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Die USA versucht über Kriegspolitik den US-Dollar als Ankerwährung Nr. 1 zu halten | Quelle: IMF

Im zweiten Teil des Interviews beantwortet Sergey Lawrow Fragen zu:

  • Konstanten der US-Hegemonialpolitik jenseits der politischen Fassade
  • den russischen Beziehungen gegenüber Afrika, den Golfstaaten und EU
  • den Herausforderungen der BRICS Vereinigung vor dem Gipfel in Kasan
  • den Möglichkeiten einer De-Dollarisierung durch die „Globale Mehrheit“
  • der Palästinenserfrage und Überwindung der Gewaltspirale in Fernost

Sergey Lawrow: „Russland wird seine Hoffnungen nie wieder
auf die Ankunft eines „Guten“ im Weißen Haus richten!“

Frage: Was denkt Russland über die demokratischen Prozesse in den Vereinigten Staaten und Attentatsversuche auf Donald Trump, die in direktem Zusammenhang mit der Ukraine stehen, wenn man vom „Export der Demokratie“ – wie die Amerikaner sagen – spricht?

Sergey Lawrow: Die aktuellen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten sind Ausdruck ihrer „Exklusivität“ und ihres Superioritätskomplexes und zuvor im Zusammenhang mit der US-Politik im Nahen Osten erwähnten – im Zuge der Unterstützung Washingtons für Verstöße der israelischen Behörden gegen alle Bestimmungen des humanitären Völkerrechts.

Die Demokratie nach amerikanischem Vorbild ist deren Erfindung: Wenn einem dieses System von Staatsmacht zusagt, bei dem der Wahlsieg nicht dem Kandidaten zufällt, für den die Mehrheit der Menschen gestimmt hatte, sondern dem anderen Kandidaten, dann sollen sie es so halten, doch andere Nationen in Ruhe lassen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit der damaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice, die unser Wahlverfahren kritisierte. Ich antwortete, dass die Wahlen in den Vereinigten Staaten kein direkter, sondern ein zweistufiger Prozess wären. So kann es vorkommen, dass ein Kandidat, der nur die Stimmen einer Minderheit erhielt, ins Weiße Haus einziehen kann. Sie sagte, dass man sich dessen bewusst sei, doch das nicht unser Problem wäre und sie sich selbst darum kümmern wollten. Wäre es nicht angebracht, eine solche Logik auch in Bezug auf andere Länder zu verwenden?

Einige Länder, zum Beispiel am Persischen Golf, sind mit ihrer Monarchie zufrieden: Warum sollte es jemanden kümmern, nachdem die Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind? China hat ein anderes Regierungssystem und dasselbe gilt für Russland.

Wenn die Vereinigten Staaten sagen, dass sie für Demokratie kämpfen, täuschen sie die Welt: Sie kämpfen hingegen dafür, Menschen an die Macht zu bringen, die den Amerikanern zu Willen sind. Das ist alles – sie tun nichts anderes!

Ich denke, dass amerikanische Politiker, falls man sie, neben dem Export ihres Demokratiemodells in die ganze Welt auch auf die Demokratisierung in internationalen Beziehungen ansprechen würde, sich dieser Diskussion verweigern würden. Sie würden Ihnen sagen, dass internationale Angelegenheiten auf einer „regelbasierten Ordnung“ beruhten. Die Demokratie, wie sie in der UN-Charta festgelegt ist, basiert jedoch auf der souveränen Gleichheit der Staaten.

Nehmen wir eine beliebige Krise, in welcher die Vereinigten Staaten nach oder noch vor der Gründung der UNO verwickelt waren. Die US-Außenpolitik hat das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten nie respektiert. Deshalb sage ich Amerikanern, dass sie dieses Prinzip auch auf andere Länder anwenden sollten, seit Condoleezza Rice mir sagte, dass es ihr System sei und wir sie in Ruhe lassen sollten:

Die USA haben ein anderes System und wollen in Ruhe gelassen werden. Gleichwohl sollte man sich auch nicht in die Angelegenheiten der anderen einmischen.

