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Karikatur zu Cecil Rhodes mit seinen Plänen Cape Town mit Kairo zu verbinden | Quelle: Edward Linley Sambourne (1844–1910), Public domain, via Wikimedia Commons

Das Sprengen der unsichtbaren letzten kolonialen Ketten

Gastbeitrag von Wolfgang Effenberger und Paul Robert Vogt

Bis zum 26. Juli 2023 war das 26-Millionen-Einwohner-Land Niger ein wichtiger strategischer Verbündeter des Westens und zugleich der letzte afrikanische Staat im Inneren der Sahelzone mit einer demokratisch gewählten Regierung. An diesem Tag stürzten die Offiziere der Präsidialgarde des Niger unter ihrem Kommandeur Brigade-General Abdourahamane Tiani den Präsidenten des Landes Mohamed Bazoum, setzten die Verfassung außer Kraft und lösten alle verfassungsmäßigen Institutionen auf.

Niger gehörte zu den 15 Mitgliedsstaaten der “Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS” [englisch: Economic Community of West African States]. Weitere Mitgliedsstaaten dieses Bündnisses sind: Benin, Burkina Faso, Cabo Verde, Côte d’Ivoire, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Liberia, Mali, Nigeria, Senegal, Sierra Leone und Togo.

Der westafrikanische Staatenblock ECOWAS hat angedroht, dass er nach diesem Staatsstreich im Niger zu intervenieren gedenkt (siehe “The Indian Express” vom 9. August 2023)(1)

Niger – mit zwei fremden Militärmächten (USA und Frankreich) im Land – wurde 1960 formell “unabhängig” von Frankreich, blieb aber faktisch immer noch durch die Kolonialwährung CFA-Franc sowie andere verdeckte Regelungen an Frankreich gefesselt.


Mit der CFA-Franc-Zone sind auch die ECOWAS-Länder(2) Benin, Burkina Faso, Guinea-Bissau, Mali, Côte d’Ivoire, Senegal und Togo verbunden.

Neun der 14 CFA-Länder gehören zu den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries). Auch die anderen haben Großteils starke wirtschaftliche Einbrüche erlitten. Dies ist der Fall mit Gabun, Kamerun und Côte d’Ivoire. Nach den Entwicklungsindikatoren der Weltbank stellt Côte d’Ivoire die größte Volkswirtschaft der Franc-Zone mit einem realen Pro-Kopf-BIP (2.430 $) im Jahr 2022, was 20 Prozent unter dem Höchststand von 1978 lag (3.017 $).(3) Bei Niger lag das reale Pro-Kopf-BIP 2020 (545 $) ca. 15% unter dem von 1978 (638 $) – im Vergleich dazu Deutschland, das ein reales Pro-Kopf-BIP von 50.795 $ und Frankreich, das eines mit 44.853 $ ausweist.(4)

Den 14 CFA-Staaten bescherte der feste Wechselkurs an den Euro 1994 nicht nur eine Abwertung von 50 Prozent, sondern ließ sie auch den Zugriff auf 85 Prozent ihrer Währungsreserven verlustig gehen, die sie gezwungenermaßen bei der Agence France Trésor (AFT) zu hinterlegen haben.(5) Obwohl das “Französische Kolonialreich” seit 1980 endgültig Geschichte ist, existiert die Kolonialwährung CFA-Franc noch weiter. Sie bleibt Mittel und Ausdruck einer Politik, die Frankreich den Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent im Sinn einer Finanzoberhoheit sichert.

Alle CFA-Staaten sind rohstoffreich, doch gleichzeitig hochverschuldet. Burkina Faso, Mali und Niger gehören trotz ihrer immensen Bodenschätze zu den ärmsten Ländern der Welt. „Meine Generation versteht das nicht“(6), sagt der 35-jährige Staatschef Burkina Fasos, Ibrahim Traoré. Dem entgegnete der US-amerikanische Politikwissenschaftler Michael Parenti: „Ganz einfach! Arme Länder sind nicht unterentwickelt (englisch: underdeveloped), sondern überausgebeutet (englisch: overexploited)!”(7).

