveau aufrechtzuerhalten.

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Übersetzung aus dem Russischen: UNSER MITTELEUROPA


Ein Gedanke zu „Blinken eilte nach Peking während der US-Zweifrontenkrieg am Ende scheint“
  1. Ein «leuchtendes Haus auf einem Hügel» – was für ein Witz, eine “Bruchbude in lodernden Flammen” wäre passender.

    Man sollte Peking als kritischen Partner sehen, aber gegen ein standhaftes China antreten zu wollen während man selbst massiv weder innere noch äußere Haltung bewahrt wird am Ende nur zum eigenen Untergang führen.

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