 Frage: Einige sagen, dass die Welt Donald Trump für die nächsten vier Jahre im Weißen Haus benötige und dies der Welt zugutekäme. Präsident Putin hat kürzlich einen Witz zu den US-Wahlen gemacht: Er sagte, dass Russland Kamala Harris unterstütze. Wie passt Russland seine Politik an den zukünftigen US-Präsidenten an? Wie sehr würde sich diese ändern?

Sergey Lawrow: Das war ein Witz: Präsident Putin hat einen guten Sinn für Humor: Er macht oft Witze in seinen Erklärungen und Interviews.

Ich sehe keine längerfristigen Unterschiede in unserer Haltung zu den aktuellen oder früheren Wahlen in den Vereinigten Staaten, weil sie vom berüchtigten „Tiefen Staat“ bestimmt werden.

 US-Präsident Joe Biden ist in einem körperlichen Zustand, der ihn schon seit geraumer Zeit daran hindert, sein Land zu führen. Aber das Land lässt seine „Zahnräder“ weiter rotieren:

  • Es lässt Militäreinsätze in Vertretung durch das ukrainische Regime in anderen Teilen der Welt fortsetzen.
  • Es blockiert weiterhin alle Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die einen Waffenstillstand in Gaza und im Westjordanland fordern.
  • Die „Maschine“ dreht sich weiter und ist bereit, mit allen Rivalen abzurechnen, die jemals Amerikas Hegemonie bedrohen wollten.

Die Amerikaner drängen darauf, China als Hauptbedrohung ihres Landes zu erklären. Sie haben viele Sanktionen gegen die Volksrepublik China erlassen [doch nicht so viele wie gegen Russland]. Sie unterbinden die Kanäle, die moderne Technologien nach China ließen, um die Entwicklung von Sektoren zu verlangsamen. So wird China selbst Technologien entwickeln, doch das wird etwas dauern.

Was unternimmt man im Westen in Bezug auf chinesische Exporte, wie vor allem Elektroautos, Batterien oder andere Güter? Sie führen in Europa und den Vereinigten Staaten Zölle über 100 Prozent ein. Während Präsident Xi Jinping in Frankreich weilte, kam die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, nach Paris und erklärte öffentlich, dass sie Zölle von 100% auf chinesische Elektroautos verhängen lassen wolle, weil die Fahrzeuge zu billig wären, was europäische Hersteller beeinträchtigen würde. Wo bleibt da besagter fairer Wettbewerb, den der Westen als oberstes Prinzip vormals noch zelebrierte? Wo bleibt die Unverletzlichkeit des Eigentums und vieles andere mehr? All dies gehört nun der Vergangenheit an.

Ich mache mir keine Illusionen über den US-Präsidenten. [Als Donald Trump Präsident war] hatte er mehrere Treffen mit Wladimir Putin. Ich wurde auch ein paar Mal im Weißen Haus empfangen. Er war freundlich. Doch die Trump-Regierung hat regelmäßig und konsequent Sanktionen gegen die Russische Föderation verhängt, und diese Sanktionen waren ziemlich schwerwiegend.

Schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass Autarkie die beste Option sei:

Wir werden unsere Hoffnungen nie wieder auf die Ankunft eines „Guten“ im Weißen Haus oder in einer anderen westlichen Hauptstadt richten, der uns dabei helfen könnte, die Dinge in unserem Land in Ordnung zu bringen.

Frage: Wir haben unser Gespräch mit der Erwähnung zur Bedeutung des afrikanischen Kontinents begonnen. Russland hat dort durch die Zusammenarbeit, auch im militärischen Bereich, mit einer Reihe von Ländern gewisse Erfolge erzielt. Wie sieht Russland seine Rolle in dieser Region?

 Sergey Lawrow: Wir haben diese Rolle jahrzehntelang vorangetrieben, indem wir den Kampf der afrikanischen Völker in Bezug auf Unabhängigkeit, Abschütteln des kolonialen Jochs und Beendigung der Apartheidpolitik aktiv unterstützten, wie ich erwähnt hatte. Die afrikanischen Nationen mit ihren Staats- und Regierungschefs schätzen unseren Beitrag mit Bemühungen zum Aufbau einer besseren Welt und zur Durchsetzung von Gleichberechtigung. Wir sehen, dass die jüngeren Generationen von Afrikanern dazu erzogen werden, unsere gemeinsame Geschichte zu achten.