Am 18. Oktober 2022 verstieg sich EU-Chefdiplomat und Kommissionsvizepräsident Josep Borrell zu einer Metapher, die außerhalb der EU hohe Wellen schlug. An junge Diplomaten in Brügge gerichtet, sagte er: „Wir sind ein Garten, der Rest der Welt ist ein Dschungel”(8) und gab den künftigen Kommissionsvertretern mit auf den Weg, „in den Dschungel zu gehen, um den Park zu beschützen“(9), denn eine Festungsmauer allein reiche nicht. Europäische Werte müssten in die Welt hinausgetragen werden, sonst dringe das Chaos von außen in die EU herein. Prompt entgegnete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, auf Twitter, dass dieser Garten (das wohlhabendste Wirtschaftssystem der Welt) nur durch die Plündereien des Kolonialismus errichtet werden konnte. Wer will da widersprechen?

Aus der ehemals westafrikanischen französischen Kolonie Niger stammen etwa ein Viertel der Uran-Importe Europas und ein Fünftel der Uran-Importe Frankreichs, das mit 56 Kernkraftwerken einen Spitzenplatz unter den Atomstrom-Exporteuren der Welt belegt. Obwohl Niger über die hochwertigsten Uranerze Afrikas verfügt, zählt der global siebtgrößte Uran-Produzent zu den ärmsten Ländern der Welt. Auf dem aktuellen Index Menschlicher Entwicklung der Vereinten Nationen belegt das Land Rang 189 unter 191 gelisteten Staaten. Rund 40 Prozent der Bevölkerung leben unter der nationalen Armutsgrenze. Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser und nur rund 16 Prozent sind an eine angemessene Sanitärversorgung angeschlossen.(10)

Obwohl im Niger pro Jahr (2001 – 2020) im Schnitt über eine Tonne Gold gefördert werden, hält das Land keine Währungs- und Goldreserven (August 2023)(11). Der ehemalige Kolonialherr Frankreich unterhält mit 2.436 Tonnen dagegen die viertgrößten Goldreserven der Welt, obwohl dieser „Rohstoff“ in Frankreich selbst nicht vorkommt. In der ehemals französischen Kolonie Burkina Faso sieht es nicht anders aus.

Von den jährlichen Einnahmen aus knapp der Goldproduktion, die von (schätzungsweise) 600.000 Kindern geschürft werden, gehen nur 10 Prozent an das Land, aber 90 Prozent an multinationale Goldgräberkonzerne.(12)


Nigers Exportanteile in Prozent im Jahr 2019 nach den wichtigsten Produkten.
Quelle: Datawheel, CC0, via Wikimedia Commons

Die Frage ist, ob jene Afrikanischen Länder selbst schuld daran tragen, dass sie trotz ihrer bedeutenden Rohstoffvorkommen verarmten, oder ob es die nie abgeschüttelten koloniale Fesseln sind, welche diese Länder im Griff halten, indem der Westen kleine, korrupte Eliten dieser Länder besticht – sogenannte Compañeros – denen die eigenen Mitbürger egal sind.

Nun ist aber Niger gegen besagte (neo-)kolonialen Missstände aufgestanden und hat sich von der Kolonialmacht Frankreich durch einen Militärputsch emanzipiert. Gleiches war in Mali, Burkina Faso, Guinea und im Senegal zu beobachten. So ist es nicht verwunderlich, dass nach der Revolte im Niger nicht nur die Ausfuhr von Uran und Gold verboten, sondern auch die Schließung des französischen Stützpunktes und der Abzug der ca. 1.500 französischen Soldaten angeordnet wurden. Noch war keine Rede vom Abzug der ca. 1.000 US- und ca. 200 deutschen Soldaten.

Niger selbst hat eine Armee von 5.300 aktiven Soldaten und etwa 5.400 Paramilitärs. Den 10.700 Militärs stehen ca. 3.000 westliche Berufssoldaten gegenüber, die nach offizieller Angabe der Ausbildung der Armee des Nigers dienten: Seltsam – dass auf drei Niger-Soldaten ein Ausbildner kommt?