Wir haben nie einseitigen Nutzen aus unseren Beziehungen mit afrikanischen Ländern gezogen. Sehen Sie sich die vielen Industrieanlagen an, welche die Sowjetunion in der Arabischen Republik Ägypten errichten liess. Heute sind diese Anlagen das Rückgrat der Wirtschaft und Industrie des Landes. Derzeit bauen wir ein Kernkraftwerk und errichten ein russisches Industriegebiet im Gebiet des Suezkanals. Wir haben dies am 16. September 2024 besprochen, nachdem der ägyptische Außenminister Badr Abdelatty zu einem Besuch in die Russische Föderation kam.

Indem die Sowjetunion Beziehungen zu anderen afrikanischen Ländern etablierte, trug sie stets zur Entwicklung von Grundlagen für souveräne Wirtschaften und zur Errichtung von Bildungssystemen bei. Jedes Jahr studieren weiterhin Zehntausende Afrikaner an russischen Universitäten. Die betreffenden Länder haben Vereinigungen von Absolventen sowjetischer und russischer Universitäten gegründet.

Unser gemeinsames historisches Erbe bildet die Grundlage für das derzeitige Niveau der Freundschaft und der für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit. Die Russische Föderation war nach dem Zerfall der Sowjetunion sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht in bester Verfassung. Zu dieser Zeit widmeten wir dem Ausbau unserer Zusammenarbeit mit afrikanischen Freunden viel weniger Aufmerksamkeit. Nach Wiederherstellung unserer Wirtschaft und Normalisierung des Lebens unseres Staates und unserer Gesellschaft haben wir über die letzten 15 Jahre diese Beziehungen wieder weiter vertieft.

Bisher haben zwei Russland-Afrika-Gipfel stattgefunden: Im Jahr 2019 in Sotschi und 2023 in St. Petersburg. Im November 2024 wird Sotschi gemäß einem Beschluss vom Gipfel des Jahres 2023 Gastgeber des ersten Treffens der Außenminister Russlands und Afrikas sein. Zusammen mit unseren afrikanischen Kollegen planen wir, zwei oder drei Jahre später regelmäßige Gipfeltreffen auf dem afrikanischen Kontinent zu organisieren.

Wir haben ein vollgepacktes Programm: Die Kommission der Afrikanischen Union und die Regierung der Russischen Föderation haben einen Aktionsplan bis Ende 2026 erstellt. Dieser umfasst alle Bereiche unserer Zusammenarbeit, einschließlich Wirtschaft und Investitionen sowie den sozialen Bereich, Bildung und kulturellen Austausch. Wir sehen, dass unsere afrikanischen Freunde an einer erweiterten Zusammenarbeit auf gegenseitiger Basis aufrichtig interessiert sind.

Frage: Die BRICS-Gemeinschaft wächst schnell, festigt ihre Positionen und arbeitet mit einer Reihe von Ländern zusammen. Viele Staaten möchten BRICS beitreten. Gleichzeitig steht die Gemeinschaft vor gewissen Herausforderungen. Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen? Wie stellen Sie sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der ganzen Staatengemeinschaft vor?

Sergey Lawrow: Das Rezept ist ganz einfach: Das Völkerrecht muss in vollem Umfang geachtet werden. Zunächst möchte ich noch einmal die UN-Charta zitieren, die das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten untereinander beinhaltet. Es ist notwendig, Zusammenarbeit auf Grundlage eines Interessenausgleichs, den wir zu finden haben, vorantreiben. Gleich der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, Liga Arabischer Staaten und dem Golf-Kooperationsrat funktioniert BRICS auf Grundlage von Konsens. BRICS ist eine Vereinigung, die auf gegenseitigem Respekt und der Berücksichtigung der Interessen der jeweils anderen aufbaut:

In der Europäischen Union oder NATO gibt es kein solches Prinzip: Die Vereinigten Staaten als der erklärte Hegemon dulden keine Einwände gegen ihre Politik.

Die Europäische Union und Brüssel haben eine Bürokratie geschaffen, die inzwischen souveränen Ländern vorschreibt, was sie zu tun hätten. Die Menschen haben nicht für eine solche Bürokratie gestimmt. Sie haben stattdessen für ihre Präsidenten und Premierminister abgestimmt. Später wurde im gegenseitigen Einvernehmen ein bürokratisches System darübergestülpt: Schauen Sie sich nur an, wie respektlos sich die Beamten in Brüssel heutzutage aufführen.

Ähnliche Verhältnisse sind in Bezug auf die BRICS Länder ausgeschlossen: Die Vereinigung befürwortet das echte Konsensprinzip – nicht ein künstliches, bei dem man zur Zustimmung gezwungen würde. Es zielt in erster Linie darauf ab, Vereinbarungen zu treffen, welche die gegenseitige Zustimmung aller Teilnehmer reflektiert. Das ist nicht einfach. Je mehr Partner, desto schwieriger wird es, Einigungen zu erzielen. Eine konsensbasierte Vereinbarung zu erzielen dauert länger, als eine abstimmungsbasierte Lösung:

Allerdings sind solche Vereinbarungen zuletzt viel belastbarer und tragfähiger als alles, was von außen auferlegt worden wäre: So lautet das sehr einfache und ganze Geheimnis!

Die BRICS-Staaten entwickeln die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen: Es gibt eine neue Entwicklungsbank, die an Stärke gewinnt. Es gibt weiter eine Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, humanitäre Hilfe, Sport, Bildung und Kultur. Als BRICS-Vorsitzender in diesem Jahr haben wir bereits 150 Veranstaltungen organisiert und mehrere Dutzend weitere sind geplant. Alle diese Veranstaltungen finden großes Interesse und werden von relevanten Delegationen, Ministerien, Parlamenten und öffentlichen Organisationen rege besucht. Wir beobachten die Veranstaltungen in BRICS-Ländern und erkennen das echte Interesse ihrer Bürger. Das bietet eine solide Grundlage zur Entwicklung einer strategischen Partnerschaft dank der Vereinigung:

Derzeit umfasst BRICS 10 Länder. Ihre Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Mehr als 30 Länder haben bereits Anträge auf gegenseitige Zusammenarbeit oder eine Mitgliedschaft in der Vereinigung gestellt.

Die Prüfung der Anträge von Staaten, die mit BRICS interagieren und eine Partnerschaft eingehen möchten, werden auf dem Gipfel im Oktober in Kasan die Hauptpunkte auf der Agenda bilden.

Frage: Wir wollten ein gemeinsames Problem ansprechen: Die Überwindung der Vorherrschaft des US-Dollars und der US-Sanktionen gegen Russland und Iran. Diese Situation wurde bereits vorhergesagt: Insbesondere wurde erklärt, dass der Dollar als Waffe gegen Russland und den Iran eingesetzt werden würde. Nun, trotz alledem, will Russland wirklich, dass Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrte?

Sergey Lawrow: Donald Trump hat die Politik der derzeitigen Regierung verurteilt, die, wie er ausdrücklich erklärte, die Rolle des Dollars zerstört und die wirtschaftliche Stärke der Vereinigten Staaten, die stark vom Dollar abhängig ist, untergräbt. Die Staatsverschuldung der USA beträgt 36 Billionen US-Dollar. Allein die Zinsen für die Staatsverschuldung der USA belaufen sich auf 1 Billion US-Dollar jährlich – und das ohne Tilgung der Schulden. Donald Trump hat direkt erklärt, dass die von der Biden-Regierung verhängten Sanktionen, welche die Eigenschaft des Dollars als globale Reservewährung ausspielen, der US-Wirtschaft schadeten.

Ich stimme ihm zu. Und das nicht, weil ich es will, sondern weil eine überwältigende Mehrheit der Länder bereits bei allen Transaktionen in die Weltwirtschaft, bei denen sie vom Dollar abhängig wären, Vorsicht zeigt. Diese Abhängigkeit besteht nach wie vor. Sie ist enorm, auch für die Volksrepublik China, Indien bzw. für die meisten Volkswirtschaften der Welt.