Gelegentlich sollen die westlichen Militärs auch islamistische Rebellen bekämpfen (Al-Qaida und deren Splittergruppen). Die Notwendigkeit eines US-Drohnenstützpunkts im Niger lässt sich damit aber nicht hinreichend erklären. Mit dieser Waffe agieren die US-Präsidenten seit George W. Bush – Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden – als Ankläger, Richter und Henker in einer Person: Anscheinend im Einklang mit der vielfach zitierten “regelbasierten Ordnung“.

Die besonderen Machtspiele der USA

Der US-Drohnenstützpunkt im Niger könnte langfristig ein militärisches Eingreifen der US-Streitkräfte nach sich ziehen. Die USA dürften dabei den deutschen Soldaten, die durch ein Flugverbot im Luftraum des Niger festsitzen, kaum Beachtung schenken.

Oder spielen die USA hier vielleicht trickreich über die Bande? Das kann nicht ausgeschlossen werden. Dieser Umsturz wäre nicht die erste CIA „Operation other than War“ in der Geschichte Nigers. Der Idealfall für die USA und die EU wäre der Einmarsch von Nigerias starker Armee über den Niger hinaus nach Mali und Burkina Faso, nachdem hinter diesen beiden Staaten ebenfalls Wagner Einheiten stünden.

Eine Tatsache, welche den Flugzeugabsturz von Prigozhin in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Zusammen mit Prigozhin wurden mehrere führende Köpfe der PMC Wagner eliminiert und das zu einem Zeitpunkt, in welchem Wagner in Afrika sich für den Westen „störend“ bemerkbar machte. Zudem versuchte man, Putin diesen Anschlag unterzuschieben, vom BRICS-Meeting abzulenken und gleichzeitig das Image des russischen Präsidenten gegenüber den Afrikanischen Ländern zu beschädigen. Die Afrikaner werden sich durch solche plumpe Propaganda nicht mehr irritieren lassen.

Bei den Coups in Mali, Burkina Faso und Guinea hatten die ECOWAS-Länder – damals unter dem Vorsitz von Ghana und Guinea-Bissau – seit 2020 kein geeintes Vorgehen gezeigt. Nun hält Nigerias Präsident Bola Tinubu den ECOWAS-Vorsitz und ließ erklären, dass Diplomatie “der beste Weg vorwärts” zur Lösung der Krise sei. Allerdings ließ der Präsident des nach regionaler Führung strebenden 220-Millionen-Volkes sybillinisch erklären, dass” Optionen nicht vom Tisch“ wären.(13) Im Land selbst regt sich starker Widerstand gegen eine Intervention.

Auch Mali, Burkina Faso und Algerien stellen sich gegen ein militärisches Eingreifen stellen. In Berlin begrüßte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes,

„dass ECOWAS sich weiter bemüht, alle diplomatischen Optionen auszuschöpfen und versucht, auf diesem Wege jetzt zu einer Lösung zu kommen. Wohl wissend, dass die Drohung mit einer Militärintervention natürlich weiter im Raum steht“(14),

und weiter:

„Unsere Forderung ist und bleibt die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung.“(15)

Nach dem völkerrechtswidrigen Putsch in der Ukraine im Februar 2014 wurden keine derartigen Forderungen erhoben, was einmal mehr die willkürliche regelbasierte Doppelzüngigkeit des Westens beweist, wenn es um dringend benötigte Ressourcen geht, die man, wie bisher weiterhin rauben möchte.

Es geht hier weder um Völkerrecht, noch um Demokratie und schon gar nicht um Menschenrechte. Es geht darum, dass der Westen und vor allem Frankreich billig zu Uran und Gold kommt [1]; weiterhin Gas durch Niger hindurch nach Europa fließt [2] (siehe unten), sowie Niger die Migration durch sein Land hindurch nach Libyen blockiert [3], obwohl die Migrationsströme von Sub-Sahara, die durch den Niger nach Libyen zu einem Handel entlang der Migrations-Strassen führten, mit Läden, Hotels und anderem, was der armen Bevölkerung ein minimales Einkommen brachte. Die EU hat der nigrischen Regierung Milliarden bezahlt, damit sie diese Migrations-Strassen schließt, was zu Protesten in der nigrischen Bevölkerung führte.