Diese Abhängigkeit wurde bereits als ein Phänomen erkannt, das ein Risiko für die Entwicklung von Ländern darstellt. Der Dollar wird daher allmählich durch Abrechnungen in nationalen Währungen ersetzt.

Auf dem BRICS-Gipfel im vergangenen Jahr schlug der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva vor, dass die BRICS-Staaten die Schaffung einer alternativen Zahlungsplattform in Betracht ziehen sollten, um von den Mitgliedern der Vereinigung und anderen interessierten Ländern genutzt zu werden. Diese Aufgabe wurde für den kommenden Gipfel in Kasan [im Oktober] festgelegt, der unter dem Vorsitz des russischen Präsidenten Wladimir Putin stattfinden wird. Wir erwarten von den Finanzministern und Zentralbanken der BRICS-Länder einen Bericht darüber, wie alternative Zahlungsplattformen eingerichtet werden können.

Über 90 Prozent unseres Handels mit China wird bereits in nationalen Währungen abgerechnet, um den Dollar zu umgehen. Bei unserem Handel mit Indien liegt dieser Anteil bei gegenwärtig 60 Prozent.

Wir beginnen, uns mit den meisten Ländern in Richtung solcher Formen gegenseitiger Abstimmung zu bewegen. Es ist klar, dass die Vereinigten Staaten weiterhin Dollars drucken, um jene entwerteten Banknoten zu verwenden und ihre Politik des wirtschaftlichen Drucks auf andere Länder aufrechtzuerhalten. Dieses Zeitalter nähert sich jedoch seinem Ende.

Frage: Natürlich kann man Politik, Wirtschaft und Beziehungen zu Europa nicht trennen. Warum hat Russland die Gasexporte nach Europa trotz der negativen Einstellung gegenüber Russland nicht eingestellt? Warum liefern Sie weiterhin Gas an die EU?

Sergey Lawrow: Wir sind anständige Menschen:

Wir haben langfristige Verträge mit Europa unterzeichnet. Im Gegensatz zu Europa oder den Vereinigten Staaten kommen wir unseren Verpflichtungen stets nach.

Wir haben während der Sowjetzeit, beginnend in den 1970er Jahren, jahrzehntelang daran gearbeitet, eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit im Bereich der Gasversorgung aufzubauen: Es war dem erschwinglichen russischen Gas zu danken, dass sich die Energiesektoren in Europa, vor allem in Deutschland, sowie die Wirtschaft insgesamt so gut entwickeln konnten.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte in einem Interview, dass Russland die Gasexporte nach Europa eingestellt habe: Warum wollte ein erwachsener Mensch so lügen?

Jeder weiß, was passiert ist. Als Angela Merkel noch Bundeskanzlerin war, haben die Vereinigten Staaten Deutschland angehalten, die Nord-Stream-Pipelines 1 und 2 nicht zu bauen und sehr viel teureres amerikanisches Flüssigerdgas zu verwenden. Heute deckt Europa seinen Grundenergiebedarf mit Flüssigerdgas, einschließlich amerikanischem Flüssigerdgas, ab. Aber, falls jemand unser Gas kaufen möchte, halten wir an unseren Vereinbarungen fest. Wir sind Nachbarn.

Es gibt Pipelines: Obwohl drei Abschnitte der Nord-Stream-Pipelines gesprengt wurden, gibt es andere Pipelinetrassen, unter anderem durch die Ukraine und Türkei über das Schwarze Meer. Wenn eine Zusammenarbeit für beide Seiten von Vorteil ist, warum sollte man sich dann selbst ein Bein stellen? Soll sich das schöne Europa doch selbst ins Bein schießen!

 Vor einem Jahr las ich eine Erklärung des französischen Wirtschaftsministers Bruno Le Maire, der schrieb:

…, dass die Industrie, einschließlich Frankreich, in Europa viermal so viel für Strom bezahlt als in den Vereinigten Staaten. Genau das wollen die Vereinigten Staaten!

Sie versuchen immer ihre Rivalen loszuwerden. Als sie Russland als Rivalen betrachteten, schufen sie ein antirussisches, russophobes und nazistisches Regime in der Ukraine und hetzten es auf unser Land los.