US-Außenminister Antony Blinken hat nach eigenen Angaben mit dem entmachteten und seitdem gefangen gehaltenen Präsidenten Bazoum gesprochen und dabei die Bemühungen unterstrichen, eine friedliche Lösung des Konflikts zu erzielen. Blinken bekräftigte zudem die Forderung, Bazoum und seine Familie unverzüglich freizulassen.(16) Rührend, wie sich der Demagoge Blinken um den korrupten, früheren Präsidenten Bazoum kümmert, der nichts anderes als ein vom Westen bestochener, diktatorischer Compañero ist, mit deren Hilfe sich diese Länder ausplündern lassen, während man ohne Skrupel zulässt, wie die Bevölkerung rechtlos verarmt.

Am 7. August 2023 reiste Blinkens Stellvertreterin Victoria Nuland (“Fuck the EU”) in die nigrische Hauptstadt Niamey. Sie schrieb auf X (vormals Twitter):

„…um ihre große Besorgnis über die undemokratischen Versuche der Machtergreifung zum Ausdruck zu bringen, dränge sie auf eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung“(17).

Reportern gegenüber sagte sie, dass sie sich mit dem früheren Oberst Moussa Salaou Barmou, dem selbsternannten nigrischen Verteidigungschef und drei weiteren Obristen getroffen habe. Dabei erwähnte Nuland, dass Barmou zuvor eine militärische Ausbildung von den USA erhalten und über viele, viele Jahre sehr eng mit den US-Spezialkräften zusammengearbeitet habe, und betonte:

“Wir konnten also die Risiken für Aspekte unserer Zusammenarbeit, die ihm in der Vergangenheit sehr am Herzen lagen, im Detail besprechen“.

Dieses Nuland-Statement stimmt nachdenklich. Es stellt sich die Frage, ob Frauen wirklich im Stande scheinen, eine bessere, menschlichere Politik zu betreiben, als weiße, alte Männer: Denkt man an Nuland, Baerbock oder Liz Truss möchte man diese Frage eher verneinen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reagierte auf die Entscheidung der Rebellen in Niger, Uran- und Goldexporte nach Frankreich zu verbieten und sagte, das sei eine Reaktion auf die langjährige Unterdrückung des Landes durch Paris, (18) womit er mehr als recht hat, auch wenn sein Politikstil manchmal mehr an den in einem türkischen Bazar erinnert.

Es scheint, dass die ersten Länder Afrikas dem Rohstoffraub und der Übervorteilung durch mafiöse Handelsverträge mit dem Westen ein Ende setzen wollen.

Auch der 35-jährige Staatschef von Burkina Faso, Ibrahim Traoré, Geologe und Offizier, hat die französischen Truppen vor die Tür gesetzt und den Export von Gold und Uran nach Frankreich und in die USA untersagt. Zugleich schmiedet er eine regionale Allianz mit Niger, Guinea, Mali und Algerien.(19) Ibrahim Traoré könnte zum Hoffnungsträger der (west-)afrikanischen „Erhebung gegen Neokolonialismus und westliche Dominanz“ werden. Dann könnten die Fassaden des Wertewestens endgültig zusammenbrechen. Dieser Wertewesten hat sich neben Ausbeutung und Übervorteilung schon oft genug von einer noch hässlicheren Seite gezeigt, etwa in Vietnam, Chile, El-Salvador, Nicaragua, Grenada, Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen. Das dürfte im globalen Süden nicht in Vergessenheit geraten sein.

Russland als Vorkämpfer der globalen Freiheitsbewegung

Auch wenn der Westen sich gern als der moralisch Überlegener darstellt und von Diversität und Antirassismus heuchelt, zieht solche Doppelzüngigkeit nicht. Nun scheinen die Russen das zu machen, was die Amerikaner in der Ukraine vorgezeigt haben: Sie unterstützen den Umsturz mit Hilfe der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund treten der Niger, Burkina Faso und Mali selbstbewusst auf, weil sie auf die russisch-chinesische Unterstützung zählen können. So liegt im Niger-Konflikt auch das Potential für einen Krieg der Systeme, der sich zu einem postkolonialen Stellvertreterkrieg auswachsen könnte.

Ein wachsender Teil der vor allem jüngeren afrikanischen Bevölkerung sieht in Putin keinesfalls einen Bösewicht, wie ihn der Westen mit Vorliebe darstellt, vielmehr den Vorkämpfer einer globalen Freiheitsbewegung, die gegen die von Akteuren des geopolitischen Westens aufrechterhaltene Ausbeutungs- und Unterwerfungsordnung – unter dem Deckmantel der “Demokratie” – in ihren Regionen gerichtet ist.

Die EU-Staaten, vornehmlich eine Allianz ehemaliger Kolonialstaaten im Gegensatz zu den BRICS-Staaten, die zum Teil immer noch kolonisiert sind, haben es von Anfang an nicht für nötig gehalten, mit den afrikanischen Staaten respektvoll umzugehen. Die verhängnisvolle Afrikapolitik der USA  – 2007: Aufbau des US-Militär-kommandos AFRICOM – und die der EU, die vor dem Abstieg in die geopolitische Unbedeutsamkeit schützen sollte, haben Afrika vom Westen entzweit.

Zu verweisen ist hierzu auf Artikel 42 Abs. 5 des EU-Vertrags von Lissabon von 2007 (identisch mit dem Ex-Artikel 17 der EU-Verfassung von 2005). Nachdem die EU-Verfassung von den Parlamenten Frankreichs und Irlands nicht ratifiziert wurde, kam zwei Jahre später eine weitgehend identische EU-Vertragsvariante zur Anwendung: Im Artikel 42/5 werden militärische Missionen „zur Wahrung der Werte der Union und im Dienst ihrer Interessen“(20) aufgeführt. Das heißt im Klartext: Angriffskriege um Öl, Uran und Werteexport.  Das ist die regelbasierte Ordnung des Westens, die mit Gewalt und ohne jedes UNO-Mandat durchgeführt werden kann.

Aus dem Dokument des deutschen Bundestags vom 18. April 2018 NATO und Energie-Sicherheit ist zum Rollenverständnis der NATO zu entnehmen, dass dieses Verteidigungsbündnis etwas schützen soll, was ihm zwangsläufig nicht zusteht: Die Allianz stellt auf ihrem Internetportal mit Stand November 2011 fest, dass „die Sicherheitsinteressen durch eine Unterbrechung des Flusses von vitalen Ressourcen beeinträchtigt werden könnte“.(21)

Je länger der Westen und v. a. die EU sich dem Paradigmenwechsel zu entziehen versucht oder diesem mit Gewalt begegnet, desto katastrophaler werden die Folgen sein. Der Westen besitzt nicht jene Ressourcen, die er im Übermaß verbraucht. Dass man sich diese Ressourcen egal von wo mit Gewalt, Krieg und Bestechung holen kann, wird immer schwieriger. Eine friedliche, multipolare Weltordnung ist die einzige Lösung – und es sind gerade die USA/NATO/EU, die sich einer solchen Entwicklung entgegenstellen.

Parallel dazu muss noch das unvorstellbar grausame Wirken der einstigen Kolonialmächte – allen voran das der Briten, Franzosen, Belgier und nordamerikanischen Sklavenhändler – aufgearbeitet werden, um über respektvollen Umgang wieder einen fairen Handel herzustellen. Die Zeiten, als unter dem Vorwand der Schlagworte “Demokratie, Freiheit und Menschenrechte“ in Länder eingefallen oder mit Hilfe von Diktatoren geplündert werden konnte, sind ein für alle Mal vorbei. Selbst einer Zuwanderungspolitik über sogenannten “Brain-Drain” (im Amtsdeutsch: “Fachkräfte-Zuwanderung”) hafteten neokolonialistische Züge an.