Die EU war auch ein Rivale für die USA. Doch sie ist kein Rivale mehr und wird es auch nie mehr sein, sofern ich die Entwicklungstrends in Europa richtig interpretiere.

Europa wird deindustrialisiert. Nachdem einer der größten Aktivposten Deutschlands – die Automobilindustrie – damit begann, Produktionen in andere Länder zu verlagern und Volkswagen Werke schließt und Tausende von Mitarbeitern entlässt, ist das bezeichnend.

Die europäische Bürokratie folgt gehorsam dem Kurs, den die Vereinigten Staaten vorgeben. Doch immer mehr EU-Länder erkennen, dass dies nicht in ihrem Interesse liege, sondern im Interesse ihres Partners aus Übersee.

Frage: Ich komme nicht umhin, Sie nach China zu fragen, um die Situation vollständig zu umfassen. Wann werden die Beziehungen der strategischen Partnerschaft auf die Ebene einer Allianz gehoben? Wird dies geschehen? Es haben bereits Militärübungen stattgefunden – auch im Japanischen Meer. Die Beziehungen zwischen Russland und China entwickeln sich aktiv. Kann man sagen, dass beide Länder eine enge Allianz anstreben werden?

 Sergey Lawrow: Diese Beziehungen sind die besten in der gesamten Geschichte russisch-chinesischer Beziehungen. Sie sind von strategischer Bedeutung. Wir werden oft gefragt, wann wir ein Militärallianz eingehen würden. Das ist nicht notwendig. Wir führen regelmäßig Militärübungen durch, darunter auch Manöver der Marine-, Boden- und Luftwaffe. Unsere Armeen arbeiten zusammen, pflegen freundschaftliche Beziehungen, lernen gemeinsame Operationen durchzuführen und trainieren gemeinsam:

All dies geschieht ohne Allianzstruktur wie die der NATO. Wir werden unsere strategische Zusammenarbeit auf allen Bereichen ohne Ausnahmen fortsetzen.

Wir verzeichnen ein alle Rekorde brechendes Handelsvolumen, das 2023 etwa 230 Milliarden US-Dollar erreichte. Dieses Volumen wird tendenziell noch weiter steigen. Wir pflegen die engste, für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit im Energiebereich und in allen Fragen im Zusammenhang mit Gaslieferungen und Kernenergie.

Unsere kulturellen, humanitären und bildungspolitischen Beziehungen entwickeln sich. Die russische Sprache wird in China immer beliebter, während die Beliebtheit der chinesische Sprache in Russland zunehmend wächst. Wir sind zwei große Staaten und zwei große Nationen und unmittelbare Nachbarn. Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, unsere Sicherheit voranzutreiben, insbesondere nachdem die Vereinigten Staaten versuchen, ein NATO-ähnliches System im asiatisch-pazifischen Raum zu fördern, um dort verschiedene Blöcke, darunter AUKUS, sowie andere trilaterale und vierseitige Organisationen zu etablieren. All dies geschieht natürlich im Einklang mit dem offen erklärten Ziel, nämlich China und Russland einzudämmen.

Wir sollten wachsam bleiben, doch das bringt uns nur noch enger zusammen: Wir sind natürliche Partner.

Frage: Wie gestalten sich die Beziehungen Russlands zu den Vereinigten Arabischen Emiraten? Wir haben festgestellt, dass diese Beziehungen ein völlig neues Niveau erreicht haben. Die Vereinigten Arabischen Emirate spielten eine wichtige Rolle bei der Rückführung russischer und ukrainischer Kriegsgefangener, was eine äußerst wichtige Rolle darstellt. Wie möchten Sie das kommentieren?

Sergey Lawrow: Die Beziehungen zu allen arabischen Ländern, ohne Ausnahme, einschließlich der sechs Golfstaaten, basieren auf regelmäßigen Treffen unserer Staats- und Regierungschefs und auf unterzeichneten Verträgen. Diese Beziehungen umfassen ausnahmslos alle Bereiche. Ich möchte insbesondere auf unsere Zusammenarbeit innerhalb der OPEC+-Organisation sowie im Forum der Gasexportierenden Länder verweisen. Das bildet eine gute materielle und objektive Grundlage für unsere strategische Partnerschaft mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Katar und anderen Ländern am Persischen Golf.