Der Westen spielt im Niger vor, dass es ihm um Wiederherstellung der Demokratie gegen Putschisten ginge. In Wirklichkeit geht es um Uran, Gold und Öl zum Spottpreis und die Aufrechterhaltung der postkolonialen Hegemonie!

Die Uran-Versorgung der französischen Kernkraftwerke könnte Risse bekommen: Über die letzten 10 Jahre importierte Frankreich 27% Ihres Bedarfs aus Kasachstan, 20% aus Niger, 19% aus Uzbekistan …

Was die geänderten Verhältnisse für die Schweiz bedeuten?

In der Schweiz sollte man sich überlegen, was dies für die Sicherheit der Stromversorgung im Winter und für das Betreiben von Wärmepumpen und Elektroautos bedeuten könnte?

Es gilt abzuwarten, wie unsere überforderten Politiker auf diese Situation reagieren: Werden sie die freiheitlichen Bemühungen der Afrikaner unterstützen, oder sich unter Aufgabe der Neutralität, wie im Fall der Ukraine einmal mehr der NATO/EU anbiedern?

Mit der Aufgabe der Neutralität hat sich die Schweiz die Möglichkeit genommen, in Konflikten als glaubhafter Vermittler auftreten zu können. Es stellt sich die Frage: Machten unsere Politiker das gedankenlos, vorsätzlich oder fühlen sie sich erpresst?

Diese Frage hatten wir Jacques Baud persönlich gestellt:

„Was ist in die Politiker der EU und auch der Schweiz in Bezug auf die ruinöse Politik im Krieg der NATO gegen Russland gefahren?“

Jacques Bauds Antwort lautete, dass es eine Mischung aus Vorsatz und Überforderung sei, garniert mit Erpressung, der eine große Rolle zukäme.

Dazu passt auch die Frage, wer die UBS kontrolliert? Sind es atlantische Kreise und hat der Zusammenschluss von CS und UBS die Schweiz ggfs. erpressbarer gemacht?

Es ist das Bestreben der USA, Neutralität als politische Möglichkeit per se abzuschaffen. Nach dem NATO-Beitritt Finnlands – eine überstürzte Handlung – und dem möglichen Beitritt Schwedens werden Österreich und die Schweiz noch stärker unter Druck gesetzt werden. Wo bleibt eine Schweizer Regierung mit Rückgrat, um sich einer solchen Entwicklung entgegenzustellen?

Doch zurück zu Niger und dem vielleicht letztlich ausschlaggebenden Grund für ein militärisches Eingreifen gegen das Land durch ECOWAS/Nigeria und EU-Länder: Ist es die Gaspipeline, die von Nigeria – über den Niger – nach Europa führt?

Von Afrika aus wird die EU mit etwa 20% ihres Gasbedarfs versorgt. Damit scheint NATO herausgefordert, deren erklärte Zielsetzung die Versorgungssicherheit des imperialistischen Blocks mit kolonialen Methoden umfasst. Noch scheinen sie damit okkupiert, für den ‘Einsatz’ einen Proxy-Staat zu finden(22): Die NATO braucht einen Krieg und sucht sich einen Stellvertreter, diesmal in Afrika und nicht in der Ukraine. Koste es was es wolle: Hundertausende weitere Tote, Millionen von Flüchtlingen? Ein Bild, mit dem wir leider schon vertraut sind!

Eine militärische Intervention der Achse USA-Frankreich-Großbritannien-ECOWAS in Niger, so erklärten es Burkina Faso und Mali, würden sie als “Kriegserklärung” gegen ihre Staaten erachten.

China und Russland trösten afrikanische Staaten nicht nur mit leeren Worten, sondern sie liefern dank praktischen Handelns den Aufbau einer vielschichtigen Infrastruktur. Im Gegensatz zu Frankreich mit seinem CFA-Franc als Druckelement, bieten die BRICS-Staaten interessante Alternativen zum Franc und Dollar. So haben sicherlich viele Afrikaner sehr aufmerksam das 15. BRICS-Spitzentreffen (23.-25. August 2023) der Ländergruppe Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika in Johannesburg verfolgt. Es fand unter dem Motto “BRICS und Afrika: Partnerschaft für gegenseitig beschleunigtes Wachstum, nachhaltige Entwicklung und inklusiven Multilateralismus” statt und bewegte je nach Lager ganz unterschiedlich die Welt. Während westliche Vertreter nicht eingeladen waren, zeigten Lateinamerika und Afrika starke Präsenz. Auf der Agenda standen Multilateralismus und die Aufnahme neuer Mitglieder. Weit geteiltes Interesse fand die Absicht einer Ent-Dollarisierung des internationalen Finanzsystems.(23)

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein eben publizierter „Spiegel“-Artikel zu ähnlich gelagerten Unruhen in Senegal: „Warum nur?“ wird verständnislos die Frage gestellt, als ob die Europäer die Afrikaner je angemessen behandelt hätten.

Die Irreführung der Bevölkerung durch atlantische Kartellmedien nimmt immer drastischere Formen an: Das „Warum nur?“ gleicht dreister Manipulation zur demagogischen Verführung der Bevölkerung, die in Passivität verharren und nicht mehr selbstständig denken soll. Dazu passt auch die forcierte Cannabis-Freigabe durch den deutschen „Gesundheitsminister“ Lauterbach: In Massen bekiffte Bürger lassen sich viel leichter manipulieren!

Der Publizist Scholl-Latour hat derartiges Treiben treffend auf den Punkt gebracht:

***

Zu den Autoren:

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik.

Effenberger publiziert zur deutschen Zeitgeschichte und US-Geopolitik.
Zuletzt erschienen von Wolfgang Effenberger:

«Schwarzbuch EU & NATO» (2020)
«Die unterschätzte Macht» (2022)

Paul Robert Vogt: Paul Vogt, Jahrgang 1957, ist Schweizer, Professor und Doktor der Medizin und Herzchirurg. Er ist mit seiner Stiftung “EurAsia Heart Foundation” seit über 23 Jahren in Asien und Afrika aktiv und kooperiert eng mit politischen Entscheidungsträgern und Unternehmern vor Ort.

 Literaturangaben:

1)https://indianexpress.com/article/explained/explained-global/ecowas-west-africa-niger-coup-explained-8882492/
2)https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2018/01/27/francophone-africas-cfa-franc-is-under-fire
3) https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.PCAP.KD?locations=CI-NE
4)https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Tabellen/Basistabelle_BIPproKopf.html
5)https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/martin-sonneborn-globaler-sueden-will-nicht-mehr-vom-westen-ausgepluendert-werden-li.375484
6)https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/martin-sonneborn-globaler-sueden-will-nicht-mehr-vom-westen-ausgepluendert-werden-li.375484
7)Ebda.
8)https://taz.de/Rede-des-EU-Aussenbeauftragten/!5885453/
9)https://taz.de/Rede-des-EU-Aussenbeauftragten/!5885453/
10)https://www.bmz.de/de/laender/niger/soziale-situation-16962
11)IMF / WEO / IFS zitiert nach https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-niger.pdf
12)https://weltwoche.ch/daily/aufstand-in-niger-warum-die-buerger-in-den-west-und-zentralafrikanischen-staaten-nicht-die-franzoesische-trikolore-oder-das-kobaltblaue-europabanner-sondern-die-flagge-russlands-bei-sich-tragen/
13)https://www.gmx.net/magazine/politik/us-politik/diplomatie-intervention-gipfel-tagt-niger-krise-38512112
14)https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2611448
15)Ebda.
16)https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fnews%2F2023-08%2F09%2Fdiplomatie-oder-intervention-gipfel-tagt-zu-niger-krise
17)http://www.defenddemocracy.press/victoria-nuland-meets-with-niger-junta-leaders/
18)https://www.anti-spiegel.ru/2023/was-ueber-die-entwicklungen-in-und-um-niger-bekannt-ist/
19)https://www.kommunisten.de/rubriken/internationales/8884-niger-besser-die-russen
20)https://dejure.org/gesetze/EU/42.html
21)https://www.bundestag.de/resource/blob/412712/2ee009402409ca97f060fb855bbce2d0/WD-2-055-12-pdf-data.pdf, original „NATO ́s Rolle im Bereich der Energiesicherheit“, NATO-Internetportal, 17. November 2011, URL: http://www.nato.int/cps/en/SID-D31B42F0-77245C82/natolive/topics_49208.htm?selectedLocale=en