Tatsächlich leisten unsere Freunde in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Katar ihren eigenen Beitrag zur Lösung humanitärer Probleme im Rahmen unserer speziellen Militäroperation. Wie Sie bereits angemerkt haben, gehört dazu auch der Austausch von Kriegsgefangenen. Wir begrüßen diese Zusammenarbeit, die darauf abzielt, das Schicksal der einfachen Menschen aus ehrlichen Motiven, doch nicht aus Gründen der Eigenwerbung und PR zu verbessern.

Frage: Meine letzte Frage betrifft den Libanon. Das russische Außenministerium hat eine Erklärung zu den jüngsten Entwicklungen im Libanon abgegeben – nämlich zu den Pager-Explosionen, die sich gegen Hisbollah-Mitglieder richteten. Dies ist eine Eskalation. Da Sie und Präsident Wladimir Putin mit allen Konfliktparteien in Kontakt stehen, wie beurteilen Sie diese Situation?

Sergey Lawrow: Wir sind gegen jede Eskalation. Leider gibt es diejenigen, die versuchen, die Situation maximal anzuheizen, insbesondere um einen Eingriff der US-Streitkräfte in der Region zu provozieren. Das ist völlig offensichtlich.

Denken Sie nur an die Ermordung von Ismail Haniyeh während der Trauerfeierlichkeiten für Präsident Ibrahim Raisi in der Hauptstadt der Islamischen Republik Iran. Ich kann mir nichts Zynischeres vorstellen.

Ich schätze die Tatsache, dass die Islamische Republik Iran nicht, wie man so sagt, eingebrach bzw. in umfassende militärische Gegenmaßnahmen verfiel.

Sie rechneten damit, dass der Iran etwas tun würde, das die Streitkräfte der Vereinigten Staaten dazu veranlassen würde, in die Situation [vor Ort] einzugreifen.

Möglicherweise verhalten sich die Entwicklungen im Libanon ähnlich. Ich meine, dass Hisbollah sich angesichts ihrer Fähigkeiten zurückhaltend verhält. Man will sie mit dem gleichen Ziel provozieren, um ein Eingreifen der Vereinigten Staaten in den Krieg unvermeidlich zu machen. Ich denke, dass sich die Biden-Regierung dieser Gefahr bewusst ist. Natürlich wollen wir nicht, dass ein großer Krieg ausbricht!

Im Moment geht es vor allem darum, einen vollständigen Waffenstillstand im Gazastreifen und in allen palästinensischen Gebieten zu erreichen, die humanitären Probleme umgehend zu lösen, die Hilfslieferungen in den erforderlichen Mengen wieder aufzunehmen und natürlich als dritten notwendigen Schritt substanzielle Verhandlungen über die Schaffung eines palästinensischen Staates aufzunehmen. Ohne diese wird es im Nahen Osten weiterhin zu Gewaltausbrüchen kommen.

Frage: Auf welcher Ebene befinden sich die Beziehungen zwischen Israel und der Russischen Föderation heute?

Sergey Lawrow: Ich persönlich unterhalte gute Beziehungen zu vielen meiner israelischen Kollegen – auch zu ehemaligen. Wenn Präsident Wladimir Putin über die Nahostpolitik spricht, betont er das uneingeschränkte Engagement Russlands für die Sicherheit und die grundlegenden Interessen des Staates Israel. Nicht umsonst habe ich die Notwendigkeit der Umsetzung der Resolutionen erwähnt, die eine Lösung der Nahost-Probleme auf der Grundlage zweier Staaten vorsehen:

Damit zwei unabhängige und souveräne Staaten, Israel und Palästina, als gute Nachbarn in Sicherheit füreinander und für die gesamte Region existieren können.

 Dieser wesentliche Ansatz bedarf keiner Erklärung: Er entspricht den Interessen sowohl Israels als auch Palästinas.

Wir betonen bei all unseren Handlungen stets, dass Lösungen nicht tragfähig wären, ohne die Sicherheit Israels zu gewährleisten, was jedoch nicht auf Kosten der Sicherheit anderer geschehen dürfe.