22)https://weltwoche.ch/daily/aufstand-in-niger-warum-die-buerger-in-den-west-und-zentralafrikanischen-staaten-nicht-die-franzoesische-trikolore-oder-das-kobaltblaue-europabanner-sondern-die-flagge-russlands-bei-sich-tragen/
23)https://amerika21.de/2023/08/265522/brics-gipfel-johannesburg-bewegt-welt


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6 Gedanken zu „Der afrikanische Staat Niger im letzten Kampf gegen den «Wertewesten»“
  1. Die letzten 100 Jahre haben bewiesen, daß schlechter kann es nicht gehen und deshalb probieren sie diese Länder besser zu machen.
    Auch in unseren Interesse wünschen ihnen viel Glück.
    Aber wo wollen Amys, Frankreich und alle Anderen in der Welt Uran beschaffen?
    Daß die amys weiter Uran aus Rußland einkaufen dürfen, zeigt diesen Theater deutlich.
    Mit der Ölpreiserhöhung wird es auch für uns enger.
    Hat Bäbo ihr Flugzeug heute schon vollgetankt? Was macht sie bei Elendd…..

  2. Die imperiale Clique pflegt ihren Sitz zu wechseln. So zogen sie von Italien nach Amsterdam, von wo sie von Cromwell zur Verwaltung seines Weltreiches eingeladen wurden. Von dort zogen sie in die uSA. Es ist zu befürchten, daß sie bereits im sozialistischen China sitzen. Ob wir Europäer das als Vorbild nehmen sollen? Niemals wird die Clique zulassen, daß es selbständige Völker gibt.
    Die EU sollte es sich zur letzten Aufgabe machen, ehe sie sich auflöst, gemeinsam die sich hier aufhaltenden afrikanischen Menschen der Afrikanischen Union (AU) zu übergeben, die dann dafür sorgen muß, daß die dort anständig leben, wo sie hingehören. Dieser Völkermischmasch hat keine Zukunft. In der EU sollten sich gleiche ethnische Gruppen zusammenschließen und sich organisieren, was bisher mit Gewalt verhindert wurde. Kleine Gebilde funktionieren nachweislich besser als zentralistische.

  3. Ein freies Afrika? Wird es nicht geben, wurde versucht, klappt nicht. Liberia ist seit 1847 unabhängig und immer noch ein archetypisches “shithole”.
    Die politisch-militärischen Spielchen im Sahel dienen dazu, den Weg zu bereiten für eine umfassende Neokolonialisierung durch das von Russland unterstützte China. Wenn der gesamte Bantu-Gürtel von Sierra Leone bis Moçambique unter chinesischer Kontrolle steht, wird dort ein ähnlicher Aufbau wie in China stattfinden – Infrastruktur, straffe Ordnung und ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Prosperität. Mit großen Teilen der geliebten afrikanischen Folklore, also blutigen Stammeskriegen, Selbstbereicherung der Compradores (“Compañeros” höre ich hier zum ersten Mal), 10 Kinder pro Frau und Dumping des überschüssigen Nachwuchses in die europäischen Wohlfahrtsstaaten, wird dann allerdings Schluss sein – unter chinesischer Herrschaft sind Klappehalten, 72-Stunden-Arbeitswoche und Einkindfamilie angesagt.
    Ansichtssache, was man davon hält. Das derzeitige System in Afrika ist jedenfalls ein so toter Gaul, dass das Absteigen erwogen werden sollte.

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  4. Eine großartige mit Einzelheiten begründete Darstellung. Danke!
    Niger wäre wohl ohne Rückendeckung einer oder mehrerer Großmächte
    nicht gegen Frankreich aufgestanden.

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