***

Teil I: Hier

Übersetzung: UNSER-MITTELEUROPA

UNSER-MITTELEUROPA berichtete zur Gefahr globaler & atomarer Eskalation:

 



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Von Redaktion

8 Gedanken zu „Sergey Lawrow: 90 % des russisch-chinesischen Handels läuft in nationalen Währungen | Teil II“
  1. Digitaler Rubel: Putin unterzeichnet Gesetz für CBDC aus Russland
    In Russland ist der digitale Rubel nun offiziell. Präsident Putin hat ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet. Bis die Währung von den Massen angenommen wird, könnte es aber noch bis 2027 dauern.
    https://t3n.de/news/digitaler-rubel-putin-gesetz-cbdc-russland-1566385/#:~:text=Russlands%20Pr%C3%A4sident%20Wladimir%20Putin%20hat,ihre%20Einf%C3%BChrung%20jetzt%20offiziell%20besiegelt.

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  2. Putin sagt: es dürfen nur strategisch wichtige Rohstoffe sanktioniert werden, so dass die eigene Wirtschaft keinen Schaden erleidet; denn das wichtigste im Kapitalismus wären Marktanteile und die dürfen nicht verloren gehen.
    Ich hab´s geahnt: der arme Kerl hat den Kapitalismus immer noch nicht begriffen. Wie bescheuert ist das denn? Wenn ich auf einem knappen Gut sitze und den Hahn zu drehe, schießen die Preise in die Höhe und die Westkapitalisten kommen auf den Knien angekrochen, um es billiger zu kriegen. Auf dem Schwarzmarkt verdiene ich mich da dumm und dämlich. Die Konkurrenz ist völlig wurscht. Mit mir als Berater hätte es keinen Krieg gegeben und er wäre jetzt unangefochten der Chef in Europa; die Nato wäre zum Teufel gegangen. Ich sag´s jetzt und habe es immer gesagt: der größte Feind im Frieden und im Krieg ist die eigene Dummheit.

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    1. Putin hat die Order an seinen Premierminister öffentlich gemacht, um den Politpflaumen im Westen eine Warnung zukommen zu lassen, die lautet: Nachdem der Westen den Krieg militärisch verloren hat, könnten sie als Nachspeise noch einen wirtschaftlichen Gnadenschlag auf die Mütze bekommen. Sie taumeln ja jetzt schon bankrott am Rande des finanziellen Zusammenbruchs rund um die Schlachtfelder. Z.B. wird die USA danach sehen müssen, dass ihre Administration nach dem 1. Oktober noch am Laufen bleibt. Doch keine Sorge: Waldimir Putin kennt den „Kapitalismus“ viel besser als gedankenverlorene Zaungäste aus EU Staaten, denen gerade von ihren atlantischen Strippenziehern & Meister-Herren die goldene Schlinge um den Hals immer fester angezogen wird. Putin hat im Zuge des „Demokratie-Imports“ aus den 90-er Jahren die westlichen Laufburschen & Geldbriefträger – im Volksmund besser unter Oligarchen bekannt – die bis heute gut und gerne 2000 Milliarden USD aus dem Land geschaufelt haben, bestens und ganz hautnah kennengelernt. Doch, damit ist es bald schon vorbei! Russland ist nicht unter Zeitdruck ganz im Gegensatz zum „Wertewesten“, der um sein nacktes Leben kämpft, während im Sterbezimmer die Uhr tickt, wie schon 1943 in Kursk und heute wieder nach dem genau gleichem tödlichem Rezeptbuch aus dem Jahr 1925: Man fand nicht einmal die Laune dafür, die Insignien der atlantischen Frontkämpfer in der Ukraine auszutauschen, denn mit den Runen der Sturmstaffel stirbt es sich so viel leichter!

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  3. Es wird sich in naher Zukunft etwas ändern mit der Weltnutzung des US-Dollars, China und Rußland werden „aussteigen“, evtl. auch Indien und damit sind die größten Länder der Welt nicht mehr vom US-Dollar abhängig. Darüber hinaus sind die USA bei den Chinesen bereits hoch verschuldet………………………………………………………….

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